eJournals Internationales Verkehrswesen 73/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0044
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Viele Hoffnungen und spekulative Annahmen

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Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ UND KRITISCH Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 9 Viele Hoffnungen und spekulative Annahmen S elten wurde in der Vergangenheit die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der weitgehend analogen (! ) verkehrlichen Logistik so intensiv diskutiert wie in der Covid-Pandemie und der Klima-Krise. Dabei wird der Personentransport zugunsten des Güterverkehrs deutlich verdrängt. Maritime Probleme der Seehafenüberlastungen vor allem in der VR China, fehlende Container-Verfügbarkeiten, extreme Wartezeiten der Schiffe in den Häfen und auf Reede - als Folge auch in wichtigen europäischen Häfen, führen zu Störungen in den industriellen Lieferketten. Sie schlagen als gesamtwirtschaftliche Störeffekte auf Produktionsprozesse und auch den Konsumbereich durch. Dies bis hin zu deutlich erkennbaren inflationären Entwicklungen. Die weitgehend ungebremste Tendenz des Einsatzes von Großschiffen, vor allem in der Container-Fahrt, führt auch zur Gefahrensteigerung durch Schiffsentführungen und Cyberkriminalität mit digitalen Eingriffen in die Schiffsteuerung. Die Schiffsversicherer passen bereits ihre Prämien an. Fast sämtliche klimapolitischen Strategien im Mobilitätssektor sehen den Schienenverkehr als wichtigen Rettungsanker oder sogar Heilsbringer. Und dies oft erstaunlich unkritisch. Finanzmittel für den Eisenbahn- und ÖPNV-Bereich werden vom Bund und den Ländern (und auch der EU) in kaum noch überschaubaren Volumina bereitgestellt. Aber das reicht nicht, um die Ansprüche einer Verkehrswende zu erfüllen. Verdrängt wird das Faktum der völlig unzureichenden Netzkapazitäten im Schienenverkehr. Seit Jahrzehnten hemmen in Deutschland Planungs- und Umsetzungsschwierigkeiten aufgrund massiver Widerstände sowohl direkt Betroffener wie auch einer Vielzahl von Verbänden mit Klagerechten alle wichtigen Neu- und Erweiterungsinvestitionen und führen zu Bauverzögerungen von bis zu 20 Jahren. Auch wenn es nur ein drittes Gleis ist, wie etwa zwischen Frankfurt Hbf. und Friedberg. Es geht aber vor allem um neue Ferntrassen für den Güter- und Personenverkehr, Umfahrungsmöglichkeiten bei im Eisenbahnverkehr unvermeidbaren Störungen und nicht nur um die (durchaus wichtigen) 740 m Überholgleise. Ohne wesentliche Kapazitätsausweitungen bleiben die klimapolitischen Hoffnungen eines entscheidenden Beitrages der Bahnen eben nur das was sie sind - Hoffnungen. Traurige Beispiele sind die Schienenzulaufstrecken zum bereits seit Jahren im Betrieb befindlichen Gotthard-Basistunnel (Karlsruhe-Basel) und zum Brenner-Tunnel (Rosenheim - Kufstein). Letzterer erreicht bereits deutliche Baufortschritte. Auf deutscher Seite wird mit Trassenfertigstellungen erst nach 2040 (! ) gerechnet. Der Schienengüterverkehr soll - so eine Vielzahl verkehrspolitischer Aussagen - um 70 % ansteigen und einen Modal-Split-Anteil von 25 bis sogar 30 % erreichen, vor allem zulasten des LKW. Und der Personenverkehr soll sich bis 2030 verdoppeln. Wie dies kapazitätsmäßig abgesichert werden soll, bleibt im Nebel. Planungs- und Umsetzungsbeschleunigungen beim Infrastrukturausbau werden auch von der EU-Kommission ständig gefordert. Überraschend hat die EU-Kommission am 9. Juni 2021 die Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland beschlossen. Sie stört sich an dem im März 2020 vom Deutschen Bundestag beschlossenen sog. Maßnahmenmitwirkungsrechtegesetz (MgvG), durch das 13 Infrastrukturprojekte verfahrensmäßig beschleunigt durch reguläre Verwaltungsverfahren genehmigt werden sollen. Die Kommission sieht die Mitwirkungsrechte und Klagemöglichkeiten von Privaten und Verbänden nicht ausreichend gesichert. So weit die Realität. Die Umsetzung der (sinnvollen) CO 2 -Bepreisung fossiler Brennstoffe im Straßenverkehr wird allerdings dann konterkariert, wenn parallel den Betroffenen Ausgleichszahlungen, etwa durch Steigerung der Pendlerpauschalen, gewährt werden. Sinnvoll wäre es, den in Deutschland mittlerweile exorbitant hohen Strompreis durch Absenkung der besonders belastenden EEG-Umlage zu reduzieren. Von der Politik war die Reduzierung für 2021 versprochen worden, gesenkt wurde jedoch nur um einen lächerlich niedrigen Cent- Bruchteil. Politikversprechen eben. Der Deutschland-Takt im Personen- und Güterverkehr der Bahnen soll 2030 in erster Phase umgesetzt werden. Die unabdingbaren zusätzlichen Netzkapazitäten werden bis dahin nicht vorliegen. Ob sich bis 2035 daran etwas ändern wird, ist Spekulation. Ebenso die tatsächliche Entlastungswirkung der CO 2 -Belastung im Straßenverkehr. Hoffnungen ersetzen nicht das Handeln. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche