Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0046
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Mit mehr Regulierung und mehr Markt zu mehr Klimaschutz
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Frank Hütten
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Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 17 M anche Politiker in Brüssel sprechen von einem „legislativen Tsunami“, der mit dem Mitte Juli vorgelegten Klimaschutz-Gesetzespaket „Fit for 55“ auf Europäisches Parlament und Mitgliedstaaten zukommt. Einige Europaabgeordnete glauben, dass sie in den kommenden zwei Jahren oder gar bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 gut mit den Verhandlungen über die tausende Seiten umfassende Legislativvorschlägen beschäftigt sein werden. So viel Zeit sollten sich die Gesetzgeber nicht lassen, denn beim Klimaschutz drängt die Zeit. Schließlich geht es um Ziele, die 2030 erreicht sein sollen. Aber die Materie ist hochkomplex. Die 15 Gesetzesvorschläge und angehängten Durchführungsbestimmungen greifen auf vielfältige Weise ineinander. Die EU-Kommission hat gut eineinhalb Jahre an dem Paket gearbeitet, mit dem Ziel, möglichst alle wichtigen Regulierungshebel und Anreize zu nutzen, damit etwa die Transportwirtschaft nachhaltiger wird. Nach Ansicht der Kommission wird es schwer, Teile des Pakets grundlegend zu ändern, wenn sie nicht durch Elemente mit gleicher Wirkung ersetzt werden. Doch das wird Parlament und Ministerrat nicht abschrecken, alle Pläne ausgiebig zu diskutieren. Selten kommt ein Vorschlag so aus dem EU-Gesetzgebungsprozess heraus, wie er hineingegangen ist. Und das ist in diesem Fall auch gut. Denn würde alles wie vorgeschlagen umgesetzt, besteht durchaus die Gefahr, dass Transportunternehmen für ihren CO 2 -Ausstoß mehrfach zahlen müssen: Über den Emissionshandel, Energiesteuern und die LKW-Maut etwa. Die Transportbranche muss aber weiter etwas verdienen können, sonst kann sie auch nicht in Flottenerneuerung und sauberere Technologien investieren. Das ist aber nötig, denn nur mit öffentlichen Fördermitteln ist die Verkehrswende nicht zu schaffen. Die neue Energiesteuerrichtlinie und der Emissionshandel (ETS) im Straßenverkehr sind die Elemente des Pakets, die am ehesten auf der Strecke bleiben dürften. Die Steuerregeln, weil sie einstimmig von allen Mitgliedstaaten beschlossen werden müssen, und das Straßen-ETS, weil es eine sehr deutsche Idee ist, die schon innerhalb der Kommission für viel Streit gesorgt hat. Eine bulgarische Rentnerin wird einen einheitlichen europäischen CO 2 -Preis an der Tankstelle eben sehr viel schwieriger bezahlen können als ein deutscher oder dänischer Facharbeiter. Und in den EU-Hauptstädten ist die Furcht vor einer europäischen „Gelbwestenbewegung“ groß. Sollten die Pläne für Energiesteuern und Straßen-ETS scheitern, kann die Kommission froh sein, wenn immerhin eine - nicht in diesem Paket enthaltene - CO 2 abhängige LKW-Maut kommt. Zum zentralen Klimaschutzinstrument will die Kommission den Emissionshandel machen - auch im Luft- und Seeverkehr. So richtig traut sie der Marktwirtschaft aber nicht und flankiert den CO 2 -Handel durch zahlreiche regulatorische Vorgaben: CO 2 -Grenzwerte für Vans, Energieeffizienzvorgaben für Schiffe und Beimischungsquoten für nachhaltiges Flugbenzin. Das bringt weitere Lasten für die Transportwirtschaft. Das Verhältnis von Anreizen und Regulierung muss im Gesetzgebungsprozess noch austariert werden. Vom Emissionshandel erhofft die Kommission viele Einnahmen, mit denen die Verkehrswende mitfinanziert werden soll. Aber auch hier kann jeder Euro nur einmal ausgegeben werden. Die Begehrlichkeiten sind jetzt schon groß. Deswegen müssen noch stärker Prioritäten bei der Förderung gesetzt werden. So sollte man sich etwa fragen, ob es sich wirklich lohnt, Geld für den verpflichtenden Aufbau eines Landstromnetzes zu binden oder ob nicht besser die Förderung sauberer Schiffstreibstoffe damit aufgestockt werden sollte. Das könnte den Landstrom aus klimapolitischer Sicht überflüssig machen. Die Klimaschutzziele zu erreichen, wird enorm schwer, das räumt die Kommission selbst ein. Transport wird dadurch teurer werden. Die Transportunternehmen sollten schon einmal anfangen, ihre Kunden darauf vorzubereiten. Sie können es sich nicht leisten, alleine auf den Kosten sitzen zu bleiben. Aber zu einem „grüneren“ Verkehr gibt es keine Alternative, er ist laut Kommission die Bedingung, damit die Transportwirtschaft weiter wachsen kann. Die EU-Gesetzgeber müssen mit dem „legislativen Tsunami“ also fertig werden. Tsunami ist vielleicht ein zu negatives Bild. Sie müssen vielmehr die Dynamik der „Klimaschutzwelle“ nutzen, um den Verkehr durch das EU-Gesetzespaket nachhaltiger zu machen. Ob es am Ende genug ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erhalten, werden wir wohl erst 2030 beurteilen können. Oder vielleicht erst unsere Kinder im Jahr 2050. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Mit mehr Regulierung und mehr Markt zu mehr Klimaschutz
