Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0061
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Bus Rapid Transit-Verbindungen im ländlichen Raum?
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Anja Scheufler
Cordula Neiberger
Zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs im ländlichen Raum wurde ein Bewertungssystem entwickelt, mit welchem eine erste Einschätzung zum Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien erfolgen kann. Als Grundlage für das Bewertungssystem wurden die Hauptmerkmale von Bus Rapid Transit (BRT)-Verbindungen nach ITDP herangezogen und um weiterführende Kriterien ergänzt.
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Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 84 MOBILITÄT Mobilitätsstrategie Bus Rapid Transit-Verbindungen im ländlichen Raum? Ein Bewertungssystem zur Untersuchung von Ausbaupotentialen von Schnellbuslinien Bus Rapid Transit, Schnellbuslinien, Ländlicher Raum Zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs im ländlichen Raum wurde ein Bewertungssystem entwickelt, mit welchem eine erste Einschätzung zum Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien erfolgen kann. Als Grundlage für das Bewertungssystem wurden die Hauptmerkmale von Bus Rapid Transit (BRT)-Verbindungen nach ITDP herangezogen und um weiterführende Kriterien ergänzt. Anja Scheufler, Cordula Neiberger V or dem Hintergrund politischer Ziele in Deutschland, den Klimaschutz in den nächsten Jahren stärker zu gewichten und zu fördern, gewinnen Maßnahmen zur Emissionsreduktion an Bedeutung. Zur Verringerung der Emissionen im Verkehrssektor sollen unter anderem Fahrten des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr verlagert werden [1]. Besonders in kleinstädtischen und dörflichen Regionen besteht jedoch wenig Zufriedenheit mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) [2]. Der Ausbau schienengebundener Systeme stellt vielerorts die bevorzugte Option zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV dar. Aufgrund hoher Investitionskosten bei gleichzeitig geringem Fahrgastpotenzial ist in ländlichen Regionen häufig jedoch keine Verhältnismäßigkeit für eine Schienenverbindung gegeben, weshalb vermehrt Schnellbusangebote gefördert werden. Eine besondere Form von Schnellbussystemen bilden sogenannte Bus Rapid Transit-Verbindungen. Der Begriff Bus Rapid Transit (BRT) bezeichnet ein busgestütztes Schnellverkehrssystem, das hohe Kapazität, Geschwindigkeit und Servicequalität zu relativ niedrigen Kosten erreichen kann. BRT- Linien zeichnen sich durch folgende Infrastrukturmerkmale aus: gesonderte Busspuren, eine effektive Anordnung der Busspuren meist in Mittellage, Fahrpreiserhebung außerhalb des Fahrzeuges (Pre-Ticketing), Bevorrechtigung an Kreuzungen sowie niveaugleiche Ein- und Ausstiege zwischen Bus und Bussteig. Diese sogenannten BRT- Basis-Merkmale wurden von der globalen Organisation Institute for Transportation and Development Policy (ITDP) in Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen festgelegt und sind inzwischen international anerkannt [3]. Eine Zertifizierung als BRT ist nur durch Erfüllung der Vorgaben durch das ITDP möglich, welche allerdings auf Deutschland schwer übertragbar sind. Bisher kommen BRT-Systeme vor allem in großstädtischen Gebieten zum Einsatz [4]. Dennoch stellt sich die Frage, inwiefern derartige Verbindungen auch für den ÖPNV in ländlichen Räumen interessant sein könnten. Da Mobilität als Standort- und Wettbewerbsfaktor eine wichtige Rolle spielt, ist das Bestehenbleiben bzw. Ausweiten des ÖPNV-Angebotes für ländliche Regionen von großer Bedeutung [5]. Zumindest die Übernahme einiger BRT-Eigenschaften könnte eine Möglichkeit zur Verbesserung der Angebotsqualität und Wirtschaftlichkeit darstellen. Ein Gesamtkonzept für BRT-(ähnliche) Schnellbusverbindungen könnte in ländlichen Regionen zudem zu einer höheren Wahrnehmung des ÖPNV-Angebotes durch die Bevölkerung und einer daraus resultierenden höheren Anziehungskraft für potenzielle Fahrgäste führen. Um die Übertragbarkeit von BRT-Eigenschaften auf Schnellbusverbindungen in Deutschland zu untersuchen, wurde ein System zur Bewertung bestehender Schnellbuslinien erarbeitet. Ziel des Bewertungs- Foto: Neiberger Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 85 Mobilitätsstrategie MOBILITÄT systems ist es, im Sinne eines Hilfsmittels für Kommunen und Landkreise eine erste grobe Einschätzung zu Voraussetzungen und Potenzialen für die Optimierung von Schnellbuslinien durch Integration von BRT-Merkmalen zu ermöglichen. Das Bewertungssystem baut auf den die Infrastruktur betreffenden Basismerkmalen des ITDP auf und erweitert es um Kriterien, die zu einer gesamtheitlichen Betrachtung führen. Es verfolgt das Ziel, sowohl für ländliche als auch für städtische Schnellbuslinien in Deutschland anwendbar zu sein. Methodik Zur Erweiterung der Betrachtung über die ITDP-Basismerkmale hinaus wurden Kriterien aus einer Literaturrecherche abgeleitet sowie geeignete Indikatoren gebildet. Um deren Eignung zu überprüfen, Anregungen für weitere Kriterien und Indikatoren zu generieren, sowie eine Gewichtung dieser vorzunehmen, wurden Expertengespräche geführt. Die herausgearbeiteten Kriterien wurden zu fünf übergeordneten Kategorien zusammengefasst. Dabei ist auf eine gesamtheitliche Betrachtung geachtet worden, weshalb neben Infrastruktur, Reisezeit und Nachfrage auch die Themenfelder Politik und Verwaltung sowie Finanzen einbezogen wurden. Die Kriterien der Themenfelder Politik und Verwaltung, Finanzen und Nachfrage können als örtliche Rahmenbedingungen bezeichnet werden, durch deren Betrachtung untersucht wird, wie realistisch sich die Einrichtung einer BRT-Verbindung generell für eine Region darstellt. Die Kriterien der Themenfelder Reisezeit und Infrastruktur können als linienbzw. streckenbezogene Gegebenheiten eine Aussage darüber ermöglichen, welche notwendigen betrieblichen und infrastrukturellen Voraussetzungen die bestehenden Schnellbuslinien für den Ausbau zu einer BRT-Verbindung bereits besitzen. Pro Indikator sind zwischen null und drei Punkten erreichbar. Bei fünf Themenfeldern, zehn Kriterien und 18 Indikatoren ergibt sich am Ende eine Gesamtzahl von 21-Punkten. Je mehr Kriterien eine Schnellbuslinie im Bewertungssystem erfüllt, umso höher kann ihr Potenzial zum Ausbau zu einer BRT-Linie bewertet werden. Die maximal zu erreichende Bewertung von 21 Punkten sagt aus, dass das System sehr hohes Potenzial für den Ausbau zu einer BRT-Verbindung besitzt. Bei null Punkten ist keinerlei Potenzial für einen Ausbau vorhanden. Je nach Höhe der Punkte kann am Ende eine Einstufung in eine von drei Kategorien (hohes, mittleres, geringes Potenzial) vorgenommen werden (Tabelle 1). Punkte Potenzial 0 - 7,0 gering 7,5 - 14,0 mittel 14,5 - 21 hoch Tabelle 1: Einschätzung des Ausbaupotenzials von Schnellbuslinien nach Punkten im Bewertungssystem Eigene Darstellung 2020 Vorstellung der Kriterien und Indikatoren Im Verlauf der Entwicklung wurde deutlich, dass eine Bewertung anhand quantitativer Kriterien nur selten vorgenommen werden kann, da das Festlegen allgemeingültiger Grenzwerte kaum möglich ist, sondern in der Regel von den Rahmenbedingungen des Einzelfalles abhängt. Das Bewertungssys- Themenfeld Kriterium Indikator Punkte Infrastruktur Busspuren Vorhandensein zwei- oder mehrspuriger Streckenabschnitte von mind. 3 km Länge pro Fahrtrichtung wenn vorhanden: 1 Vorhandensein stillgelegter Bahntrassen in der Nähe zur Schnellbuslinie wenn vorhanden: 1 Pre-Ticketing Möglichkeit des digitalen Fahrkartenkaufes wenn möglich: 0,5 Vorhandensein von Fahrkartenautomaten an den Haltestellen wenn vorhanden: 0,5 Barrierefreiheit bereits bestehende niveaugleiche Ein- und Ausstiege wenn vorhanden: 1 Nachfrage Fahrgastpotenzial Nutzungsdichte (Einwohner, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze pro km²) der an der Schnellbuslinie gelegenen Kommunen > 1.000 EAA/ km²: 2 > 300 - 1.000 EAA/ km²: 1 > 150 - 300 EAA/ km²: 0,5 < 150 EAA/ km²: 0 Anbindung von Ober- und Mittelzentren wenn mind. 1 OZ: 1 wenn mind. 1 MZ: 0,5 Bevölkerungsprognose wenn positiv: 1 Bündelungsfähigkeit der Fahrgastnachfrage Siedlungsstruktur der an der Schnellbuslinie gelegenen Kommunen (sehr) kompakt: 2 ausgeglichen: 1 (stark) dispers: 0 Reisezeit Beschleunigungspotenzial Reisezeitverhältnis zwischen Schnellbuslinie und MIV (nach RIN 2008) D-F: 2 C: 1 A-B: 0 Beförderungsgeschwindigkeitsindex der Schnellbuslinie (nach HBS 2015) D-F: 2 C: 1 A-B: 0 Finanzen Wirtschaftlichkeit Nennung des Schnellbusverkehrs als Fördertatbestand in Gesetzeswerken (LGVFG oder ÖPNVG) wenn vorhanden: 2 Verfügbarkeit von Fördergeldern Möglichkeit der Akquisition spezieller Fördergelder wenn vorhanden: 2 Politik und Verwaltung Politischer Wille Förderabsichten zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV in NVP und VEP wenn vorhanden: 0,5 Vorhandensein politischer Beschlüsse über konkrete Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV in den letzten 2 Jahren wenn vorhanden: 1 Engagement der Verwaltung Vorhandensein eines Ansprechpartners für den ÖPNV in der Verwaltung wenn vorhanden: 0,5 Mitgliedschaft in Netzwerken zur Förderung nachhaltiger Mobilität wenn vorhanden: 0,5 Hinweise zum ÖPNV- Angebot für Neubürger wenn vorhanden: 0,5 Tabelle 2: Übersicht aller Themenfelder, Kriterien und Indikatoren des Bewertungssystems Eigene Darstellung 2020 Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 86 MOBILITÄT Mobilitätsstrategie tem arbeitet daher hauptsächlich mit qualitativen Auswertungen und ist deshalb nur für eine erste Abschätzung des Ausbaupotenzials einer Schnellbuslinie durch den Fachplaner anzuwenden. In Tabelle 2 ist das finale Bewertungssystem zusammenfassend dargestellt. Infrastruktur Das Themenfeld Infrastruktur umfasst die Kriterien Busspuren, Pre-Ticketing und Barrierefreiheit und bezieht sich damit auf die Basis-Merkmale des ITDP, welche erforderlich sind, um eine Benennung als Basis- BRT zu erreichen. Von besonderer Bedeutung zur Beschleunigung des Busverkehrs sind Busspuren bzw. Bussonderfahrstreifen. Durch sie wird eine Zunahme der Pünktlichkeit, Verkürzung der Reisezeit, Erhöhung der Verkehrssicherheit und Verbesserung der Wirtschaftlichkeit erreicht. Ein mindestens drei Kilometer langer BRT-Korridor in Mittellage, der eine weitgehende Unabhängigkeit des ÖPNV von anderen Straßenraumnutzungen sicherstellt, kann jedoch nur realisiert werden, wenn genügend Fläche im Straßenraum vorhanden ist. Daher wird im Bewertungssystem lediglich das Vorhandensein zwei- oder mehrspuriger Streckenabschnitte von mindestens drei Kilometern Länge pro Fahrtrichtung eingeschlossen, ebenso wie das Vorhandensein von stillgelegten Bahntrassen, die potenziell für eine eigene Busspur in Frage kämen. Das Kriterium Pre-Ticketing zum Erwerben eines Fahrscheins vor Fahrtantritt umfasst als Indikatoren zum einen die Frage nach der Möglichkeit des digitalen Fahrkartenkaufes, zum anderen nach dem Vorhandensein von Ticketautomaten an den Haltestellen. Existieren digitale Vertriebskanäle und zusätzlich darüber hinaus Automaten an den Haltestellen, kann der Ticketkauf beim Fahrpersonal an Bord entfallen und damit die Reisezeit für die Fahrgäste verkürzt werden. In diesem Fall bestünden bereits gute Voraussetzungen für den Ausbau von Schnellbuslinien zu einer BRT-Verbindung. Zuletzt ist außerdem das Kriterium Barrierefreiheit zu betrachten. Als Indikator hierfür wird untersucht, ob an den Schnellbushaltestellen bereits niveaugleiche Ein- und Ausstiege gegeben sind. Diese ermöglichen sowohl einen schnelleren Fahrgastwechsel als auch die Nutzung des ÖPNV- Angebotes durch mobilitätseingeschränkte Personen. Nachfrage Die Fahrgastnachfrage ist eines der wichtigsten Themenfelder, um das Ausbaupotenzial bestehender Schnellbusverbindungen zu BRT-Verbindungen zu untersuchen. Als Kriterien für das Bewertungssystem wurden zum einen das Fahrgastpotenzial, zum anderen die Bündelungsfähigkeit der Fahrgastnachfrage gebildet. Das Fahrgastpotenzial wird erstens durch die Nutzungsdichte der an der Schnellbuslinie gelegenen Kommunen betrachtet. Angegeben wird die Nutzungsdichte in Einwohnern, Beschäftigten sowie Schülern und Studierenden (Einwohner, Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze, kurz EAA) pro Quadratkilometer. In Tabelle 3 ist die Zuordnung der EAA-Werte zur Einordnung in unterschiedlich hohe Nutzungsdichte- Klassen dargestellt. Diese basieren auf Empfehlungen des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und dienen der Einschätzung der notwendigen verkehrlichen Erschließung von Gebieten [6]. Für das Bewertungssystem werden vereinfachend die kommunalen EAA-Durchschnittswerte berechnet. Die Klasse „sehr hohe Nutzungsdichte“ wurde ergänzt, um eine stärkere Abgrenzung verdichteter städtischer Räume zu ermöglichen. Um neben den Dichtewerten auch absolute Einwohnerzahlen und die Bedeutung der Busverbindung zu berücksichtigen, misst der Indikator „Anbindung von Ober- und Mittelzentren“, ob mindestens ein Oberzentrum oder zumindest ein Mittelzentrum durch die Schnellbuslinie angebunden werden. Nach Klassifizierungsstufen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) werden hierzu die in Tabelle 4 dargestellten Einwohnerzahlen unterschieden. Als ein weiterer Indikator zur Messung des Fahrgastpotenzials wird im Bewertungssystem eine Bevölkerungsprognose herangezogen. Hieraus kann eine Tendenzaussage abgeleitet werden, ob die aktuellen Nachfragezahlen langfristig voraussichtlich konstant bleiben, steigen oder der sinken. Zur Sicherstellung eines wirtschaftlichen Betriebs ist zudem die Bündelungsfähigkeit der Fahrgastnachfrage von Bedeutung. Diese ergibt sich in erster Linie aus der Siedlungsstruktur einer Region. Für den ÖPNV ist es von Vorteil, wenn Wohn-, Arbeits- und Aktivitätenschwerpunkte vorhanden sind, sodass die Fahrgäste sich an einigen zentralen Punkten sammeln. So sind direktere Verbindungen möglich und entstehen weniger Verlustzeiten durch Anhalten und Fahrgastwechsel. Für das Bewertungssystem wird der Untersuchungsraum entlang der Schnellbuslinie in ein Kategoriensystem mit fünf Stufen (sehr kompakt, kompakt, ausgeglichen, dispers, stark dispers) eingeordnet. Reisezeit Die Reisezeit wird von den Kunden als ein wesentliches Kriterium zur Nutzung des ÖPNV angesehen. Existieren bei einer Buslinie viele Abschnitte, an denen Beschleunigungspotenzial besteht, ist das Ausbaupotenzial dieser Linie als höher zu bewerten. Als Indikatoren für das Beschleunigungspotenzial werden im Bewertungssystem das Reisezeitverhältnis und der Beförderungsgeschwindigkeitsindex herangezogen. Hierbei handelt es sich um zwei Größen, deren Berechnung in den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) 2008 und dem Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS) 2015 vorgegeben ist-[8, 9]. Das Reisezeitverhältnis dient dem Vergleich der Angebotsqualitäten konkurrierender Verkehrssysteme und wird meistens für einen Vergleich zwischen ÖPNV und MIV angewandt. Es wird durch den Quotienten aus den Reisezeiten des ÖPNV und des MIV gebildet (t ÖPNV / t MIV ). Der berechnete Wert wird anschließend in eine von sechs Qualitätsstufen (A = sehr günstig bis F = sehr schlecht) eingeordnet [8]. Der Beförderungsgeschwindigkeitsindex (I ÖV ) beschreibt die geschwindigkeitsbezogene Qualität des öffentlichen Verkehrs (ÖV) auf einem Streckenabschnitt. Er wird aus dem Quotienten der tatsächlichen mittleren Beförderungsgeschwindigkeit und der unter optimalen Bedingungen erreichbaren idealen Beförderungsgeschwindigkeit ermittelt (I ÖV = V ÖV / V ÖV, ideal ) und in die Qualitätsstufen A bis F eingeordnet [9]. Werden für bestehende Schnellbuslinien in Bezug auf das Reisezeitverhältnis und den Beförderungsgeschwindigkeitsindex nur geringe Qualitätsstufen erreicht, weist dies auf ein hohes Beschleunigungspotenzial hin. Somit können erforderliche Ausbausehr hohe Nutzungsdichte > 1.000 EAA/ km² hohe Nutzungsdichte > 300 - 1.000 EAA/ km² mittlere Nutzungsdichte > 150 - 300 EAA/ km² geringe Nutzungsdichte < 150 EAA/ km² Tabelle 3: Klassifizierung der Nutzungsdichten Eigene Darstellung 2020 nach [6] Oberzentrum > 70.000 EW Mittelzentrum > 20.000 - 70.000 EW Unterzentrum > 5.000 - 20.000 EW Gemeinden < 5.000 EW Tabelle 4: Klassifizierung zetraler Orte Eigene Darstellung 2020 nach [7] Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 87 Mobilitätsstrategie MOBILITÄT maßnahmen in der Diskussion mit Verkehrsverbünden, Kommunen und anderen Akteuren plausibel begründet werden. Finanzen Da ÖPNV-Systeme in der Regel defizitär sind und Kommunen die Kosten für Schnellbussysteme allein kaum tragen könnten, braucht es finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern. Über die ÖPNV-Gesetze auf Landesebene delegieren die Länder die Verantwortung für den straßengebundenen ÖPNV meist auf die Kreise und kreisfreien Städte bzw. auf kommunale Zweckverbände [10]. Es besteht aber die Möglichkeit, Förderungen bei den Bundesländern zu beantragen, sofern der Schnellbusverkehr als Fördertatbestand in einschlägigen Gesetzeswerken der Länder genannt wird. Diese können je nach Bundesland die Bezeichnung Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) oder ÖPNV-Gesetz (ÖPNVG) tragen. Sind im LGVFG oder ÖPNVG Schnellbusverbindungen als Fördertatbestand festgelegt, zeigt dies eine politische Schwerpunktsetzung und sichert langfristig bessere Möglichkeiten zur ÖPNV-Finanzierung zu, weshalb dies als Kriterium gewählt wurde. Darüber hinaus können gegebenenfalls kurzfristige Fördergelder für den Schnellbusausbau akquiriert werden. Hierzu ist für den jeweiligen Untersuchungsraum zu prüfen, ob die Möglichkeit zur Beantragung spezieller Fördergelder besteht. Diese können auf Bundes-, Landes- oder kleinräumiger Ebene ausgeschrieben sein. Politik und Verwaltung Wichtige Grundvoraussetzungen für den Ausbau von Schnellbuslinien zu BRT-Verbindungen sind neben den genannten technischen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Faktoren auch förderliche Rahmenbedingungen, wie der politische Wille zur Förderung des ÖPNV sowie das Engagement der Verwaltung. Die Messung des politischen Willens erfolgt über die Betrachtung des Nahverkehrsplans und der Verkehrsentwicklungspläne eines Gebietes. Werden darin Förderabsichten zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV für den Untersuchungsraum genannt, kann das Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien als höher bewertet werden, da auf einen grundsätzlich vorhandenen Willen zur ÖPNV-Gestaltung, auch auf höheren Ebenen, geschlossen werden kann. Aufschluss über den politischen Willen zur ÖPNV-Förderung kann außerdem eine Betrachtung der Positionen politischer Gremien in der Region geben. Da Schnellbuslinien häufig kommunenübergreifend verkehren, wird eine Betrachtung auf Kreisebene empfohlen, indem die Position des Kreistages bzw. der Kreistagsabgeordneten, des Kreisausschusses sowie des Fachausschusses, welcher sich mit dem Thema Verkehr befasst, untersucht wird. Zur Messbarmachung ihres politischen Willens wird für das Bewertungssystem das Vorhandensein politischer Beschlüsse über konkrete Maßnahmen zur Förderung des ÖPNV in den letzten zwei Jahren betrachtet. Der Begriff „politischer Beschluss“ wird als Entscheidung verstanden, die zu verbindlichem Verwaltungshandeln führt. Die Beschlüsse können in der Regel in einem Stadtratsbzw. Kreistagsinformationssystem eingesehen werden. Um das Engagement der Verwaltung zu untersuchen, kann zum einen das Vorhandensein eines Ansprechpartners für den ÖPNV in der Verwaltung auf Stadt- oder Kreisebene überprüft werden. In der Regel gibt es hier eine oder mehrere verantwortliche Personen. Durch die Berücksichtigung dieses Indikators soll sichergestellt werden, dass eine direkte, personenbezogene Kommunikation mit der Verwaltung möglich ist, falls der Ausbau bestehender Schnellbusverbindungen forciert wird. Darüber hinaus ist zu untersuchen, wie hoch der Stellenwert einer Mobilitätswende in einer Kreis- oder Stadtverwaltung ist. Um diesen zu messen, werden im Bewertungssystem exemplarisch die Indikatoren „Mitgliedschaft in Netzwerken zur Förderung nachhaltiger Mobilität“ und „Hinweise zum ÖPNV-Angebot für Neubürger“ herangezogen. Beide geben Auskunft über den Willen einer Verwaltung, aktiv im Bereich Mobilität und Verkehr Veränderungen zu gestalten. Fazit Das Bewertungssystem ermöglicht eine erste Einschätzung zum Ausbaupotenzial bestehender Schnellbuslinien. Bei einer beispielhaften Anwendung des Systems auf drei Schnellbuslinien im Kreis Heinsberg (SB1, SB3 und SB81) ergab sich jeweils ein mittleres Ausbaupotenzial, mit Unterschieden in Bezug auf die Gesamtpunktezahl, sodass eine Empfehlung für den Ausbau einer dieser Strecken gegeben werden konnte. Vor allem bezüglich finanzieller Rahmenbedingungen und im Hinblick auf das Fahrgastpotenzial erzielten die Verbindungen unterschiedliche Ergebnisse. Eine wesentliche Stärke des Bewertungssystems ist die Möglichkeit einer vergleichenden Betrachtung verschiedener Schnellbuslinien auf Grundlage identischer Kriterien und Indikatoren. Das Vorgehen lässt ebenso einen Zeitvergleich, z. B. den Vergleich einer ausgebauten Schnellbuslinie mit ihrem früheren Zustand, zu. Die Methode ist einfach anwendbar und kann durch Erfahrungen aus der praktischen Anwendung erweitert und verbessert werden. Eine Schwäche des Bewertungssystems ist die „Vortäuschung“ einer Genauigkeit (Punktesystem), die aufgrund der subjektiven Gewichtung und teils auch subjektiven Bewertung der Indikatoren durch den Planer nicht vorhanden ist. Bei der Anwendung des Bewertungssystems sind diese Eigenschaften zu berücksichtigen, in Auswertungen sollte darauf hingewiesen werden. Das Bewertungssystem kann einen Beitrag dazu leisten, eine erste Übersicht über die regionalen Rahmenbedingungen zu erhalten und Ausbaupotenziale für bestehende Schnellbuslinien zu erkennen. ■ QUELLEN [1] Umweltbundesamt (2016): Klimaschutzbeitrag des Verkehrs bis 2050. [2] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2019): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. [3] Institute for Transportation and Development Policy (2016): The BRT Standard. 2016 Edition. [4] Institute for Transportation and Development Policy (2017): The BRT Planning Guide. [5] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2019): ÖPNV - Öffentlicher Personennahverkehr. Gut angebunden mit Bus und Bahn. [6] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. (2019): VDV-Schrift 4. Verkehrserschließung, Verkehrsangebot und Netzqualität im ÖPNV. [7] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2010): Empfehlungen für Planung und Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs. Forschungsprojekt des Forschungsprogramms Stadtverkehr (FoPS) FA-Nr. 70.837/ 2009 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. [8] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2008): Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN). [9] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2015): Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS). Teil S Stadtstraßen. Kapitel S7 Anlagen für den ÖPNV. [10] Zistel, M. (2019): Barrierefrei und inklusiv planen. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 5, Bonn Anja Scheufler, M. Sc. Wirtschaftsgeographie, RWTH Aachen anja.scheufler@rwth-aachen.de Cordula Neiberger, Prof. Dr. Geographisches Institut, RWTH Aachen neiberger@geo.rwth-aachen.de
