Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0063
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Wasserstoffwirtschaft in Zukunft unverzichtbar - aber (noch) teuer
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Hans Sommer
Es ist unstrittig, dass die notwendige Abkehr von den fossilen Energien – als wesentlichen Auslöser des CO2 Problems – ohne die Unterstützung einer Wasserstoffwirtschaft nicht möglich sein wird. Eine Standortbestimmung von Hans Sommer, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Stuttgarter Beratungs-, Planungs- und Projektmanagement-Unternehmens Drees & Sommer SE.
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Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 95 Energieträger TECHNOLOGIE Wasserstoffwirtschaft in Zukunft unverzichtbar - aber-(noch) teuer Wasserstoffwirtschaft, Grüner Wasserstoff, Erneuerbare Energie, Solar, Windkraft Es ist unstrittig, dass die notwendige Abkehr von den fossilen Energien - als wesentlichen Auslöser des CO 2 Problems - ohne die Unterstützung einer Wasserstoffwirtschaft nicht möglich sein wird. Eine Standortbestimmung von Hans Sommer, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Stuttgarter Beratungs-, Planungs- und Projektmanagement-Unternehmens Drees & Sommer SE. Hans Sommer O hne die Unterstützung einer Wasserstoffwirtschaft kann es keine Abkehr von den fossilen Energien geben - das gilt für die Industrie, etwa im Bereich der Stahlproduktion, wie für den Ersatz chemischer Grundstoffe. Das gilt für E-Fuels im Transportsektor, vor allem was die Langstrecken-Luftfahrt, die Schifffahrt und den Schwerlastverkehr angeht. Auch im Stromsektor gilt Wasserstoff als wichtiges Backup für die Langfrist-Speicherung des variabel erzeugten erneuerbaren Stroms. Im Gebäudesektor könnte Wasserstoff vor allem im Bereich großer bestehender Fernwärmesysteme mit hohen Vorlauftemperaturen eingesetzt werden. Ebenfalls in Diskussion - wenn auch nicht mit höchster Priorität - ist der Einsatz von aus grünem Wasserstoff produzierten E-Fuels oder für Brennstoffzellenantriebe als Übergangslösung für den immens großen weltweiten Bestand von PKW und leichten Nutzfahrzeugen mit Verbrennungsmotoren. Die Herstellung von Wasserstoff lässt sich einfach beschreiben: Durch Elektrolyse, mithilfe von elektrischem Strom, spaltet man Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, der umweltverträglich in die Umgebung abgegeben werden kann. Der durch die Reaktion entstandene Wasserstoff hingegen wird gasförmig oder in flüssiger Form als Energiespeicher verwendet. In dieser Form lässt er sich leicht transportieren und bei Bedarf wieder nahezu emissionsfrei als Energiequelle für die Strom- und Wärmeerzeugung, als Treibstoff im Verkehrswesen oder als Grundstoff in der Industrie nutzen. Aber wirklich klimafreundlich ist eben nur der grüne Wasserstoff, bei dessen Produktion allein auf regenerativen Strom gesetzt wird. Für eine emissionsarme Energieversorgung der Zukunft birgt der grüne Wasserstoff deshalb ein großes Potenzial. Die Wirtschaftlichkeit ist das aktuelle Problem Richtig ist das Argument, dass die Produktion von grünem Wasserstoff gegenwärtig nicht wirklich wirtschaftlich darstellbar ist. Zu knapp, zu energieintensiv und viel zu teuer beim Aufbau von Produktion und Infrastruktur - vereinfacht dargestellt sind das die Gründe, die Kritikerinnen und Kritiker dem grünen Wasserstoff entgegenhalten. Noch trifft diese Argumentation weitgehend zu, denn grüner Wasserstoff wird derzeit in Konkurrenz zum herkömmlichen, aus Erdgas hergestellten Wasserstoff gesehen. Dieser kostet derzeit ohne CO 2 -Speicherung (grauer Wasserstoff) ca. 1,80 EUR/ kg und mit CO 2 -Speicherung als blauer Wasserstoff ca. 2,20 EUR/ kg. Dagegen liegt grüner Wasserstoff derzeit im Bereich von 5,60 bis 6,20 EUR/ kg und ist deshalb derzeit für Investoren unattraktiv. Dafür sind folgende Faktoren verantwortlich: •• die hohen Stromkosten in Deutschland und die knappe Verfügbarkeit von grünem Strom, •• die großen Investition für den Elektrolyseur und die Kosten für den Austausch der Elektrolyse-Stacks, •• die Effizienz aktueller Elektrolyseure und die geringen jährlichen Betriebsstunden. Global werden einerseits die Kosten für die Elektrolyseure und die Elektrolyse- Stacks deutlich sinken und andererseits die Effizienz der Anlagen und die jährlichen Betriebsstunden mit zunehmenden Größe und einer globalen Produktionssteigerung deutlich steigen. In Deutschland selbst allerdings werden der Strompreis und die zu geringe Verfügbarkeit von grünem Strom für die Wasserstoffproduktion weiterhin zu hohen Kosten führen. Da hilft auch die Bepreisung von CO 2 -Zertifikaten - derzeit in Deutschland 25 EUR/ t CO 2 - nicht viel. Selbst bei 200 EUR/ t CO 2 wäre der grüne Wasserstoff, so eine aktuelle Studie des Instituts Agora Energiewende, noch teurer als seine Konkurrenten auf fossiler Basis. In Deutschland könnte ein Weg zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit die Verwendung von Überschuss-Strom aus Windkraft zu einem reduzierten Strompreis und eine Befreiung der Elektrolyseure von Steuern und Abgaben sein. Aber marktwirtschaftlich ist das sicher fragwürdig. Auf der Nachfrageseite sollte man sich deshalb zunächst auf Anwendungen konzentrieren, die Wasserstoff wirklich benötigen. Die Lösung liegt in einem globalen Ansatz Der Aufbau einer wirtschaftlichen Wasserstoffproduktion in großem Stil ist möglich, allerdings muss man dazu global denken und in sonnen- und windreiche Weltregionen schauen. Von Europa aus sind etwa Südeuropa, Nordafrika oder die arabische Halbinsel interessant, wo Solarstrom in Gigawatt-Dimensionen sehr günstig produziert und speziell auf eine Wasserstoffproduktion - und bei Bedarf auch die Produktion von E-Fuels - ausgerichtet werden kann. Bei aktuell in Planung oder im Bau befindlichen 1 GW-Solaranlagen werden dort derzeit Netto-Stromkosten von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde kalkuliert. Mit einem Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 96 TECHNOLOGIE Energieträger Strompreis auf dieser Basis - in Verbindung mit den zuvor beschriebenen Kostensenkungen der Elektrolyse - könnte grüner Wasserstoff ebenfalls für einen Kilopreis um die 1,50 EUR oder sogar darunter erzeugt werden. Um für die Elektrolyse kein Trinkwasser zu verbrauchen, ist der Einsatz von Meerwasser zu bevorzugen. Zwar muss man es vorher entsalzen, was einen zusätzlichen Stromverbrauch bedeutet. In Relation zum Strombedarf der Elektrolyse ist der Aufwand aber akzeptabel. Wenn Sonne oder Wind in Gegenden ohne eine hohe Strombesteuerung im Überfluss vorhanden sind, wird es für Investoren aus aller Welt sehr interessant, sich an Projekten für die Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie in Verbindung mit der Produktion von grünem Wasserstoff zu beteiligen. Im Folgenden sollen Gegenden aufgezeigt werden, die sich für solche Anlagen eignen könnten. Globale Hotspots für Sonnenenergie Auf der Suche nach geeigneten Standorten für die Erzeugung von grünem Strom aus Sonnenenergie ist die internationale Plattform der Firma Solargis aus der Slowakei spannend. Die Datenbank hilft, den Bau, die Bewertung und das Management von Solaranlagen weltweit zu optimieren. ESMAP ist ein gemeinsames Programm der Weltbank und von 19 Partnern. Ziel ist es, bis 2030 einen universellen Zugang zur Unterstützung der Dekarbonisierung im Energiesektor zu erreichen - natürlich im Rahmen internationaler Verpflichtungen zum Klimawandel. Jeder kann im Internet unter https: / / globalsolaratlas.info gezielt für jeden Ort auf der Welt nach Solar-Potenzialen für unterschiedliche Arten der Solarinstallation suchen (Bild 1). Als Ergebnis erhält man den Ertrag pro MW in GWh. So ergeben sich zum Beispiel für große Photovoltaikanalagen pro 1 MWp folgende Werte: •• 1.013 GWh für Templin in Brandenburg bei durchschnittlich 5 Sonnenstunden/ Tag = 5.060 GWh/ Tag •• 1.941 GWh für Haql am Roten Meer in Saudi-Arabien bei durchschnittlich 10,2 Sonnenstunden/ Tag = 19.800 GWh/ Tag Daraus folgt, dass man mit einem nahezu gleichen Aufwand an Technik in sonnenreichen Gebieten zum Teil fast den vierfachen Ertrag im Vergleich zu unseren Breiten erzielen kann. Am günstigsten sind Photovoltaikanlagen, die allerdings nur Strom produzieren, solange die Sonne scheint. Deshalb sind sie für die Wasserstoffproduktion eher weniger geeignet, da die Produktionszeit auf diesen Zeitraum beschränkt ist. Wirtschaftlich interessanter sind Solarwärmekraftwerke, zum Beispiel mit Parabolrinnen. Solche Anlagen sind derzeit bereits in Spanien, Saudi-Arabien und den USA in Betrieb. Sie haben den Vorteil, dass sie mit Wärmespeichern (z. B. Flüssigsalz) kombiniert werden können und so bis zu zehn Stunden nach Sonnenuntergang noch Strom liefern. Große Anlagenmodule liegen momentan in der Größenordnung von 150 bis 200 MW, werden aber zu noch größeren Anlagen zusammenfasst. Die Anlage Noor in Quarzazate/ Marokko zum Beispiel hat eine Leistung von 580 MW (0,58 GW) auf einer Fläche von 18,3 Quadratkilometer (Bild 2). Zudem verfügt sie über Salzspeicher mit einer Kapazität von bis zu sieben Stunden. Liegen diese Anlagen in erreichbarer Nähe von Flüssen, Seen oder dem Meer, dann sind auch die Voraussetzungen für die Produktion von E-Fuels gegeben. Globale Hotspots für Windenergie Nach einer Studie an der Stanford University 2005 könnte der Energiebedarf der Welt vollständig aus Windkraft gedeckt werden - theoretisch jedenfalls. Die Windgeschwindigkeiten wurden damals mit 80 m Nabenhöhe damals moderner 1,5-MW-Turbinen berechnet. Die Forscher erstellten mit ihren Daten eine „Weltkarte des Windes“, die bei der Standortwahl von Windkraftanlagen helfen soll. Die angegebenen Windstärken lassen sich auf den Energieverbrauch von heute übertragen, da moderne Anlagen inzwischen über eine Nabenhöhe zwischen 140 und 160 m verfügen und Leistungen von 8 bis 12 MW offshore und 6 bis 8 MW onshore aufweisen. Die Weltkarte in Bild 3 zeigt schwerpunktmäßig die Windgebiete mit besonders hohen Windgeschwindigkeiten. In Europa bläst der Wind vor allem im Bereich der Nordsee und ihrer Anrainer. In Afrika gibt es weniger ergiebige Windgebiete, am ehesten in der West-Sahara und in Marokko. Im Süden gibt es einzelne Spots in Südafrika und Mosambik sowie im Indischen Ozean auf La Réunion. In Nordamerika bieten sich zahllose Gebiete für eine wirtschaftliche Windnutzung an, ebenso in Mittelamerika. In Südamerika liegen die Starkwindregionen nur in Chile und in Feuerland. In Asien bieten sich die besten Chancen im Ost-Chinesischen und Japanischen Bild 1: Karte mit globalen Solarpotenzialen von Solargis Quelle: www.globalsolaratlas.info Bild 2: Centrale Solaire Thermodynamique Noor, Ouarzazate, Marokko Quelle: Wikipedia Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 97 Energieträger TECHNOLOGIE Meer. Australien verfügt über vier große Windgebiete an den Küsten im Norden und- Süden von Westaustralien sowie in Queensland, Südaustralien, Victoria und Tasmanien. Aufbau der Wasserstoffwirtschaft Eines ist klar: Die beschriebenen globalen Sonnen- und Windkraftwerke sollen in erster Linie dem Ersatz der für den weltweiten Primärenergieverbrauch eingesetzten fossilen Energie insgesamt dienen - also vor allem grünen Strom erzeugen (Bild 4). Wollte man beispielsweise nach einem gewissen Anlauf innerhalb von 15 Jahren die derzeitigen Anteile nur von Kohle- und Erdölprodukten incl. Umwandlungsverlusten für die Wasserstoffproduktion ersetzen, dann wären das im Mittel ca. 6.720 TWh pro Jahr. Angenommen, diese Menge würde zu jeweils 50 % von Solar- und Windenergie erzeugt, wären das 3.360 TWh/ a, was überschlägig einen Zubau von jährlich 1.400 GW Leistung sowohl für die Solarals auch die Windenergie erforderlich machen würde. Solarenergie: Nach einer Anlaufzeit müssten beispielsweise ab 2026 jährlich ca. 400 GW Solarthermie-Kraftwerke und fast 1.000 GW Photovoltaik-Anlagen installiert werden. Eine gigantische Aufgabe mit jährlichen Investitionen im Bereich von ca. 3-Bio. EUR pro Jahr. Windenergie: Hierfür müsste ab 2026 ein jährlicher Zubau von beispielsweise 200.000 Windkraftanlagen à fünf MW onshore und 40.000 Windkraftanlagen à 10 MW offshore erfolgen - per Saldo eine Investition von rund 1,1 Bio. EUR pro Jahr. Die Windkraft ist also investitionsseitig kostengünstiger, allerdings fehlen im Vergleich zur Solarthermie die Speicherkapazitäten und die Wartung ist in der Regel aufwendiger als bei den Solaranlagen. Für die Produktion von Wasserstoff heißt das, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit den zukünftig erforderlichen Mengen nicht kurzfristig möglich sein wird, da zunächst die Stromerzeugung aus Sonne und Wind massiv ausgebaut werden muss. Das bedeutet, dass erst ab ca. 2026 erste größere Mengen an grünem Wasserstoff zur Verfügung stehen werden. In Europa ist deshalb in der Diskussion, zunächst in Projekten wie z. B. H2morrow der Unternehmen Equinor und Open Grid Europe (OGE) auf blauen Wasserstoff als Brückenoption zu setzen, der mit dem Prozess der autothermen Reformierung (ATR) aus Erdgas erzeugt wird. Das anfallende CO 2 soll abgeschieden und in 2.500 m Tiefe unter dem Meeresboden der Nordsee gespeichert werden. Norwegen, Niederlande, Belgien und UK treiben diese Brückentechnologie voran. Deutschland steht dem Projekt aufgrund der Bedenken verschiedener Organisationen skeptisch gegenüber. Fazit Es muss schnellstmöglich eine energetische Kopplung der Weltregionen und vor allem der wesentlichen Player aus der Wirtschaft und den Unternehmen erfolgen, die derzeit noch die fossilen Energien fördern und vermarkten, um eine Initialzündung herbeizuführen. Deutsche Unternehmen werden auf alle Fälle in großem Ausmaß über den Einsatz von technologischem Knowhow und den Anlagenbau bzw. auch den Betrieb von Anlagen von der Gesamtentwicklung profitieren können. Langfristig müssen wir uns aber auch im Klaren darüber sein, dass wir hierzulande auch nach der Disruption der fossilen Primärenergie in Zukunft nicht energieautark sein können. Wir werden auch erneuerbare Energie in Form von Strom, Wasserstoff oder auch E-Fuels importieren müssen. ■ 1 Details siehe https: / / web.stanford.edu/ group/ efmh/ winds/ global_winds.html Hans Sommer, Prof. Dr.-Ing. Vorsitzender des Aufsichtsrats, Drees & Sommer SE, Stuttgart hrsommer@dreso.com Bild 3: Weltweite Gebiete mit besonders großem Windanfall Quelle: Cristina Archer/ Mark Jacobson, Stanford University 2005 1 Bild 4: Weltweiter Primärenergieverbrauch (2019) nach Energieträgern: ca. 170 Terawattstunden (TWh)
