eJournals Internationales Verkehrswesen 73/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0065
91
2021
733

Die Revolution im Tank

91
2021
Ville Rimali
Die Mobilitätswende braucht mehr als E-Autos. Sie ist Teil der gesamten Energiewende und kann nur gelingen, wenn sich der gesamte Sektor bewegt – also auch der Flug-, Schienen-, Schwerlast- und Schiffsverkehr CO2-neutral unterwegs ist. Hier rücken vor allem Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe in den Fokus, die auch beim finnischen Technologieanbieter Wärtsilä intensiv erforscht und für ihren Einsatz in den Bereichen Schifffahrt und Energieversorgung getestet werden. Ein Beitrag von Ville Rimali, Director Growth & Development bei Wärtsilä, über die Kraftstoffe der Zukunft, Technologieoffenheit und -flexibilität und eine holistische Vision auf dem Weg in eine CO2-neutrale Zukunft.
iv7330100
Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 100 TECHNOLOGIE Standpunkt Die Revolution im Tank Synthetische Kraftstoffe für die Mobilitäts- und Energiewende Alle Abbildungen: Wärtsilä Corporation Die Mobilitätswende braucht mehr als E-Autos. Sie ist Teil der gesamten Energiewende und kann nur gelingen, wenn sich der gesamte Sektor bewegt - also auch der Flug-, Schienen-, Schwerlast- und Schiffsverkehr CO 2 -neutral unterwegs ist. Hier rücken vor allem Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe in den Fokus, die auch beim finnischen Technologieanbieter Wärtsilä intensiv erforscht und für ihren Einsatz in den Bereichen Schifffahrt und Energieversorgung getestet werden. Ein Beitrag von Ville Rimali, Director Growth & Development bei Wärtsilä, über die Kraftstoffe der Zukunft, Technologieoffenheit und -flexibilität und eine holistische Vision auf dem Weg in eine CO 2 neutrale Zukunft. F ür mich steht fest: Die Mobilitätswende braucht mehr als elektrifizierte Autos - weit mehr. Denn auch Lastverkehr, Schifffahrt, Luftfahrt und Schiene belasten mit ihren Emissionen das Klima. Der Schwerlastverkehr etwa ist heutzutage für knapp ein Viertel der verkehrsbedingten Emissionen verantwortlich. Betrachtet man den Mobilitätssektor als Ganzes, kommt der E-Antrieb bei Leistung und Reichweite rasch an seine Grenzen. Zusätzliche Lösungen müssen her. Es wird daher intensiv an den Kraftstoffen der Zukunft geforscht - für die Schifffahrt und den Energiesektor. Gemeinsam mit der E-Mobilität können diese den Weg zur CO 2 -Neutralität für den gesamten Mobilitätssektor ebnen und die Energiewende als Ganzes vorantreiben. Flüssigerdgas (LNG) und flüssige Biokraftstoffe auf Basis von nachhaltiger Biomasse und Abfällen stehen heute schon als Alternativen zur Verfügung. Sie sind ein Zwischenschritt auf dem Weg zu sauberen Brennstoffen. Denn aus Biomasse gewonnene Treibstoffe haben ein großes Potenzial als kohlenstoffneutrale Energieträger. Wärtsilä experimentiert seit den 1990er Jahren kontinuierlich mit vielen verschiedenen Biokraftstoffen, um die Effizienz und Kraftstoffflexibilität weiter zu verbessern. Aktuell rückt jedoch hinsichtlich der gesamten Energie- und Mobilitätswende ein anderer sauberer Hoffnungsträger in den Fokus: grüner Wasserstoff. Grünes Traumpaar: Wasserstoff und erneuerbare Energie Um die Bedeutung von Wasserstoff weiß auch die deutsche Politik, die jüngst die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet hat. Sie soll den Rahmen für Erzeugung, Transport, Nutzung und Weiterverwendung von Wasserstoff setzen sowie Innovationen und Investitionen fördern. Das volle Potenzial für den Klimaschutz entfalten Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe allerdings nur dann, wenn für die Herstellung grüner Strom genutzt wird. Dann kann Wasserstoff nachhaltig produziert, weiterverarbeitet und verwendet werden. Dafür bietet sich überschüssiger Strom aus Solar- und Windenergie an: Er wird genutzt, um Wasser mittels Elektrolyse- Verfahren in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Hier kommt Power-to-X ins Spiel - der Sammelbegriff für Verfahren, die Strom in einen Energieträger verwandeln. Sie sind imstande, in Zeiten eines Überangebots an erneuerbarer Energie Stromüberschüsse zu speichern und sie etwa zum Einsatz in der Mobilität in strombasierte Kraftstoffe umzuwandeln - Power-to-Fuel. In meinen Augen ist diese Technologie eine der Schlüsselkomponenten für eine erfolgreiche Dekarbonisierung. Die Tatsache, dass Wasserstoff extrem vielfältig nutzbar ist, macht ihn gemeinsam mit erneuerbaren Energien zum Traumpaar der Energiewende. Schließlich kann er direkt als grüner Kraftstoff verwendet, mit Erdgas gemischt oder zu synthetischem Methan, Methanol, Diesel oder Ammoniak verarbeitet werden. Alle diese Varianten haben ihre Vor- und Nachteile und eignen sich daher jeweils für unterschiedliche Anwendungsbereiche. Auch wenn Wasserstoff nicht die alleinige Lösung der Energiewende ist, spielt er doch bei der Entwicklung zukünftiger Kraftstoffe eine wichtige Rolle. Davon bin ich überzeugt. Mit Ammoniak und Methanol auf hoher See Im Bereich der Schifffahrt forschen wir daher intensiv an synthetischen Kraftstoffen auf Wasserstoffbasis wie Methanol und Ammoniak. So sticht die Fähre „Stena Germanica“ seit mehr als fünf Jahren mit Methanol in See - der Beweis, dass der Energieträger erfolgreich als Schiffskraftstoff eingesetzt werden kann. Taugt das Modell als Blaupause für die gesamte Schifffahrt? Von der Suche nach Einheitslösungen möchte ich abraten. Denkbar ist für mich vielmehr ein Antriebsmix. Im maritimen Bereich etwa könnten Schiffe, die wie Fähren nur kurze Strecken zurücklegen, elektrisch betrieben werden, da sie in jedem Hafen wieder Strom tanken können. Für mittlere Strecken bieten sich Hybride an, die in Hafennähe rein elektrisch und auf See mit Verbrennungsmotor und nachhaltigen Kraftstoffen operieren. Für Fernstrecken kämen dann reine Verbrenner mit flüssigen grünen Kraftstoffen infrage. Internationales Verkehrswesen (73) 3 | 2021 101 Standpunkt TECHNOLOGIE Wir können allerdings nicht voraussagen, welche dieser „Future Fuels“ sich in der Schifffahrt sowie im Verkehrssektor insgesamt durchsetzen werden. Sicher ist nur: Wasserstoff wird ein wichtiger Grundbaustein sein. Wärtsilä arbeitet zwar auch an reinen Wasserstoffmotoren, doch Wasserstoff ist komplex in der Handhabung, muss verflüssigt und bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert werden. Ammoniak kann dagegen einfacher in Gasflaschen und bei Umgebungstemperatur aufbewahrt werden, dafür stellt seine Toxizität eine Herausforderung dar. Aktuell führen wir deshalb auch erste Verbrennungsversuche mit Ammoniak durch, um dessen Eigenschaften besser zu verstehen. Danach sollen Tests an Dual-Fuelsowie an funkengezündeten Gasmotoren folgen. Ab 2022 sind Feldtests in Zusammenarbeit mit Schiffseignern und in Zukunft möglicherweise auch mit Energiekunden geplant. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, denn die globale Schifffahrt allein verursacht aktuell drei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Die Branche muss also schnellstmöglich reagieren. Ihre Transformation wird auch durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) vorangetrieben, die sich im April 2018 verpflichtet hat, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent und die gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen auf Flottenebene bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren. Kraftstoffflexibilität als Erfolgsfaktor Um die Branche fit für eine dekarbonisierte Zukunft zu machen, setzt Wärtsilä auf das Konzept der Fuel Flexibility. Denn wir glauben nicht an einen einzelnen Wunderkraftstoff, der die Erlösung bringt. Daher legen wir uns auch nicht fest, welcher Brennstoff die Zukunft bestimmen wird. Wir sind für alle Technologien offen und gestalten unsere Motoren so, dass sie mit unterschiedlichen Treibstoffen betrieben werden können. Schließlich sind gerade Schiffsmotoren auf lange Laufzeiten ausgelegt und niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, welche Future Fuels sich wann durchsetzen werden - umso wichtiger ist Kraftstoffflexibilität. Diese liegt in unserer DNA, wir entwickeln seit den 1980er Jahren duale Verbrennungsmotoren. Schon heute können so beispielsweise Gasmotoren mit einem Gemisch aus Erdgas und bis zu 25 Prozent Wasserstoff betrieben werden. Änderung des gesamten Energiesystems Wenn nun in naher Zukunft Wasserstoff, Ammoniak und weitere auf Wasserstoff basierende und aus überschüssiger Energie gewonnene Treibstoffe im Einsatz sein werden - was bedeutet das für unser Energie- und Verkehrssystem? Nun, die ganze Energie-Infrastruktur muss sich ändern. Das bestehende System ist noch gänzlich auf fossile Energieträger ausgelegt und wenig flexibel. Erneuerbare Energien erfordern allerdings mehr Flexibilität, da sie nicht immer in gleichem Umfang verfügbar sind. Doch auch dafür gibt es technische Lösungen. Durch innovative Technologien wie Power-to-X, aber auch den Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kann die Energieversorgung flexibler und dezentralisierter werden. Entscheidend ist dabei: Mittels Forschung und Entwicklung den jeweils passenden synthetischen Treibstoff zur richtigen Zeit und für die jeweilige Branche zu finden - im Mix der Möglichkeiten und dem integrierten Denken liegt für mich das große Potenzial. Als Pioniere in den Bereichen Forschung und Entwicklung untersuchen wir bei Wärtsilä in einem eigenen Kraftstofflabor eine breite Palette von Treibstoffen. Bis der Übergang von fossilen Treibstoffen zu ihren grünen Alternativen abgeschlossen sein wird, braucht es jedoch Zeit und trotzdem schon heute entschlossenes Handeln - auch und gerade von der Politik. Die Weiterentwicklung der Effizienz und Flexibilität von Gasverbrennungsmotoren, die auch künftig wichtig bleiben, und der Ausbau von elektrischen Antrieben sollte beschleunigt werden. Je größer das gesellschaftliche Bewusstsein eines Landes für die Potenziale dieser Entwicklungsbereiche ist, desto leichter wird es fallen, die Energiewende zügig und effizient zu bewältigen. Pioniere sind gefragt Allerdings bremst ein wichtiger Punkt diese Entwicklungen: Synthetische Kraftstoffe sind derzeit noch drei bis fünf Mal teurer als ihre fossilen Alternativen. Die ökonomische Machbarkeit ist jedoch entscheidend - deswegen braucht der Übergang zu nachhaltigen Treibstoffen passende Anreize. Neben regulativen Vorgaben und gesellschaftlichem Druck müssen wir auch an anderen Stellschrauben drehen. Bei höheren Treibstoffpreisen wird es also noch wichtiger, möglichst wenig der kostbaren Ressourcen zu verbrauchen, ergo: die Effizienz von Motoren steigern und die Routenplanung optimieren. Mindestens ebenso wichtig aber sind für mich Unternehmen, die sich an die Spitze der Entwicklung stellen. Wir brauchen Pioniere, die vorangehen und Vorbild sind für andere. Dieser Mut wird sich für sie auszahlen, denn ich bin überzeugt: In Zukunft werden gerade die Unternehmen erfolgreich sein, die smart und nachhaltig agieren. ■