Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0072
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Klimaschutz und die Bahn: Große Hoffnungen, steigende Erwartungen
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Frank Hütten
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Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 17 P olitisch läuft es derzeit gut für die Bahnbranche in der EU. Während des „Europäischen Jahrs der Schiene“ kann sie sich öffentlich in Szene setzen. Und bei den Überlegungen, wie die EU-Klimaschutzziele besonders im „Problemfeld“ Verkehr erreicht werden können, wird in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten betont, welche wichtige Rolle die Bahn dabei spielen muss. Auch Geld zur Förderung von Bahnprojekten ist im Moment in der EU so reichlich vorhanden wie nie. Von den 750 Mrd. EUR aus dem europäischen Corona-Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ soll der Löwenanteil in Projekte fließen, die Klimaschutz und Digitalisierung nutzen. In beiden Kategorien haben Bahnprojekte gute Chancen, sich für Fördermittel zu qualifizieren. Nach einer vorläufigen Bilanz der EU-Kommission haben die Mitgliedstaaten vor, 52 % der Mittel, die sie aus der Recovery and Resilience Facility (RRF) - dem Hauptpfeiler des Corona- Wiederaufbauprogramms - für Verkehrsprojekte bekommen, in die Eisenbahn zu investieren. Aus dem Verkehrsbudget des EU-Infrastrukturprogramms „Connecting Europe Facility“ (CEF) gingen zwischen 2014 und 2020 gar 71 % der Mittel an die Bahn, das entspricht etwa 16,5 Mrd. EUR. Die Bahnbranche sollte sich aber nicht darauf verlassen, dass dieser Trend jetzt bis 2050 - dem derzeitigen Zieldatum der Klimaschutzpolitk - anhält. Denn mit dem politischen Rückenwind und dem Umfang der Fördermittel für die Bahn nimmt in Brüssel auch der Erwartungsdruck zu. Die Bahn muss auch „liefern“ und zeigen, dass sie etwa bei der Güterverlagerung weg von der Straße deutlich mehr bewegen kann als bisher. In der EU-Kommission wird durchaus kritisch auf die vielfältigen Finanzierungswünsche der Branche geschaut. Bei Projekten, die langfristig mehr Effizienz und Gewinnmöglichkeiten versprechen, wie der Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung, wird erwartet, dass die Unternehmen auch selbst ordentliche Summen investieren, statt auf öffentliche Förderung zu warten. Die Notwendigkeit, öffentliche Mittel in Bahninfrastruktur - gerade grenzüberschreitende - zu stecken, wird in der Kommission nicht in Frage gestellt. Man sei sich bewusst, dass die Eisenbahn als netzgebundener Verkehrsträger andere Bedürfnisse hat und mehr technischen Beschränkungen unterliegt als beispielsweise der Luftverkehr, heißt es dort. Mit Stirnrunzeln sieht man in Brüssel aber die schleppenden Fortschritte bei der Einführung neuer Technologien oder beim Abbau der vielen technischen Hindernisse für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr. Milliardenschwere Subventionen könnten nicht endlos gerechtfertigt werden, wenn sich hier nichts tut, Ineffizienzen weiter bestehen und der EU-Eisenbahnbinnenmarkt weiter zersplittert bleibt, heißt es an maßgeblicher Stelle. Zumal der derzeitige EU-Geldsegen voraussichtlich nicht von Dauer ist und auch die anderen Verkehrsträger immensen Investitionsbedarf haben. Schiffe, Flugzeuge, LKW und PKW brauchen neue Antriebstechnologien und Treibstoffe sowie die dafür nötigen Tank- und Ladestellen. Für Flottenumrüstung und eine Infrastruktur für alternative Kraftstoffe hat die Kommission den Finanzbedarf bis 2030 auf 130- Mrd. EUR pro Jahr geschätzt. Um die „Investitionslücke“ bei der „grünen und digitalen Transformation“ zu schließen, veranschlagt sie in ihrer Strategie für intelligente und nachhaltige Mobilität noch 100 Mrd. EUR zusätzlich pro Jahr. Die Bahn spielt zwar eine tragende Rolle beim Klimaschutz, aber man sollte nicht vergessen, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Es ist unmöglich, die Mitgliedstaaten mit neuen Trassen zuzupflastern und nahezu alle Fabriken und Geschäfte ans Schienennetz anzuschließen. Umso weniger, wenn der Bau neuer Infrastruktur weiter so lange dauert wie bisher. Die Bahn hat derzeit in der EU einen Anteil von 19 % am Gütertransport. Das Potenzial ist schwer zu schätzen, aber jenseits der 50 % dürfte es schwierig werden. Auch wenn in der DDR schon einmal mehr als 70 % aller Güter per Bahn befördert wurden. Klar ist: Um die Klimaziele zu erreichen, braucht die EU neben der Bahn auch viele nachhaltig angetriebene LKW, Schiffe und Flugzeuge nebst Tank- und Ladeinfrastruktur. Bei der Finanzierung dürfte es noch harte Verteilungskämpfe geben. Die Bahn steht dabei nicht automatisch auf Platz eins. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Klimaschutz und die Bahn: Große Hoffnungen, steigende Erwartungen
