eJournals Internationales Verkehrswesen 73/4

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0076
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100 Jahre Avus

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Wolfgang F. Jäger
Motiviert durch Misserfolge bei Automobil-Rennsportveranstaltungen forcierte die deutsche Monarchie unter Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1909 die Gründung der Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße (Avus) GmbH. Die kombinierte Automobil-Rennstrecke bzw. Schnellverkehrsstraße, die heute den nördlichen Teil der Autobahn A 115 bildet, wurde aufgrund des Ersten Weltkriegs erst am 24. und 25.09.1921 eingeweiht und gilt als zentraler Vorläufer der Autobahnen. Bis 1998 stand die Strecke für international beachtete Rennsporterfolge. Zeitgleich mit dem Bau ihres Anschlusses an den Berliner (Außen-) Ring erhielt die Avus die Klassifizierung einer Reichsautobahn. Die Frage, ob die Avus als weltweit erste Autobahn gelten kann, ist Teil einer wissenschaftlichen Diskussion, die derzeit u. a. in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) stattfindet. – Teil 1 des zweiteiligen Artikels: Von der Idee zur Rennstrecke.
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Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 35 Straßenbau INFRASTRUKTUR 100 Jahre Avus War die Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße in Berlin die erste Autobahn? Autostraße, Schnellfahrstrecke, Rennstrecke Motiviert durch Misserfolge bei Automobil-Rennsportveranstaltungen forcierte die deutsche Monarchie unter Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1909 die Gründung der Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße (Avus) GmbH. Die kombinierte Automobil-Rennstrecke bzw. Schnellverkehrsstraße, die heute den nördlichen Teil der Autobahn A 115 bildet, wurde aufgrund des Ersten Weltkriegs erst am 24. und 25.09.1921 eingeweiht und gilt als zentraler Vorläufer der Autobahnen. Bis 1998 stand die Strecke für international beachtete Rennsporterfolge. Zeitgleich mit dem Bau ihres Anschlusses an den Berliner (Außen-) Ring erhielt die Avus die Klassifizierung einer Reichsautobahn. Die Frage, ob die Avus als weltweit erste Autobahn gelten kann, ist Teil einer wissenschaftlichen Diskussion, die derzeit u. a. in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) stattfindet. - Teil 1 des zweiteiligen Artikels: Von der Idee zur Rennstrecke. Wolfgang F. Jäger E ines der zentralen Wahrzeichen von Berlin, die Avus - Akronym für „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße“ und nördlicher Teil der heutigen Bundesautobahn A 115 -, wurde am 24.09.2021 einhundert Jahre alt. Dieses Ereignis ist Anlass dafür, auf die prägenden Entwicklungen im Motorisierungs-, Straßen- und Verkehrswesen, die vor über 100 Jahren ihren Anfang nahmen; zurückzublicken und diese unter anderem in Bezug auf die Autobahnen in einen ingenieurhistorischen Gesamtzusammenhang zu setzen. Die Avus ist für Generationen von Autofahrenden, die von Südwesten her nach Berlin hineinfahren, die zentrale Zufahrtsgerade in die deutsche Hauptstadt, an deren Zielpunkt sich mit den Impressionen von Avus-Rundbau, Messe und Funkturm, sowie im weiteren des Kurfürstendamms oder der Straße des 17. Juni das Ankommen in der Metropole immer wieder eindrucksvoll in Szene setzt. Für Millionen Berlinerinnen und Berlinern hat und hatte die Avus eine Zubringerfunktion zu Erholungssowie Freizeitaktivitäten bzw. war für Hunderttausende mit ihren legendären Motorsportveranstaltungen Ort und Sinnbild für Rennsport-Erfolge, so dass hier zuweilen regelrecht von einem Avus-Lebensgefühl gesprochen werden kann. Vor allem seit der Wiedervereinigung Deutschlands erfüllt die Avus selbstverständlich auch wesentliche Aufgaben für den Pendlerverkehr - Zeit also, wesentliche Hintergründe, Zusammenhänge und Perspektiven in den Blick zu nehmen. Kaiser Wilhelm II. will Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stärken Um 1900 waren Automobilrennen einerseits Attraktionen für die Öffentlichkeit, andererseits erwiesen sie sich als hervorragende Tauglichkeitstest- und Werbemittel der Autoindustrie. In Anlehnung an bestehende Rad- und Pferderennbahnen entstand vielerorts der Wunsch, derartige Rundkurse auch als „Automobil-Rennbahnen“ auszubilden. 1902 propagierte der Berliner Bauunternehmer M. F. Sebald einen derartigen Rundkurs in den Brandschutzstreifen beiderseits der Wetzlarer Eisenbahn im Grunewald (Bild 1). Mit dem Vorschlag von 1904, diese Anlage auf einer Seite der Eisenbahn anzulegen, war die Urform der späteren Avus mit zwei parallelgeführten Fahrbahnen vorgegeben [Kalender 2012, S. 178/ 179]. Die Parallelführung der Fahrbahnen hatte sich dabei ebenfalls aus Waldschutzgründen ergeben. Nachdem im Juni 1907 beim Kaiserpreisrennen im hessischen Taunus der erste Preis von Italien (auf Fiat) gewonnen worden war, sah der deutsche Kaiser die dringende Notwendigkeit, die hiesige Automobilindustrie durch die Anlage geeigneter Renn- und Erprobungsstraßen zu fördern. Nachdem eine solche Anlage in der Eifel zunächst verworfen worden war, entschied Kaiser Wilhelm II. im Februar 1908 zugunsten eines in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt am Main entstandenen kreuzungsfreien, kombinierten Rennbahn- und Nur-Autostraßen-Projekts [Gabriel 2010, S.- 157-163]. Diese Automobil-Rennbahn im Taunus wurde von der Presse hin und wieder auch als „Taunus-Autobahn“ bezeichnet, wobei die Verkürzung des Begriffs „Automobil-Rennbahn“ auf „Autobahn“ historisch auf keinen Fall mit der Jahrzehnte später bzw. heute verwendeten Definition für den Begriff Autobahn gleichgesetzt werden kann. Im übrigen war es auch Kaiser Wilhelm II., der im Jahr 1907 nicht die Bezeichnung „Automobil-Rennstraße“, sondern - näher an der avisierten Zweckbestimmung - den Namen „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße“ für dieses Bauvorhaben befohlen hatte. Nachdem ab Herbst 1908 in Frankfurt am Main das Projekt als aufgeschoben und später als gescheitert galt, favorisierten u. a. der Kaiserliche Automobil-Club (KAC) sowie einige Industrielle erneut eine Variante im Berliner Grunewald, so dass dann in Berlin am 23.01.1909 die „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße GmbH“ gegründet wurde, woraus sich später die Abkür- Bild 1: Skizze der 1902 von Sebald propagierten „Automobil-Touren-Bahn Grunewald“ Quelle: Gabriel 2010, S. 158 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 36 INFRASTRUKTUR Straßenbau zung „Avus“ ergab. Überhaupt war Berlin in dieser Zeit ein guter Ausgangspunkt für ein derartiges Projekt, wurde zur gleichen Zeit doch ein städtebaulicher Wettbewerb für ein einheitliches Groß-Berlin vorbereitet, bei dem auch die Bestandteile des geplanten Ring- und Radialstraßensystems der sich abzeichnenden Millionen-Metropole diskutiert und bewertet wurden. Zwei Jahre später, am 01.04.1912, wurde zudem der Zweckverband Groß-Berlin, ein loser Zusammenschluss der Stadt Berlin mit ihren Nachbarstädten und zwei Landkreisen, gegründet mit dem Ziel, einheitliche Regelungen der bau- und verkehrlichen Vorschriften zu erlangen, was den Bau einer Automobil-Straße ebenfalls begünstigte. Die Avus als kombinierte Rennstrecke, Nur-Autostraße und Schnellverkehrsstraße Berlin - Potsdam Im Juli 1911 legte die Königliche Eisenbahndirektion, die mit der Planung beauftragt worden war, den „Allgemeinen Entwurf“ zur „Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße“ in Berlin vor, bestehend aus den beiden Bauabschnitten: a) Eichkamp (Bhf. Westkreuz) - Beelitzhof (Bhf. Nikolassee) und b) Beelitzhof (Bhf. Nikolassee) - Kohlhasenbrück (Teltowkanal). Hierbei wird deutlich, dass die ehemalige Südschleife in Höhe des Bahnhofs Nikolassee lediglich ein vorläufiger Wendepunkt innerhalb des ersten Bauabschnitts sein sollte. Im ursprünglich geplanten Endausbau der Avus wäre die südlichste Wendeschleife bei Kohlhasenbrück am Teltowkanal errichtet worden, von wo aus eine neu anzulegende Stichstraße die Verkehrsverbindung nach Potsdam-Zentrum herstellen sollte. Die Avus war also von Anfang an im Hinblick auf eine Verlängerung nach Süden und somit für das große Verkehrsaufkommen zwischen Berlin und Potsdam konzipiert worden (Bild 2). Dass im Kaiserreich bzw. in der Weimarer Republik nur der erste Bauabschnitt realisiert werden konnte, lag vor allem an der schwierigen Finanzierung des Projekts und an der erforderlichen Bereitstellung des Grund und Bodens. Günstig für die Realisierung des ersten Bauabschnitts wirkte sich aus, dass zum einen die Stadt Charlottenburg das Projekt befürwortete, und zum anderen, dass ausschließlich preisgünstiger Grund und Boden im Bereich des Königlich Preußischen Forstfiskus im Gutbezirk Grunewald-Forst erforderlich war, für den der Staat das 82 ha große Gelände ohne feste Pacht, sondern lediglich gegen Beteiligung an Überschüssen der Avus-Gesellschaft für einen Zeitraum von 30 Jahren zu Verfügung stellte. Inbegriffen waren hier ein kreuzungsfreier Verlauf, die Teilung in zwei gesonderte, durch Wendeschleifen verbundene Fahrbahnen, zwei Fahrspuren pro Fahrtrichtung, ein staubfreier Oberflächenbelag sowie Seitensicherungen und Einzäunungen. Die Streckenlänge (Rundkurs bis 1936) betrug insgesamt 19,573 km, wobei der Radius der Nordschleife R = 127 m und der Radius der Südschleife R = 83 m maß (Bilder 3a und 3b). Im Querschnitt bestand jede Fahrbahn aus einem Dachprofil, das mit einem Radius von R = 45 m ausgerundet war und bei dem der Scheitelpunkt 2 m vom Fahrbahnrand entfernt genau in der Mitte der in Fahrtrichtung rechten Spur lag. Durch die Ausrundung war bei einer Querneigung von q ~ 2,9 % gewährleistet, dass Autos und Rennwagen auf der rechten Spur in horizontaler Lage fahren konnten, während auf der linken Spur überholende Fahrzeuge in Seitenlage kamen (Bild 4). Nachdem im Herbst 1912 der Zweckverbandsausschuss der ausgewählten Teilstrecke zustimmte und der Regierungspräsident die von der Königlichen Eisenbahndirektion aufgestellten Pläne landespolizeilich geprüft und genehmigt hatte, erfolgte am 07.03.1913 die Umwandlung der bis dato als Vorbereitungsgesellschaft tätigen Avus GmbH in die Avus Aktiengesellschaft. Schließlich wurde am 02.05.1913 mit der Fa. Philipp Holzmann & Co. der Bauvertrag abgeschlossen, so dass am 03.06.1913 offiziell mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Für 300.000 m 2 Rodungsfläche und rund 200.000 m 2 Bodenbewegung, elf Brücken in Form von Stahlbetonrahmen-Unterführungen sowie die Fahrbahndecke waren Kosten in Höhe von 2,13 Mio. Mark veranschlagt. Hinzu wären noch die Aufwendungen für die Hochbauten gekommen. Eine Refinanzierung der Investitionen sollte vorwiegend durch Wegegebühren für die private Benut- Bild 2: Avus-Lageskizze von 1916 (mit möglicher Verlängerung nach Kohlhasenbrück) Quelle: Gabriel 2010, S. 163 Bild 3a und 3b: Grundriss der Avus mit Eingängen und Tribünen etwa im Jahr 1922 Quelle: Kubisch/ Rietner 1987, Seite 14/ 15 Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 37 Straßenbau INFRASTRUKTUR zung sowie durch die Vermietung an Rennveranstalter erfolgen. Je näher die für September 1914 geplante Einweihung rückte, desto mehr wuchs die Überzeugung der Protagonisten, dass die Avus sich in weit höherem Maße als internationale Automobilrennstrecke eignen würde als irgendeine andere der bisherigen Strecken. Der am 01.08.1914 ausgebrochene Erste Weltkrieg verhinderte sodann jedoch die Fertigstellung der Avus. Zwar waren zunächst Kriegsgefangene als Arbeitskräfte verpflichtet worden, jedoch mussten die Bauarbeiten im September 1915 komplett stillgelegt werden. Zugleich vollzog sich auch ein Wandel in der Argumentation für die sogenannten Nur-Autostraßen: Während bis 1914 Verkehrssicherheit und Staubfreiheit als Hauptargumente herangezogen wurden, überwog ab dem Kriegsjahr 1914 mehr und mehr die Erfüllung von strategischen Zielen. Während des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918) ruhte die Entwicklung und Produktion von Gebrauchsfahrzeugen in Deutschland, da u. a. die Automobilherstellung vorrangig auf Kriegsgerät umgestellt worden war. Der Krieg endete 1918 in einem Desaster. Kaiser Wilhelm II. hatte abzudanken. Infolge der Deutschland angelasteten Alleinschuld diktierten die Siegermächte den Versailler Vertrag mit den darin festgelegten Reparationszahlungen. Die Vollendung der Avus während der Inflationskrise in Deutschland Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 war an Rennsportveranstaltungen zunächst nicht zu denken. Überhaupt waren deutsche Rennfahrer infolge des Krieges bei internationalen Rennen nicht willkommen. Von den großen Motorsportnationen verhielt sich lediglich Italien neutral. So trat Deutschland erst am 07.10.1924 offiziell wieder dem Weltverband Fédération Internationale des Clubs Motocyclistes (FICM) bei. Die Avus AG war lange Zeit nicht in der Lage, die 1914 schon teilweise aufgebrachte Fahrbahndecke zu vollenden, so dass die Baustelle jahrelang brachlag und von Unkraut überwuchert war. Am 01.10.1920 war per Gesetz die Stadtgemeinde Groß-Berlin (weitgehend in den heutigen Grenzen) gebildet worden, in die auch Wilmersdorf, Zehlendorf sowie der Gutbezirk Grunewald- Forst eingegliedert wurden. Damit lag die unvollendete Avus nun auf Berliner Stadtgebiet. Grundsätzlich war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland geprägt von Hunger, Arbeitslosigkeit und einer immer stärker werdenden Inflation, in deren Folge aufgrund der Geldentwertung eine „Flucht in die Sachwerte“ einsetzte. Nicht zuletzt hierdurch hatte sich der Kraftfahr- Bild 4: Avus-Querschnitt 1915 (Fahrbahnscheitelpunkte 2 m vom rechten Rand entfernt) Quelle: Gabriel 2010, S. 165 Bild 5: Blick vom Funkturm auf die alte Avus-Nordschleife (1921-1935) mit Avus-Verwaltungsgebäude von Edmund Meurin sowie bereits hergestelltem Brückenbauwerk für die spätere Halenseestraße (oben links), Aufnahme vom Mai 1935 Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 6: Im Oktober 1936 neigt sich der Bau der neuen Avus-Steil-Nordkurve dem Ende entgegen (Querneigungswerte im Scheitelkreis: α ~ 43,6° (qα ~ 95,2 %), max. v ~ 170 km/ h) Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 38 INFRASTRUKTUR Straßenbau zeugbestand in Deutschland zwischen 1921 und 1924 mehr als verdoppelt. Anfang 1921 entschied sich der Industrielle Hugo Stinnes, Kapital zur Verfügung zu stellen, mit dem die Avus AG saniert, das bestehende Planum geebnet, der Teer-Splitt-Belag der Fahrbahnen fertiggestellt und die Böschungen abschließend angesät werden konnten. Im Juni 1921 gab die Avus AG eine entsprechende Ausschreibung heraus. Ziel der Initiatoren war es, Automobil-Importkäufe zu minimieren und den Kauf deutscher Automobil-Produkte zu fördern, weshalb das erste Autorennen auf der Avus zeitgleich mit der Deutschen Automobil-Ausstellung stattfand. Parallel zu den laufenden Restarbeiten durften die Rennwagenfahrer ab dem 09.09.1921 trainieren bis zum Vormittag des 24.09.1921, an dem mit einem Festakt die Avus eingeweiht wurde und an dem gegen 11.00 Uhr das erste Autorennen startete. Damit war die erste reine Autostraße Europas eröffnet. Ab dem 26.09.1921 stand die Avus gegen eine gehobene Gebühr auch dem privaten Automobil-Verkehr zur Verfügung. Die 8,00 m breiten Richtungsfahrbahnen bestanden im Unterbau jeweils aus einer 16 bis 18 cm starken Packlageschicht, auf die eine 8 bis 10 cm starke Teer-Schicht (Makadam-Bauweise) aufgebracht wurde. Mangels optimaler Verdichtung war die Avus bereits fünf Jahre später massiv von Fahrbahnschäden betroffen (Bodenwellen), worauf im Streckenverlauf zahlreiche Versuchsfelder für den Straßenbau eingebaut wurden. Bereits 1915 waren außerdem etwa 240 m Fahrbahn der Avus in Beton hergestellt worden, was aufgrund positiver Erfahrungen ab 1928 zur Herstellung weiterer Betondeckenabschnitte führte. Dennoch gab es in Deutschland neben der 1920 eröffneten Opel-Bahn in der ersten Hälfte der 1920-er Jahre keine vergleichbare Rennstrecke. Der Nürburg-Ring wurde beispielsweise erst am 18.06.1927 eingeweiht. 1924 wurde schließlich in moderner Architektur das neue Avus-Verwaltungsgebäude (Architekt Edmund Meurin) fertiggestellt, das an der Nordschleife mit Inbetriebnahme mit drei Zuschauerterrassen verbunden war. Das vom Automobil-Club von Deutschland (AvD) am 24.09.1921 veranstaltete erste Autorennen auf der Avus entschied Fritz von Opel (auf Opel) für sich, der in seiner vierten Runde eine Rundengeschwindigkeit von 143,1 km/ h erreichte. Die Hauptrennen in den Jahren 1921 und 1922 gewann der Berliner Christian Riecken (auf NAG). Da Motorsport infolge der Inflation kaum mehr finanzierbar war, wurde ab dem 10.06.1922 das erste Avus-Motorradrennen veranstaltet, gefolgt von sogenannten Kleinwagenrennen. Erst am 11.07.1926 wurde mit dem Großen Preis von Deutschland wieder ein bedeutsameres Autorennen gestartet, worauf Autorennen mindestens einmal jährlich zwischen 1926 und 1935 stattfanden (ausgenommen lediglich 1929, das Jahr des Beginns der Weltwirtschaftskrise). Hervorzuheben sind Bild 7a: Blick im Sommer 1937 vom Funkturm auf die Halenseestraße (links), die Avus-Nordkurve sowie auf das Avus-Verwaltungsgebäude und das Avus-Nordtor Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 7b: Blick etwa im Jahr 1960 vom Funkturm auf die Halenseestraße (links), die Avus-Nordkurve sowie auf das Avus-Verwaltungsgebäude Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 8a: Blick etwa im Sommer 1937 vom Funkturm auf das Avus- Nordtor, das Avus-Verwaltungsgebäude, die Avus-Tribüne, die Deutschlandhalle (rechts) sowie auf den Versatz in den Avus-Geraden (am Horizont) Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Bild 8b: Blick etwa im Jahr 1960 vom Funkturm auf das Avus-Verwaltungsgebäude, die Avus-Tribüne, die Deutschlandhalle (rechts) sowie auf den Versatz in den Avus-Geraden (am Horizont) Quelle: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz außerdem noch zahlreiche Rekordfahrten, darunter die wohl spektakulärste, bei der wiederum Fritz von Opel im Jahr 1928 mit einem raketenbetriebenen Opel RAK 2 auf über 230 km/ h beschleunigte. Nach dem Internationalen Avus-Rennen am 26.05.1935 (Bild 5) musste der Automobil-Rennsport jedoch zunächst wieder eine Pause einlegen. Als Vorbereitung für die Olympischen Spiele, die 1936 in Berlin ausgerichtet wurden, baute die Stadt 1935/ 36 - quasi als Vorläufer in der Trasse der heutigen Stadtautobahn A 100 - eine neue innerstädtische, zweibahnig-niveaugleiche Straße vom Messegelände am Funkturm zum Kurfürstendamm (Richtung Halensee). Dieses Bauvorhaben erfolgte zum Teil auf dem gepachteten Grund und Boden der Avus. Überdies musste die Avus-Nordschleife samt Verwaltungsgebäude und Tribünen abgebrochen und an anderer Stelle neu gebaut werden, so dass die Stadt Berlin der Avus AG eine Entschädigung von 304.000 RM sowie Ersatzbauten zur kostenlosen Nutzung bereitzustellen hatte. Die neue Kurvenführung sollte die Avus schneller und sicherer machen, weshalb die bauausführende Stadt Berlin in Abstimmung mit der Obersten Nationalen Sportbehörde (ONS) Neuland betrat und sich entschied, eine überhöhte Steilkurve mit einem rötlich-braunen Klinker-Fahrbahnbelag anzulegen (Bild 6). Mit dem Umbau der Nordschleife 1936/ 37 entstanden zwei neue Gebäude, die das Bild der Avus Jahrzehnte lang prägten und bis heute prägen: Zum einen ist dies die Zuschauertribüne am Messedamm, zum anderen das neue Avus-Verwaltungsgebäude mit dem markanten, weithin sichtbaren Zielrichterturm (Rundbau), welches der Architekt Walter Bettenstaedt entwarf. Die Nordkurve mit dem darunter liegenden Tunnel kostete 0,8 Mio. RM, die Hochbauten erforderten 0,66 Mio. RM, insgesamt also 1,46 Mio. RM (Bilder 7 a, b, und 8 a, b). Im Frühjahr 1937 ist die Avus die weltweit schnellste Rennstrecke Im Frühjahr 1937 verkürzte sich die Avus mit ihrer - fortan legendären - Nordkurve (R = 92 m) auf eine Streckenlänge von 19,286 km. Ab dem 15.04.1937 führte Auto Union erste Werkstättenfahrten auf der neuen Nordkurve durch, bei denen in der Steilkurve Geschwindigkeiten von bis zu 170 km/ h erreicht wurden. Auf den langen Geraden im Grunewald waren es sogar bis dato nie erreichte Geschwindigkeiten von bis zu 380- km/ h, womit der Motorsport mit den neuen entwickelten Silberpfeilen zeitgleich mit der Inbetriebnahme der neuen Nordkurve bereits wieder die technischen Grenzen der Avus-Rennstrecke erreichte. Am 30.05.1937 lieferten sich die Rennfahrer Rudolf Caracciola (auf Mercedes- Benz) und Bernd Rosemeyer (auf Auto Union) im ersten Vorlauf vor rund 300.000 Zuschauern einen spannenden Zweikampf, aus dem Caracciola letztlich als Sieger hervorgegangen war, Rosemeyer aber unverhofft in der letzten Runde mit 276,4 km/ h (durchschnittlicher Rundengeschwindigkeit) einen neuen Weltrekord aufstellte. Diese offizielle Rekordrunde, mit der die Avus die weltweit schnellste Rennstrecke wurde, sollte im Grunewald später nie wieder von einem Rennfahrer überboten werden. Sieger im zweiten Vorlauf am 30.05.1937 wurde Manfred von Brauchitsch, Sieger im Hauptlauf des schnellsten Autorennens der Welt auf der Avus war anschließend Hermann Lang (beide ebenfalls auf Mercedes-Benz). Die Höhe der damals auf der Avus gefahrenen Geschwindigkeiten stellten schon deshalb eine Besonderheit dar, da sie erst Jahrzehnte später in den USA bei den Indianapolis-500-Rennen übertroffen wurden. Das letzte Rennen auf der Avus vor dem Zweiten Weltkrieg fand am 22.05.1938 statt. ■ Teil 2 dieses Beitrags, „Reichsautobahn - und wieder Rennstrecke“, folgt in Internationales Verkehrswesen 1/ 2022 LITERATUR Bundesarchiv-Bestände R 4601 „Der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“ (GI) sowie R 4602 „Reichsautobahnen-Direktion“ (RAB-Dir.) und weitere Gabriel, Roland (2010): Dem Auto eine Bahn - Deutsche ‚Nurautostraßen’ vor 1933. Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesens, Heft 23, Köln: FGSV-Verlag Hafen, Paul (1956): Das Schrifttum über die deutschen Autobahnen. Forschungsarbeiten aus dem Straßenwesen, Neue Folge Band 19, für die FGSV e. V., Goerner, Ernst (Hrsg.), Bonn: Ferdinand-Dümmlers- Verlag Jäger, Wolfgang F. (2013): Der Streckenentwurf der Reichsautobahnen - Eine ingenieurtechnische Analyse auf der Grundlage ausgewählter Archivbestände. Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesens, Heft 26, Köln: FGSV-Verlag Kalender, Ural (2012): Die Geschichte der Verkehrsplanung Berlins. Archiv für die Geschichte des Straßen- und Verkehrswesens, Heft 24, Köln: FGSV-Verlag Kirchner, Axel (2008): Die Avus - Deutschlands legendäre Rennstrecke - Acht Jahrzehnte Motorsport. Bielefeld: Delius-Klasing-Verlag Kubisch, Ulrich; Rietner, Gert (1987): Die Avus im Rückspiegel. Berlin: Elefanten-Press Wirth, Wolfgang (2019): Gesamtkunstwerk Straße - Die Geschichte des Autobahnpioniers Hans Lorenz. München: Franz-Schiermeier-Verlag Wolfgang F. Jäger, Dr.-Ing. Leiter FGSV-Querschnittskreis QK 5.1 Autobahngeschichte, Bruchköbel buero.dr.jaeger@gmx.de IDEEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? 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