eJournals Internationales Verkehrswesen 73/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0077
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Schifffahrtsstraßen in Deutschland

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Wolfgang Hendlmeier
Die große Zeit der Binnenschifffahrt in Deutschland scheint Geschichte zu sein. Zwar gilt der Transport auf dem Wasser als weitgehend umweltfreundlich, aber der Bau von Kanälen ist, bezogen auf das nur ausnahmsweise hohe Verkehrsaufkommen, heute nicht mehr wirtschaftlich. Ein kurzer Abriss zu einem technisch-historischen Beitrag.
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Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 40 Schifffahrtsstraßen in Deutschland Flüsse, Kanäle, Schleusen, Schiffsverkehr Die große Zeit der Binnenschifffahrt in Deutschland scheint Geschichte zu sein. Zwar gilt der Transport auf dem Wasser als weitgehend umweltfreundlich, aber der Bau von Kanälen ist, bezogen auf das nur ausnahmsweise hohe Verkehrsaufkommen, heute nicht mehr wirtschaftlich. Ein kurzer Abriss zu einem technisch-historischen Beitrag. Wolfgang Hendlmeier V or etwa 1850 erleichterten schiffbare Flüsse und Kanäle den Transport von Gütern erheblich; denn das Straßennetz befand sich damals noch überwiegend in einem unzulänglichen Zustand, weshalb der Wassertransport zu Beginn des 19. Jahrhunderts weniger als halb so teuer wie der Straßentransport war [1]. Die Schifffahrt gilt als umweltfreundlich. Diese Feststellung ist jedoch nicht allgemein gültig, sondern nur, wenn für große Schiffe ein leistungsfähiges natürliches Gewässer zur Verfügung steht. Dies ist in Deutschland nur der Rhein unterhalb von Karlsruhe. Bei den meisten anderen Flüssen entstehen bei Niedrigwasser schnell Probleme, weil die mögliche Zuladung nicht voll genutzt werden kann, um ein Auflaufen der Schiffe auf Grund zu vermeiden. Die weniger wasserreichen, in Deutschland für die Schifffahrt genutzten Flüsse wurden im Laufe der Zeit reguliert, wobei vielfach Staustufen errichtet worden sind, die auch der Stromerzeugung dienen. Die Schifffahrt überwindet die Staustufen über Schleusen. Um Flüsse, auch über Wasserscheiden hinweg, zu verbinden, entstand schon früh der Wunsch, Kanäle zu bauen. Den ältesten Versuch, einen Schifffahrtskanal in Deutschland zu bauen, ließ Karl der Große durchführen. Er wollte das Flusssystem der Donau mit dem des Rheins durch einen rund 2 km langen Kanal zwischen Altmühl und Schwäbischer Rezat verbinden. Der Karlsgraben (Fossa Carolina) aus dem Jahr 792/ 793 in Treuchtlingen ist der sichtbare Rest dieses Vorhabens [2]. Erst im 17. Jahrhundert war die Kammerschleuse so weit entwickelt, dass man in ihr durch Zufuhr oder Ablassen von Wasser den Wasserspiegel allmählich anheben oder absenken konnte (Bild 1). Vorher musste man bei nicht zu großem Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser, z. B. bei INFRASTRUKTUR Binnenschifffahrt Bild 1: Kammerschleusen der Schleuse Münster am Dortmund-Emskanal; links die 1895 bis 1898 erbaute und 2009 stillgelegte Schleuse mit einer Hubhöhe von 6,20 m [4] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 41 Binnenschifffahrt INFRASTRUKTUR Mühlenwehren, mit Schwallschleusen vorliebnehmen. Um bei Kanälen den Höhenunterschied zwischen Ober- und Unterwasser zu überwinden, kamen bei einigen Kanälen auch Rampen („Schiefe Ebenen“) zum Einsatz, über die die Schiffe trocken oder in beweglichen Schleusenkammern gezogen wurden (Bild 2). Das erste moderne Schiffshebewerk mit Schwimmern wurde 1899 am Dortmund-Ems-Kanal in Henrichenburg mit einer Hubhöhe von 14 m in Betrieb genommen [3]. Inzwischen erreichen moderne Sparschleusen Hubhöhen von rund 25 m, etwa am Main-Donau- Kanal. Vor 1800 gab es in Deutschland nur wenige Kanäle. Der Kanalbau in Deutschland begann im großen Stil etwa mit dem Bau der Eisenbahnen und endete im Zweiten Weltkrieg. Bild 3 zeigt die um 1935 betriebenen, im Bau befindlichen und geplanten Schifffahrtsstraßen. Seither wurden nur noch wenige bedeutende Kanäle gebaut, etwa wegen der deutschen Teilung der Elbe-Seitenkanal mit 115 km Länge von 1968 bis 1976. Der 1939 begonnene, 171 km lange Main-Donau- Kanal wurde von 1960 bis 1992 fertiggestellt. Er war der Nachfolger des von 1846 bis 1950 betriebenen, für größere Motorschiffe nicht nutzbaren Ludwigs-Kanals von Bamberg nach Kelheim. Dieser erste bedeutende deutsche Schiffahrtskanal stand schon von Beginn an in Konkurrenz zur Eisenbahn. Die verbliebenen Reste des Kanals, darunter auch noch betriebsfähige, stehen seit 2018 als historisches Wahrzeichen der Ingenieursbaukunst unter Schutz. In Deutschland beträgt die Länge der Schifffahrtsstraßen, d. h. der Kanäle und schiffbaren kanalisierten Flüsse, rund 7.300-km. Die Transportleistung auf den Kanälen geht seit Jahren leicht zurück, um rund 10 % zwischen 2010 und 2019 [5]. Der Bau von Kanälen ist, bezogen auf das nur ausnahmsweise hohe Verkehrsaufkommen, inzwischen nicht mehr wirtschaftlich. 2019 betrug der Anteil des Binnenschiffsverkehrs nur noch 7,3 %, bezogen auf die Verkehrsleistung in Tonnenkilometern, dagegen beim Straßenverkehr 71,2 % und auf der Schiene 19,0 % [6]. Als noch Massengüter wie Kohle, Erz, Baustoffe und landwirtschaftliche Güter mit geringen Anforderungen an die Transportgeschwindigkeit transportiert worden sind, war das anders. ■ Der Beitrag ist die Kurzfassung einer ausführlichen Abhandlung mit Bildern, Karten, Tabellen und historischen Angaben; sie ist im Internet abrufbar unter www.variatio-delectat.com/ 78 S chiffahrts stras sen_in_ Deutschland.pdf QUELLEN [1] Hans Willbold, Dürnau: Per Schiff von der Donau zum Bodensee? www.gfh-biberach.de/ Hefte/ BC-Heimatkundliche-Blätter-für-den- Kreis-Biberach/ J21H2S58.pdf [2] Karlsgraben (Fossa Carolina): www.wikipedia.org/ wiki/ Fossa_Carolina [3] Schiffshebewerk Henrichenburg: www.wikipedia.org/ wiki/ Schiffshebewerk_Henrichenburg [4] Schleuse Münster: www.wikipedia.org/ wiki/ Schleuse_Münster [5] Rückgang des Schiffsgüterverkehrs: www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport-Verkehr/ Gueterverkehr/ Tabellen/ gueterbefoerderung-lr.html [6] Anteile der Verkehrsträger am Güterverkehr: www.allianz-proschiene.de/ themen/ gueterverkehr/ marktanteile [7] Karte 111.2 (Binnen-Wasserstraßen) in „Der Neue Brockhaus - Atlas“, Leipzig 1937 Weitere Quellen in der ausführlichen Abhandlung im Web Wolfgang Hendlmeier, Dipl.-Ing. Regierungsdirektor a.D., München hendlmeier-solln@gmx.de Bild 3: Mitteleuropäische Schifffahrtsstraßen, um 1935, mit den damals geplanten Kanälen [7], u.-a. mit dem Kanal von Stuttgart zum Bodensee, mit dem Main-Werra-Kanal und mit dem Hansa-Kanal vom Mittellandkanal zur Elbe. Bild 2: Ausflugsschiff auf dem Rollberg Buchwalde des Oberländischen Kanals bei Elbing, eröffnet 1860. Mithilfe einer 550 m langen Standseilbahn wird hier ein Höhenunterschied von 21,5 m überwunden. Quelle: Kreisgemeinsch. Preuß. Holland