eJournals Internationales Verkehrswesen 73/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0080
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2021
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Mehr als nur Umschlag und Lagerung

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Jakob Grubmüller
Michael Huth
Der Binnenhafen im Stadtgebiet existiert im Spannungsfeld zwischen antizipierter Verkehrswende und knappem Wohnraum. Immer öfter werden entsprechende Umwidmungen von bisher im Hafenbetrieb befindlichen Flächen diskutiert. Diese latente Bedrohung betrifft auch die im Osthafen Frankfurt am Main ansässigen Unternehmen. Im Auftrag der Anlieger führte die Hochschule Fulda eine Umfrage zur Relevanz dieses Hafens unter jenen Unternehmen durch. Die Kernergebnisse dieser Studie in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt werden in diesem Artikel zusammengefasst.
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Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 51 Binnenschifffahrt LOGISTIK Mehr als nur Umschlag und-Lagerung Studie zur Bedeutung des Osthafens Frankfurt am Main Binnenhafen, Kombinierter Verkehr, Verkehrsknotenpunkt Der Binnenhafen im Stadtgebiet existiert im Spannungsfeld zwischen antizipierter Verkehrswende und knappem Wohnraum. Immer öfter werden entsprechende Umwidmungen von bisher im Hafenbetrieb befindlichen Flächen diskutiert. Diese latente Bedrohung betrifft auch die im Osthafen Frankfurt am Main ansässigen Unternehmen. Im Auftrag der Anlieger führte die Hochschule Fulda eine Umfrage zur Relevanz dieses Hafens unter jenen Unternehmen durch. Die Kernergebnisse dieser Studie in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt werden in diesem Artikel zusammengefasst. Jakob Grubmüller, Michael Huth D er Güterverkehr als wichtiges Element von Logistikketten befindet sich in vielerlei Hinsicht am Scheideweg: 20 % der Treibhausgasemissionen stammen aus dem Verkehr, wobei zwar der motorisierte Individualverkehr mit Pkw den größten Anteil aufweist, LKW jedoch deutlich mehr als ein Drittel beitragen [1]. Somit gewinnt neben der ökonomischen und der sozialen die ökologische Nachhaltigkeit der Branche zunehmend an Bedeutung. Dennoch stagniert der angestrebte Modal Split der Verkehrsträger, in dem der Straßenverkehr zunehmend durch umweltfreundlichere Alternativen ergänzt würde, weitestgehend - trotz eines seit Jahrzehnten grundsätzlich vorhandenen politischen Willens [1]. Im Gegensatz zu den politischen Absichten steigt der Anteil der Straße an der Verkehrsleistung weiter, so dass es zunehmend zu Überlastungen kommt [3]. Alternative Antriebstechnik kann diesen Anstieg nur unzureichend abfedern, so dass der Kombinierte Verkehr weiter von hoher Bedeutung ist und zudem an dieser gewinnen müsste: Die Verkehrsträger Schiene und Wasser bieten einen Gütertransport, der deutlich weniger schädliche Emissionen ausstößt (siehe Tabelle 1). Wichtiger Bestandteil dieses Ansatzes sind jene Knotenpunkte, welche die Kombination der Verkehrsträger und somit multimodale Logistikketten ermöglichen. Die oftmals als Güterverkehrszentren entwickelten Binnenhäfen weisen Anschlüsse an alle relevanten Verkehrsträger auf. ISO- Container als genormte Ladungsträger ermöglichen Hinterlandverkehre von und zu den Seehäfen, ohne die eigentlichen Waren handhaben zu müssen, effiziente Umschlagprozesse sowie entsprechende Kombinationen mit Schiene und Straße [5]. Zugunsten des schnellen, günstigen und flexiblen Straßentransportes per LKW ist der über Binnenhäfen geleitete Güterstrom jedoch in den letzten Jahrzehnten ins Stocken geraten: Von Beginn des Jahrtausends bis 2019 ist die Transportleistung im deutschen Straßenverkehr um 44 % gestiegen, während die Transportleistung der Binnenschifffahrt um über 23 % zurückging [6]. Obwohl in der Vergangenheit daher teilweise von diesen an Wasserstraßen gelegenen Güterzentren abgerückt wurde, so sind sie durch ihre multimodale Knotenfunktion doch gut geeignete Terminals des Kombinierten Verkehrs. Zukunftsvisionen der nachhaltigen Logistik (beispielsweise bei Erreichung des „deutlich unter Zwei- Grad“-Ziels) sind vom erneuten Einbezug dieser etablierten und gut angeschlossenen Logistikzentren abhängig. Eben jene oft hervorragende Lage der Binnenschifffahrtshäfen führt zu zunehmenden und andauernden Konflikten um deren Bestand. Durch den konstanten Wertzuwachs innerstädtischer Flächen und eine in der öffentlichen Wahrnehmung häufig geringe Bedeutung der dort gelegenen Häfen entsteht ein Interessenskonflikt. Aus öffentlicher Sicht kann eine Umwidmung angestrebt werden: Nach dem Motto „Wohnen am Wasser“ wird in vielen Städten ein (zumindest teilweiser) Rückbau der logistischen Hafeninfrastruktur ins städteplanerische Gespräch gebracht [7]. Da dies - zum Beispiel aufgrund bestehender rechtlicher Regelungen - in der Regel nicht oder nur schlecht mit einem regulären Hafenbetrieb vereinbar ist, sorgen sich in Binnenhäfen ansässige Unternehmen um ihren Betrieb [8]. Obwohl bisher nur in 3 % der deutschen Binnenhäfen zugunsten des Städtebaus Flächen umgewidmet wurden [9], beeinflusst diese stetige Bedrohung doch möglicherweise die Unternehmungen in den jeweiligen Häfen. Dieser potenzielle Konflikt hinsichtlich Hafenbetrieb und Wohnbebauung betrifft auch den Osthafen Frankfurt am Main. Nach aktuellen Schätzungen arbeiten in diesem Industrie- und Gewerbegebiet im Osten der Stadt rund 9.000 Menschen [10]. Verkehrsmittel Einheit Treibhausgase Kohlenmonoxid Flüchtige Kohlenwasserstoffe Stickoxide Partikel LKW g/ tkm 113 0,087 0,037 0,248 0,006 Güterbahn 17 0,011 0,002 0,027 0,001 Binnenschiff 30 0,074 0,028 0,388 0,008 Tabelle 1: Vergleich der durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Güterverkehr [4] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 52 LOGISTIK Binnenschifffahrt Wie in Bild 1 ersichtlich wird, verfügt der Binnenhafen über vier Hafenbecken, unterteilt in Osthafen 1 (Unterhafen) und Osthafen 2 (Oberhafen). Zudem existieren mehrere Umschlagterminals sowie Anschlüsse an die Autobahn und das Schienennetz der Deutschen Bahn. Den hier wirtschaftenden Hafenanliegern wurde politisch eine Bestandszusage bis mindestens 2050 gegeben [12]. Eine - mindestens teilweise - Umwidmung der Hafenflächen wurde jedoch in der politischen und öffentlichen Diskussion regelmäßig ins Gespräch gebracht und verunsicherte die ansässigen Unternehmen zunehmend. In eben diesen politischen Diskursen zeigte sich, dass die Bedeutung des Binnenhafens weder für oben beschriebene, allgemeine Güterverkehrsstrategien noch für die Metropolregion Rhein-Main bisher eindeutig dargestellt worden war. Um auf einer entsprechend informierten Datenbasis argumentieren zu können, wurde seitens der Gemeinschaft Frankfurter Hafenanlieger (GFH) und der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main eine Studie zur Bedeutung des Osthafen Frankfurt am Main in Auftrag gegeben. Der vorliegende Artikel stellt die wesentlichen Ergebnisse der Studie dar. Er trägt so zu einer sachlichen Diskussion in Politik und Wissenschaft bei. Studiendesign und Methodologie Um aussagekräftige Erkenntnisse zu erzeugen, wurde eine umfassende Umfrage unter den Hafenanliegern initiiert. Die angestrebte Datenbasis sollte somit durch die Bündelung der Selbstauskünfte der ansässigen Unternehmen entstehen. Die Stärke dieser Methodik liegt dabei in theoretisch komplett vorhandenen Datensätzen - die Unternehmen verfügen über alle Details ihrer Tätigkeiten im Osthafen. Eine mögliche Schwäche dieses Ansatzes kann in einem unzureichenden Rücklauf an Fragebögen liegen, da die freiwillige Teilnahme an Studien oft hinter der Relevanz des Tagesgeschäftes zurückbleibt. Dennoch wurde eine entsprechende Befragung in Form eines internetbasierten Fragebogens als die im Kontext beste Datenerfassungsoption beschlossen. Inhaltlich deckte der Fragebogen die vier Bereiche Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Arbeitsmarkt ab. Zudem war die Erhebung in vier prozessbezogene Kategorien unterteilt: Neben den Inbound- und den Outbound-Flüssen wurden hafeninterne Daten erhoben sowie Aspekte erfragt, die die Beziehung zur Stadt Frankfurt am Main betreffen. (Als Inbound-Flüsse werden die Warenströme erfasst, die in den Hafen hineinfließen. Die Outbound-Flüsse sind dementsprechend die Warenströme, die den Hafen verlassen.) Das Studiendesign stützte sich sowohl auf frei zu beantwortende Fragen (freier Text oder Zahleneingabe) als auch auf Single- und Multiple-Choice-Inhalte. Insgesamt umfasste der Fragebogen 52 Fragen. Die Umfrage wurde von den Hafenanliegern zwischen November 2020 und Februar 2021 beantwortet. Insgesamt waren von IHK und GFH 352 ansässige Unternehmen angeschrieben worden. Die Kontaktaufnahme erfolgte teilweise postalisch sowie per E-Mail. Der Fragebogenrücklauf belief sich auf 37 ausgefüllte Bögen, dies entspricht einer Rücklaufquote von 10,5 %. Insbesondere postalisch kontaktierte Unternehmen, welche sich zur Teilnahme aufgrund von Datenschutz-Anforderungen eigenständig digital zurückmelden mussten, taten dies nur sporadisch. Dies könnte auch Folge von pandemiebedingt dünn besetzten Büros sein, in welchen die eingehende Post - welche hier zudem nicht dem Kerngeschäft entspricht - mit niedriger Priorität behandelt wird. Die Rücklaufquote derjenigen Unternehmen, die Mitglied der GFH sind, liegt mit knapp 66 % hoch. Dies kann daran liegen, dass die GFH-Mitglieder als Produktions-, Handels- oder Logistikunternehmen der Thematik eine erhebliche Relevanz beimessen, während bei den übrigen Unternehmen häufig bürobezogene Dienstleistungen erbracht werden, bei denen die Notwendigkeit einer Hafeninfrastruktur geringer ist. (So gibt es unter den Nicht-Mitgliedern der GFH auch Unternehmen der Werbe- oder Marktforschungsbranche, deren Bezug zu logistischen Prozessen minimal oder nicht vorhanden ist.) Die beantworteten Fragebögen wurden nach Beendigung der Umfrage für die Datenverarbeitung teilweise bereinigt. Nicht plausible Eingaben wurden nach Rücksprache mit dem ausfüllenden Unternehmen angepasst oder entfernt, fehlerbehaftete Eingaben wurden korrigiert. So ergab sich eine Datensammlung, welche diverse Schlüsse über die Relevanz des Osthafens Frankfurt am Main zulässt. Der folgende Abschnitt beinhaltet die Kernergebnisse der Umfrage. Kernergebnisse und Interpretation Allgemeine Merkmale: Branchen, Verkehrsträgernutzung Die Betrachtung der Ergebnisse beginnt sinngemäß in der Analyse allgemeiner Eigenschaften des Osthafens. Zu diesen grundlegenden Fakten zählen die im Industrie- und Gewerbegebiet vertretenen Branchen, deren Leistungen sowie die Nutzungsfrequenz der drei großen Verkehrsträger durch die Anlieger. In der Darstellung der Umfrageergebnisse zeigt sich der im Osthafen ansässige Branchenmix äußerst divers, siehe Bild 2. Während etwa ein Viertel der Umfrageteilnehmer sich den klassischen Logistikdienstleistungen Verkehr und Lagerei zuordnet, sieht sich etwa ein Drittel als Teil der Branche Baugewerbe, einem für die wachsende Großstadt Frankfurt am Main notwendigen Sektor. Ein weiteres Viertel sieht sich als Erbringer sonstiger Leistungen. Durch die Verteilung der im Osthafen vertretenen Unternehmen auf derart unter- Bild 1: Untersuchungsgebiet der Studie und Unternehmensstandorte [11] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 53 Binnenschifffahrt LOGISTIK schiedliche Wirtschaftsbereiche ist von einer erhöhten Resilienz auszugehen. Wirtschaftliche Einbrüche in einzelnen Branchen sind weniger schädlich als in ‚sortenreinen‘ Ansiedlungen der Logistik. Zudem erweist sich insbesondere die angesiedelte Baubranche auch in der Pandemie als krisensicher [14]. Teil der allgemeinen Datengrundlage ist zudem die Nutzungsfrequenz der verschiedenen Verkehrsträger durch die Anlieger: Hieraus können erste Hinweise auf die tatsächliche Relevanz des multimodalen Ansatzes abgeleitet werden. Im Fragebogen wurde die Nutzung des Autobahnanschlusses, des Anschlusses an das Schienennetz der Deutschen Bahn durch eine Hafenbahn sowie des Containerterminals der Deutschen Bahn und schließlich die Nutzung der Hafenbecken erhoben. Wenig überraschend wird der Autobahnanschluss von großen Anteilen der Anlieger (77 %) täglich sowohl für Inboundals auch für Outbound- Transporte genutzt. Nur 17 % nutzen ihn nie, knapp 6 % mehrmals pro Woche. Diese hohe Relevanz des Gütertransportes über die Straße spiegelt die oben erläuterten Trends der vergangenen Jahrzehnte wider. Dementsprechend werden die Schienenanschlüsse im Osthafen Frankfurt am Main deutlich seltener genutzt. Die Hafenbahn wird von etwa 70 % (Inbound) bis 76 % (Outbound) nicht in Anspruch genommen, nur 11 bis 12 % nutzen sie täglich. Die Schienenanbindung per Terminal wird sogar von etwa 80 % nicht genutzt, etwa 17 bis 18 % empfangen oder versenden ihre Transporte hierüber mindestens mehrmals pro Woche. Die Hafenbecken verzeichnen als dritter Verkehrsträger eine zwischen diesen Extremen liegende Nutzungsfrequenz. Auch diese werden von einigen Anliegern nie genutzt: Im Inbound verzichten etwa zwei Drittel, im Outbound etwa 72 % der Anlieger auf den Transport über die Wasserstraße. Jene Unternehmen, welche die Hafenbecken nutzen, tun dies jedoch intensiv: 50 % der Nutzer be- und entladen Binnenschiffe auf täglicher Basis, im Inbound sogar über 90 % mindestens mehrmals pro Woche. Trotz dessen zeigt sich im Vergleich der Nutzungsfrequenzen eine deutliche Dominanz des Straßenverkehrs. Insbesondere die Nutzung der Wasserstraße durch nur ein Drittel der Anlieger könnte den Rückschluss zulassen, dass diese nicht von hoher Relevanz für das Industrie- und Gewerbegebiet sei und eine Umsiedlung desselben in dieser Hinsicht unproblematisch. Diese vorläufige Einschätzung muss nach Betrachtung der folgenden Kernergebnisse jedoch verworfen werden. Beförderte Gütermengen Die Einbeziehung der umgeschlagenen Gütermengen im betrachteten Areal relativiert die vorherige Einseitigkeit in der Verkehrsträgernutzung. Insgesamt transportieren die teilnehmenden Unternehmen monatlich etwa 400.000 Tonnen, 4.500 TEU-Container sowie 50.000 Packstücke sowohl an als auch ab. Bei einem Transport dieser Gütermengen ausschließlich per LKW entsprächen diese Gütermengen rund 47.500 Fahrten pro Monat [15]. Trotz der verbreiteten Straßennutzung wird anhand der Werte deutlich, dass signifikante Mengen dieser Güter momentan nicht über die Straße transportiert werden. Vielmehr konnte aufgezeigt werden, dass jene Unternehmen, welche die Hafenbecken nutzen, hierüber große Anteile der gesamten Tonnage transportieren: Im Inbound trugen diese 54 % der Tonnen sowie 88 % der TEU bei, im Outbound 53 % der Tonnen sowie 80 % der TEU. Die oben angestellte Vermutung zur Relevanz der Wasserstraße dreht sich bei dieser umfassenderen Faktenlage also ins Gegenteil: Erhebliche Anteile der erfassten Güter erreichen und verlassen den Osthafen über die Hafenbecken, obwohl dieser Verkehrsträger „nur“ von einem Drittel der befragten Anlieger genutzt wird. Zudem ist zu beachten, dass zu diesen erfassten Mengen lediglich etwa 10 % der angeschriebenen Unternehmen beitragen. Die tatsächliche, komplette Güterlogistik umfasst somit - auf- allen Verkehrsträgern - weit größere Mengen. Beschäftigungssituation Neben den logistischen und wirtschaftlichen Kennzahlen wurden in der durchge- Bild 2: Branchenverteilung im Osthafen Frankfurt am Main [13] Bild 3: Verteilung über Größenklassen der Unternehmen im Osthafen [16] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 54 LOGISTIK Binnenschifffahrt führten Umfrage auch arbeitsmarktrelevante Aspekte des Osthafens Frankfurt am Main erfasst. Die Studie zum Areal erfasst hierbei zunächst die Größenstruktur der befragten Anlieger, welche insgesamt 2.486 Mitarbeiter beschäftigen. Wie in Bild 3 ersichtlich, teilt sich das Kollektiv der Arbeitgeber im betrachteten Gebiet unregelmäßig in mehrere Größenklassen auf. Ein großer Teil der Anlieger kann dieser Kennzahl entsprechend als kleine und mittlere Unternehmen (KMU, Unternehmen mit mehr als neun und weniger als 250 Beschäftigten) eingeordnet werden. Weiterhin konnte festgestellt werden, dass über die Hälfte der Unternehmen (54,5 %, [n = 33]) derzeit ausbildet. Ein ähnlicher Anteil (53,1 %, [n = 32]) beschäftigt zudem ungelernte Mitarbeiter, über 20 % sogar mehr als zehn entsprechende Arbeitskräfte. Mehr als 20 % der befragten Unternehmen beschäftigten zudem geflüchtete Personen. Hierzu wurde in begleitenden Gesprächen deutlich, dass insbesondere unsichere Aufenthaltstitel und hohe bürokratische Hürden sowohl diese Personengruppe als auch ansässige Unternehmen davon abhielten entsprechende Arbeitsverträge zu schließen. Neben der hohen Anzahl an Mitarbeitern zeigt die Umfrage in diesem Punkt in erster Linie die Bereitstellung von niedrigschwelligen Arbeitsplätzen durch die Anlieger des Osthafen Frankfurt am Main. Entsprechend den Idealen sozialer Nachhaltigkeit sowie sozialer Durchmischung werden Arbeiter aller Qualifikationsstufen benötigt, ein in der Bankenstadt Frankfurt am Main seltener werdendes Modell der Zusammenarbeit. Zusätzlich bilden die befragten Unternehmen weiter aus und schaffen somit qualifizierte Fachkräfte, welche im Arbeitsmarkt teilweise fehlen. Wechselwirkung mit dem Stadtgebiet Der Osthafen ist als logistischer Knoten für den Kombinierten Verkehr relevant. Gleichzeitig ist zu klären, inwieweit dieser Knotenpunkt für die Ver- und Entsorgung der Metropolregion Rhein-Main, insbesondere aber auch der Stadt Frankfurt am Main von Bedeutung ist. Diese Relevanz ergibt sich zunächst anhand der Transportentfernungen für Inbound- und Outbound-Transporte. So zeigt sich im Inbound-Bereich, dass 27 % der Unternehmen ihre Güter aus einer durchschnittlichen Entfernung von 300 km oder mehr erhalten. Dies offenbart das Potenzial für schienen- oder wassergebundene Transporte. Gleichzeitig erhalten 31 % der Unternehmen ihre eingehenden Waren aus einer durchschnittlichen Entfernung von nicht mehr als 100 km. Dies spricht für eine starke Entsorgungsfunktion für die Metropolregion und die Stadt Frankfurt am Main. Im Outbound-Bereich wird wiederum die Versorgungsfunktion für die Stadt Frankfurt deutlich: So beträgt für die Hälfte der Unternehmen die durchschnittliche Transportentfernung nicht mehr als 100 km; davon wiederum knapp die Hälfte mit einer Entfernung von bis zu 30 km. Die Bedeutung des Osthafens für die Stadt Frankfurt am Main wird ebenfalls durch den Anteil der Transporte bestärkt, die im Stadtgebiet beginnen (Entsorgungsfunktion) oder enden (Versorgungsfunktion). Rund 40 % der Unternehmen weisen einen Anteil von mehr als 60 % ihrer Transporte auf, die in die Stadt Frankfurt führen; bei weiteren knapp 7 % der Unternehmen enden zwischen 40 % und 60 % der Transporte im Stadtgebiet. Dies zeigt, dass der Osthafen für die Stadt Frankfurt am Main eine wichtige Versorgungsfunktion innehat. Auch die Entsorgungsfunktion wird klar: Beinahe die Hälfte der Unternehmen bezieht mehr als 40 % ihrer Transporte aus dem Stadtgebiet ( jeweils 23,3 % für einen Anteil von zwischen 40 % und 60 % der Transporte bzw. für mehr als 60 % der Transporte). Für die Stadt ist die Nähe des Osthafens als multimodaler Knotenpunkt auch deswegen wichtig, weil die zeitlichen Anforderungen an die Versorgungsleistungen hoch sind. So zeigt Bild 4, dass für die Hälfte der Unternehmen enge Zeitfenster bei Belieferungen existieren. Die Baubranche ist eine Branche, die nicht nur aufgrund der hohen Gütermengen einen wesentlichen Anteil an Transporten aus dem Osthafen in die Stadt aufweist, sondern die - vor allem bei der Lieferung von Beton an (Groß-) Baustellen - derartig hohen Anforderungen gerecht werden muss. Prognostizierte Entwicklung des Osthafens Neben der Einschätzung und Bewertung des Status Quo ist auch die prognostizierte Entwicklung des Osthafens von Interesse. Die Angaben der Umfrageteilnehmer sprechen eine klare Sprache: Insgesamt werden die wirtschaftlichen Aktivitäten weiter zunehmen. Dies lässt sich in mehreren Bereichen erkennen. So sehen die Unternehmen eine deutliche Steigerung der Transportmengen. In den kommenden Jahren bis 2025 erwarten sie für Inbound-Flüsse eine durchschnittliche Zunahme um 16 %, im Outbound-Bereich sogar um 20 %. Um derartige Mengen logistisch handhaben zu können, werden weitere Flächen benötigt. Während zwar 40 % der Unternehmen davon ausgehen, dass die vorhandenen Flächen ausreichen, sieht mehr als die Hälfte der Betriebe einen zunehmenden Flächenbedarf. Dieser Bedarf ist umso gravierender, als die derzeitig im Osthafen vermietbaren Flächen beinahe vollständig ausgelastet sind [18]. Ein Flächenpuffer ist damit derzeit nicht vorhanden. Verbunden mit dem steigenden Transportvolumen und der insgesamt ebenfalls steigenden Flächennachfrage sind Investitionen. Allein die 25 auf diese Frage antwortenden Unternehmen planen, im betrachteten Zeitraum bis 2050 (dem derzeitigen Zeitraum der durch die Politik festgelegten Bestandsgarantie) rund 223 Mio. EUR an ihren Standorten im Osthafen zu investieren. Knapp ein Viertel der Anlieger plant mit einem Investitionsvolumen von über 15 Mio. EUR. Die im Rahmen der Untersuchung erhobenen Werte liegen deutlich über jenen, von denen bisher ausgegangen worden war. Letztlich nimmt auch der Bedarf an Arbeitskräften zu. Bis zum Jahr 2025 erwarten Bild 4: Zeitfenster für Belieferungen in das Stadtgebiet [17] Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 55 Binnenschifffahrt LOGISTIK die beteiligten Unternehmen, rund 2.700 Personen angestellt zu haben; das entspricht einer Zunahme um 8,9 % innerhalb weniger Jahre. Noch stärker als die Zahl der insgesamt zukünftig Beschäftigten steigt die Menge der erwarteten Auszubildendenverhältnisse: Die durchschnittliche Anzahl an Auszubildenden je Unternehmen steigt von 1,6 auf 2,6 und damit um rund 60 %. Auch die Bevölkerungsgruppen, die oftmals einen schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt haben, profitieren von der Zunahme der Hafenaktivitäten: So nehmen bis 2025 auch die erwarteten Beschäftigungsverhältnisse mit Ungelernten und Geflüchteten deutlich zu. Fazit und Ausblick Wie sind die dargestellten Ergebnisse zu bewerten? Zunächst stellen sie ein Zahlengefüge dar, das bisher nicht existierte. Die Diskussion um den Osthafen Frankfurt am Main war bisher eine, die vornehmlich emotional geführt wurde, ohne dass eine ausreichende Datenbasis als Fundament für Entscheidungen vorhanden war. Die im Rahmen des Projekts erhobenen Daten sind - auch wenn die Stichprobe eine überschaubare Größe hat - doch von erheblichem Nutzen, um politische Entscheidungen besser fundiert vorbereiten, diskutieren und treffen zu können. Die Ergebnisse zeigen auch, dass ein Hafen wie der Frankfurter Osthafen einen funktionieren multimodalen Logistikknoten darstellt. Darüber hinaus hat dieser logistische Knotenpunkt eine wichtige Ver- und Entsorgungsfunktion für die Stadt Frankfurt am Main, aber auch für die Metropolregion Rhein-Main. Die auf Schiene und Binnenwasserweg transportierten Mengen (sowohl Inbound als auch Outbound) sind erheblich. Eine in die öffentliche Diskussion eingebrachte Umwidmung des Hafens, verbunden mit einer teilweisen oder gänzlichen Einstellung des derzeitigen Betriebs würde damit zu einer deutlichen Zunahme des LKW-Verkehrs führen. Dies wiederum führt zu einer Mehrbelastung der Straßeninfrastruktur, die in Frankfurt derzeit bereits oft an der Kapazitätsgrenze ist, vor allem aber auch einer erheblichen Steigerung von Emissionen (unter anderem CO 2 und Lärm). Letztendlich zeigt auch die prognostizierte Entwicklung (Leistungsmengen, Flächen, Investitionen und Beschäftigung), dass ein Hafen positive Effekte auf die Wirtschaft, aber aufgrund der Beschäftigungsstruktur auch auf die Gesellschaft aufweist. ■ LITERATUR [1] Vgl. Flämig, H. (2021): Luft- und Klimabelastung durch Güterverkehr. Hrsg. v. Forschungs-Informations-System für Mobilität und Verkehr. Technische Universität Hamburg, Institut für Verkehrsplanung und Logistik. www.forschungsinformationssystem.de/ servlet/ is/ 39787/ , zuletzt aktualisiert am 06.01.2021, zuletzt geprüft am 11.05.2021. [2] Vgl. BMVI (2021): Verlagerung von Gütertransporten von der Straße auf den Wasserweg. - From Road to Sea/ Waterway- / www.bmvi. de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ WS/ verlagerung-von-guetertransporten-von-der-strasse-auf-den-wasserweg.html, zuletzt geprüft am 26.04.2021. [3] Vgl. BMVI (2021): Verlagerung von Gütertransporten von der Straße auf den Wasserweg. - From Road to Sea/ Waterway.www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ WS/ verlagerung-von-guetertransportenvon-der-strasse-auf-den-wasserweg.html, zuletzt geprüft am 26.04.2021. [4] Vgl. Umweltbundesamt (2021): Vergleich der durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Güterverkehr - Bezugsjahr 2019. www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 366/ bilder/ dateien/ uba_emissionstabelle_gueterverkehr_2019.pdf, zuletzt geprüft am 21.09.2021. [5] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [6] Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020): Güterverkehr: Beförderungsmenge und Beförderungsleistung nach Verkehrsträgern. www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport- Verkehr/ Gueterverkehr/ Tabellen/ gueterbefoerderung-lr.html, zuletzt aktualisiert am 11.11.2020, zuletzt geprüft am 24.08.2021. [7] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [8] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [9] Vgl. Bundesamt für Güterverkehr (Hrsg.) (2021): Marktbeobachtung Güterverkehr. Raumplanung in deutschen Binnenhäfen. Köln. www.binnenschiff.de/ wp-content/ uploads/ 2021/ 02/ BAG-Studie- Haefen.pdf, zuletzt geprüft am 18.05.2021. [10] Vgl. Romahn, I. (2020): Wir haben keinen zweiten Osthafen. Wirtschaftsdezernent Frank lehnt Wohnbebauung im Osthafen ab. In: Frankfurt Live, 22.06.2020. www.frankfurt-live.com/ wir-habenkeinen-zweiten-osthafen-122811.html, zuletzt geprüft am 13.04.2021. [11] Die Grafik wurde bereitgestellt durch die IHK Frankfurt am Main. [12] Vgl. Köhler, M. (2013): Frankfurter Osthafen hat Zukunft mindestens bis 2050. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.11.2013. www.faz. net/ aktuell/ rhein-main/ neues-hafenkonzept-beschlossen-frankfurter-osthafen-hat-zukunft-mindestens-bis-2050-12644975.html, zuletzt geprüft am 04.11.2020. [13] Eigene Darstellung (n = 37, die Summe der Anteile weicht aufgrund von Rundungsdifferenzen von 100 % ab). [14] Vgl. Tagesschau (2020): Steigende Umsätze: Bau kennt keine Corona-Krise. In: tagesschau.de, 09.10.2020. www.tagesschau.de/ wirtschaft/ baubranche-corona-101.html, zuletzt geprüft am 24.08.2021. [15] Für die Berechnung wurde von einer durchschnittlichen Tonnage von 12 Tonnen per TEU ausgegangen. Weiterhin wurde der bei der GFH genutzte Umrechnungsfaktor von TEU in LKW-Ladungen in Höhe von 1,6 angewandt. Somit ergeben sich im Inbound-Bereich die folgenden LKW-Äquivalente für Mengen, die in Tonnen angegeben waren: 402.272 Tonnen/ 12/ 1,6 = 20.952 LKW-Äquivalente. Für in TEU angegebene Mengen ergeben sich 4.513 TEU/ 1,6 = 2.821 LKW- Äquivalente. Im Outbound-Bereich ergeben sich für in Tonnen angegebene Mengen 400.295 Tonnen/ 12/ 1,6 20.849 LKW-Äquivalente. Für in TEU angegebene Mengen ergeben sich 4.626 TEU/ 1,6 = 2.891 LKW-Äquivalente. Die Packstücke finden hier aufgrund von nahezu unmöglicher Umrechnung keine Berücksichtigung. Die gesamte Tonnage ergibt damit 47.513 LKW-Äquivalente. [16] Eigene Darstellung (n = 32, Abweichung der Summe der Anteile von 100 % aufgrund von Rundungsdifferenzen). [17] Eigene Darstellung (n = 28). [18] Vgl. HFM Managementgesellschaft für Hafen und Markt mbH (Hrsg.) (2019): Zahlen und Daten. www.hfm-frankfurt.de/ zahlen-und-daten.html, zuletzt geprüft am 15.04.2021. Jakob Grubmüller, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Fulda am HOLM, Frankfurt am Main jakob.grubmueller@w.hs-fulda.de Michael Huth, Prof. Dr. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, Hochschule Fulda am HOLM, Frankfurt am Main michael.huth@w.hs-fulda.de