Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0083
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Emotionen beim Zufußgehen im urbanen Raum
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Shari Merzoug
Julia Jarass
Bei der aktiven Mobilität, also dem Rad- und Fußverkehr, spielen Umwelteinflüsse eine besondere Rolle. Insbesondere Zufußgehende sind durch die langsamere Geschwindigkeit ununterbrochen dem Einfluss der direkten Umgebung ausgesetzt und nehmen negative Umwelteinwirkungen wie beispielsweise Straßenlärm oder Kriminalitätsgefahr wahr. Die Umgebungsstimuli des Stadtraums lösen somit bei Zufußgehenden unterschiedliche Emotionsreaktionen aus und beeinflussen das mentale und physische Wohlbefinden. In diesem Beitrag wird anhand quantitativer und qualitativer Methoden untersucht, welche objektiv messbaren Emotionsreaktionen während eines Fußwegs auftauchen, welche Zusammenhänge zu räumlichen Merkmalen abgeleitet werden können und inwiefern sich die körperlichen Reaktionen mit der
subjektiven Einschätzung der Probanden decken.
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Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 64 MOBILITÄT Fußverkehr Emotionen beim Zufußgehen im urbanen Raum Einflüsse eines alltäglichen Fußwegs auf das mentale Wohlbefinden in Berlin Fußverkehr, Emotionen, Wahrnehmung, Angstraum, Raumstrukturen, Emotionsmessung Bei der aktiven Mobilität, also dem Rad- und Fußverkehr, spielen Umwelteinflüsse eine besondere Rolle. Insbesondere Zufußgehende sind durch die langsamere Geschwindigkeit ununterbrochen dem Einfluss der direkten Umgebung ausgesetzt und nehmen negative Umwelteinwirkungen wie beispielsweise Straßenlärm oder Kriminalitätsgefahr wahr. Die Umgebungsstimuli des Stadtraums lösen somit bei Zufußgehenden unterschiedliche Emotionsreaktionen aus und beeinflussen das mentale und physische Wohlbefinden. In diesem Beitrag wird anhand quantitativer und qualitativer Methoden untersucht, welche objektiv messbaren Emotionsreaktionen während eines Fußwegs auftauchen, welche Zusammenhänge zu räumlichen Merkmalen abgeleitet werden können und inwiefern sich die körperlichen Reaktionen mit der subjektiven Einschätzung der Probanden decken. Shari Merzoug, Julia Jarass D as Zufußgehen stellt eine tägliche und fast universell genutzte Form der Mobilität dar. Nach Hillnhütter [1] ist der Fußverkehr eine individuelle, direkte Sinneserfahrung und kann der Kategorie „Outdoor-Mobilität“, wie auch das Radfahren, zugeordnet werden. Im Gegensatz dazu verkörpert das Autofahren eine „Indoor-Mobilität“. Der Unterschied zwischen den beiden Kategorien liegt darin, dass beim Zufußgehen alle fünf Sinnesorgane beansprucht werden und die Umgebungseinflüsse somit intensiver und differenzierter aufgenommen werden [1, 2]. Zudem sind Zufußgehende den Reizen der Umwelt ständig und unausweichlich ausgesetzt, da es ihnen nur schwer möglich ist, ihre Sinne „abzustellen“, um so den dauerhaft negativen Umwelteinwirkungen wie beispielsweise Straßenlärm oder Kriminalitätsgefahr „entfliehen“ zu können [1]. Somit sind Zufußgehende den Reizen der Umwelt unmittelbarer und beständiger ausgesetzt als bei jeder anderen Art der Mobilität [3]. Umgebungsstimuli des Stadtraums lösen bei Zufußgehenden individuell unterschiedliche Emotionen aus [1]. Die Art und Häufigkeit der hervorgerufenen Emotionen können entscheidend sein, denn sie beeinflussen das mentale und physische Wohlbefinden. Generell kann das häufige Erfahren von negativen Emotionen wie beispielsweise Stress zu chronischem Stress führen, der ein Risikofaktor für die Entwicklung von verschiedenen psychischen Erkrankungen [4, 5] oder anderen physischen Auswirkungen wie Atembeschwerden, Herz-Kreislauf- Störungen sowie Panikattacken darstellt [6]. Dementsprechend ist es wichtig, die Sinneswahrnehmung der Umwelt und die körperlichen Auswirkungen beim Zufußgehen zu betrachten. Bisher wird in der Stadt- und Verkehrsplanung die emotionale Komponente des Fußverkehrs oft unterschätzt und nur wenig berücksichtigt [7]. Diese Untersuchung soll mithilfe eines „Mixed-Methods“-Ansatzes am Fallbeispiel einer vorgegebenen Fußwegstrecke mit verschiedenen räumlichen Strukturen untersuchen, inwiefern sich Emotionsreaktionen auf Reize der urbanen Umwelt verorten lassen und inwiefern objektive Sensormessungen der Emotionsreaktionen von subjektiven Gefühlswahrnehmungen gestützt werden können. Zufußgehen im Stadtraum als multisensorische Erfahrung Im psychosozialen Kontext ist das Durchqueren des öffentlichen Stadtraums zu Fuß eine individuelle multisensorische Erfahrung der Umgebung [8]. Es gilt, je langsamer die Schrittgeschwindigkeit, desto detaillierter der Eindruck der Umwelt [9]. Die menschlichen Sinnesorgane stellen dabei eine Verbindung zwischen unserem Gehirn und der umgebenden Realität her. Jedoch erhält das menschliche Gehirn von den fünf Sinnesorganen ungleiche Mengen an Informationen über die Umwelt. Es wird davon ausgegangen, dass 80 % aller Sinnesinformationen visuell erfolgen [10]. Demzufolge dominiert die visuelle Komponente des Stadtraums bei allen Reizen, die Zufußgehende aus der Umgebung aufnehmen [1]. Die Umgebungsstimuli, die beim Gehen durch die menschlichen Sinnesorgane aufgenommen werden, verarbeitet das Gehirn in neurologischen, kognitiv-affektiven Bewertungsprozessen. Dabei werden physiologische Reflexe ausgelöst, die man als Emotionsreaktionen bezeichnet. Sie stellen eine individuelle, körperliche Antwort auf aufgenommene Stimuli dar [11]. Die städtischen Umgebungsstimuli erzeugen bei Zufußgehenden neben Emotionsreaktionen auch subjektiv wahrnehmbare Gefühle. Hillnhütter [1] stellt einen Zusammenhang zwischen Charakteristika der städtischen Umgebung und den Emotionen von Zufußgehenden fest. Demnach beeinflusst die Umgebung die Emotionen von Menschen und damit auch die Wahrnehmung des Zufußgehens. Ein besonderer Fokus liegt in der Stadtforschung bisher auf der Entstehung von Angst innerhalb des städtischen Raums. „Angsträume“ werden als subjektiv wahrgenommene Bereiche definiert, die durch die Abwesenheit sicherheitsrelevanter Aspekte auffallen [12]. Folglich fühlen sich Zufußge- Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 65 Fußverkehr MOBILITÄT hende darin häufig unwohl oder bedroht. Dies kann beispielsweise aufgrund der Furcht vor Kriminalität oder gefühlter Gefährdung durch den Stadtverkehr entstehen [13]. Für die Entstehung eines Angst- oder Unsicherheitsgefühls beim Zufußgehen hängt die objektiv messbare Sicherheit wie die Anzahl an lokalen Gewalttaten oder Verkehrsunfällen wenig oder nur schwach mit dem subjektiven Sicherheitsempfinden zusammen [14, 15, 16]. Meist fällt das subjektive Sicherheitsempfinden dabei geringer aus als die objektiv gegebene Sicherheit [17, 18]. Um einen Angstraum zu vermeiden, werden verschiedene Strategien herangezogen. Beispielsweise wird eine andere Route gewählt, auf ein anderes weniger vulnerables Verkehrsmittel zurückgegriffen oder der Weg gänzlich vermieden. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass die individuelle Mobilität eingeschränkt und die gesellschaftliche Teilhabe gemindert werden [13, 19]. Besonders eingeschränkt von Gefühlen der Unsicherheit sind Frauen, Personen der LGBTQ+-Community, Kinder sowie alte und mobilitätseingeschränkte Menschen [20, 21, 22]. Methodisches Vorgehen In Berlin-Wedding wurde eine Route ausgewählt, die in etwa 30 Minuten abgelaufen werden konnte und diverse räumliche Charakteristika beinhaltet (u. a. Hauptstraßen, Nebenstraßen, Grünflächen). Drei weibliche und drei männliche Probanden im Alter zwischen 22 und 28 Jahren wurden mit einem „Smartband“ von Bodymonitor ausgestattet, welches die sekundengenaue Messung von Emotionsreaktionen in Bewegung ermöglicht. Das Smartband misst am Handgelenk die elektrodermale Aktivität, also das Verhältnis von Hautleitfähigkeit und -temperatur sowie die Lufttemperatur [23]. Aufgrund eines technischen Problems lagen jedoch keine Ergebnisse für einen der Probanden vor. Die methodische Vorgehensweise ist an den Ansatz von Zeile und Schlosser [24] angelehnt, die vor dem Hintergrund des „Urban Emotions“-Projekts zu Angstträumen und Stressempfinden im urbanen Kontext geforscht haben [24, 22]. Hinsichtlich der Emotionsreaktionen wurde eine Emotionsklassifikation für die Daten der elektrodermalen Aktivität durchgeführt. Diese erfolgte durch das Bodymonitor-Institut mittels eines entwickelten Algorithmus (Bodymonitor Portfolio 2019). So konnten hohe Erregungsreaktionen des „appetetive arousal“ und „aversive arousal“ identifiziert werden. Anhand dessen wurden die vier Basisemotionen „Angst“, „Ärger/ Stress“, „Freude“, „Interesse/ Neugier“ klassifiziert, sowie die niedrige Erregungsreaktion „Balance“ oder „Homeostasis“ - ein wachsamer und wohlbefindlichen Zustand [25]. Zusätzlich wurde der Weg mithilfe der DLR Moving-Lab-App getrackt [26, 27] und visuell über eine auf Brusthöhe angebrachte Go-Pro-Kamera aufgezeichnet, um Artefakte, die über die Gestaltung des Stadtraumes hinausgehen, isoliert betrachten zu können [24]. Die Daten des GPS-Trackings werden mit den gemessenen Emotionsreaktionen kombiniert, sodass für jede Person die Emotionsreaktionen räumlich verortet werden können. Anschließend wurden retrospektive qualitative Interviews mit den Teilnehmenden durchgeführt, um die subjektive Wahrnehmung der eigenen Gefühle während der Route zu erfassen. Ergebnisse Die geocodierten Emotionsreaktionen zeigen, dass sie nicht grundsätzlich auf räumlich erkennbare Trigger zurückzuführen sind, da kaum oder nur wenige Raumsegmente auszumachen sind, bei denen eine der Basisemotion deutlich dominiert (Bild-1). In erster Linie geht es hier um die Länge einer Responsekette, denn eine direkte, raumzeitliche Abfolge mehrerer Responses einer Emotion hintereinander ist aussagekräftiger als eine räumlich isolierte Reaktion mit hohem Wert. Dieser Befund könnte an der Tatsache liegen, dass Emotionsreaktionen nicht nur von externen, sondern auch internen Triggern wie beispielsweise Gedanken in Zusammenhang mit der momentanen Stimmungslage ausgelöst werden können [25, 28]. Zudem entscheidet der psychosoziale Hintergrund, also beispielsweise der Grad an Emotionalität als individueller Wahrnehmungsfilter, ob und welche Art von Emotionsreaktionen durch materielle oder nicht-materielle Stimuli, wie Gedanken, Geschehnisse, Situationen getriggert werden können [29, 30]. Zeile [31] geht davon aus, dass Emotionsreaktionen beim Zufußgehen vor allem von situativen Umgebungsbedingungen wie Wetterlage, Verkehrsdichte, Verkehrslärm, Qualitätszustand von Straßen sowie aufgrund der dominierenden Architektur im urbanen Raum beeinflusst werden. Trotz der wenigen Übereinstimmungen von objektiver Emotionsmessung und individuell erfahrenem Gefühlszustand kann die Messung von Emotionen für die Beforschung des Fußverkehrs wichtig sein: Im Detail lassen sich Segmente beziehungsweise Elemente ausmachen, bei denen subjek- Bild 1: Emotionsreaktionen während des Zufußgehens auf der vorgegebenen Route Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 66 MOBILITÄT Fußverkehr tive Aussagen oder die Auswertungen des visuellen Monitorings von den objektiven Emotionsmessungen gestützt werden können. Daraus können folgende Vermutungen und Verdachtspunkte abgeleitet. Straßenkreuzungen Für einen Großteil der Teilnehmenden sind beim visuellen Auswerten der Karten mehrere Angst- und Ärger-Responses in den Segmenten der Straßenkreuzungen zu erkennen (Bild 2 rechts). Hierbei lohnt es sich auch die Emotionsreaktion „Balance“den wachen „Wohlfühlzustand“zur Betrachtung heranzuziehen. Diesbezüglich sind bei den meisten der untersuchten Personen Unterbrechungen der Balance-Responsekette in den Bereichen von Straßenübergängen erkennbar, was somit Momente des Ausbleibens eines aufmerksamen Wohlbefindens der jeweiligen Personen bezeichnet (Bild 2 links). Diese Ergebnisse werden von den subjektiven Wahrnehmungen der Teilnehmenden gestützt: In den Interviews wurden die Kreuzungen und Straßenübergänge als Orte des Unwohlseins beschrieben, bei welchen eine permanent erhöhte Aufmerksamkeit notwendig sei. Dies liege an dem hoch frequentierten und nur schwer einschätzbaren Autoverkehr sowie dem Fehlen von eindeutig gekennzeichneten Fußgängerbereichen (Bild 2). Orientierung Weiterhin können Momente der Orientierungslosigkeit in Verbindung mit Emotionsreaktionen von Angst und Ärger sowie mit dem Aussetzen des Balance-Zustandes ausgemacht werden: Bild 3 (rechts) zeigt die Kartierung der Angst- und Ärger-Reaktionen während der Forschungsroute eines Teilnehmers. Bei der Überprüfung des Videomaterials der Go-Pro-Kamera sind für einen großen Anteil der Reaktionen Momente des Orientierens wie beispielweise das Anhalten, Umschauen, längeres Betrachten der Wegekarte und Lokalisieren von Straßenschildern zu erkennen (Bild 3 links). Somit können Probleme bei der Orientierung negative Emotionsreaktionen wie Angst oder Ärger/ Stress auslösen. In diesem Fall sind die Orientierungsmomente vorrangig der Forschungssituation geschuldet, da keiner der Teilnehmenden mit der Forschungsroute vertraut war. In den Aussagen der subjektiven Wahrnehmung fällt jedoch auf, dass räumliche Segmente wie U-Bahneingänge mit Problemen der Orientierung belegt und von den Teilnehmenden als „sehr verwirrend“ und „stressig“ empfunden wurden. Dementsprechend wünschte sich ein Großteil der Partizipierenden eine bessere Ausschilderung zu und innerhalb der U-Bahnstationen. Da sich negative Auswirkungen des Orientierens in den objektiven Messungen, sowie auch den subjektiven Wahrnehmungen nachweisen lassen, könnte eine regelmäßigere und besser sichtbare Ausschilderung einen Lösungsansatz bieten, um vermeidbaren alltäglichen Stadtstress/ -erfahrungen entgegenzuwirken. Beschilderungen zur nächsten U-Bahnstation könnten hierbei schon weit vor den eigentlichen Stationen beginnen, um ein breites „Orientierungsnetz“ zu schaffen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile fester Bestandteil des Berliner Mobilitätsgesetzes (2018) und könnte von den Vermutungen dieser Forschung gestützt werden. Geschlechterspezifische Unterschiede Interessant ist, dass sich Unterschiede zwischen den Emotionsreaktionen der weiblichen und männlichen Teilnehmer erkennen lassen. Aufgrund der geringen Fallzahl ist dies allerdings nur als mögliche Tendenz zu betrachten, die weiterer Erforschung bedarf. Bei den männlichen Probanden sind seltener Emotionsreaktionen messbar als bei den weiblichen Probandinnen (Bild 4). Analog dazu zeigt sich, dass die Variable Bild 2: Balance-Zustand und Emotionsreaktionen von zwei Teilnehmerinnen Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Bild 3: Emotionsreaktionen (Angst und Ärger) und Orientierungsmomente Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 67 Fußverkehr MOBILITÄT „Balance“ - also der wachsame und wohlbefindliche Zustand - unter den männlichen Teilnehmern eine dichtere Abfolge aufweist und von weniger Unterbrechungen gekennzeichnet ist. Auf Basis dieser Beobachtung könnte vermutet werden, dass Frauen zum Teil eventuell sensibler auf ihre Umwelt reagieren und daher stärker vom öffentlichen Raum beansprucht und in ihrem psychischen Wohlbefinden beeinflusst werden. Diskussion und Ausblick Insgesamt zeigt sich mithilfe von objektiv messbaren Emotionsreaktionen, dass deutliche Einflüsse der Umwelt beim Zufußgehen vorliegen. Emotionsreaktionen - also Angst, Ärger/ Stress, Freude, Interesse/ Neugier bzw. die Abwesenheit dieser Emotionsreaktionen schwanken während eines Fußweges. Dies unterstreicht, dass sich Zufußgehende nur schwer Umweltreizen entziehen können, da sie ihnen direkt und unmittelbar ausgesetzt sind. Insbesondere bei Straßenüberquerungen mit und ohne Ampelregelung sind negative Emotionsreaktionen bzw. das Ausbleiben eines entspannten Zustands zu erkennen. Somit scheinen Zufußgehende beim Überqueren von Straßen körperlich potenziell gestresst, ängstlich und nervös zu sein, was auf Dauer eine psychische Belastung darstellen kann. Dies verdeutlicht einmal mehr den wesentlichen Einfluss des motorisierten Verkehrs auf das individuelle Wohlbefinden und die Gesundheit im Bereich des Fußverkehrs. Auch in Situationen der Orientierung (z. B. Karte lesen, Übergang zum öffentlichen Nahverkehr) sind negative Emotionsreaktionen erkennbar. Hier kann eine intuitive Beschilderung und Routenführung durch Farben, Begrünung und Sichtachsen die Orientierung im Stadtraum erleichtern. Zudem wurden bei den weiblichen Teilnehmerinnen der Untersuchung grundsätzlich häufiger Emotionsreaktionen gemessen, wohingegen bei männlichen Teilnehmern häufiger ein wachsamer und wohlbefindlicher Zustand messbar war. Hier sind weitere Analysen mit einer größeren Stichprobe notwendig, um generalisierte Aussagen treffen zu können. Somit würde sich auch über messbare körperliche Reaktionen abzeichnen, dass Frauen anders auf ihre Umwelt reagieren als Männerr. Dies muss in die feministische Stadt- und Verkehrsplanung entsprechend integriert und ein Fokus auf sichere Stadträume gelegt werden [13, 20]. Bei der Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden zeigt sich, dass auch Diskrepanzen zwischen den messbaren körperlichen Emotionsreaktionen und der subjektiven retrospektiv berichteten Wahrnehmung bestehen. So konnten beispielsweise Wegstrecken identifiziert werden, die subjektiv mit stark wahrgenommenen Gefühlen verbunden wurden, jedoch keine objektiv messbaren Emotionsreaktionen feststellbar waren und umgekehrt. Diese Diskrepanz kann dadurch erklärt werden, dass innerhalb des sozialpsychologischen Emotionskonstrukts gemessene Emotionsreaktionen nicht unbedingt mit psychisch bewusst erlebten Gefühlen zusammenfallen. Die Mehrheit der emotionalen Reaktionen erfolgt unbewusst. Gefühle und somit auch die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmenden repräsentieren eine individuelle Interpretation bestimmter körperlicher Emotionsreaktionen, welche häufig auf mehreren komplexen Ebenen stattfindet [32, 33]. Gleichwohl beeinflussen auch unbewusst erlebte Emotionsreaktionen die mentale Gesundheit, so dass die Er- Bild 4: Unterschiede der Emotionsreaktionen zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmenden Quelle: eigene Darstellung, Kartengrundlage google maps Internationales Verkehrswesen (73) 4 | 2021 68 MOBILITÄT Fußverkehr forschung von Emotionsreaktionen im urbanen Kontext von Bedeutung ist [5, 6]. Trotz der schwierigen Eingrenzung und Isolierung räumlicher Einflüsse für bestimmte Emotionsreaktionen zeigt sich, dass eine Annäherung an das Erleben der gebauten Umwelt beim Zufußgehen durch die Verknüpfung verschiedener Methoden möglich ist. Um Kausalitäten identifizieren zu können, wäre es wünschenswert die Untersuchung von objektiv messbaren Emotionsreaktionen und der subjektiven Wahrnehmung der Umgebung beim Zufußgehen anhand einer größeren und soziodemographisch diversen Stichprobe durchzuführen. Um die Robustheit der messbaren Emotionsreaktionen in Bezug auf die Raum- und Infrastruktur zu analysieren, wäre zudem die wiederholte Messung von körperlichen Reaktionen einer Person auf derselben Route zu unterschiedlichen Zeiten sinnvoll. ■ QUELLEN [1] Hillnhütter, H. (2016): Pedestrian Access to Public Transport. PhD Thesis no. 314. Department of Industrial Economics, Risk Management, and Planning. Stavanger: University of Stavanger. [2] Monheim, H.; Monheim-Dandorfer, R. (1990): Straßen für alle. Analysen und Konzepte zum Stadtverkehr der Zukunft. Hamburg: Rasch und Röhring. [3] Fruin, J. (1979): Pedestrian Transportation. In: Gray, G. E. and Hoel, L. A. (Hrsg.): Public Transportation Planning, Operations and Management. New Jersey: Prentice-Hall, Inc. [4] Mc Ewen, B. S. (2012): Brain on stress: How the social environment gets under the skin. In: Proceedings of the National Academy of Sciences (109/ 2), S. 17180-17185. [5] Weinelt, W. 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(DLR), Berlin-Adlershof shari.merzoug@dlr.de
