eJournals Internationales Verkehrswesen 74/1

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0002
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Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 6 IM FOKUS Sonderkommission eTrailer einberufen M it Übernahme der Amtsgeschäfte durch die neue Bundesregierung hat der Bundesverband eMobilität e. V. (BEM) eine neue Initiative gestartet, um Anhänger-Fahrzeuge mit eigenem batterie-elektrischen Antrieb regulatorisch zuzulassen und weiterzuentwickeln. Kurz vor Jahresende 2021 hat der Verband eine Sonderkommission eTrailer einberufen, die gleich im Januar des neuen Jahres tagte. Die zum Thema beratende BEM-Arbeitsgruppe war zuvor mehrfach am Widerstand zuständiger Behörden gescheitert. Als eTrailer, also elektrifizierte Anhänger, werden Fahrzeuge bezeichnet, die meist über eine Ladefläche zur Beförderung von Gütern, jedoch über einen eigenen Antrieb und einen eigenständigen, von außen aufladbaren Energiespeicher verfügen. Sie werden hinter Zugfahrzeugen wie PKW, LKW, Omnibussen oder Traktoren mitgeführt. Sie schieben nicht, unterstützen jedoch das Gespann, erhöhen die Reichweite und tragen erheblich zur Einsparung klimaschädlicher Abgase bei - sogar bei Diesel- oder Benzin-Zugfahrzeugen um 20 % und mehr. Zur Kategorie eTrailer zählen moderne Lösungen des eCaravan für den umweltschonenden Tourismus genauso wie elektromobile Lösungen für voll digitale Schwerlasttransporte. Während die Technik bereits erprobt und belastbar ist und auch das Fahrverhalten sowie sämtliche Sicherheitsaspekte technisch überprüft sind, ist in Europa wegen gesetzlicher Inkompatibilität bislang keine Zulassung für eTrailer möglich. Auch die derzeitige Fahrzeugerfassung im Kraftfahrtbundesamt (KBA) ist nicht ausreichend. Die Sonderkommission des BEM will diese Blockade nunmehr auflösen und die Zulassung von eTrailern, etwa als eigene Fahrzeugkategorie, vorantreiben. Weiterhin soll die Befreiung bzw. die Anrechnung der Umweltwirkung auf die Mautabgabe erreicht, das eKennzeichen eingeführt und die Anpassung der Führerscheinklassen bzw. der Fahrzeugpapiere eingeleitet werden. Zur BEM-Sonderkommission eingeladen sind Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Bundes- und Landesministerien, Trailer-Hersteller, Hersteller aus der Automotive- und der Logistikbranche, Zulieferer sowie Unternehmen der Branchen Antriebssysteme und Batterietechnologie. www.trailerdynamics.de Bild: Krone Optimierte Routenplanung mit dem E-LKW D ie neue deutsche E-LKW-Marke Bax hat einen batterieelektrischen 7,5-Tonner mit einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern, mehr als drei Tonnen Zuladung und serienmäßigem Telematiksystem vorgestellt. Disponenten und Einsatzleiter können so den Standort des Bax 7.5 und alle wichtigen Fahrzeugzustände jederzeit über das Cargofleet 3-Telematikportal einsehen. Das System zeigt neben Standort, Batterieladung und Restreichweite auch die Zuladung des Fahrzeugs an - das ermöglicht eine optimierte Routenplanung und bessere Auslastung des Fahrzeugs. Eine Fahrstilanalyse mit Verbrauchsdaten und Stand-/ Fahrzeitanalyse motiviert den Fahrer, besonders wirtschaftlich zu fahren. Als Elektrofahrzeug ist der Bax 7.5 generell weniger wartungsintensiv als ein Diesel - es gibt weder Zahnriemen noch Steuerkette oder Injektoren und andere Nebenaggregate. Zudem sorgt der Bax Remote Service Support dafür, dass die Werkstatt einen Fehler bereits identifizieren kann, bevor das Fahrzeug zur Wartung oder Reparatur vorfährt - das spart wertvolle Zeit. Das Telematiksystem im Bax stammt vom europäischen Marktführer für Truck-Trailer-Telematik, idem telematics. Telematiksysteme dieses Umfangs sind bei Verteilerfahrzeugen, Vans und Transportern noch eher die Ausnahme. Die serienmäßige Telematik im Bax- 7.5 dürfte jedoch auch rein auf den Citytransport fokussierten Speditionen oder kommunalen Flotten Vorteile bringen. Als systemoffene Plattform lässt es sich mit allen marktgängigen Transportmanagement- Systemen verbinden. Hinter dem neuen LKW-Hersteller Bax stehen der bayerische Hersteller für Spezial- und Heavy Duty-Fahrzeuge Paul Nutzfahrzeuge GmbH sowie die BPW Bergische Achsen KG als System- und Mobilitätspartner der Transportindustrie. Das erste Fahrzeug der Marke Bax ist ein LKW mit 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht, der in enger Zusammenarbeit mit Spediteuren, Verladern, Fahrern und Aufbauten-Spezialisten entwickelt wurde. Herzstück des Fahrzeugs ist ein in die Hinterachse integriertes Antriebssystem von BPW. www.bax.de Foto: Bax Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 7 IM FOKUS LKW-Flotten möglichst emissionsarm betreiben D er Navigationssoftware-Konzern Here übernimmt ein Software-Tool der schweizerischen Handelsgenossenschaft Migros, das diese gemeinsam mit der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa entwickelt hat, und macht dieses weltweit verfügbar. Mit dem Tool lassen sich die CO 2 -Emissionen von Lastwagen mit verschiedenen Antriebssystemen für beliebige Routen berechnen. Es kann Logistikern weltweit aufzeigen, auf welchen Routen Wasserstoff-, Elektro-, Biogas- oder Biodiesel-LKW am besten eingesetzt werden können und wie hoch deren CO 2 -Emissionen im Vergleich zu dieselbetriebenen Trucks sind. Die Umstellung von Lastwagenflotten auf erneuerbare Energie ist ein Ziel vieler Flottenbetreiber weltweit. Das weiß man auch beim global tätigen Navigationssoftware-Unternehmen Here, einer gemeinsame Tochterfirma der deutschen Automobilhersteller Audi, BMW und Daimler. Beteiligt sind außerdem Intel, Bosch, Continental und der chinesische Tencent-Konzern. Here liefert das Kartenmaterial für Logistikkonzerne weltweit, unter anderem auch für die Routenplanung der rund 800 Lastwagen der Migros-Genosenschaft. Das nun von Here übernommene Software-Tool basiert auf einer Zusammenarbeit zwischen Migros und der Empa. Mit Hilfe der Software kann der Einsatz von Lastwagen mit alternativen Antrieben und erneuerbaren Treibstoffen wie Wasserstoff, Elektro, Biogas und Biodiesel hinsichtlich Leistung, Reichweite, Nutzlast und Kosten für individuelle Routen analysiert und gleichzeitig die real zu erwartenden CO 2 - Einsparungen im Vergleich zu Diesel-LKW berechnet werden. Dank einer Anbindung an Ökobilanz-Datenbanken lassen sich auch synthetische Treibstoffe integrieren. Der zugrundeliegende mathematische Ansatz ist als „Willans-Approximation“ bekannt und wird bis heute weltweit in vielen Studien im Bereich von Energiewandlern eingesetzt. Benannt ist sie nach dem englischen Erfinder Peter Willans, der im späten 19. Jahrhundert seine Beobachtungen an Dampfmaschinen in dieser Form dargestellt hat. Forschende der Empa nutzen den Ansatz seit geraumer Zeit zur Auswertung von Fahrzeugverbrauchsdaten und konnten damit zeigen, dass er nicht nur auf Verbrennungs- oder Elektromotoren, sondern auch auf Gesamtfahrzeuge anwendbar ist. Gegenwärtig betreibt Migros elf Wasserstoff-LKW, 78 Biodiesel- und Biogas-LKW sowie 13 Elektro-Trucks. Die ISO- und DINzertifizierte Software wird nun unter dem Namen „CO 2 -Insights“ von Here vertrieben und kann bis zum 31. März 2022 von allen Kunden kostenlos genutzt und evaluiert werden. Das Software-Tool soll kontinuierlich weiterentwickelt werden. www.here.com Bild: Migros Comau baut Elektromotoren-Montagelinie für Geely D as Stellantis-Unternehmen Comau hat für das Werk Geely Veremt der Geely Automobile Holdings im chinesischen Ningbo eine automatisierte Montagestraße für E-Antriebe entwickelt und eingerichtet. Sie zeichnet sich durch einen automatischen Produktionsbetrieb für die Montage der Permanent-Magnet-Rotoren, Getriebe und elektrischen Antriebe aus. Darüber hinaus werden auch Qualitätskontrolle und Tests automatisiert. Diese Lösung soll den Automatisierungsgrad des Werks von 40 % auf 80 % steigern und eine Serienproduktion von 120.000 Aufträgen pro Jahr ermöglichen. Die automatisierte Montagestraße nutzt zahlreiche Roboter zur Installation der Rotoren sowie 3D-Positionierungs- und Führungssysteme, eine automatische Installation der Magneten mit hoher Geschwindigkeit, die automatische Einspritzung von Rotorkernen, die automatische dynamische doppelte Unwuchtkorrektur, Magnetisierung und vieles mehr. Dies umfasst 3-in- 1-Montagesysteme für Statorgehäuse, Wärmeschutzhüllen, statische Motortests, dynamische Motortests, automatisches Zuführen und Einpressen von Lagern, automatisches Zuführen und Anziehen von Bolzen sowie die automatische Messung und Auswahl von Dichtungen. Nach Expertenschätzungen könnten E- Autos im Jahr 2050 bis zu 80 % aller Neuwagenkäufe ausmachen. Dieser rasche Anstieg hätte zur Folge, dass Autohersteller nach neuen Wegen suchen, die Montage elektrischer Achsantriebe, die Elektromotoren, Getriebe und Leistungselektronik in einer Einheit kombinieren, zu automatisieren. Comau, ein Unternehmen von Stellantis, ist weltweit tätiger Anbieter industrieller Automatisierungslösungen und -systeme. Zum umfangreichen Portfolio gehören Technologie und Systeme für die Fertigung von Elektro-, Hybrid- und herkömmlichen Fahrzeugen, Industrieroboter, kollaborative und tragbare Roboter, selbststeuernde Logistiklösungen sowie vernetzte digitale Dienstleistungen und Produkte, um Maschinen- und Prozessdaten zu übermitteln und analysieren. www.comau.com Foto: Comau Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 8 IM FOKUS Fahren „schlaue“ Pakete künftig mit Bus und Bahn? D as Forschungsprojekt „CargoSurfer“ will im ländlichen Raum freie Kapazitäten des Öffentlichen Personennahverkehrs für den Transport von Gütern nutzen - wobei Pakete ebenso gemeint sind wie frische regionale Produkte. Die Situation: Im ländlichen Raum bleiben einerseits viele Sitzreihen in Bussen und Regionalbahnen oft leer, sodass immer wieder Linien eingestellt werden. Andererseits besteht gerade abseits der Städte Bedarf für funktionierende Lieferketten, etwa für Bestellungen aus dem Online-Handel. Im Idealfall reduziert CargoSurfer Verkehr und Emissionen, spart Kosten und steigert die Effizienz des Transportverkehrs. Fracht im öffentlichen Nahverkehr mitzunehmen, funktioniert jedoch nur, wenn alles lückenlos überwacht wird und zuverlässig ankommt. Künstliche Intelligenz soll die Fracht „intelligent“ machen. Eine von der Kühne Logistics University in Hamburg zu entwickelnde Software fährt quasi als virtueller Paketkurier mit. Treten während der Fahrt Probleme auf, wie zum Beispiel ein Stau oder Verspätungen der Bahn, werden diese eigenständig von der Fracht erkannt. Wird der vorgesehene Anschluss nicht erreicht, werden alle Beteiligten rechtzeitig informiert und gleich ein neuer Transportplan erstellt. Rund ein Jahr lang wird die Entwicklung der Software voraussichtlich in Anspruch nehmen, ehe das System in der Praxis erprobt werden kann und die ersten intelligenten Pakete sich in Hessen auf den Weg machen. Dabei greift man auf eine bereits markterprobte Anwendung im Bedarfsverkehr der Trapeze Group Deutschland GmbH zurück, die nun für das Gütermitnahmesystem aufgerüstet wird. Als regionale Logistik-Partner sind die cantus Verkehrsgesellschaft mbH und Regionalverkehr Main-Kinzig GmbH dabei. Projektpartner bei „CargoSurfer“ sind die Vereine „Gutes aus Waldhessen“ und „SPESSARTregional“, das Behinderten- Werk Main-Kinzig, die Verkehrsgesellschaften Cantus und Regionalverkehr Main-Kinzig, die Kühne Logistics University, Trapeze Group Deutschland GmbH und die LaLoG LandLogistik GmbH, die das Projekt leitet. Das Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr (BMDV) fördert das Vorhaben über eine Dauer von drei Jahren im Rahmen der Forschungsinitiative „mFUND“. www.landlogistik.eu Neue KRITIS-Verordnung fordert besseren Schutz vor Hackern W orst-Case-Szenarien nach Cyberattacken sind keine Utopie mehr. Sogenannte Kritische Infrastrukturen (KRITIS), also systemrelevante Unternehmen und Organisationen, zu denen etwa Krankenhäuser und Energieunternehmen zählen, sind immer öfter Opfer massiver Cyberangriffe. Cyberangriffe seien für KRITIS-Betreiber aller Branchen beinahe an der Tagesordnung, berichtet das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Vor allem das Internet birgt enorme Gefahren: 35 % der KRITIS-Unternehmen waren laut einer aktuellen Studie von techconsult in den zurückliegenden Monaten Opfer eines Hackerangriffs, 56 % der Angriffe kamen über Phishing-Mails zustande. Beunruhigend: Knapp die Hälfte der 200 Teilnehmer der Umfrage setzt in solchen Fällen ausschließlich auf die Eigenverantwortung der Belegschaft. Am 1. Januar 2022 trat nun eine Anpassung der BSI-KRITIS-Verordnung (KRI- TIS-V) in Kraft, um systemrelevante Unternehmen und Organisationen besser vor solchen Angriffen zu schützen. Die „Zweite Verordnung zur Änderung der BSI-KRITIS- Verordnung“ erweitert den Kreis der kritischen Infrastrukturen zugeordneten Unternehmen. Solche KRITIS sind besonderen IT-Sicherheitsvorkehrungen unterworfen, die im IT-Sicherheitsgesetz 2.0 (IT-SiG 2.0) als strenge Schutzmaßnahmen und Meldepflichten definiert sind. Betroffen von den Änderungen ist auch der Sektor Transport und Verkehr. Logistikunternehmen mit mehr als 53,2 Mio. Sendungen pro Jahr fallen nun ebenso unter die KRITIS-Verordnung wie Nahverkehrsbetriebe mit 125 Mio. Fahrgästen jährlich. Da auch Schwellenwerte im Luftverkehr sowie in der See- und Binnenschifffahrt angepasst wurden, erhöht sich die Anzahl betroffener Unternehmen in diesem Sektor um mehr als 70 Betreiber. Dazu gehören zum Beispiel künftig die Flugsicherung und Verkehrszentralen von Fluggesellschaften. Neu im IT-SiG 2.0 ist unter anderem auch, dass der Gesetzgeber für Verstöße Geldstrafen bis 20- Mio. EUR oder 4 % des gesamten weltweit erzielten jährlichen Unternehmensumsatzes vorsehen kann. Guten Schutz vor externen Angriffen aus dem Internet - etwa durch Ransomware und Malware - ist laut Rohde & Schwarz Cybersecurity ein virtueller Browser wie der im Auftrag des BSI entwickelte „R&S Browser in the Box“. Schutz vor potenziell unsicheren Komponenten im Betriebssystem bieten spezielle Zero-Trust-Produkte wie der „R&S Trusted VPN Client“, die unabhängig vom Windows-Betriebssystem arbeiten. Angriffe etwa aufgrund von Sicherheitslücken laufen dann ins Leere. www.rohde-schwarz.com Foto: Pavel Danilyuk / Pexels Foto: Rohde & Schwarz Cybersecurity Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 9 IM FOKUS Wo wir Mobilität für eine lebenswerte Zukunft neu denken. polis-mobility.com Begegnungen verändern alles. Wir bringen auf der neuen Messe für urbane Mobilität erstmalig Wirtschaft, öffentliche Hand und Zivilgesellschaft zusammen. Und gestalten gemeinsam die Städte der Zukunft. Köln, 18.-21.05.2022 polisMobility_2022_Anzeige_Int_Verkehrswesen_210x139mm_DE.indd 1 polisMobility_2022_Anzeige_Int_Verkehrswesen_210x139mm_DE.indd 1 26.01.22 15: 54 26.01.22 15: 54 Neuer Stadtbahntunnel für Karlsruhe in Betrieb S eit 11. Dezember 2021 ist der neu gebaute Stadtbahntunnel in Karlsruhe in Betrieb. Bauherr der sogenannten städtischen Kombilösung zur Weiterentwicklung des Karlsruher Modells ist die Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft (KASIG), die das Projekt nach Fertigstellung an die Verkehrsbetriebe Karlsruhe (VBK) übergeben hat. Insgesamt geht es dabei um zwei unterirdische Gleise mit sieben Haltestellen, darunter die fünf U-Bahn-Stationen Kronenplatz, Marktplatz (Kaiserstraße), Europaplatz, Marktplatz (Pyramide) und Ettlinger Tor, die vom Frankfurter Unternehmen TM Ausbau ausgestattet wurden. Auf einer Strecke von insgesamt 3,4 Kilometern fahren nun Straßenbahnen und Stadtbahnen durch den T-förmigen Tunnel. Durch die so entstandene straßenbahnfreie Fußgängerzone gewinnt die Karlsruher Innenstadt deutlich an Attraktivität. Der technisch sehr anspruchsvolle Ausbau der fünf U-Bahn-Stationen erforderte ausschließlich Sonderkonstruktionen und Sondermaterialien. Oberste Priorität hat der Brandschutz: Alle eingesetzten Baustoffe entsprechen der Baustoffklasse A. Es durften weder brennbare Baustoffe und Oberflächen noch verzinkte Elemente genutzt werden. Die Bauteile bestehen aus Edelstahl bzw. Spezialstählen mit Korrosionsschutzklasse 5, der höchsten Klasse im Ausbau. Das Ausbauunternehmen übernahm die gesamte Werk- und Montageplanung inklusive der statischen Berechnungen. In diesem Rahmen nahmen die Spezialisten bei den Konstruktionen an den Bahnsteigen eine sogenannte Heißbemessung für eine Temperaturbeanspruchung der tragenden Konstruktionen bis 800 °C über einen Zeitraum von 30 Minuten bei gleichzeitigen Windlasten von 50kg/ m 2 vor. Sonderanfertigungen sind auch die Bahnsteigdecken inklusive Beplankungen aus Glasgranulat- Platten mit Akustikbeschichtungen, die Bahnsteigvorsatzschalen mit Beplankung aus Zementplatten und weitere Sonderkonstruktionen. In der Bauvorbereitung spielte die Baustellenlogistik eine zentrale Rolle. Alle Materialien wurden am Großmarkt Karlsruhe angeliefert und dort von der Baustellenlogistik auf einen 7,5-Tonner-LKW umgeladen, der das Material drei Kilometer weit durch die Stadt bis zur Rampe transportierte. Hier wurde die Lieferung auf eine Gleislore umgeladen und von einem Zwei- Wege-Bagger zu den verschiedenen Bahnhöfen gezogen. www.tm-ausbau.eu Foto: TM Ausbau Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 10 IM FOKUS Instandhaltung 4.0: Optimierter Zugservice in der Ostschweiz I n Zusammenarbeit mit dem Regionalfahrzeug Instandhaltungscenter Ostschweiz (RICO) der Schweizerischen Bundesbahnen AG (SBB) hat Kistler eine neue Bremskraft-Messlösung für Züge entwickelt, die den gesamten Wartungsprozess vor Ort effizienter macht. Alle Komponenten des Systems passen in einen Koffer; eine kundenindividuelle Softwarelösung sorgt für reibungslose Abläufe. Die neue BFMS (Brake Force Measurement Solution) für RICO besteht aus vier Bremskraftsensoren, dem modularen Datenerfassungssystem KiDAQ in Kompaktausführung und einem Notebook mit der Applikationssoftware. Alle Komponenten finden in einem robusten Hartschalenkoffer Platz, der einen flexiblen Transport von Wagen zu Wagen ermöglicht. Bei Bedarf besteht die Möglichkeit, die Messapplikationssoftware drahtlos über die hauseigenen Tablets der RICO-Mitarbeitenden zu steuern. Die Servicetechniker werden von der BFMS-Software Schritt für Schritt durch den Prozess geführt: Nach Auswahl des Zugtyps werden dem Anwender die Reihenfolge der Drehgestelle und die Anzahl der Bremsen übersichtlich grafisch dargestellt. Anschließend kann mit den vier Bremskraftsensoren ein komplettes Drehgestell in einem Prozessschritt ausgemessen und auf einen Blick visualisiert werden: gemessene Bremskraft pro Rad und Drehgestell, Kraftwirkung im zeitlichen Verlauf sowie eine direkte Einordnung und Bewertung prozessspezifischer Kennwerte gegenüber vorgegebenen Referenzen. Pro Drehgestell sind mindestens drei Messungen durchzuführen, deren Durchschnittswert innerhalb der Vorgabe liegen muss. Alle Messreihen werden sowohl lokal als auch sicher in der Cloud gespeichert. So können zum Beispiel vorangegangene Messungen am selben Zug jederzeit abgerufen, verglichen und in das automatische Reporting mit einbezogen werden. Das RICO in Oberwinterthur ist einer von elf regionalen Servicestandorten der SBB. Die Zuständigkeit umfasst Unterhalt, Reparaturen und Umbauten der Zugflotte von Thurbo, einem regionalen Tochterunternehmen der SBB für die Ostschweiz, sowie weiterer Züge der bundesdeutschen SBB GmbH, ebenfalls eine SBB-Tochter. Der überwiegende Teil der betreuten Flotten besteht aus zwei- oder mehrteiligen Gelenktriebwagen, die im S-Bahn- und Regionalverkehr zum Einsatz kommen. www.kistler.com Foto: Kistler Historische S-Bahnstrecke wird reaktiviert N ach mehr als 40 Jahren soll die S-Bahnstrecke der sogenannten Siemensbahn in Berlin reaktiviert werden. Die von 1927 bis 1929 erbaute S-Bahnstrecke verläuft über 4,5 Kilometer von Jungfernheide im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf bis nach Gartenfeld im Bezirk Spandau. Seit dem Reichsbahnerstreik im Jahr 1980 ist diese Strecke nicht mehr in Betrieb. In den kommenden Jahren soll der Innovationsund- Wissenschaftscampus „Siemensstadt 2 “ im Spandauer Ortsteil Siemensstadt mit rund 10.000 neuen Wohnungen entstehen. Deshalb soll die S-Bahnstrecke nun reaktiviert werden, um dieses neue Stadtviertel zu erschließen und schnelle Anschlüsse an den Hauptbahnhof und den Berliner Flughafen zu ermöglichen. Für das umfangreiche Projekt sind umfangreiche Planungsleistungen erforderlich. Da die zweigleisige, elektrifizierte Strecke und die vorhandene Infrastruktur seit gut 40 Jahren nicht mehr instandgehalten wurden, müssen Gleisanlagen und Oberbau vollständig erneuert werden. Für die bestehenden Bahndämme ist eine Erneuerung oder Ertüchtigung geplant. Gleiches gilt für Ingenieurbauwerke wie Eisenbahnüberführungen, Viadukte oder Stützbauwerke. Eine rund 70 Meter lange Brücke über die Spree muss neu gebaut werden. Im Bahnhof Jungfernheide ist ein drittes S-Bahn-Gleis geplant, das mit einer dritten Bahnsteigkante einschließlich Überdachung und Zugängen neu gebaut werden soll. Instandgesetzt werden müssen auch die Haltepunkte Wernerwerke und Siemensstadt sowie der Bahnhof Gartenfeld. Dabei müssen die Planungen teilweise spezielle Anforderungen erfüllen, denn die im Bezirk Spandau befindlichen baulichen Anlagen der Siemensbahn stehen seit 1995 unter Denkmalschutz. Das Ingenieurbüro Sweco übernimmt die Gesamtprojektleitung, die kaufmännische Federführung und die BIM-Gesamtkoordination des Auftragnehmers. Außerdem ist das Büro für die Objektplanung der Verkehrsanlagen, die Objekt- und Tragwerksplanung für Ingenieurbauwerke wie Stützbauwerke, Lärmschutzwände, Eisenbahnüberführungen und Bahnsteiganlagen, die Fachplanungen für Oberleitungen, Leit- und Sicherungstechnik sowie die Umweltplanung verantwortlich. Der Antrag zum Planrecht beim Eisenbahn-Bundesamt soll im Jahr 2024 eingereicht werden. Die Inbetriebnahme der reaktivierten S-Bahnstrecke der Siemensbahn ist für Ende 2029 geplant. www.sweco-gmbh.de Foto: DB AG Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 11 IM FOKUS verkehr.bremen.de asv.bremen.de MOBILITÄTS- VISIONÄRE GESUCHT! Wir suchen Menschen, die interdisziplinär planen, Mobilität kreativ denken und Projekte innovativ realisieren. Bewerben Sie sich jetzt als Planer: in oder Ingenieur: in! SB-21-093 RZ Anz_IntVerkehrswesen_210x139.indd 1 SB-21-093 RZ Anz_IntVerkehrswesen_210x139.indd 1 12.04.21 10: 02 12.04.21 10: 02 Testzug mit Digitaler Automatischer Kupplung unterwegs auf europäischen Bahnstrecken E in Zug mit neuartigen Digitalen Automatischen Kupplungen ist in einem mehrmonatigen Praxistest auf europäischen Bahnstrecken unterwegs. Die Digitale Automatische Kupplung (DAK) ist ein wesentlicher Bestandteil der Digitalisierung von Güterzügen und ein entscheidender Hebel, um die Schiene gegenüber der Straße wettbewerbsfähiger zu machen. Sie ermöglicht es, Güterwagen automatisch, also ohne Handarbeit zu kuppeln. Auch die Wagenverbindungen für die Bremsen werden automatisch hergestellt. Erstmals können Güterwagen mit durchgehenden Strom- und Datenleitungen ausgerüstet sein. Mit der DAK sind schnellere, automatisierte Rangierabläufe möglich. In Summe steigt die Kapazität von Umschlagbahnhöfen wesentlich. Güterzüge können mit der neuen Kupplungstechnik auch länger und schwerer werden, mit höherem Tempo als bisher unterwegs sein und dadurch im Schienenverkehr besser „mitschwimmen“. Das erhöht die Kapazität im Schienennetz. Die DAK soll also maßgeblich dazu beitragen, die europäischen Klimaziele zu erfüllen. Die Fahrt des „Güterzugs der Zukunft“ ging zunächst von Deutschland aus nach Österreich und anschließend in die Schweiz, weitere EU-Länder sollen folgen. Dabei wird die DAK in anderen Fahrsituationen erprobt, als dies in Deutschland möglich wäre. Dazu gehören stärkere Steigungen, engere Kurven oder andere klimatische Bedingungen. Der Praxistest soll die DAK zur Serienreife führen und Ende dieses Jahres abgeschlossen werden. Streckenfahrten in Deutschland und Kuppelversuche auf Rangierbahnhöfen fanden bereits in den vergangenen Monaten statt. Der Testzug ist Teil eines Forschungsprojekts, das vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) finanziert wird. Daran beteiligt ist ein Konsortium aus der DB und ihrer Tochter DB Cargo, den schweizerischen und den österreichischen Güterbahnen SBB Cargo und Rail Cargo Austria sowie den Wagenhaltern Ermewa, GATX Rail Europe und VTG. Ziel ist die EU-weite Einführung der DAK. www.bmvi.de Foto: DB AG