eJournals Internationales Verkehrswesen 74/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0004
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Bausteine für einen klimagerechten Verkehr

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Manuel Hendzlik
Martin Lange
Philipp Klöckner
Martin Lambrecht
Kilian Frey
Katrin Dziekan
Miriam Dross
Martin Schmied
Der Verkehrssektor in Deutschland muss bis 2045 treibhausgasneutral sein. Bisherige Maßnahmen reichen aber noch nicht aus, um das für 2030 gesteckte Klimaschutzziel zu erreichen. Vorhergesagt ist eine Lücke beim Klimaschutz im Verkehr von 41 Mio. t CO2-Äquivalenten. Dieser Beitrag stellt acht Bausteine des Umweltbundesamtes (UBA) zum Schließen der Lücke vor: Effizienz und Elektrifizierung von PKW, Effizienz und Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge, Abbau klimaschädlicher Subventionen, verursachergerechte Bepreisung, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Ausbau der Schiene, Stärkung des Umwelt- verbunds und postfossile Kraftstoffe.
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POLITIK Klimaschutz Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 14 Bausteine für einen klimagerechten Verkehr Klimaschutz im Verkehr, Treibhausgase, Verkehrspolitik, Verkehrswende, Energiewende im Verkehr Der Verkehrssektor in Deutschland muss bis 2045 treibhausgasneutral sein. Bisherige Maßnahmen reichen aber noch nicht aus, um das für 2030 gesteckte Klimaschutzziel zu erreichen. Vorhergesagt ist eine Lücke beim Klimaschutz im Verkehr von 41 Mio. t CO2-Äquivalenten. Dieser Beitrag stellt acht Bausteine des Umweltbundesamtes (UBA) zum Schließen der Lücke vor: Effizienz und Elektrifizierung von PKW, Effizienz und Elektrifizierung schwerer Nutzfahrzeuge, Abbau klimaschädlicher Subventionen, verursachergerechte Bepreisung, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Ausbau der Schiene, Stärkung des Umweltverbunds und postfossile Kraftstoffe. Manuel Hendzlik, Martin Lange, Philipp Klöckner, Martin Lambrecht, Kilian Frey, Katrin Dziekan, Miriam-Dross, Martin Schmied M obilität ist ein unverzichtbarer Teil des täglichen Lebens. Der Verkehr ist jedoch auch einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Um den Anforderungen des Pariser Klimaschutzabkommens und den Minderungsnotwendigkeiten nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) für 2030 gerecht zu werden, muss der Verkehr in Deutschland seine Treibhausgasemissionen bereits in den kommenden Jahren schnell und drastisch mindern (UBA 2021a). Dieser Text basiert auf einer umfangreicheren Darstellung des Umweltbundesamtes in deren Internetangebot. Treibhausgasemissionen und Klimaschutzziele des Verkehrs in Deutschland Im Jahr 2019 war der Verkehrssektor für rund 164 Millionen Tonnen (Mio. t) Treibhausgase (berechnet als CO 2 -Äquivalente; kurz: CO 2 -Äq.) verantwortlich und ist damit der einzige Sektor, der seine Treibhausgasemissionen seit 1990 nicht mindern konnte. Er trug mit einem Anteil von 20 % zu den Treibhausgasemissionen Deutschlands bei (1990: 13 %). Eine deutliche Verringerung der Emissionen brachte kurzfristig nur die Corona-Pandemie (rund 146 Mio. CO 2 -Äq. in 2020). Nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz müssen die Treibhausgasemissionen des Verkehrs auf 85 Mio. t CO 2 -Äq. im Jahr 2030 sinken - im Vergleich zum Jahr 2019 ist dies fast eine Halbierung (-48 %). Bis- zum Jahr 2045 muss Deutschland laut- KSG treibhausgasneutral werden, was für den Verkehrssektor die Reduktion der- Treibhausgasemissionen auf null bedeutet. Mit den bisher beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen können die Treibhausgasemissionen im Verkehr laut aktuellem Projektionsbericht der Bundesregierung auf rund 126 Mio. t CO 2 -Äq. in 2030 gesenkt werden (Bundesregierung 2021). Damit würde der Verkehrssektor sein Ziel von 85 Mio. t um rund 41 Mio. t CO 2 -Äq. verfehlen. Auch die im KSG festgelegten Emissionsziele für die einzelnen Jahre bis 2030 werden laut Projektionsbericht überschritten - beispielsweise im Jahr 2025 um 28 Mio. t CO 2 - Äq. Das erhöht den Druck auf die Politik, im Verkehrssektor nachzusteuern und bei allen Klimaschutzmaßnahmen ein deutlich höheres Tempo vorzulegen (Bild 1). Die Ergebnisse des Projektionsberichts dienen als Grundlage der hier vorgelegten Instrumente und Maßnahmen, also als Referenzentwicklung. Denn diese Projektion schließt bereits beschlossene Maßnahmen und erwartete Entwicklungen, wie etwa einen CO 2 -Preis von 125 EUR/ t CO 2 für das Jahr 2030, schon ein. Auch die beschlossenen europäischen CO 2 -Flottenzielwerte für PKW, leichte und schwere Nutzfahrzeuge werden in der Referenz eingerechnet, ebenso wie ein verhältnismäßig hoher Anteil erneuerbarer Kraftstoffe durch die nationale Umsetzung der Erneuerbare-Energie- Richtlinie (RED II) der EU. Der richtige Rahmen: Verkehrsrecht und Verkehrsplanung Das Straßenverkehrsrecht steht in seiner gegenwärtigen Form einer klimagerechten Mobilität im Weg. Es schränkt die Gestaltungsspielräume der Kommunen stark ein Bild 1: Treibhausgasemissionen im Verkehr in Deutschland, Projektionen 2021-2030 sowie Ziele nach Klimaschutzgesetz Quelle: Umweltbundesamt, Bundesregierung Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 15 Klimaschutz POLITIK und folgt im Wesentlichen der Prämisse von Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs mit einer starken Priorisierung des motorisierten Individualverkehrs. Die Hemmnisse für mehr Klimaschutz im Straßenverkehrsrecht sollten aufgelöst werden (UBA 2021b). Auf Bundesebene bedarf es einer integrierten Planung der Verkehrsinfrastruktur über alle Verkehrsträger hinweg. Die Planung sollte sich an den Klimaschutzzielen orientieren und im Voraus antizipieren, welche Infrastrukturen für mehr Klimaschutz im Verkehr erforderlich sind. Sicher ist, dass sich diese erheblich von den bestehenden unterscheiden werden. Auch weitere Nachhaltigkeitsaspekte wie soziale Verträglichkeit, Umweltschutz und Öffentlichkeitsbeteiligung sollten in die Planung einfließen. Hierfür ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Dieses Gesetz sollte Vorgaben dafür enthalten, wie sich Personen- und Güterverkehr entwickeln sollen. Acht Bausteine für ambitionierten Klimaschutz im Verkehr Klimaverträglicher Verkehr verändert die Mobilität und erfordert ein Umdenken in vielen Bereichen. Es müssen verschiedene Hebel gleichzeitig bedient werden. Die notwendigen Maßnahmen lassen sich acht zentralen Bausteinen zuordnen, die ordnungsrechtliche, ökonomische sowie infrastrukturelle Instrumente enthalten (Bild 2). Jeder einzelne Baustein ist für einen klimaverträglichen Verkehr unverzichtbar, seine konkrete Ausgestaltung ist aber flexibel. Durch einen ausgewogenen Mix der Instrumente können Lasten, Kosten und notwendige Veränderungen zwischen Staat, Wirtschaft und Bürger*innen aufgeteilt und sozialverträglich gestaltet werden. Die im Folgenden vorgestellten Maßnahmen in den achten Bausteinen gehen über die bereits beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung hinaus - dies ist notwendig, um die Klimaschutzlücke 2030 zu schließen. Baustein 1: Effizienz und Elektrifizierung für PKW und leichte Nutzfahrzeuge Für PKW und leichte Nutzfahrzeuge (LNF) gibt es zwei Hebel für mehr Klimaschutz: eine höhere Effizienz und damit ein geringerer Energieverbrauch der Fahrzeuge sowie die Elektrifizierung der Antriebe. Um das Klimaschutzziel im KSG bis 2030 zu erfüllen, sind in Deutschland rund 16 Mio. Elektro-PKW und Elektro-LNF erforderlich, die Verbrennerfahrzeuge ersetzen. Die europäischen CO 2 -Standards für PKW und LNF sind wesentliche Treiber für einen Markthochlauf der Elektrofahrzeuge und für eine bessere Effizienz neuer Fahrzeuge. Allerdings müssten die Standards deutlich verschärft werden, um mehr Tempo in die Elektrifizierung der Fahrzeuge zu bringen. Eine Verschärfung der CO 2 -Standards auf 80 % bis 2030 gegenüber 2021 ist nach Analysen des UBA notwendig (heute: -37,5 % bei PKW und -31 % bei LNF bis 2030, Planung der EUKommission: -55 % bzw. -50 %). Außerdem bedarf es eines ambitionierten Zwischenziels für 2025 von -30 % gegenüber 2021 (heute: -15 %) sowie konkreter Ziele für alle Folgejahre bis 2030. Plug- In-Hybride sollten zudem nur noch mit einem realistischen durchschnittlichen elektrischen Fahranteil auf die CO 2 -Flottenzielwerte angerechnet werden. Die Alternative zu deutlich nachgeschärften CO 2 -Flottenzielwerten ist eine nationale E-Quote. Diese Quote von Elektrofahrzeugen an neuzugelassenen PKW und LNF müsste für ähnliche hohe Minderungen bei 40 % im Jahr 2025 und bei 85 % im Jahr 2030 liegen. Im EU-Recht sollte eine Möglichkeit zur Einführung nationaler E-Quoten verankert werden. Flankierend sollte ein Bonus-Malus-System für Neuwagen eingeführt werden, das die Kaufpreise für klimaschonende PKW senkt und klimaschädliche PKW verteuert, ohne dass Steuergelder dafür ausgegeben werden müssen. Baustein 2: Effizienz und Elektrifizierung für schwere Nutzfahrzeuge Schwere Nutzfahrzeuge (SNF) verursachen mehr als ein Viertel der deutschen Treibhausgasemissionen im Verkehr. Die Verlagerung von Straßengütertransporten auf klimaschonendere Verkehrsträger wie Bahn und Binnenschiff ist eine wichtige Klimaschutzmaßnahme. Allerdings würden selbst bei einer Verdopplung der heutigen Güterverkehrsleistung auf der Schiene bis 2030 noch immer knapp 60 % der gesamten Güterverkehrsleistung auf die Straße entfallen. Daher sind eine Steigerung der Effizienz von SNF sowie die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs unverzichtbar. Um das Angebot an effizienten konventionellen bzw. elektrischen LKW auszuweiten und deren Marktanteile schnell zu steigern, müssten nach Berechnung des UBA die europäischen CO2-Flottenzielwerte für SNF auf -50 % gegenüber 2021 verschärft werden (derzeit -30 %, eine Revision der EU-Verordnung ist für 2022 vorgesehen). Zudem wären jährlich steigende Minderungsanforderungen für die Jahre zwischen 2025 und 2030 sinnvoll. Oberleitungshybrid-LKW sind die kostengünstigste und klimaschonendste Option für den Fernverkehr auf der Straße. Daher sollte unverzüglich mit dem Aufbau einer Oberleitungsinfrastruktur für LKW auf deutschen Autobahnen begonnen werden mit dem Ziel, bis 2030 in Summe rund 1.700-km zu elektrifizieren. Motor für eine nachhaltige Entwicklung des Schwerlastverkehrs kann die LKW-Maut sein. Zwingend erforderlich ist dann die Ausweitung der LKW-Maut auf alle Straßen und auf alle LKW ab 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht ab 2025 sowie die Integration einer zusätzlichen CO 2 -Komponente in die Mauttarife ab 2023. Baustein 3: Abbau klimaschädlicher Subventionen Der Abbau klimaschädlicher Subventionen ist zentral für das Erreichen von Klimaschutzzielen. Dieselprivileg, Dienstwagenbesteuerung, Entfernungspauschale und Subventionen für den Luftverkehr sind nicht nur umwelt- und klimaschädlich, sondern kosten den Staat viel Geld und haben häufig negative soziale Verteilungswir- 2 PKW: Elektrifizierung und Effizienz <<<<<<< Verschärfung CO 2 - Flottengrenzwerte Nationale E-Quote Bonus-Malus-System Verursachergerechte Bepreisung <<<<<<< CO 2 -Bepreisung PKW-Maut ab 2030 LKW: Elektrifizierung und Effizienz <<<<<<< Verschärfung CO 2 - Flottengrenzwerte LKW-Maut (CO 2 -Preis) Oberleitungs-LKW Abbau klimaschädlicher Subventionen <<<<<<< Dieselprivileg Dienstwagenprivileg Entfernungspauschale Luftverkehr Postfossile Kraftstoffe <<<<<<< Treibhausgasquote PtL-Quote für den Luftverkehr Stärkung Umweltverbund <<<<<<< Attraktiver ÖPNV Rad- und Fußverkehr Digitale Lösungen und Sharing Geschwindigkeitsbegrenzung <<<<<<< 120 km/ h auf Autobahnen 80 km/ h außerorts 30 km/ h innerorts Integrierte Verkehrsplanung Reform des Verkehrsrechts Rahmenbedingungen Bausteine Ausbau Schiene <<<<<<< Infrastrukturfonds Digitalisierung Schienengüterverkehr Bild 2: Bausteine für klimaverträglichen Verkehr Quelle: Umweltbundesamt POLITIK Klimaschutz Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 16 kungen (UBA 2021c). Ohne klimaschädliche Subventionen erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit umweltfreundlicher Verkehrsträger, so dass deren Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen wachsen kann. Darüber hinaus setzt die Abschaffung von Subventionen Anreize zu Verkehrsvermeidung. Der durch den Subventionsabbau geschaffene finanzielle Spielraum für den Staat sollte neben der Abfederung sozialer Härten (v. a. bei der Entfernungspauschale) für den Ausbau von Bus und Bahn genutzt werden. Konkret sollte die Subventionierung von Dienstwagen ab 2022 schrittweise abgebaut werden, um Steuerneutralität herbeizuführen. Kosten für private Fahrten mit dem Dienstwagen müssten dann die Fahrer*innen selbst tragen. Gleichzeitig sollte die Begünstigung von Plug-In Hybriden zeitnah entfallen, da ihr Beitrag zur Emissionsminderung klein ist. Die Energiesteuer für Diesel sollte ab 2023 schrittweise auf das Niveau der Energiesteuer von Benzin (bemessen am Energiegehalt) angehoben werden, wodurch das Dieselprivileg von heute 18,4 Cent pro Liter Diesel entfällt. Die Entfernungspauschale sollte 2027 abgeschafft werden. Um soziale Härten abzufedern, sollten Wegekosten in Härtefällen bei der Einkommenssteuer berücksichtigt werden. Umweltschädliche Subventionen für den Luftverkehr sollten parallel zur Weiterentwicklung ökonomischer Instrumente (z. B. Emissionshandel) zeitnah abgebaut werden. Das betrifft vor allem die Energiesteuerbefreiung von Kerosin, die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge und die Subventionierung von Regionalflughäfen. Baustein 4: Verursachergerechte Bepreisung Wer einen Schaden verursacht, sollte diesen zahlen. Eine verursachergerechte Bepreisung von Klimaschäden hat großes Potenzial für Klimaschutz. Starke Wirkung entfaltet ein kontinuierlicher und planbar ansteigender CO 2 -Preis. Dieser sollte allerdings deutlich ambitionierter sein als aktuell im Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen (Brennstoffemissionshandelsgesetz - BEHG) beschlossen. So sollten die Fixpreise des BEHG von 2023 bis 2026 verdoppelt werden (z. B. 2023: 70 statt 35 Euro/ t CO 2 ) und im Jahr 2030 ein CO 2 -Preis von mindestens 200 bis 250 Euro / t erreicht werden (nominal). Die zusätzlichen Einnahmen werden für eine substantielle Absenkung der EEG- Umlage genutzt, um die CO 2 -Bepreisung sozialverträglich zu flankieren und gleichzeitig klimaverträgliche Antriebstechnologien zu fördern. Zusätzliche Einnahmen des Staates könnten zudem für eine Pro-Kopf- Klimaprämie an private Haushalte und Klimaschutzmaßnahmen im Verkehr genutzt werden. Ein höherer CO 2 -Preis kann damit sozial gerecht ausgestaltet werden und führt nicht zwangsläufig zu Mehrkosten für die Bürger*innen. Beim Brennstoffemissionshandel ist zu bedenken: Mit einer steigenden Zahl an Elektrofahrzeugen nimmt die Steuerungswirkung von Energiesteuer und CO 2 -Preis ab. Mit sinkenden Benzin- und Dieselmengen werden die staatlichen Einnahmen zur Finanzierung des Verkehrs stark zurückgehen. Um die Finanzierungslücke zu schließen, sollte in den kommenden Jahren die Einführung einer fahrleistungsabhängigen PKW-Maut auf allen Straßen vorbereitet werden. Baustein 5: Geschwindigkeitsbegrenzungen Die Einführung allgemeiner Geschwindigkeitsbegrenzungen auf allen Straßen in Deutschland wäre ein kurzfristig realisierbarer, kostengünstiger und wirksamer Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen des Verkehrs. Zudem würde auch die Verkehrssicherheit erhöht und die Lärm- und Schadstoffemissionen gemindert. Konkret schlägt das Umweltbundesamt ein generelles Tempolimit von 120 km/ h auf Autobahnen, ein generelles Tempolimit von 80 km/ h außerorts und eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/ h innerorts vor. Baustein 6: Ausbau Schiene Der Schienenverkehr spielt in einem klimaverträglichen Verkehrssystem eine tragende Rolle. Die Bundesregierung hat das Ziel, die Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr bis 2030 zu verdoppeln und den Marktanteil des Schienengüterverkehrs auf 25 % (von heute 19 %) zu erhöhen. Das kann nur gelingen, wenn deutlich mehr Mittel in den Neu- und Ausbau der Schieneninfrastruktur investiert werden, unterstützt durch einen Infrastrukturfond. Auf bestimmten Hauptachsen sollten Güterverkehrstrassen prioritär geplant und mit digitaler Technik ausgestattet werden. Zudem muss die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße verbessert werden. Im Kombinierten Güterverkehr sind zusätzliche Terminals, die Weiterentwicklung der Verladetechnik und eine verbesserte Logistik zur flächendeckenden Erschließung erforderlich. Die Bahn muss wieder zuverlässig und attraktiv werden. Dazu gehört, dass der Fernverkehr im Hochgeschwindigkeitsverkehr Lücken schließt (Verlagerung von Kurzstreckenflügen), die Systemgeschwindigkeit im klassischen IC-Verkehr erhöht und vernachlässigte Mittelzentren besser eingebunden werden. Voraussetzung ist eine stärkere Digitalisierung der Infrastruktur, der Planungsprozesse und Produkte sowie ein Maßnahmenpaket zur Gewinnung von Fachkräften für Planung und Bau. Zusammenfassung der Bausteine für mehr Klimaschutz im Verkehr und deren zusätzliche Treibhausgasminderung Bausteine für Klimaschutz im Verkehr bis 2030 Zusätzliche Treibhausgasminderung (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente) Baustein 1: Effizienz und Elektrifizierung für PKW (inkl. leichte Nutzfahrzeuge) 13 bis 15 Baustein 2: Effizienz und Elektrifizierung für schwere Nutzfahrzeuge 7 bis 10 Baustein 3: Abbau klimaschädlicher Subventionen 5 bis 6 Baustein 4: Verursachergerechte Bepreisung 3 bis 5 Baustein 5: Geschwindigkeitsbegrenzungen 3 Baustein 6: Ausbau Schiene 3 bis 5 Baustein 7: Stärkung Umweltverbund 2 bis 3 Baustein 8: Postfossile Kraftstoffe keine Minderung zusätzlich zur Referenzentwicklung Insgesamt 36 bis 47 Tabelle 1: Vorschläge des UBA für Bausteine für einen klimaverträglichen Verkehr und Treibhausgasminderungen im Jahr 2030 gegenüber dem Projektionsbericht 2021 der Bundesregierung Quelle: Umweltbundesamt Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 17 Klimaschutz POLITIK Baustein 7: Stärkung Umweltverbund Kern eines klimaneutralen Verkehrssystems ist ein funktionierendes und nachhaltiges Angebot im Umweltverbund, also von Bussen und Bahnen, im Rad- und Fußverkehr sowie bei Sharing-Angeboten. Für einen attraktiven ÖPNV sollten die Regionalisierungsmittel erhöht und mehr Gelder für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine wesentliche Grundlage für die Erweiterung des Angebots und die Steigerung der Qualität. Außerdem sind digitale Lösungen (z. B. Mobility as a Service) und flexiblere Bedienformen gerade in ländlichen Räumen (z. B. Rufbusse oder Ridepooling) nötig. Rad- und Fußverkehr sind nicht nur gesunde, aktive Verkehrsformen, sondern emissionsfrei. Rad- und Fußverkehr müssten daher noch stärker gefördert und in der Verkehrsplanung von Beginn an mitgedacht werden. Deshalb sollten die Maßnahmen, die der Nationale Radverkehrsplan vorsieht, zügig umgesetzt und darüber hinaus eine mit Finanzmitteln unterlegte nationale Fußverkehrsstrategie verabschiedet werden. Baustein 8: Postfossile Kraftstoffe Aus Sicht des UBA ist die Bedeutung postfossiler, alternativer Kraftstoffe wie Power-to- Liquid (PtL, auch E-Fuels) oder Power-to-Gas (PtG) zum Klimaschutz bis 2030 begrenzt: Die Herstellung von PtL und PtG ist deutlich teurer als andere postfossile Energieversorgungsoptionen. Zudem können bis 2030 nur kleine Mengen bereitgestellt werden - und diese sind bereits im Projektionsbericht eingerechnet. Zusätzliche Potential zur Schließung der Klimaschutzlücke 2030 werden daher nicht gesehen. PtL und PtG sind Alternativen v.a. für den internationalen Luft- und Seeverkehr und sollten vorrangig dort eingesetzt werden. Neue Instrumente, die den Einsatz von PtL/ PtG auf Straße und Schiene fördern, sind derzeit wenig sinnvoll. Auch eine Anrechnung von postfossilen Kraftstoffen auf die CO 2 -Flottenzielwerte ist nicht zielführend, denn dies behindert die Verbreitung hocheffizienter Fahrzeuge und den Markthochlauf der Elektromobilität. Biokraftstoffe können ebenfalls nur sehr begrenzt zu Treibhaushausminderungen im Verkehr beitragen, da die verfügbaren Mengen nachhaltiger Optionen aus Abfall- und Reststoffen stark beschränkt sind. Ihre Rolle sollte daher nicht weiter über die bereits beschlossenen Mengen hinaus gestärkt werden. Fazit: So gelingt Klimaschutz im-Verkehr - zielsicher und sozialverträglich Die acht vorgestellten Bausteine können in Summe die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors um zusätzlich rund 36 bis 47 Mio. t CO 2 -Äq. im Jahr 2030 reduzieren und damit die Lücke von 41 Mio. t CO 2 -Äq. zwischen der Referenzentwicklung des Projektionsbericht 2021 (126 Mio. t CO 2 -Äq.) und dem Ziel des Bundes-Klimaschutzgesetzes (85 Mio. t CO 2 -Äq.) schließen. Entscheidend ist dabei: Der Beitrag einzelner Bausteine ist zwar unterschiedlich hoch, aber keiner davon ist verzichtbar, wenn das Klimaschutzziel 2030 im Verkehr sicher und sozialverträglich erreicht werden soll (Tabelle 1). Verkehr und Verkehrsentwicklung gehen alle an. Daher kollidieren im Verkehrssektor so viele Interessen, Wünsche und Vorstellungen wie in kaum einem anderen Bereich. Klar ist: Eine Verkehrswende braucht mutige Entscheidungen mit Weitblick über 2030 hinaus. Die Entwicklung eines modernen und attraktiven Angebots für Schiene, öffentlichen Verkehr, für Rad- und Fußverkehr ist beispielweise nicht innerhalb weniger Jahre zu schaffen. Zudem ist Deutschlands Verkehrspolitik in einen europäischen Rahmen eingebunden, der durch seine Gesetzgebung die Richtung vorgibt und die Spielräume für einzelne Mitgliedsstaaten begrenzt, eigene Maßnahmen und Ambitionen zu realisieren. Umso wichtiger sind deshalb ambitionierte Ziele auch auf EU-Ebene. Klar ist auch: Die Anstrengung lohnt sich. Eine Wende im Verkehr hin zu aktiven, sozial gerechten, umwelt- und klimaschonenden Verkehrsformen bringt nicht nur die deutschen und europäischen Klimaschutzziele in Reichweite. Sie mindert gleichzeitig auch Lärm und Luftbelastungen, verringert den Flächenverbrauch und fördert die Verkehrssicherheit. Vor allem aber erhöht sie die Lebensqualität und macht den öffentlichen Raum zum Begegnungsraum für alle. ■ Martin Lange, Dr. Fachgebietsleiter Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr, Umweltbundesamt, Dessau martin.lange@uba.de Philipp Klöckner Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr, Umweltbundesamt, Dessau philipp.kloeckner@uba.de Manuel Hendzlik Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Umwelt und Verkehr, Umweltbundesamt, Dessau manuel.hendzlik@uba.de Kilian Frey Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Umwelt und Verkehr, Umweltbundesamt, Dessau kilian.frey@uba.de Katrin Dziekan, Dr. Fachgebietsleiterin Umwelt und Verkehr, Umweltbundesamt, Dessau katrin.dziekan@uba.de Martin Lambrecht Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Umwelt und Verkehr, Umweltbundesamt, Dessau martin.lambrecht@uba.de Miriam Dross Fachgebietsleiterin Nachhaltige Mobilität in Stadt und Land, Umweltbundesamt, Dessau miriam.dross@uba.de Martin Schmied Abteilungsleiter Verkehr, Lärm und räumliche Entwicklung, Umweltbundesamt, Dessau martin.schmied@uba.de Weiterführende Informationen und Kurzpapiere: www.umweltbundesamt.de/ themen/ verkehr-laerm/ klimaschutz-im-verkehr QUELLEN Bundesregierung (2021): Projektionsbericht 2021. www.bmuv.de/ download/ projektionsbericht-der-bundesregierung-2021 UBA (2021a): Treibhausgasminderung um 70 Prozent bis 2030: So kann es gehen! www.umweltbundesamt.de/ publikationen/ treibhausgasminderung-um-70-prozent-bis-2030 UBA (2021b): Damit das Recht dem Klimaschutz nicht im Weg steht - Vorschläge zur Beseitigung von Hemmnissen im Straßenverkehrsrecht. www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 366/ dokumente/ uba-kurzpapier_strassenverkehrsrecht_kliv_0.pdf UBA (2021c): Umweltschädliche Subventionen in Deutschland. www. umweltbundesamt.de/ publikationen/ umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland-0