Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0005
21
2022
741
Der schwierige Drahtseilakt zwischen Fördern und Verbieten
21
2022
Frank Hütten
iv7410019
Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 19 D ie derzeit besonders in Deutschland, Österreich und Luxemburg leidenschaftlich geführte Debatte über die Absicht der EU-Kommission, durch die Taxonomieverordnung Investitionen in Gasprojekte und Atomenergie unter bestimmten Umständen als nachhaltig einzustufen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wenn in Brüssel über die Umstellung von Wirtschaft und Verkehr auf nachhaltigere Kraftstoffe diskutiert wird, dann kommen seit Monaten immer wieder die gleichen Fragen auf: Welche Technologien und Treibstoffe sollen gesetzlich gepusht und welche zurückgedrängt werden? Für welche sollen Fördermittel gezahlt, für welche sollen solche Beihilfen beschränkt oder gar verboten werden? Welche Antriebsarten werden als „Brückentechnologien“ noch für eine Übergangszeit gebraucht und wie geht man gesetzgeberisch mit ihnen um? Das Thema taucht in sehr unterschiedlichen Gesetzesinitiativen auf und wird, je nach Zuständigkeit, von unterschiedlichen Fachministern und verschiedenen Ausschüssen im Europäischen Parlament diskutiert. Einige Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Eine Verordnung und eine Richtlinie zum Gas- und Wasserstoffmarkt sollen Rahmenbedingungen für die Abkehr von fossilen und die zunehmende Versorgung mit nachhaltigeren Gasen schaffen. Regeln für den Einsatz von Wasserstoff, E-Fuels aber auch Flüssigerdgas (LNG) im Verkehr sind jedoch auch in Gesetzesvorschlägen für alternative Schiffs- und Flugzeugtreibstoffe und für den Aufbau einer Infrastruktur für alternative Treibstoffe (AFIR) enthalten und ebenfalls in der Richtlinie über Energieeffizienz. Um die Herstellungsbedingungen solcher Kraftstoffe geht es in der Richtlinie für Erneuerbare Energien, um die Bedingungen für ihren Transport in der Richtlinie für transeuropäische Energienetze. Die Wirtschaftlichkeit einzelner Kraftstoffe wird von der geplanten Energiesteuerrichtlinie beeinflusst, ihre Förderfähigkeit von speziellen EU-Beihilfeleitlinien. Wie viel Geld bei Investoren eingesammelt werden kann, entscheiden Details in der eingangs erwähnten Taxonomieverordnung. Mit der Frage, was wie stark und wie lange gefördert werden soll, beschäftigt sich aber auch die EU-Wegekostenrichtlinie (Eurovignette). Selbst vor Annahme einer Entschließung zur Binnenschifffahrtspolitik wurde im Europäischen Parlament ausführlich diskutiert, welche Rolle LNG als Brückentechnologie spielen soll. Dass die Fragen des Förderns und Zurückdrängens in unterschiedlichen EU-Gesetzen letztlich unterschiedlich beantwortet werden, ist eine große Gefahr. So etwas verwirrt Transport- und Logistikunternehmen sowie Geldgeber und erschwert ihnen Investitionsentscheidungen, statt sie zu erleichtern. Im schlimmsten Fall widersprechen sich einige EU-Gesetze und bremsen sich aus. Für Europapolitiker ist es schwer, hier eine goldene Richtschnur für konsistente Vorgaben zu finden. Manche bezweifeln, dass es eine solche geben kann. Sie zu finden, wäre aber wichtig. Angesichts des immensen Finanzbedarfs müssen sich EU und Mitgliedstaaten auf dem Weg zur Klimaneutralität nämlich sehr gut überlegen, wofür sie Beihilfen zahlen. Subventionen für Brückentechnologien, die ins Nichts führen, können sie sich nicht leisten. Ein hilfreicher Ansatz könnte sein, so gut wie möglich vom Ende her zu denken - dem Ziel Klimaneutralität bis 2050 - und dann die Etappenziele festzulegen. Wenn die Einschätzung der Experten etwa lautet, dass LNG CO 2 -Einsparungen von rund 20 Prozent erlaubt, der Verkehr bis 2050 aber 90 Prozent einsparen muss, gibt das einen Hinweis, dass dieser Treibstoff nicht mehr allzu lange gefördert werden sollte. Beachtet werden muss aber auch - differenziert nach Verkehrsträger - welche Alternativen zu fossilen Kraftstoffen es überhaupt gibt, auf was Transportunternehmen also umsteigen können, wenn sie höheren Preisen etwa für Diesel oder Kerosin entgehen wollen. Wichtig für die Frage der öffentlichen Förderung sollte auch sein, wie gut sich - um bei dem Beispiel zu bleiben - LNG-Antriebe auf nachhaltigere Treibstoffe umrüsten lassen. Das entscheidet nämlich darüber, ob sich Investitionen in Brückentechnologien langfristig lohnen. Zwar sind höchstwahrscheinlich noch nicht alle Erfindungen gemacht, die nachhaltigeren Verkehr ermöglichen. Offenheit für neue Technologien ist nötig. Aber klar ist auch, dass sich öffentliche Förderung auf die Kraftstoffe und Antriebsformen konzentrieren muss, welche die größten Emissionseinsparungen versprechen. Nutzer anderer Brückentechnologien müssen diese ab einem gewissen Zeitpunkt dann selbst finanzieren. Eine günstige Brückentechnologie kann es übrigens sein, möglichst viel Energie zu sparen. Auch wenn das etwa bedeuten könnte, zu akzeptieren, dass Frachtschiffe langsamer ans Ziel kommen als gewohnt. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Der schwierige Drahtseilakt zwischen Fördern und Verbieten
