eJournals Internationales Verkehrswesen 74/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0019
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2022
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Crowdsourcing in der Radverkehrsforschung

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2022
Martin  Temmen
Jochen Eckart
Jule Merk
Ahmet-Serdar Karakaya
David Bermbach
Im Rahmen der Aktion #besserRadfahren wurden die Zuschauer:innen des SWR dazu aufgerufen, mithilfe von Handy-Apps Situationen zu melden, in denen sie sich beim Radfahren unsicher gefühlt haben. Innerhalb eines Monats gingen über 10.000 Meldungen ein, die von einem Team der Hochschule Karlsruhe ausgewertet wurden. Diese per Crowdsourcing gewonnenen Daten lieferten nicht nur wertvolle Informationen für Forschung und Kommunen, sondern machten auch einen Perspektivwechsel möglich. Die Forschung nimmt nun die Perspektive der Radfahrenden ein, die so von Beforschten zu Forschenden werden.
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Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 66 Crowdsourcing in der Radverkehrsforschung Erfahrungen aus der wissenschaftlichen Begleitung der SWR-Mitmachaktion #besserRadfahren Subjektive Sicherheit, Radverkehr, Radwege, Forschungsmethoden, Bürgerbeteiligung Im Rahmen der Aktion #besserRadfahren wurden die Zuschauer: innen des SWR dazu aufgerufen, mithilfe von Handy-Apps Situationen zu melden, in denen sie sich beim Radfahren unsicher gefühlt haben. Innerhalb eines Monats gingen über 10.000 Meldungen ein, die von einem Team der Hochschule Karlsruhe ausgewertet wurden. Diese per Crowdsourcing gewonnenen Daten lieferten nicht nur wertvolle Informationen für Forschung und Kommunen, sondern machten auch einen Perspektivwechsel möglich. Die Forschung nimmt nun die Perspektive der Radfahrenden ein, die so von Beforschten zu Forschenden werden. Martin Temmen, Jochen Eckart, Jule Merk, Ahmet-Serdar Karakaya, David Bermbach D as Projekt #besserRadfahren des Südwestrundfunks (SWR) hatte eine große mediale Reichweite: „Mach mit bei #besser- Radfahren! , der großen SWR Mitmachaktion. Zeig uns deine Gefahrenpunkte in der Region und wir gehen der Sache auf den Grund.“ Mit diesem Slogan wurden die Zuschauer: innen und Hörer: innen der Sender des SWR zur Teilnahme an der Aktion #besserRadfahren eingeladen. Zum Aufzeigen der Gefahrenpunkte wurden die beiden Apps RADar! und SimRa genutzt. Innerhalb des Aktionzeitraums vom 22.03. bis 22.04.2021 gingen über RADar! 10.726 Meldungen zu Mängeln an der Radinfrastruktur ein, auf 2.705 Fahrten meldeten die Teilnehmenden über SimRa Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Damit handelt es sich bei der Mitmachaktion des SWR um eine der bislang umfassendsten Erhebung zum Sicherheitsgefühl im Radverkehr in Deutschland. Den Meldungen der SWR- Zuschauer: innen „auf den Grund“ ging ein Team der Hochschule Karlsruhe, indem es eine fachliche Einordung aller Meldungen und eine detaillierte Auswertung von rund 7.000 Meldungen vornahm. Im Zentrum der Untersuchung stand das subjektive Sicherheitsempfinden der Radfahrenden. Dieses stellt einen wichtigen Faktor für die Förderung des Radverkehrs dar [1 bis 4]. So ist zu beobachten, dass ein großer Anteil der Bevölkerung zwar durchaus gewillt ist, das Fahrrad öfter zu nutzen, dies jedoch aus Angst vor Unfällen nicht tut [5 bis 7]. Der Umstieg auf das Fahrrad funktioniert daher nur mit erlebter Sicherheit-[8]. Foto: Foto: A. Krebs / pixabay MOBILITÄT Datenerhebung Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 67 Datenerhebung MOBILITÄT Im Rahmen dieses Artikels werden die zentralen Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung der Aktion dargestellt. Es werden sowohl die Ergebnisse der Erhebung besprochen als auch die Erfahrungen mit der gewählten Methode des Crowdsourcings mittels Smartphone-App reflektiert. Crowdsourcing Die Aktion #besserRadfahren hatte zum Ziel, die Wünsche und Ängste der Radfahrenden im Sendegebiet des SWR (Baden- Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland) zu erforschen und für die breite Öffentlichkeit aufzubereiten. Die Untersuchung erhebt keinen Anspruch darauf, Gefahrensituationen objektiv darzustellen, sondern nimmt die Perspektive der Radfahrenden ein. Diese wurden durch die aktive und eigenverantwortliche Einbindung in die Datenerhebung selbst zu Forschenden. Derartige Crowdsourcing-Ansätze wurden bereits zuvor in unterschiedlichen Projekten der Radverkehrsforschung genutzt. Im Projekt „Mit Smartphones generierte Verhaltensdaten im Radverkehr“ wurde untersucht, inwiefern Daten der Plattform Strava für die Radverkehrsplanung genutzt werden können [9, 10]. Ebenfalls einen Crowdsourcing-Ansatz verfolgte die ECO- Sense-Studie, die durch die Firmen meindienstrad.de (Baron Mobility Service) und CoSynth sowie die Universität Oldenburg (Abteilung für Wirtschaftsinformatik VLBA) durchgeführt wurde [11]. Hier wurden die Fahrräder von mehreren hundert Proband: innen mit eigens entwickelten Sensoren ausgestattet. Aufgezeichnet wurden die gefahrenen Strecken und Geschwindigkeiten, aber auch Erschütterungen und verschiedene Umweltparameter (z. B. Temperatur, Luftdruck). Im Rahmen der begleitenden Datenanalyse waren so neben Aussagen zur Routenwahl auch Aussagen zur Beschaffenheit der Fahrradinfrastruktur möglich. Bei den beiden Projekten wurden ausschließlich objektiv messbare Indikatoren zu den Radfahrten der jeweils ausgewählten Stichprobe erhoben. Eine große Herausforderung bei Erhebungen mittels Crowdsourcing stellt die Akquise von Teilnehmer: innen dar. Diese müssen über die Erhebung und die Möglichkeiten, sich an dieser zu beteiligen, informiert werden. Des Weiteren muss die Teilnahme für potenzielle Proband: innen sinnvoll erscheinen und ohne größere Hürden möglich sein. Durch die Verbreitung der Informationen zur Aktion über die unterschiedlichen TV- und Radio-Kanäle des SWR waren für #besserRadfahren beste Voraussetzungen gegeben, um ein möglichst breites Proband: innenfeld zu generieren. Die Hürden zur Teilnahme waren denkbar gering, da die beiden genutzten Apps über Google Play und den App Store erhältlich und so für die meisten Smartphone-Nutzer: innen (Android und iOS) leicht zugänglich sind. Als Motivation für die Teilnahme diente schließlich das Versprechen, den gemeldeten Gefahrenpunkten „auf den Grund zu gehen“ und die Anliegen der Teilnehmenden ernst zu nehmen und ihnen Gehör zu verschaffen. Somit ergänzten sich die Kooperationspartner des Südwestdeutschen Rundfunks (diverse Beiträge auf allen Kanälen des SWR: Radio, Fernsehen, Webseite und soziale Medien) mit den Teams der Hochschule Karlsruhe (wissenschaftliche Begleitung) und der Technischen Universität Berlin (Entwicklung der SimRa-App). Die beiden genutzten Apps setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Sie sind unterschiedlich zu bedienen und stellen unterschiedliche Anforderungen bei der Auswertung der Daten (siehe Tabelle 1). Obwohl die beiden Apps im Rahmen derselben Aktion genutzt worden sind, werden die Ergebnisse daher getrennt voneinander dargestellt. Erfassung subjektiver Verkehrssicherheit mit RADar! Mit der App RADar! der Kampagne Stadtradeln des Netzwerks Klima-Bündnis wurden vor allem Mängel an der Infrastruktur erfasst. Die App bietet die Möglichkeit, Meldungen über positive wie auch negative Situationen abzugeben. Diese werden von den Teilnehmenden einer Kategorie aus einem vorgegebenen Katalog zugeordnet. Die App bietet zusätzlich die Möglichkeit, bereits eingegangene Meldungen zu bestätigen, sodass diese nicht mehrfach abgegeben werden müssen. Zudem können die Situationen durch Freitext oder Foto genauer beschrieben werden. Innerhalb des Aktionszeitraums gingen über RADar! 10.726 Meldungen ein. Der gesamte Datensatz wies eine hohe Qualität auf. So waren 97 % der Meldungen korrekt in die App eingetragen, lediglich 3 % waren nicht nutzbar, da es sich um Testbeiträge oder fehlerhafte Meldungen handelte. Entsprechend dem Aufruf wurden zu 95 % negativ empfundene Situationen gemeldet. Die Möglichkeit, die jeweilige Situation durch Freitext genauer zu schildern und damit besser nachvollziehbar zu machen, haben 92 % der Teilnehmenden wahrgenommen. Die Meldungen waren überwiegend (57 %) neutral formuliert. Die drei häufigsten Gründe für Meldungen beziehen sich auf infrastrukturelle Mängel. Hierbei wird auf fehlende Radwege, plötzliche endende Radwege mit unklarer Fortführung sowie zu schmale Radwege hingewiesen (siehe Bild-1). Zu den 10.726 eingegangenen Meldungen kam noch einmal die rund dreifache Menge an Bestätigungen durch andere Nutzer: innen (33.003). Die Anzahl der Bestätigungen eines gemeldeten Mangels Übersicht Erhebungsmethoden RADar! 10.756 Meldungen Meldungen von positiven und negativen Situationen durch Radfahrende Überblick über gesamtes Sendegebiet SimRa 2.705 Fahrten Aufzeichnung von Fahrten durch Radfahrende und Identifikation von kritischen Situationen Aussagen für ausgewählte Städte Tabelle 1: Übersicht der genutzten Apps und eingegangenen Meldungen Bild 1: Die zehn meistgemeldeten Mängel in RADar! Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 68 MOBILITÄT Datenerhebung gibt einen Hinweis auf Hot Spots, die von vielen Personen als gefährlich wahrgenommen werden. In einzelnen Fällen wurden Situationen mehr als 50-mal bestätigt. Bei den so in den Fokus gerückten Stellen handelt es sich vielfach um unsichere Kreuzungen, Querungen oder zu schmale Radwege. Bei rund einem Drittel der Meldungen (35 %) wurden explizit Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden erwähnt, also Verkehrssituationen, bei denen Kollisionen nur durch Verhaltensanpassungen wie Ausweichen oder starkes Bremsen vermieden werden konnten. In weiteren 1,8 % der Fälle wurden sogar Unfälle genannt. An rund zwei Dritteln (64 %) der durch die Radfahrenden gemeldeten Konflikte waren Kraftfahrzeuge beteiligt. Diese Konflikte traten meist im Mischverkehr auf der Fahrbahn auf. Konflikte mit zu Fuß Gehenden haben lediglich einen Anteil von 14 % an der Gesamtheit der gemeldeten Konflikte. Um die Ergebnisse der Crowdsourcing-Erhebung zu verifizieren wurden vier Proband: innen mit Videokameras ausgestattet und alle ihre Fahrradfahrten über die Dauer einer Woche aufgezeichnet. Diese Videos wurden durch geschulte Beobachter: innen ausgewertet. Demnach waren die Konfliktpartner: innen der Radfahrenden lediglich zu 50 % Kraftfahrer: innen, aber zu 43 % zu Fuß Gehende. Betrachtet man die räumliche Situation der gemeldeten Konflikte, so fanden diese vielfach im Längsverkehr oder mit ruhendem Verkehr statt. So sind die am häufigsten genannten Konflikte enges Überholen und zu enges Begegnen. Deutlich seltener wurden durch die Radfahrenden Konflikte an Knotenpunkten gemeldet. Das Sicherheitsgefühl der Radfahrenden unterscheidet sich somit deutlich von den in der deutschlandweiten Unfallstatistik erfassten Unfällen. Hier zeigen sich die Verhältnisse umgekehrt - vor allem Knotenpunkte sind mit einem hohen Unfallrisiko behaftet, zu Unfällen im Längsverkehr kommt es im Verhältnis seltener. Immerhin 1,8 % der Meldungen berichten von Unfällen. Diese beschreiben meist Situationen an Kreuzungen, fehlende Radwege und gefährliche Einfahrten. Während Kreuzungen und Einfahrten aus der amtlichen Unfallstatistik als Unfallschwerpunkte bekannt sind, wurden Fahrunfälle (z. B.: Alleinunfälle mit stürzenden Radfahrenden) sehr viel öfter über RADar! gemeldet, als in der Unfallstatistik erfasst. Häufig genannte Probleme sind in diesem Zusammenhang infrastrukturelle Mängel, also Bodenunebenheiten sowie Hindernisse auf dem Fahrstreifen des Fahrrades. Erfassung subjektiver Verkehrssicherheit mit SimRa Die App SimRa [12] wurde genutzt, um Informationen über Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden zu erheben. Die App muss zu Beginn jeder Fahrt durch die Nutzer: innen manuell gestartet werden. Während der Fahrt greift die App auf die im Smartphone verbauten Beschleunigungssensoren zu, um plötzliche Bewegungsänderungen zu erkennen. Diese sind häufig ein Indikator für kritische Situationen wie Ausweichmanöver oder Vollbremsungen. Nach einer automatischen Vorauswertung der Beschleunigungsdaten werden die Nutzer: innen im Anschluss an die Fahrt gebeten, ihre Fahrt zu annotieren, indem sie erkannte Konfliktsituationen kategorisieren und beschreiben, fehlende ergänzen und die Daten zum Upload freigeben. Sim- Ra versucht damit, die für das subjektive Sicherheitsgefühl wichtigen Konflikte mit Hilfe der gemessenen Beschleunigungswerte deutlich zu machen. Durch den an die SWR-Zuschauer: innen gerichteten Aufruf wurden im Erhebungszeitraum 2.705 Radfahrten von 923 Teilnehmenden erhoben (davon nutzen 30 auch mehr als ein halbes Jahr nach Projektende noch die App). Dabei wurden insgesamt 1.111 Konflikte erfasst. Die mit SimRa gewonnenen Daten liefern aufschlussreiche Aussagen zu den lokalen Verhältnissen in einzelnen Städten. Für einen vollständigen Überblick über das SWR-Sendegebiet wurde die App jedoch nicht ausreichend genutzt. In fünf Großstädten und einer Mittelstadt konnten mehr als 100 Fahrten und mehr als 1.000 km erfasst werden. Dort lenkt SimRa den Blick auf einzelne Streckenabschnitte und Standorte, die von großer Bedeutung für den Alltagsradverkehr sind. Insbesondere „Lücken“ in der Streckenführung, also Abschnitte auf den vielgenutzten Radrouten, auf denen es vermehrt zu Konflikten kommt, sind gut zu identifizieren. Diese entstehen vor allem an den Stellen, an denen der Radverkehr gezwungen ist, die Hauptverkehrsachsen des KFZ-Verkehrs zu nutzen, weil keine verkehrsarme Alternative existiert oder weil diese nur schwer zu finden ist (siehe Bild 2). Die von SimRa errechnete relative Konflikthäufigkeit kann Hinweise auf unsichere Streckenabschnitte und Stellen geben. Für das gesamte Untersuchungsgebiet wurden folgende Konfliktdichten erkannt (Angaben in Konflikten je gefahrenem Kilometer, K/ R*km): Mittelwert 0,0602, Min 0,0098, Median 0,0527 und Max 0,1597. Zum Vergleich kann die Konfliktdichte auf den Stadtstraßen von Berlin herangezogen werden (ebenfalls in K/ R*km). Hier liegt der Mittelwert bei 0,11 und die Spannbreite zwischen 0,02 und 0,64 [13]. Der Mittelwert für die Konfliktdichte auf den Stadtstraßen von Dresden und Chemnitz liegt bei 0,096, die Spannbreite zwischen 0,02 und 0,33 (K/ R*km) [14]. Die mit SimRa für das Untersuchungsgebiet von #besserRadfahren erhobene Konfliktdichte liegt in den meisten Regionen leicht unter denen aus anderen Erhebungen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass sich das Radfahren in der untersuchten Region tendenziell etwas weniger konfliktreich gestaltet. Wie auch schon für die über RADar! eingegangenen Meldungen kann ein Vergleich zur amtlichen Unfallstatistik dabei helfen, besser zu verstehen, welche Situationen von den Radfahrenden als gefährlich wahrgenommen werden. Erneut wurden im Verhältnis mehr Konflikte mit parkenden Autos und im Längsverkehr gemeldet, als dies nach den Zahlen der Unfallstatistik zu erwarten wäre. Seltener hingegen wurden Bild 2: Ausschnitt aus der SimRa-Analysekarte für den Landkreis Konstanz Quelle: SimRa Internationales Verkehrswesen (74) 1 | 2022 69 Datenerhebung MOBILITÄT Konflikte beim Abbiegen, Einbiegen und Kreuzen durch die Radfahrenden gemeldet. Betrachtet man die an gemeldeten Konflikten Beteiligten, so fanden 72 % der Konflikte zwischen Rad- und Kraftverkehr statt, in 2 % der Meldungen waren Rad- und Fußverkehr beteiligt. In immerhin 26 % der Fälle wurden Alleinunfälle gemeldet. Erneut zeigt sich, dass die Radfahrenden insbesondere Situationen, in denen Kraftfahrzeuge beteiligt sind, als bedrohlich wahrnehmen, während im Miteinander mit zu Fuß Gehenden kaum Konflikte wahrgenommen werden. Mit mehr als einem Viertel an gemeldeten Alleinunfällen wird deutlich, dass diese Art der Unfälle in der amtlichen Unfallstatistik deutlich unterrepräsentiert ist. Methodische Reflektion Die Crowdsourcing-Erhebung im Rahmen von #besserRadfahren hat dabei geholfen, besser zu verstehen, welche Situationen von den Radfahrenden im Südwesten Deutschlands als gefährlich wahrgenommen werden. Hierbei haben sich die Ergebnisse der genutzten Apps, Radar! und SimRa, gut ergänzt. Während über Radar! überwiegend Mängel an der Infrastruktur gemeldet wurden, gaben die über SimRa eingegangen Meldungen einen Einblick in die alltäglichen Konflikte der Radfahrenden mit anderen Verkehrsteilnehmenden. Durch die genaue Verortung der Meldungen werden Konfliktschwerpunkte deutlich hervorgehoben. Somit haben sich beide Apps als geeignete Instrumente für Crowdsourcing-Erhebungen zum subjektiven Sicherheitsempfinden im Radverkehr erwiesen. In der Nutzung zeigt sich Radar! als das einfachere, niedrigschwelligere Tool. Meldungen können durch die Proband: innen sowohl vor Ort als auch zu Hause und in beliebiger Anzahl abgegeben werden. Die Möglichkeit, bereits eingegangene Meldungen zu bestätigen, hat bei der Auswertung erhebliche Vorteile. Durch die einfache Teilnahmemöglichkeit wurde innerhalb eines kurzen Zeitraums eine hohe Teilnehmendenzahl erreicht. Zur Auswertung war die Kategorisierung der Meldungen durch die Nutzer: innen hilfreich, für konkrete Aussagen mussten jedoch die Freitextmeldungen ausgewertet werden, was zu einem erheblichen Arbeitsaufwand geführt hat. SimRa ist für die Proband: innen aufwendiger in der Nutzung. So muss beispielsweise die App zu Beginn jeder Radfahrt manuell gestartet werden. Im Nachgang müssen mögliche Konflikte bestätigt und schließlich zum Upload freigegeben werden. Der höhere Aufwand macht sich auch in den geringeren Nutzer: innenzahlen bemerkbar. In der Auswertung hingegen erweist sich die App als sehr „pflegeleicht“ - insbesondere die Berechnung der Konfliktdichte durch die App hat sich als große Hilfe erwiesen. Auch wurde noch nicht das gesamte Potenzial der App ausgeschöpft. So kann die Erfassung von Überholabständen sogar vollautomatisch erfolgen, wenn ein Sensor zur Abstandsmessung (z. B. OpenBikeSensor) mit der App gekoppelt wird [15]. Die Aktion #besserRadfahren hat guten Anklang bei den Radfahrenden im Sendegebiet des SWR gefunden. Die große Anzahl hochwertiger Meldungen zeugt von einer hohen Bereitschaft, konstruktiv an der Verbesserung der Verhältnisse für den Radverkehr mitzuwirken. Die Methode kann, alleine schon aufgrund der Anonymität der Teilnehmenden, keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben. Jedoch schafft sie es, die aus der Perspektive der Radfahrenden drängendsten Probleme sichtbar zu machen. Durch das freie Format versetzt diese Art der Erhebung die Teilnehmenden in die Lage, selbst Untersuchungsthemen zu setzen. Auf diese Weise schafft sie es, die Lücke zwischen Forschenden und Beforschten zu schließen und eröffnet neue Möglichkeiten, die Frage zu beantworten, was Radfahrende brauchen. ■ LITERATUR [1] Horton, D. (2007): Fear of Cycling. In: Cycling and Society. Routledge, S. 149-168. [2] Hull, A.; O’Holleran, C. (2014): Bicycle infrastructure: can good design encourage cycling? In: Urban, Planning and Transport Research (2), H. 1, S. 369-406. [3] Schwedes, O.; Wachholz, S.; Frier, D. (2021): Sicherheit ist Ansichtssache. Subjektives Sicherheitsempfinden: Ein vernachlässigtes Forschungsfeld. IVP-Discussion Paper 1. Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme; Institut für Land- und Seeverkehr, Berlin. www.ivp. tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Dokumente/ Discussion_Paper/ DP17_ Schwedes_et_al.pdf (Abruf: 17.01.2022). [4] Wang, J.; Mirza, L.; Cheung, A; Moradi, S. 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Kamilaris, A.; Wohlgemuth, V.; Karatzas, K.-D.; Athanasiadis, I. N. (Eds.), Shaker Verlag GmbH, S. 145-153. [12] Karakaya, A.-S.; Hasenburg, J.; Bermbach, D. (2020): SimRa: Using crowdsourcing to identify near miss hotspots in bicycle traffic. In: Pervasive and Mobile Computing (67), S. 101-197. [13] Alrutz, D.; Bohle, H.-G.; Müller, A.; Prahlow, H.: Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern. Bericht zum Forschungsprojekt FE 82.262: Unfallrisiko, Konfliktpotenzial und Akzeptanz der Verkehrsregelungen von Fahrradfahrern. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen V, Verkehrstechnik 184, Bremerhaven. [14] Ohm, D.; Fiedler., F; Zimmermann, F.; Kraxenberger, T.: Führung des Radverkehrs im Mischverkehr auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen. Bericht zum Forschungsprojekt: FE 77.0496/ 2010. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen V, Verkehrstechnik 257, Bremen. [15] OpenBikeSensor (2022): OpenBikeSensor. www.openbikesensor.org / (Abruf: 14.01.2022). Ahmet-Serdar Karakaya, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Mobile Cloud Computing, TU Berlin, und Einstein Center Digital Future, Berlin ak@mcc.tu-berlin.de David Bermbach, Prof. Dr.-Ing. Fachgebiet Mobile Cloud Computing, TU Berlin, und Einstein Center Digital Future, Berlin db@mcc.tu-berlin.de Jule Merk, M.Sc. Akademische Mitarbeiterin, BMVI-Stiftungsprofessur für Radverkehr, Hochschule Karlsruhe jule.merk@h-ka.de Jochen Eckart, Prof. Dr. Professur für Verkehrsökologie, Hochschule Karlsruhe jochen.eckart@h-ka.de Martin Temmen, Dipl.-Geogr. Akademischer Mitarbeiter, BMVI-Stiftungsprofessur für Radverkehr, Hochschule Karlsruhe martin.temmen@h-ka.de