eJournals Internationales Verkehrswesen 74/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0022
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Kein „Weiter so“: Lieferketten und Transportstrategien neu denken

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Hans-Dietrich Haasis
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Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 3 Hans-Dietrich Haasis EDITORIAL Kein „Weiter so“: Lieferketten und Transportstrategien neu denken W ährend noch vor wenigen Jahren Lieferketten und Transportstrategien in erster Linie unter den Zielgrößen Zeit und Kosten gestaltet, verbessert und betrieben wurden, lernen wir gerade bitter, dass ein „Weiter so“ bei offen sichtbaren und teilweise vor kurzem noch kaum vorstellbaren Einflüssen auf die Weltwirtschaft nicht möglich sein wird. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist verbunden mit immenser Zerstörung und übergroßer humanitärer Not, vielleicht über Jahre. Aus logistischer Sicht brechen Beschaffungsmärkte weg, verändern sich Lieferketten. Die seit mehr als zwei Jahren vorherrschende Corona-Pandemie führt, wie jüngst unter anderem durch den Lockdown in Shanghai und seine Folgen für den Betrieb des weltweit größten Containerhafens, zum zeitweisen Abbruch von Lieferketten und zu Lieferengpässen. Der seit Jahrzehnten bekannte Klimawandel wird ohne massive Veränderungen in der Energienutzung und in den Lebensstilen weiter zu Wetterextremen führen und das Leben von Generationen bedrohen. Lieferketten und Transportstrategien basieren daher künftig auf alternativen Kraftstoffen und neuen Transportsystemen. Durch neue Internet-basierte Technologien ist die digitale Transformation von Wirtschaftsprozessen und die damit verbundene Veränderung des Informationsaustauschs in Wirtschaft und Gesellschaft nicht aufzuhalten. Zur Sicherstellung der Verlässlichkeit von Lieferketten und Transportstrategien ist es für Unternehmen unerlässlich, nicht in die hierbei zunehmend sichtbare digitale Kluft zu fallen, sondern mit der digitalen Transformation Schritt zu halten. Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zielt, wie auch der noch striktere Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes, auf das Einhalten von Menschenrechten, von Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutz. Es schafft ein Instrumentarium, um im globalen Handel entsprechende Standards einzuhalten und zu kontrollieren. Lieferketten und Transportstrategien werden nachhaltiger im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Weit mehr als bislang ist es daher notwendig, die derzeitigen Lieferketten und Transportstrategien unter den Aspekten Resilienz und Verlässlichkeit, Digitalisierung und Automatisierung, Klima und Energie sowie Gesundheit und Menschenrechte wirtschaftlich neu zu denken. Allein das Ausnutzen von Größendegressionseffekten zur Kosteneinsparung oder die Verfügbarkeit von Infrastruktur reichen nicht mehr aus, Lieferketten und Transportstrategien für die nächsten Jahre sicher betreiben zu können. Entscheidungsträger in Unternehmen sind gut beraten, rechtzeitig alternative Lösungen in Projektteams durch jeweils antizipierte Unternehmensentwicklungen erarbeiten zu lassen. Methoden aus der Innovationsforschung sind hierbei gut einsetzbar, etwa das Konzept des Design Thinking. Die verlässliche, aber flexible Verfügbarkeit von Transport- und Lagerkapazitäten, von einsetzbarem Personal, von sicheren Daten und Informationen, von erneuerbaren Energieträgern, von Finanzierungsquellen und von Beschaffungsmärkten ist für eine Versorgungssicherheit entscheidend. Eine gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit in der Lieferkette und sogar eine Koopetition zwischen Wettbewerbern kann unterstützen, Lieferketten sicherzustellen, Engpässe zu vermeiden und Transportstrategien zuverlässig zu gestalten. Anregungen dazu finden Sie unter anderem in der vorliegenden Ausgabe von Internationales Verkehrswesen. Ich-wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen. Herzlich Ihr Hans-Dietrich Haasis Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c., Lehrstuhl für Maritime Wirtschaft und Logistik, Universität Bremen