Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0029
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KV-Radar - Stärkung des Kombinierten Verkehrs
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Ralf Elbert
Michael Gleser
Der kombinierte Straßen-/Schienengüterverkehr (KV) besitzt großes Potenzial für die Bewältigung derzeitiger und zukünftiger Transportaufkommen. Trotz des Willens zur Förderung innerhalb der letzten
Jahre stagniert der Marktanteil des KV. Die vorliegende Delphi-Studie hat mithilfe von Experten Maßnahmen erarbeitet, die zu einer Stärkung des KV beitragen können. Durch eine Bewertung und Einordnung der Maßnahmen soll gezielt eine Diskussion zur Zukunft des KV angestoßen werden.
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Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 23 Kombinierter Verkehr LOGISTIK KV-Radar - Stärkung des Kombinierten Verkehrs Delphi-Studie zur Maßnahmenermittlung und -bewertung zur Förderung des KV in Deutschland Kombinierter Verkehr, Delphi-Studie, Diskussion Der kombinierte Straßen-/ Schienengüterverkehr (KV) besitzt großes Potenzial für die Bewältigung derzeitiger und zukünftiger Transportaufkommen. Trotz des Willens zur Förderung innerhalb der letzten Jahre stagniert der Marktanteil des KV. Die vorliegende Delphi-Studie hat mithilfe von Experten Maßnahmen erarbeitet, die zu einer Stärkung des KV beitragen können. Durch eine Bewertung und Einordnung der Maßnahmen soll gezielt eine Diskussion zur Zukunft des KV angestoßen werden. Ralf Elbert, Michael Gleser D er Straßengüterverkehr macht regelmäßig durch technische und organisatorische Neuerungen auf sich aufmerksam. Beispiele wie Platooning, Oberleitungs-LKW oder Zukunftsvisionen vom autonomen Fahren steigern die Attraktivität des Verkehrsträgers Straße. Des Weiteren vereinfacht die zunehmende Digitalisierung der Auftragsabwicklung (bspw. durch sich etablierende digitale Spediteure) die Abwicklung von Transportaufträgen auf der Straße und steigert die Attraktivität des Straßengüterverkehrs zusätzlich. Jedoch gilt der Straßengüterverkehr als insbesondere nachteilig für Umwelt und Gesellschaft, da er hohe externe Kosten verursacht. Im Gegensatz zum Straßengüterverkehr wird dem kombinierten Straßen-/ Schienengüterverkehr eine höhere Umwelt- und Infrastrukturverträglichkeit zugeschrieben. Die Verlagerung von Güterverkehren auf die Schiene kann aufgrund der Eignung der Schiene für schwere Lastverkehre helfen, Klimaschutz- und gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Die inhärente mehrgliedrige Transportkette des Kombinierten Verkehrs wirkt jedoch nachteilig auf die Organisation und Flexibilität von Transportketten und erschwert die KV-Nutzung. An dieser Stelle knüpft das Projekt des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik der TU Darmstadt mit dem Namen KV-Radar an, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Kombinierten Verkehr in Deutschland zu stärken. Das Projekt besteht aus einer Delphi-Studie, in der Fachleute identifiziert sowie deren Meinungen und Empfehlungen zur Stärkung des Kombinierten Verkehrs erhoben und konsolidiert werden sollen. Eine Delphi-Studie ist eine qualitative Methodik, um einen Konsens unter teilnehmenden Experten herzustellen. Im Ergebnis bildet das KV-Radar die Basis, um wissenschaftlich fundiert technologische und organisatorische Aspekte des Kombinierten Verkehrs systematisch zu beleuchten und gezielt Handlungsfelder und -empfehlungen zu erarbeiten. Das entstehende Radar soll hierbei gezielt den Vergleich unterschiedlicher Maßnahmen ermöglichen und zur wissenschaftlich fundierten Diskussion beitragen. Methodische Durchführung - Delphi-Studie Das Projekt basiert auf der Durchführung einer Delphi-Studie, welche ein mehrstufiges Verfahren ist, um zu einem Themenbereich einen Konsens unter Fachleuten herzustellen. Es werden zur Durchführung mehrere Runden angesetzt, die im Idealfall eine Bewertung bzw. Ergänzung der von den jeweils anderen Befragten genannten Aspekten ermöglichen. Die erste Runde der vorliegenden Studie wurde durch Interviews abgebildet. Hierzu wurden aus verschiedenen Teilbereichen des Kombinierten Verkehrs, Terminalbetreiber, Spediteure, Intermodaloperateure, Verlader und Interessensgemeinschaften, Personen leitfadengestützt interviewt. Zur Orientierung wurden hierbei vier Kategorien gebildet, anhand derer sich die verschiedenen Antworten einordnen lassen. Neben der Politik waren dies Infrastruktur, Kooperation & Koordination sowie Markt & Technologie. Die Interviews wurden anschließend aufbereitet und nach genannten Maßnahmen gescannt. Die hierbei entstandene Liste an Maßnahmen zur Verbesserung des Kombinierten Verkehrs wurde für die zweite Runde aufbereitet und im Rahmen eines Online-Tools zur Bewertung und Ergänzung an die Befragten gesendet. Die Bewertung erfolgte hierbei anhand der Dimensionen •• Umsetzbarkeit der Maßnahme und •• Einfluss auf den Marktanteil des Kombinierten Verkehrs bei Umsetzung. Die Liste an bewerteten und ergänzten Maßnahmen wurde in der dritten und finalen Runde der Delphi-Befragung den Teilnehmern ein letztes Mal graphisch aufbereitet zur Verfügung gestellt, um eine abschließende Bewertung zu ermöglichen. Ergebnisse des Projektes - vier Perspektiven auf den KV Aus den acht Interviews, die in der ersten Runde der Delphi-Studie geführt wurden, konnten insgesamt 14 Maßnahmen abgeleitet werden. Diese Maßnahmen wurden für die zweite Runde aufbereitet und zur Bewertung und Ergänzung in ein Online-Tool gegeben. Durch die zweite Runde konnte eine Ergänzung auf insgesamt 27 Maßnahmen zur Stärkung des Kombinierten Verkehrs erreicht werden. Diese verteilen sich auf die Bereiche Politik mit elf Maßnahmen, Infrastruktur mit sieben Maßnahmen sowie Kooperation & Koordination mit vier und Markt & Technologie mit fünf Maßnahmen. Die Bewertung der Maßnahmen wurde an- Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 24 LOGISTIK Kombinierter Verkehr schließend in einem Diagramm abgetragen (Bild 1 bis 4). Zur Einordnung der Bewertung können vier Quadranten gebildet werden. Die Maßnahmen im rechten oberen Quadranten sollten bei moderater Schwierigkeit der Umsetzung einen spürbaren Einfluss auf den mittelfristigen Marktanteil des KV haben. Je weiter man in den oberen linken Quadranten wandert, desto schwieriger wird die Umsetzung, was sowohl an benötigten Kapitalmitteln als auch an der Komplexität der Koordination verschiedener Akteure liegen kann. Politische Perspektive Innerhalb der politischen Perspektive auf den KV zeigen sich im oberen rechten Quadranten Maßnahmen, die recht einfach umzusetzen sind, da sie hauptsächlich Gesetzesänderungen bzw. Anpassungen an Richtlinien erfordern. Gewünscht ist eine stärkere Fokussierung der logistiknahen Ausbildung an den KV, um das Wissen rund um den KV in der Praxis stärker zu verankern. Eine Befreiung von den Regelungen der Kabotage für Vor- und Nachlauf des KV, ein Nutzlastausgleich für erhöhte Gewichte und die Förderung KV-fähigen Equipments werden ebenso gewünscht. Als eher schwierig umzusetzen werden Maßnahmen angesehen, die entweder hohe Investitionen wie die Förderung neuer Schienenrelationen oder die Instandhaltung von Gleisanschlüssen bei Großkunden nach sich ziehen oder komplexe politische Prozesse beinhalten wie die Befreiung von der LKW-Maut für Vor- und Nachlauf des KV, die Anhebung der CO 2 - Steuer, die europaweite Vereinheitlichung von Tarifstrukturen und die Erhöhung der Trassenpriorisierung für Güterverkehre. Infrastruktur-Perspektive Der Kombinierte Verkehr ist insbesondere infrastrukturintensiv, da er sowohl auf ein funktionierendes Schienenals auch Straßennetz angewiesen ist und zusätzlich Terminals für den Umschlag der Transportbehälter bzw. Container benötigt. In dieser Perspektive wurden daher auch insbesondere Maßnahmen genannt, die die Schnittstellen zu den Terminals verbessern bzw. diese selbst optimieren bzw. deren Anzahl erhöhen (Bild 2). Zu den Effizienzmaßnahmen gehören die Modernisierung bestehender Terminalanlagen, eine Erweiterung von Abstellflächen, um einen flexibleren Vor- und Nachlauf zu ermöglichen und eine Erhöhung der Attraktivität für LKW-Fahrer, sich dieser Terminals zu bedienen. Außerdem wurde bemängelt, dass nicht alle Terminals für 740-m-Züge geeignet sind, und ein Ausbau angemahnt. Eine generelle Erhöhung der Terminaldichte, insbesondere für nachfragestarke Regionen, wurde ebenfalls genannt. Neben den Terminals spielt das Schienennetz eine entscheidende Rolle. Ein Dauerbrenner ist das Thema dedizierter Güterverkehrsstrecken, was jedoch aufgrund der administrativen Schwierigkeiten und der hohen Auslastung des Schienennetzes wohl schwer umzusetzen ist. Daher steht als Alternative die Erhöhung der Produktivität des bestehenden Netzes zur Verfügung, bspw. durch beschleunigten Ausbau des Bahnsystems mit dem Europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS Level 3, um eine höhere Dichte an Zugverbindungen zu ermöglichen. Genannte Maßnahmen im Bereich Infrastruktur wurden als recht schwierig umsetzbar, jedoch mit hohem Einfluss auf den Marktanteil bewertet, was aufgrund der infrastrukturintensiven Produktion der Transportleistung nicht verwundert. Kooperations- und Koordinationsperspektive Der Kombinierte Verkehr ist, insbesondere aufgrund der hohen Anzahl an Akteuren, die für die Produktion der Transportleistung möglichst reibungslos zusammenarbeiten müssen, auf die Kooperation und Koordination u. a. zwischen Verladern, Operateuren, Terminalbetreibern, EVU und Netzbetreibern angewiesen. Geschäftsmodelle und Innovationen lassen sich meist nur im Zusammenspiel der verschiedenen Akteure umsetzen, was jedoch bei Interessenskonflikten zu starken Verzögerungen bis hin zur Verhinderung der Anliegen führen kann. Im Bereich Kooperation & Koordination (Bild 3) wurde herausgehoben, dass ein Austausch von Daten über eine digitale Plattform besonders gewinnbringend wäre. Erste Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Datenaustausches hatte das Ende Februar 2021 abgeschlossene Digitalisierungsprojekt KV 4.0, das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen der Forschungsinitiative Modernitätsfond (mFUND) gefördert wurde und mit dessen Hilfe intermodale Lieferketten durchgängig digitalisiert werden sollen, untersucht. Das Thema ist im Zuge einer immer stärkeren Digitalisierung des Transportwesens wohl auch zentrales Thema der Wettbewerbsfähigkeit. Ebenso wichtig scheint eine verstärkte Kooperation auf europäischer Ebene. Der KV kann seine Stärken insbesondere auf längeren Strecken ausspielen, was innerhalb der EU jedoch einen reibungslosen Grenzverkehr bedingen würde. Neben diesen Aspekten wurden neue Geschäftsmodelle angeregt, um Terminals stärker auszulasten. Konsolidierung von Teilladungen (LTL-Sendungen) innerhalb von Terminals, um anschließend volle Ladeeinheiten über den KV zu transportieren, und eine Kooperation zwischen räumlich nahen Terminals für eine optimale Lastenverteilung scheinen gewinnbringend. Bild 1: Bewertung Politik Eigene Darstellungen Bild 2: Bewertung Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 25 Kombinierter Verkehr LOGISTIK Technologie und Marktperspektive Technologische Entwicklungen haben auf den Kombinierten Verkehr in zweierlei Hinsicht Einfluss: Verbesserungen des Schienengüterverkehrs stärken die Position des KV eher, während innovative Entwicklungen im Straßengüterbereich das Potenzial haben, die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit des Straßengüterverkehrs zu erhöhen. Ein Dauerthema in der technologischen Perspektive (Bild 4) ist der Ausbau des Trackings von Transporteinheiten über die gesamte Transportkette hinweg. Während dies beim Straßentransport durch ein Tracking einzelner LKW recht einfach umzusetzen ist, muss beim KV ein Tracking über verschiedene Verkehrsträger und Akteure etabliert werden. Hierbei stellt sich die Frage, wer ein solches Tracking umsetzen kann, sowohl technologisch wie auch administrativ, und wie die hierbei entstehenden Daten verwaltet und zugänglich gemacht werden können. In eine ähnliche Richtung geht die Forderung nach zentralen Buchungsplattformen des KV. Im Sinne einer digitalen Lösung, die Transporteuren ohne weitere Koordination die Buchung einer KV-Leistung ermöglicht, kann der KV auch von Personen genutzt werden, die sich mit den Einzelheiten des Transports im KV nur bedingt auskennen. Erste Ansätze und Firmen (bspw. Rail-Flow aus Frankfurt) versuchen, das Problem anzugehen und eine einfache Nutzung des KV zu ermöglichen. Das Thema innovativer Umschlagstechnologien kommt seit Jahren immer wieder auf, ermöglicht es doch die Nutzung auch kleinerer Terminals in einer effizienten Art und Weise. Die Einführung eines koppelbaren 10-Fuß-Containers, um auch kleinteiligere Transporte zu ermöglichen, müsste technologisch und organisatorisch geprüft werden. Die Mittelpufferkupplung, welche eine schnellere Kopplung von Waggons ermöglicht und eine Umrüstung bestehenden Equipments erfordert, wird sowohl als besonders effektiv als auch als besonders langwierig umsetzbar eingeschätzt. Zusammenfassung und weitere Entwicklung Die in der Delphi-Studie insgesamt 27 erarbeiteten, genannten Maßnahmen geben ein Meinungsbild der teilnehmenden Experten wieder, wie der KV gestärkt werden kann. Durch die Bewertung hinsichtlich der Dimensionen Umsetzbarkeit und Einfluss auf den Marktanteil ist darüber hinaus eine Einordnung möglich, welche der Maßnahmen hinsichtlich einer Umsetzung geprüft werden sollten. Es hat sich im Rahmen des Projektes herausgestellt, dass eine Einteilung in verschiedene Perspektiven sinnvoll ist, insbesondere, um den Experten eine Orientierung zur Beantwortung zu geben. Eine Schwierigkeit hierbei war, eine Trennschärfe herzustellen, da der Kombinierte Verkehr und insbesondere der Hauptlauf auf der Schiene, starken Regulierungen ausgesetzt ist, und deshalb regulatorische bzw. politische Maßnahmen in alle anderen Bereiche des KV ausstrahlen. Inhaltlich sind einige Punkte hervorzuheben. Zu den als besonders effektiv eingeschätzten Maßnahmen gehören u. a. die Förderung neuer Schienenrelationen, eine Erhöhung der Terminaldichte und die beschleunigte Einführung der Mittelpufferkupplung, wobei diese in der Umsetzbarkeit als schwierig eingeschätzt wird. Die Anpassung von Ausbildungsinhalten mit Logistikbezug zur Stärkung von Kompetenzen im KV, die Förderung von kranbarem Equipment und die Befreiung von der Kabotage für Vor- und Nachläufe im KV werden im Gegensatz als eher leicht umsetzbar eingeschätzt. Des Weiteren wurden insbesondere Maßnahmen zur Digitalisierung, dem Datenaustausch und digitale Buchungsplattformen genannt. Die Ergebnisse der Delphi-Studie geben Aufschluss über vielversprechende Maßnahmen, an denen Forschung und unternehmerische Praxis weiter anknüpfen können. Eine Erkenntnis dabei ist, dass sich die meisten Maßnahmen im linken oberen Quadranten - hoher Einfluss auf den Marktanteil aber hoher Umsetzungsaufwand - befinden. Diese Einschätzung zeigt, dass eine Stärkung des Kombinierten Verkehrs langwierig ist und dass eine Abwägung verschiedener Maßnahmen getroffen werden muss. Die Ergebnisse der Studie sollten daher im Idealfall unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher und ökonomischer Expertise weiter diskutiert und fortgeführt werden. Um die Aktualität der Untersuchung sicherzustellen, ist eine Durchführung des KV-Radars im zweijährigen Turnus angedacht. Hierbei sollen die Erkenntnisse der vorliegenden Studie überprüft, ergänzt und so auf eine breitere Basis gestellt werden, um die Weiterentwicklung des Kombinierten Verkehrs zu unterstützen. ■ Großer Dank gebührt der Hessen Agentur und dem House of Logistics and Mobility e. V. für die Förderung des Forschungsvorhabens. Ralf Elbert, Prof. Dr. Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, TU Darmstadt elbert@log.tu-darmstadt.de Michael Gleser Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik TU Darmstadt gleser@log.tu-darmstadt.de Bild 3: Bewertung Kooperation & Koordination Bild 4: Bewertung Technologie & Markt
