eJournals Internationales Verkehrswesen 74/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0030
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2022
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GIS-basierte Modellierung der Letzten Meile

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Jan Kuchhäuser
Marian Schlott
Tim Holthaus
Andre Thiemermann
Die Kurier-, Express- und Paketlogistik (KEP-Logistik) steht aufgrund der wachsenden Paketmengen im Fokus der Öffentlichkeit. Die zielgerichtete Gestaltung des Güterverkehrs in der Stadt setzt eine detaillierte Datengrundlage zu Fahrleistungen, Routenwahl und Fahrzeugeinsatz in der städtischen Logistik voraus. Der Beitrag beschreibt die GIS-basierte Modellierung der Letzten Meile im KEP-Segment. Es werden die räumliche Verteilung des Paketaufkommens sowie die induzierte Fahrleistung und Emissionen dargestellt und verschiedene Bündelungsansätze aufgezeigt.
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Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 26 GIS-basierte Modellierung der Letzten Meile Kennwerte des KEP-Segments und Potenziale von-Bündelungsansätzen nach chinesischem Vorbild in Berlin Stadtlogistik, KEP, Güterverkehr, GIS, Modellierung Die Kurier-, Express- und Paketlogistik (KEP-Logistik) steht aufgrund der wachsenden Paketmengen im Fokus der Öffentlichkeit. Die zielgerichtete Gestaltung des Güterverkehrs in der Stadt setzt eine detaillierte Datengrundlage zu Fahrleistungen, Routenwahl und Fahrzeugeinsatz in der städtischen Logistik voraus. Der Beitrag beschreibt die GIS-basierte Modellierung der Letzten Meile im KEP-Segment. Es werden die räumliche Verteilung des Paketaufkommens sowie die induzierte Fahrleistung und Emissionen dargestellt und verschiedene Bündelungsansätze aufgezeigt. Jan Kuchhäuser, Marian Schlott, Tim Holthaus, Andre Thiemermann D ie KEP-Logistik ist ein wesentlicher Bestandteil des städtischen Güterverkehrs und gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Dabei ist die nachhaltige und kostengünstige Abwicklung der Letzten Meile nicht nur für die KEP- Dienstleister eine Herausforderung, sondern stellt auch zeitgleich die Kommunen vor große Schwierigkeiten. Um eine proaktive Gestaltung der Güterverkehre aus städtischer Sicht zu gewährleisten, sind detaillierte Daten zu Fahrleistung, Routenwahl und Fahrzeugeinsätzen der KEP-Dienstleister unabdingbar. Im Gegensatz zum Personenverkehr, für den turnusmäßige repräsentative Erhebungen vorliegen (z. B. Mobilität in Deutschland (MiD), Deutsches Mobilitätspanel (MOP), System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV)), liegen für den städtischen Güterverkehr zwar bundesweite Statistiken wie die Güterkraftverkehrsstatistik oder Daten zum Kraftfahrzeugverkehr in Deutschland (KiD) vor, die aber fahrzeugbezogen sind und nicht darauf abzielen, den Verkehr in der Stadt zu beschreiben.[1] Der vorliegende Foto: 794998891 / Shutterstock LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 27 Wissenschaft LOGISTIK Aufsatz zeigt eine Methodik basierend auf Geoinformationssystemen (GIS) auf, die mittels aggregierten Kenngrößen eine kleinräumige Abbildung der KEP-Verkehre ermöglicht. Zunächst wird ein Überblick zum Status quo und zur Entwicklung des KEP-Marktes in Deutschland skizziert. Im Anschluss wird die Modellierung des KEP-Segments dargelegt. Teilinhalte dieses Artikels basieren auf den Ergebnissen der Studie Case Study Research on Urban Logistics and Last Mile Delivery Processes in Germany, beauftragt durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) im Rahmen des Projektes „Deutsch-Chinesische Zusammenarbeit zur Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie als Beitrag zur Verkehrswende“. Überblick zum Status quo und zur Entwicklung des KEP-Marktes in Deutschland KEP ist als Akronym dreier Teilmärkte das städtische Logistiksegment, welches überwiegend Sendungen bis 31,5 kg zustellt und sowohl Privatkunden (Business-to- Customer - B2C) als auch gewerbliche Kunden (Business-to-Business - B2B) beliefert. Der Paketmarkt ist dabei das aufkommensstärkste Subsegment.[2] Der deutsche Paketmarkt wird durch fünf Dienstleister geprägt, wobei insbesondere DHL als größter Zustelldienst in Deutschland das Marktgeschehen beherrscht.[2] Die KEP-Branche erfährt durch das starke Wachstum des E- Commerce-Marktes einen Bedeutungszuwachs. Dies hat eine Fülle von Herausforderungen zur Folge. Die Wettbewerbssituation verschärft sich zunehmend. Amazon als größter Akteur im E-Commerce-Segment erhöht den Preisdruck auf die KEP-Dienstleister.[3] Zudem erodiert die Abgrenzung zwischen B2C und B2B hinsichtlich der Abwicklung und der Anforderungen der Endkunden. Waren Same-Day- oder Next-Day-Lieferungen vor allem im B2B-Segment relevant, kann in jüngster Zeit beobachtet werden, dass diese Geschäftsmodelle auch im B2C-Segment zum Standard geworden sind.[4] Vor dem Hintergrund höherer Kundenanforderungen und technischer Möglichkeiten nehmen auch die Anforderungen an die Zustellzeitfenster und Zustellorte zu, was die effiziente Organisation der Letzten Meile erschwert. Die Zunahme der Kundenanforderungen sowie die Angleichung der beiden Kundensegmente B2C und B2B werden zukünftig zu steigenden Fahrleistungen des KEP-Segments führen.[5] Gleichzeitig kann ein kontinuierlich steigendes Sendungsaufkommen im KEP-Segment verzeichnet werden. In Bild 1 sind das Sendungsaufkommen sowie die Zulassungszahlen im Nutzfahrzeugsegment differenziert nach zulässigem Gesamtgewicht (zGG) in Deutschland dargestellt. Aufgrund der Rahmenbedingungen auf der Letzten Meile ist eine Skalierung der Fahrzeuggröße nicht möglich, was den Einsatz von leichten Lieferfahrzeugen, die mit einem PKW- Führerschein gefahren werden können, erforderlich macht. Es wird deutlich, dass eine lineare Korrelation zwischen dem KEP-Sendungsaufkommen und den Neuzulassungen von Fahrzeugen bis 3,5 t zGG besteht, während die Zulassungen von Fahrzeugen mit mehr als 3,5 t zGG konstant bleiben. Steigende Sendungsaufkommen führen unter den aktuellen Marktbedingungen damit zwangsläufig zu mehr eingesetzten Fahrzeugen auf der Letzten Meile. Eine Aufschlüsselung der eingesetzten Nutzfahrzeuge nach Fahrzeugtyp stellt eine weitere relevante Information für die städtische Güterverkehrsplanung dar. Aus der Gegenüberstellung darf im Umkehrschluss nicht geschlussfolgert werden, dass die Zunahme leichter Nutzfahrzeuge ausschließlich durch die KEP-Logistik bedingt ist. Zahlen aus England zeigen aber, dass rund 34 % der leichten Nutzfahrzeuge im Gütertransport eingesetzt werden.[5] Ähnliche Zahlen liegen für Deutschland nicht vor. Rückschlüsse zum Fahrzeugeinsatz der KEP- Dienstleister können auf einer aggregierten Ebene vorgenommen werden. Die Letzte Meile wird in Deutschland überwiegend mit Fahrzeugen bis 7,5 t zGG abgewickelt.[7] Für 2016 kann festgestellt werden, dass rund 140.000 Fahrzeuge im KEP-Markt im Einsatz sind. Die überwiegend mit Diesel betriebenen Fahrzeuge trugen in der jüngeren Vergangenheit nicht zu einer Minderung der Luftschadstoffemissionen bei.[8, 9] Zukünftig ist durch die Elektrifizierung der KEP-Fahrzeugflotte aber ein Beitrag zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit zu erwarten. Die Darstellung des KEP-Marktes macht deutlich, dass die Komplexität zur proaktiven Steuerung des KEP-Segments in der Stadt in Zukunft noch zunehmen wird. Auf Grund fehlender Daten und Kenngrößen zum Fahrzeugeinsatz und zur Abwicklung der Verkehre im städtischen Kontext, sind oftmals fundierte Aussagen nicht möglich. Um dennoch segmentspezifisch Logistikverkehre beschreiben zu können, werden Modelle benötigt, die mit aggregierten Kenngrößen zum Fahrzeugeinsatz (Anzahl Touren, Tourenlänge etc.) arbeiten und so die Routenwahl und Fahrleistung abbilden können. Modellierung der Letzten Meile in Berlin Im Folgenden wird ein Ansatz vorgestellt, der auf Grundlage der räumlichen Verteilung des Sendungsaufkommens und der Depotstandorte mit Optimierungsalgorithmen aus dem Operations-Research die Abbildung der entstehenden Liefertouren der KEP-Logistik ermöglicht. Branchenvertreter, wie z. B. BIEK, veröffentlichen regelmäßig Studien, die Hinweise zu Fahrzeugeinsätzen oder Kennwerte zu Touren respektive Routen der KEP- 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000 350.000 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 KEP-Sendungsaufkommen in Millionen Neuzulassungen Entwicklung der Zulassungszahlen von Nutzfahrzeugen und des Sendungsaufkommens im KEP-Segment in Deutschland (2008-2019) <3.5t 3.5 - 7.5t >7.5t KEP-Sendungsaufkommen Bild 1: Gegenüberstellung der Zulassungszahlen von Nutzfahrzeugen und des KEP-Sendungsaufkommens in Deutschland Eigene Darstellung [6] Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 28 LOGISTIK Wissenschaft Dienstleister und deren Sendungsaufkommen liefern. Die vorliegenden Kenngrößen aus Veröffentlichungen und die aus Fallstudien erfassten Eckwerte werden verwendet, um das nachfolgende Modell zu kalibrieren. Der schematische Ablauf des Modells ist in Bild 2 dargestellt und wird nachfolgend für die einzelnen Schritte skizziert. Zunächst wird die Modellierung der KEP-Sendungsstrukturen dargelegt. Auf Grundlage der räumlichen Verteilung des Sendungsaufkommens und der Depotstandorte der KEP-Dienstleister werden über einen Tourenbildungsalgorithmus Liefertouren gebildet, aus denen Informationen zu streckenbezogenen Fahrleistungen abgeleitet werden können. Abschließend können dann unterschiedliche Maßnahmen szenarienhaft modelliert und hinsichtlich der berechneten Kennwerte verglichen werden. Modellierung der KEP-Sendungsstrukturen In einem ersten Schritt wird die Modellierung des Sendungsaufkommens für beide Kundensegmente (B2C/ B2B) dargestellt. Als räumliche Bezugsgröße werden geographische Gitter verwendet, die mit Einwohnerdaten des Zensus 2011 parametrisiert sind.[11] Das GIS-basierte Modell weist das Sendungsaufkommen im Ergebnis auf einem Gitter mit 100 m Kantenlänge aus. Als Erzeugungskennziffer für das B2C-Sendungsaufkommen wird das jährliche Pro-Kopf-Aufkommen verwendet. Die Datengrundlage stellt eine Studie der Bundesnetzagentur dar, welche das Pro-Kopf-Aufkommen für das Jahr 2016 räumlich differenziert nach 2-Steller-Postleitzahlbereichen ausweist. Die ausgewiesenen Pro-Kopf-Aufkommen werden anhand der Bevölkerungsentwicklung in den Berliner Stadtbezirken bis zum Jahr 2019 fortgeschrieben.[12] Zu der räumlichen Verteilung des B2B-Sendungsaufkommens bzw. des KEP-Aufkommens von Unternehmen existieren keine feingliedrigen empirisch belastbaren Kennziffern. Aus diesem Grund wird das Gesamtaufkommen für das B2B-Segment proportional zu dem B2C- Aufkommen geschätzt. Es ist bekannt, dass das B2C-Segment rund 70 % des KEP-Sendungsaufkommens entspricht.[13] Demnach können 30 % der Sendungen dem B2B-Segment zugeordnet werden. Die räumliche Verteilung des B2C-Sendungsaufkommens erfolgt über die Multiplikation des Pro-Kopf-Sendungsaufkommens je 2-Steller-Postleitzahlbereich mit der Anzahl der Einwohner je Gitterzelle. Das approximierte B2B-Sendungsaufkommen wird den Unternehmensstandorten zugeordnet. Da für die Unternehmensstandorte keine offizielle Statistik vorliegt, wird die räumliche Verteilung anhand der Unternehmensstandorte aus OpenStreetMap (OSM) und den geokodierten Adressdaten des Handelsregisters abgeleitet.[14] Die identifizierten Unternehmen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Sendungsaufkommens: Für Einzelhandelsunternehmen, die keiner Kette zugehören, stellt die KEP-Logistik einen wesentlichen Bestandteil der Warenlieferketten dar.[15] Für Dienstleistungsunternehmen, stückgutaffine Unternehmen sowie Unternehmen mit eigener Logistik besitzen KEP-Dienstleistungen nur eine untergeordnete Rolle, weshalb angenommen wird, dass dieses im Mittel dem einer Privatperson entspricht (20,4 Pakete pro Jahr). Dieses Aufkommen wird vom B2B-Gesamtsendungsaufkommen des Gebietes subtrahiert. Das verbleibende Sendungsaufkommen wird den Einzelhandelsstandorten zugeordnet, was einem jährlichen KEP-Sendungsaufkommen von rund 2.900 Paketen pro Jahr je Unternehmen entspricht. Das B2B-Sendungsaufkommen wird ebenfalls auf Gitterzellebene aggregiert. Zuletzt werden alternative Zustellmöglichkeiten (Paketshops bzw. Paketstationen im Folgenden pick-up points genannt) für das Jahr 2019 identifiziert und bei der räumlichen Verteilung berücksichtigt. Auf pick-up points entfallen 13 % des Gesamtaufkommens. Die Zuordnung des Sendungsaufkommens zu den pick-up points wird anhand der Standorte und den Gitterzellen getroffen. Dabei wird jede Gitterzelle dem jeweils räumlich nächstgelegenem pick-up point zugeordnet. Das Gesamtaufkommen des so ermittelten Einzugs- Bild 3: Einzugsgebiet der Paketstationen und Paketshops am Beispiel des Dienstleisters DPD Eigene Darstellung Legende Einzugsgebiete der DPD pick-up Points nach Luftlinienentfernung Standorte der DPD pick-up Points Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende im Auftrag von Bild 2: Struktur des GIS-basierten Modells nach [10] Legende Einzugsgebiete der DPD pick-up Points nach Luftlinienentfernung Standorte der DPD pick-up Points Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende im Auftrag von Legende Einzugsgebiete der DPD pick-up Points nach Luftlinienentfernung Standorte der DPD pick-up Points Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende im Auftrag von Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 29 Wissenschaft LOGISTIK gebietes wird anteilig (13 %) der Gitterzelle, in dem sich der entsprechende pick-up point befindet, zugeordnet. Die Einzugsgebiete der pick-up points des Dienstleisters DPD sind in Bild 3 exemplarisch dargestellt. Das Aufkommen der pick-up points stellt in Verbindung mit dem B2C- und B2B-Sendungsaufkommen das Gesamtaufkommen der Gitterzellen dar und bildet die Grundlage für die algorithmische Bestimmung der Liefertouren. Zudem werden die Marktanteile der KEP- Dienstleister innerhalb der Gitterzellen am Sendungsaufkommen berücksichtigt. In Bild 4 ist die räumliche Verteilung des Sendungsaufkommens für Berlin dargestellt. Das Gesamtsendungsaufkommen pro Jahr beträgt 140,44 Mio. Pakete. Neben der räumlichen Verteilung des Sendungsaufkommens werden zudem die relevanten Depots benötigt, welche über paketda.de (2020) erfasst werden und über Fallstudien bzw. den auf paketda.de hinterlegten Informationen zu den Liefergebieten zugeordnet werden. Parametrisiertes Netzmodell zur Berechnung der Touren Für die Bestimmung der Liefertouren wird ein modifiziertes Straßennetz auf Grundlage von OSM verwendet. Die Netzelemente des Straßennetzes werden mit realen Fahrgeschwindigkeiten parametrisiert. Dazu wird auf Floating Car Data (FCD) zurückgegriffen, was eine tageszeitliche Abbildung und Differenzierung der fahrbaren Geschwindigkeiten je Netzelement ermöglicht.[16] Für das vorliegende Modell wird die morgendliche Hauptverkehrszeit (HVZ) abgebildet. In Bild 5 ist das Netzmodell (links) dargestellt. Der rechten Abbildung können beispielhaft die fahrbaren Geschwindigkeiten der Netzelemente (Die Geschwindigkeiten sind über die Linienstärke der dargestellten Straßen skaliert) entnommen werden. Den Modelloutput stellen die Fahrleistungen und die Anzahl der Fahrzeuge der KEP-Dienstleister dar. Die entstehende Fahrleistung kann nach den Netzelementen aufgeschlüsselt werden. Basierend auf der Fahrleistung je Netzelement erfolgt die Emissionsrechnung mittels der Faktoren des Handbuchs für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs (HBEFA). Das HBEFA ist eine Datenbank, welche spezifische Emissionsfaktoren für unterschiedliche Verkehrszustände, Straßentypen, Fahrzeugklassen und -Flotten sowie unterschiedliche Straßengradienten bereithält. Die Aggregationsebenen des HBEFA können Bild 6 entnommen werden. Die Verkehrszustände können über das parametrisierte Netzmodell als Quotient aus real gefahrener Geschwindigkeit und zulässiger Höchstgeschwindigkeit abgeleitet werden und sind in Bild 7 beispielhaft dargestellt. Modellergebnisse Neben dem IST-Zustand (Base Scenario) 1 werden die nachfolgenden Szenarien modellhaft abgebildet: •• Bundling on existing pick-up points: Dienstleisterübergreifende Allokation des gesamten Sendungsaufkommens, welches innerhalb des Einzugsbereichs eines pick-up points liegt. Es wird also für jeden pick-up point ein theoretisches maximalmögliches Sendungsaufkommen berechnet. •• Pick-up points on major roads: Aus dem Basisszenario ist bekannt, dass rund ein Drittel der Fahrleistungen über das Hauptverkehrsstraßennetz abgewickelt wird. Dieser Umstand wird als Grundlage genommen, Bild 4: Jährliches KEP-Sendungsaufkommen auf Gitterzellebene Eigene Darstellung und Berechnung im Auftrag von Straßentyp (Linienstärke entspricht Durchschnittsgeschwindigkeit) Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende Legende im Auftrag von Straßentyp (Linienstärke entspricht Durchschnittsgeschwindigkeit) Netzknoten Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende Legende Bild 5: Darstellung des parametrisierten Netzmodells Eigene Darstellung im Auftrag von Legende KEP-Paketaufkommen je 100m x100m Gitterzelle pro Jahr Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende KEP-Paketaufkommen je 100m x100m Gitterzelle pro Jahr Legende im Auftrag von Legende KEP-Paketaufkommen je 100m x100m Gitterzelle pro Jahr Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende KEP-Paketaufkommen je 100m x100m Gitterzelle pro Jahr Legende im Auftrag von Legende KEP-Paketaufkommen je 100m x100m Gitterzelle pro Jahr Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende KEP-Paketaufkommen je 100m x100m Gitterzelle pro Jahr Legende Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 30 LOGISTIK Wissenschaft um fiktionale pick-up points an Knotenpunkten von Hauptverkehrsstraßen zu setzen, denen das gesamte Sendungsaufkommen der nächstgelegenen Gitterzellen zugeordnet wird. Dieses Szenario ist vergleichbar zu den sogenannten Cainiao Parcel Stations.[18] Die beiden Szenarien stellen alternative Zustellkonzepte dar und sollen theoretische Optima aufzeigen, die durch eine vollständige Bündelung und Kooperation der Dienstleister unabhängig der momentanen Marktsituation erreicht werden können. Die Fahrleistungen und Gesamtemissionen der drei Szenarien können Tabelle 1 entnommen werden. Das zweite Szenario spart rund 20.000 km Fahrleistung (-26 %) gegenüber dem Basisszenario ein; das dem chinesischen Bündelungsansatz nachempfundene Szenario verfügt über ein Einsparpotenzial von rund 55.000-km Fahrleistung pro Tag (-71 %). Das Einsparpotenzial ergibt sich aus der Verringerung der Fahrleistung und der veränderten Ausgestaltung der letzten Meile. Die höhere Bündelung ermöglicht dabei den Einsatz größerer Fahrzeuge (LKW bis 12 t) Für beide Szenarien kann zudem gezeigt werden, dass diese zu einer Reduktion der NO X -Emissionen beitragen, da die Fahrleistung auf dem untergeordneten Netz erheblich reduziert wird. Die Bündelung des gesamten Sendungsaufkommens auf das bestehende Netzwerk an pick-up points (Szenario 2) zeigt auf, welche theoretischen Potenziale in der optimalen Nutzung der bestehenden Infrastrukturen der KEP-Dienstleister liegen. Die empfängerseitige Bündelung (Szenario 3) nach chinesischem Vorbild verdeutlicht zudem die positiven Effekte einer standortoptimalen Platzierung und Nutzung von pick-up points. Fazit Das vorgestellte datengetriebene Modell bildet den Ist- Zustand und mögliche Szenarien für die Letzte Meile ab. Eine Erhöhung der Modellgüte kann vor allem durch eine bessere Datenverfügbarkeit erreicht werden, was die Wichtigkeit der Bereitstellung, Erfassung und Auswertung von Daten zum (städtischen) Güterverkehr aufzeigt. Die vorgestellten Szenarien sind theoretischer Natur. Mittelfristig ist eine derartige Ausgestaltung der Letzten Meile, die eine tiefgreifende Kooperation der Dienstleister, gesetzliche Vorgaben sowie ein vollständig verändertes Kundenverhalten erfordern, nicht denkbar. Jedoch zeigen die jüngeren Entwicklungen auf dem KEP-Markt, dass Kooperationen, wie z. B. gemeinsam genutzte Mikro-Depot-Standorte oder die vermehrte Bündelung an pick-up points, zunehmend stattfinden und z. T. durch die Eigeninitiative der KEP-Dienstleister getrieben werden. Dennoch ist in den nächsten Jahren die Schaffung von eingänglichen (gesetzlichen) Rahmenbedingungen sowie ein politischer Wille für eine umwelt- und umfeldverträgliche Ausgestaltung der Letzten Meile unabdinglich. ■ 1 Abbildung konventioneller Touren mit dieselbetriebenen Nutzfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht zwischen 3,5 t bis 7,5 t Szenario Fahrleistung (km) CO 2 (t) NO X (kg) PM (kg) 1 Base Scenario 77.322 18,2 386 1,4 2 Bundling on existing pickup points 57.095 16,8 218 2,4 3 Pick-up Points on major roads 24.470 11,2 44,6 2,1 Tabelle 1: Modellergebnisse der Szenarien im Auftrag von Verkehrsfluss flüssig dicht gesättigt Stop+go Stop+go2 Kartengrundlage © OpenStreetMap Mitwirkende Legende Bild 7: Ermittelte Verkehrszustände aus HBEFA für das Netzmodell Eigene Darstellung Agglomerationsraum Land Hauptverkehrsstraße Sammelstraße Autobahn Hauptverkehrsstraße Sammelstraße Fern-, Bundesstraße Erschließungsstraße Städt. Magistrale/ Ringstraße Stadtautobahn Semi-Autobahn flüssig dicht gesättigt Stop+Go 90, 110 50 - 100 50 - 80 80 - >130 60 - 100 30 - 80 50 - 80 30 - 50 60 - 110 50 - 90 Straßentyp / V zul in km/ h Raumbezug Verkehrszustand 6 % 4 % 2 % 0 % -2 % -4 % -6 % Längsneigung Stop+Go2 Bild 6: Aggregationsebenen des HBEFA Eigene Darstellung nach [17] Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 31 Wissenschaft LOGISTIK LITERATUR [1] Thiemermann, A.; Leerkamp, B.; Wittenbrink, P.; Aichinger, W.: Kommunale Umsetzungsperspektiven der Verkehrswende im städtischen Güterverkehr. In: Straßenverkehrstechnik (2021), Nr. 2. URL https: / / www.researchgate.net/ publication/ 349442379_ kommunale_Umsetzungsperspektiven_der_Verkehrswende_im_stadtischen_Guterverkehr_In_Strassenverkehrstechnik_Heft_22021; Überprüfungsdatum: 16.11.2021. [2] Wambach, A.; Kollmann, D.; Kühling, J.; Nöcker, T.; Westerwelle, A.: Die Novelle des Postgesetzes: Neue Chancen für den Wettbewerb: 11. Sektorgutachten Post (2019). 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Akademischer Rat, Lehrstuhl für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik, Bergische Universität Wuppertal holthaus@uni-wuppertal.de Andre Thiemermann, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik, Bergische Universität Wuppertal thiemermann@uni-wuppertal.de Marian Schlott, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik, Bergische Universität Wuppertal schlott@uni-wuppertal.de Jan Kuchhäuser, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik, Bergische Universität Wuppertal kuchhaeuser@uni-wuppertal.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Interessierte Autoren finden die Verfahrensregeln, die Autorenhinweise sowie das Formblatt für die Einreichung des Beitrages auf www.internationales-verkehrswesen.de/ autoren-service/ KONTAKT Eberhard Buhl, M.A. Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de