Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0031
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2022
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Ökonomische Analyse eines kombinierten Personen- und Gütertransports
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Sandra Tjaden
Heike Flämig
Matthias Grote
Marko Thiel
Personen- und Güterverkehr werden in der Regel getrennt voneinander betrachtet und gestaltet. In jüngster Zeit verstärkt sich aufgrund des wachsenden Mangels an Fahrpersonal sowie der zunehmenden
ökonomischen und ökologischen Anforderungen an die Transporteffizienz die Suche nach innovativen Transport- und Fahrzeugtechnologien. Ein Ansatz ist der kombinierte Transport von Personen und Gütern.
Der Artikel untersucht mit Hilfe einer Prozessanalyse und einer Total Cost of Ownership (TCO)-Berechnung den ökonomischen Nutzen eines in einem autonomen Shuttle mitfahrenden Transportroboters.
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Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 32 LOGISTIK Kombinierter Transport Ökonomische Analyse eines-kombinierten Personenund-Gütertransports Verbindung von Transportroboter und Shuttle für eine autonome Transportlösung Autonomes Fahren, Transportroboter, Shuttle, TCO Personen- und Güterverkehr werden in der Regel getrennt voneinander betrachtet und gestaltet. In jüngster Zeit verstärkt sich aufgrund des wachsenden Mangels an Fahrpersonal sowie der zunehmenden ökonomischen und ökologischen Anforderungen an die Transporteffizienz die Suche nach innovativen Transport- und Fahrzeugtechnologien. Ein Ansatz ist der kombinierte Transport von Personen und Gütern. Der Artikel untersucht mit Hilfe einer Prozessanalyse und einer Total Cost of Ownership (TCO)-Berechnung den ökonomischen Nutzen eines in einem autonomen Shuttle mitfahrenden Transportroboters. Sandra Tjaden, Heike Flämig, Matthias Grote, Marko Thiel D er kombinierte Transport von Personen und Gütern ist durchaus verbreitet. Typischerweise werden die beiden Verkehrsarten, beispielsweise durch Expresslieferungen von Gütern in Personenzügen und Flugzeugen, miteinander verknüpft. Trotzdem werden der Personen- und Güterverkehr in der Forschung in der Regel getrennt voneinander betrachtet und gestaltet. Die Bundesregierung unterstützt gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsansätze, beispielsweise mit dem Runden Tisch „Warentransport via ÖPNV - Verkehr vor Ort entlasten und Klima schützen“ und Förderrichtlinien [1, 2]. Die Synergieeffekte eines kombinierten Personen- und Gütertransports werden in den letzten Jahren in Deutschland auch für den Straßentransport diskutiert, seit dieser zunehmend durch Fahrpersonalmangel sowie ökonomische und ökologische Herausforderungen gekennzeichnet ist. Eine mögliche zukünftige Transportlösung könnte die Verbindung von autonomen Fahrzeugen in einem kombinierten Personen- und Gütertransport darstellen. Diese Entwicklung unterstützt das “Gesetz zum autonomen Fahren”, das in Deutschland den rechtlichen Rahmen für den Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion (SAE Level 4) in festgelegten Betriebsbereichen schafft. [3] In diesem Artikel wird aus einer einzelwirtschaftlichen Perspektive der Frage nachgegangen, unter welchen Bedingungen sich der kombinierte Personen- und Gütertransport eines autonomen Shuttles und eines mitfahrenden Transportroboters als ökonomisch vorteilhaft erweist. In Lauenburg/ Elbe wurde dieses im Jahr 2021 unter Einsatz von Begleitpersonal erprobt (siehe Bild 1). Aufbauend auf einer kurzen Darstellung des aktuellen Forschungsstands zum kombinierten straßengebundenen Personen- und Gütertransport werden das methodische Vorgehen erläutert und die in diesem Artikel zugrundeliegenden Annahmen und Szenarien beschrieben. Auf Basis von Prozessanalysen und Total Cost of Ownership (TCO)-Berechnungen der Transportmittel erfolgt der wirtschaftliche Vergleich am Beispiel der aktuellen Prozesse der Postzustellung der Lauenburger Stadtverwaltung mit denen eines im realen Betrieb durchgeführten automatisierten Transportprozesses. Stand der Forschung Im Ausland ist der gemeinsame Landtransport von Personen und Gütern in einem Verkehrsmittel durchaus üblich. So lassen sich beispielsweise für die Mitnahme von Gütern in Überlandbussen in Flächenländern, wie etwa Schweden oder Finnland, Anwendungsfälle beobachten [4]. Nach der Abschaffung des Paketwagens galt der ic: kurier auf der Schiene zunächst als einziger landgebundener kombinierter Personen- und Gütertransport in Deutschland [5]. Erst in den letzten Jahren werden kombinierte Transporte in Städten erneut erprobt. Die LastMileTram in Frankfurt ist ein Beispiel für die Mitnutzung des Transportraums eines Personenbeförderungsmittels, der Straßenbahn, durch Güter [6]. Der kombiBUS stellt beispielsweise die praktische Umsetzung eines kombinierten Personen- und Gütertransports in Deutschland dar, bei dem in einem Anhänger an einem Überlandbus seit dem Jahr 2012 Güter transportiert werden [7]. AT A GLANCE Passenger and freight transport are usually considered and designed separately. Recently, the search for innovative transport and vehicle technologies has intensified due to the growing shortage of drivers and the increasing economic and ecological demands on transport efficiency. One approach is the combined transport of passengers and goods. With the help of a process analysis and a total cost of ownership calculation, the article examines the economic benefit of a transport robot travelling in an autonomous shuttle. It can be shown that the use of a combined driverless passenger and goods transport can lead to cost savings. However, it must be taken into account that an economic use case only arises when both the shuttle and the transport robot can move without an attendant and robots are available on the market at lower prices. Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 33 Kombinierter Transport LOGISTIK Aufgrund der geringen Verbreitung und Verstetigung derartig kombinierter Personen- und Gütertransporte scheint ein wirtschaftlicher Betrieb nicht immer gegeben. Eine mögliche Lösung wird in fahrerlosen und elektrifizierten kombinierten Transportlösungen gesehen. Ob es tatsächlich Use-Cases dafür geben kann, ist bisher wenig untersucht. Vor allem fehlt es an Untersuchungen zu den Prozesskosten unter Berücksichtigung der technischen Entwicklung der Komponenten- und Betriebskosten für eine wirtschaftliche Bewertung derartig innovativer Transportlösungen. Methodisches Vorgehen und Annahmen Die Integration eines Transportroboters in einen bestehenden automatisierten Shuttleverkehr wurde erstmalig in Deutschland in einem achtmonatigen Realbetrieb in Lauenburg/ Elbe erprobt. In diesem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Vorhaben TaBuLa-LOG wurde der Transport der Hauspost der Lauenburger Stadtverwaltung in verschiedenen Szenarien des kombinierten Personen- und Gütertransports mit unterschiedlichem Automatisierungsgrad untersucht [8]. Für die Analyse der Prozesse und der Kosten der Szenarien wurde eine verkürzte logistische Prozesskostenrechnung [9] durchgeführt, die nur die für den Szenarienvergleich relevanten logistischen Teilprozesse und deren Kostenarten berücksichtigt. Die Kostenanalyse betrachtet die Kosten für das Fahrbzw. Zustellpersonal sowie die Kosten für die eingesetzten Transportmittel. Derartige Kostenbetrachtungen sind auch Gegenstand von TCO-Analysen. Durch TCO-Analysen können nach Ellram (1993) für einzelne Fahrzeugtypen kritische Kostengrößen identifiziert und hinsichtlich ihrer Nutzungskosten verglichen werden [10]. Durch die logistische Prozessanalyse ist es möglich, nicht nur die absoluten Nutzungskosten zu betrachten, sondern eine Verrechnung über die anteilige Arbeitszeit des Personals bzw. die anteilige Nutzungszeit des Transportmittels durchzuführen. Dies ist möglich, da beim kombinierten Personen- und Gütertransport zwei Kostenträger (eine Personenbeförderung und eine Sendung) die gleiche Transportressource (Shuttle) nachfragen. Die hier vorgelegte TCO-Berechnung baut auf bestehende Analysen auf. Für automatisierte Nutzfahrzeuge wird vor allem auf Engholm et al. (2020) und Wadud (2017) zurückgegriffen, die für unterschiedliche Größenklassen TCO vorgelegt haben [11, 12]. Die TCO des fahrerlos fahrenden Shuttles baut auf Grote und Röntgen (2021) auf; auch die Kosten für herkömmliche Busse sind hier entnommen [13]. Eine TCO für den hier zum Einsatz kommenden Transportroboter steht bislang aus. Dafür wird ein eigenes Komponentenmodell entwickelt, das auf den realen Werten des Projektes aufsetzt. Da diese aufgrund der frühen Entwicklungsphase sehr hoch sind und Mengendegressionsbzw. Standardisierungseffekte noch nicht mit einfließen, wird ein zweites, optimiertes Komponentenmodell abgeleitet und hier zunächst vorgestellt. Hier flossen auch Ergebnisse aus der Studie zu den Energie- und Treibhausgaswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens im Straßenverkehr mit ein, die im Rahmen der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie entstanden sind [14]. Vor diesem Hintergrund sind zwei TCO-Rechnungen für den Transportroboter entstanden und in den Szenarioberechnungen berücksichtigt. Komponentenmodell eines Transportroboters Bezüglich der Fahrzeugkosten des Transportroboters ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich um einen eigens entwickelten Forschungsprototypen für den Anwendungsfall in Lauenburg/ Elbe handelt. Bei der Entwicklung wurden sowohl die Anzahl und Art der verbauten Sensoren als auch die integrierten Rechenkapazitäten mit Blick auf zukünftige Anpassungen großzügig ausgelegt. Vergleichbare Transportroboter kommerzieller Anbieter verfügen teilweise über andere Sensorkonzepte, die mit geringeren Fahrzeugkosten einhergehen können. Im Jahr 2018 waren industriell genutzte Transportroboter zu Anschaffungskosten Bild 1: Transportroboter „Laura“ bei Einfahrt in den Shuttle an einer Haltestelle in Lauenburg/ Elbe Quelle: Marko Thiel 18.300 € 6.300 € 6.200 € 3.000 € 2.700 € 1.800 € 1.400 € €- 600 € 600 € 500 € 500 € 0,00 € 5.000,00 € 10.000,00 € 15.000,00 € 20.000,00 € 25.000,00 € 30.000,00 € 35.000,00 € Kosten für Prototyp Kosten nach Optimierung Kosten Benutzerschnittstelle und Kommunikation Akku und Ladegerät Funk-Not-Aus Rechner Sensorik Fahrgestell, Karosserie und Antrieb Bild 2: Komponentenkosten des Transportroboters „Laura“, entwickelt an der TU Hamburg Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 34 LOGISTIK Kombinierter Transport in Höhe von etwa 5.000 EUR auf dem Markt verfügbar [15]. Durch die Fertigung von nur zwei Exemplaren des Roboters bleiben Skaleneffekte aus. Potentiale in der Reduktion von Kosten ergeben sich insbesondere in einer höheren Fertigungstiefe des Fahrgestells und der Karosserie (siehe Bild 2). Ein Ersatz der bisher genutzten Roboterbasis durch eine Eigenkonstruktion eröffnet Einsparungen von bis zu 12.000 EUR. Aber auch in anderen Bereichen sind Einsparungen realisierbar: Die Kosten der Sensorik ließen sich durch ein angepasstes Sensorkonzept (ggf. unter Verzicht auf den LiDAR-Sensor) um voraussichtlich 3.200 EUR reduzieren. Das Zusammenlegen der Recheneinheiten würde eine Kostenreduktion von 900 EUR ermöglichen. Voraussetzung für die Genehmigung des Transportroboters war, dass der Realbetrieb durchgängig durch eine Begleitperson überwacht wird. Als redundante Eingriffsmöglichkeit wurde ein Funk-Not-Aus-System eingesetzt. In einem autonomen Betrieb wäre dieses System verzichtbar. Die Kosten für Akkumulator und Ladegerät sowie Benutzerschnittstelle werden als zunächst ohne wesentliches Reduktionspotential eingeschätzt. Die vollständige Umsetzung aller Optimierungsansätze würden die Fahrzeugkosten von 29.700 EUR um insgesamt 17.500 EUR auf 12.200 EUR senken. Das Bild 2 zeigt die Veränderungen der Kosten ausgehend vom Prototyp durch eine Optimierung der Konstruktion und Komponentenauswahl. Prozessanalyse und -kostenermittlung der Szenarien Das Basisszenario bildet die bestehenden Prozesse der Lauenburger Stadtverwaltung zum Transport ihrer internen Hauspost ab. Es umfasst die Transportstrecken vom Rathaus in der Oberstadt (Amtsplatz) zum etwa 1,6 Kilometer entfernten Posteinlagerungszentrum, die Strecken am Amtsplatz zwischen den Verwaltungsgebäuden sowie die Strecke von dort zum Elbschifffahrtsmuseum, das sich in der Altstadt Lauenburgs befindet. Die Hauspost wird im Basisszenario am Morgen mit einem herkömmlichen elektrifizierten PKW am Posteinlagerungszentrum durch das Verwaltungspersonal abgeholt. Nachdem die Post im Rathaus durch das Personal sortiert wurde, wird sie in Postfächern eingelagert. Hierauf greifen die Mitarbeitenden der Abteilungen täglich zweimal zu. Sie geben ihre Ausgangspost im Rathaus ab und entnehmen die interne Hauspost aus den Postfächern und transportieren diese zu Fuß zu ihren Abteilungen. Die Prozessaufnahme vor Ort zeigt, dass 56 Minuten Arbeitszeit für den Posttransport täglich aufgewendet werden - dies entspricht 9,6 Prozent einer Vollzeitstelle. Der elektrifizierte PKW erbringt rund 2,1 Prozent seiner täglich möglichen Fahrzeit auf einer Strecke von rund 3,2 Kilometer für den Posttransport. Um feststellen zu können, welche Potenziale die Kombination aus Personen- und Gütertransport aus ökonomischer Sicht bietet, werden im Basisszenario außerdem die Kosten einer Personenbeförderung parallel dazu ermittelt. Im Basisszenario nutzen die Busbetriebe für die Personenbeförderung einen elektrifizierten Minibus. Auf Seiten der Busbetriebe entstehen Betriebskosten für den Minibus (Fahrzeug mit ca. 14 Sitzplätzen) inklusive der Kosten für das Fahrpersonal, und sie generieren Einnahmen aus der Fahrgastbeförderung. Im Kombiszenario überwindet der Transportroboter die langen Strecken zum Posteinlagerungszentrum und zum Elbschifffahrtsmuseum mithilfe eines fahrerlosen Shuttles. Zwischen dem Shuttle und den Übergabeorten von Sender bzw. an Empfänger sowie zu den Abteilungen am Amtsplatz übernimmt ein Roboter den Transport (siehe Bild 3). In der Erprobungszeit wurde der Shuttle zu 87 Prozent seiner täglichen Einsatzzeit für die reine Personenbeförderung und 13 Prozent sowohl zur Personen- und Transportroboterbeförderung genutzt. Während der kombinierten Fahrt reduzieren sich die möglichen Einnahmen aus der Personenbeförderung, da der Transportroboter 20 Prozent der Platzkapazität in Anspruch nimmt. Vergleich der TCO der Transportketten In die TCO-Berechnung werden die Fahrzeugkosten, Energiekosten, laufende Kosten (z. B. für Wartung- und Reparatur, Batterieersatz, Steuern und Versicherung), Infrastrukturkosten (z. B. Garage), Fahrzeugbegleitpersonalkosten und weitere Personalkosten (z. B. für Verwaltung, Leitstelle oder Schulung) sowie sonstige Kosten (z. B. für Softwarelizenzen, Zulassung, Telefon- Basisszenario Kombiszenario TCO- Annahmen PKW Minibus Shuttle Transportroboter Transportroboter optimiert Betreiber Stadt Busbetrieb Busbetrieb Stadt Stadt elektrischer Antrieb ja ja ja ja ja fahrerlos nein nein ja ja ja Durchschnittsgeschwindigkeit 19,8 km/ h 19,8 km/ h 19,8 km/ h 3 km/ h 3 km/ h Nutzungsdauer 4,0 Jahre 10,0 Jahre 8,1 Jahre 3,0 Jahre 3,0 Jahre Fahrleistung pro Jahr 15.000 km 40.000 km 49.140 km 408 km 408 km Fahrzeugkosten (insgesamt) 40.613 € 323.518 € 269.371 € 29.688 € 12.200 € Fahrzeugbetriebskosten (exklusive Personal) pro Jahr 2.667 € 56.921 € 72.986 € 1.173 € 875 € Personalkosten pro Jahr 23.587€ 67.281 € 21.621 € 893 € 893 € Tabelle 1: Berechnungsgrundlagen der TCO-Ermittlung der Transportmittel Eigene Zusammenstellung Lange Distanz (Shuttle) Empfänger Versender Kurze Distanz (Transportroboter) Kurze Distanz (Transportroboter) Bild 3: Skizze des kombinierten Personen- und Gütertransport durch Transportroboter und Shuttle Quelle: In Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 35 Kombinierter Transport LOGISTIK kommunikation) integriert. Einen Überblick über die getroffenen Annahmen und erhobenen Daten für die TCO-Ermittlung je Transportmittel zeigt die Tabelle 1. Im Basisszenario entstehen Fahrpersonalkosten für den PKW und den herkömmlichen elektrifizierten Minibus. Im Kombiszenario wird unterstellt, dass ein autonomer Transportprozess ohne Personaleinsatz stattfindet, weshalb die Fahrpersonalkosten des Shuttles und des Transportroboters unberücksichtigt bleiben. Lediglich weitere Personalkosten zur Abwicklung des Posttransports werden einbezogen. Angenommen wird zudem, dass alle eingesetzten Fahrzeuge über einen Elektroantrieb verfügen. Auf Grundlage der TCO-Berechnungen ergeben sich zwischen den einzelnen Transportmitteln deutliche Unterschiede in der prozentualen Verteilung der Kostenarten an den Gesamtkosten. Beim manuell gefahrenen PKW und Minibus stellen die Kosten für die Fahrzeugbegleitperson mit über 35 bis 60 Prozent an den Gesamtkosten den größten Anteil dar. Diese entfallen bei einem fahrerlosen Shuttle. Beim autonomen Transportroboter sind die Fahrzeugkosten mit knapp 83 Prozent der größte Kostentreiber (siehe Bild 4). Im direkten Vergleich ergeben sich für den Transportroboter vergleichsweise hohe Kosten pro gefahrenen Kilometer, was u. a. an der geringen Jahresfahrleistung im vorliegenden Szenario begründet ist. Jahresgesamtkosten der Transportketten-Szenarien Nachdem die TCO für die jeweiligen Transportmittel berechnet wurden, werden diese in den Szenarienbetrachtungen berücksichtigt und getrennt für die Stadt und die Busbetriebe ausgewiesen. Im Basisszenario belaufen sich die gesamten Prozesskosten des Posttransports auf Seiten der Stadt auf rund 7.500 EUR pro Jahr. Davon sind über 5.500 EUR Personalkosten und knapp 2.000 EUR Fahrzeugkosten. Die TCO des Minibusses betragen etwa 156.500 EUR pro Jahr, wovon ein Großteil Personalkosten sind. Abgezogen werden beim Minibus die für den ländlichen Raum angenommenen Einnahmen aus der Personenbeförderung mit knapp 60.000 EUR pro Jahr. Für den getrennten Personen- und Gütertransport addieren sich die verbleibenden Kosten der Stadt und dem Busbetrieb im Basisszenario zu einem Defizit in Höhe von rund 104.000 EUR pro Jahr. Im Kombiszenario des kombinierten Personen- und Gütertransports entstehen der Stadt Kosten von knapp 12.000 EUR pro Jahr für den Einsatz des Transportroboters sowie etwa 1.500 EUR pro Jahr für die Nutzung des Shuttles als Transportmittel für den Roboter. Der fahrerlose Betrieb eines Shuttles verursacht bei den Busbetrieben Kosten von etwa 127.700 EUR pro Jahr. Dem stehen Einnahmen aus der Personenbeförderung von etwa 60.000 EUR pro Jahr gegenüber. Allerdings entfallen den Busbetrieben Einnahmen durch die Personenbeförderung, wenn der Transportroboter im Shuttle mitfährt und dementsprechend Platz in Anspruch nimmt. Hier werden die Einnahmen aus der Personenbeförderung mit den Kosten durch die Mitfahrt des Transportroboters im Fahrzeug verrechnet. Bezogen auf den Anwendungsfall fährt der Shuttle 87-Prozent der Zeit ohne und 13 Prozent mit einem Transportroboter. Bei einem Vergütungsmodell, in dem die Busbetriebe der Stadt mindestens die entfallenden Einnahmen aus der Personenbeförderung als Opportunitätskosten in Rechnung stellen, können die Busbetriebe aus der Roboterbeförderung Einnahmen in Höhe von etwa 1.500 EUR pro Jahr generieren, die der Stadt in Rechnung gestellt werden können. Das Gesamtdefizit für die Stadt und die Busbetriebe im Kombiszenario des Posttransports beträgt etwa 81.200 EUR pro Jahr. Der Vergleich der ersten beiden Szenarien zeigt, dass durch die Automatisierung der Transportprozesse die Kosten insgesamt um knapp 23.000 EUR pro Jahr reduziert werden könnten. Während die Kosten für die Busbetriebe vom Basisszenario zum Kombiszenario durch die Automatisierung deutlich sinken, nehmen die Kosten bei der Stadt um etwa 6.000 EUR pro Jahr zu. Letzteres liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die Kosten des Transportroboters höher sind als die des manuellen Transports. Aus Sicht der Stadt stellt daher der Robotereinsatz derzeit keinen wirtschaftlich interessanten Anwendungsfall dar. Um einen ökonomisch vorteilhaften Prozess für die Stadt zu erzielen, könnte u. a. eine erhebliche Reduktion der Fahrzeugkosten des Transportroboters beitragen. Beispielsweise würden bei einem optimierten Transportroboter die Fahrzeugkosten um insgesamt 17.500 EUR sinken (vgl. Bild 2), sodass sich die Kosten der Stadt um weitere 6.000 EUR pro Jahr reduziert (siehe Bild 5). Neben den Ausgaben pro Jahr ist auch eine Berechnung hinsichtlich der Prozesskosten pro Sendung möglich. Bei einem durchschnittlich im Realbetrieb gemessenen Aufkommen von 47 Briefen pro Tag belaufen sich die Kosten für die Stadt im Basisszenario 25,9% 10,0% 31,6% 3,3% 16,9% 12,3% Autonomes Shuttle: 2,60 €/ km 82,7% 0,1% 6,7% 1,7% 7,5% 1,4% Autonomer Transportroboter: 29,30 €/ km 27,9% 2,4% 3,9% 1,0% 59,4% 5,4% Pkw: 2,43 €/ km 69,7% 0,1% 8,6% 3,5% 15,3% 2,8% Optimierter Transportroboter: 14,29 €/ km 20,7% 11,7% 21,7% 2,7% 35,1% 7,9% 0,3% Minibus: 3,91 €/ km Fahrzeugkosten Energiekosten laufende Kosten Infrastrukturkosten Fahrzeugbegleitpersonen Weitere Personalkosten Weitere Kosten Bild 4: Gesamtkosten pro Kilometer und prozentuale Verteilung der Kostenarten der unterschiedlichen Transportmittel im spezifischen Anwendungsfall Lauenburg/ Elbe im Projekt TaBuLa-LOG Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 36 LOGISTIK Kombinierter Transport auf etwa 0,62 EUR pro Sendung. Im Kombiszenario erhöhen sich die Kosten pro Sendung auf 1,13 EUR. Werden die Kosten für den Transportroboter optimiert, vermindern sich die Kosten pro Sendung auf 0,61 EUR. Fazit Die TCO für die Transportszenarien zeigen, dass der Einsatz eines kombinierten fahrerlosen Personen- und Gütertransports zu einer Einsparung von Kosten führen kann. Dies gilt sowohl für die Busbetriebe, die mit fahrerlosen Fahrzeugen ihr Angebot verbessern und mit dem Gütertransport die Auslastung erhöhen könnte, als auch für die Stadt, die ihre internen Prozesse automatisieren kann. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein wirtschaftlicher Anwendungsfall erst entsteht, wenn sich sowohl der Shuttle als auch der Transportroboter ohne Begleitperson fahrerlos fortbewegen können. Auch müssten kommerzielle Transportroboter zu niedrigeren Preisen am Markt erhältlich sein. Eine andere Option wäre die Steigerung der Auslastung (z. B. durch Nutzung des Roboters für weitere Zwecke oder andere Institutionen), um die Kosten zu senken. Hierzu wären in Lauenburg/ Elbe beispielsweise die Auslieferung des Essens oder die Zustellung von Büchern aus der Bibliothek denkbar. Auch wenn es sich bei diesen Kostenabschätzungen um Szenarioberechnungen mit vielen Annahmen und groben Abschätzungen handelt, zeigen sie gut auf, welche ökonomischen Veränderungen für die Implementierung eines kombinierten fahrerlosen Personen- und Gütertransports erforderlich sind. Zum einen werden sich Veränderungen in den logistischen Prozessketten ergeben, die neue Herausforderungen bergen. Zum anderen sind vermehrte Anstrengungen zur Standardisierung zu unternehmen, um die erforderlichen Mengendegressionseffekte realisieren zu können. Für eine ganzheitliche Abschätzung eines kombinierten Personen- und Gütertransports bedarf es jedoch neben dieser einzelwirtschaftlichen Perspektive auch einer gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abschätzung, bei der auch ökologische und soziale Auswirkungen berücksichtigt werden. Der kombinierte Personen- und Gütertransport bietet Potenzial, nicht nur Kosten einzusparen, sondern auch Verkehr und dessen negative Folgen zu reduzieren. Dies ist u. a. Gegenstand des Folgevorhabens TaBuLa- LOGplus. ■ LITERATUR [1] BMDV (2022): Runder Tisch „Warentransport via ÖPNV - Verkehr vor Ort entlasten und Klima schützen“. www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ G/ warentransport-via-oepnv.html (Abruf: 16.03.2022). [2] BMDV (2019): Förderrichtlinie „Ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Mobilitätssystem durch automatisiertes Fahren und Vernetzung“. www. bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ DG/ foerderrichtlinie-zukunftsfaehiges-nachhaltiges-moblilitaetssystem-durch-avf.html (Abruf: 16.03.2022). [3] BMDV (2022): Bundeskabinett verabschiedet Verordnung zum Autonomen Fahren. www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Pressemitteilungen/ 2022/ 008-wissing-verordnung-zum-autonomen-fahren.html (Abruf: 30.03.2022). [4] Monheim, H.; Muschwitz, C.; Reimann, J.; Pitzen, C.; Sylvester, A.; Michelmann, H. 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TUHH Universitätsbibliothek. https: / / doi.org/ 10.15480/ 882.3621 (Abruf: 29.03.2022). [14] Krail, M.; Hellekes, J.; Schneider, U.; Dütschke, E.; Schellert, M.; Rüdiger, D.; Steindl, A.; Luchmann, I.; Waßmuth, V.; Flämig, H.; Schade, W.; Mader, S. (2019): Energie- und Treibhausgaswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens im Straßenverkehr. Wissenschaftliche Beratung des BMVI zur Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie. www.isi. fraunhofer.de/ content/ dam/ isi/ dokumente/ ccn/ 2019/ energie-treibhausgaswirkungen-vernetztes-fahren.pdf (Abruf: 29.03.2022). [15] Condliff, J. (2018): Why sidewalk delivery robots still need safety drivers.www.technologyreview.com/ 2018/ 01/ 30/ 145935/ why-sidewalkdelivery-robots-still-need-safety-drivers-too/ (Abruf: 29.03.2022). Bild 5: Kosten im Basisszenario, im Kombiszenario und im optimierten Szenario für die Stadt und für die Busbetriebe (gerundete Werte) Eigene Berechnung 7.500 € 13.500 € 7.400 € 96.500 € 67.700 € 67.700 € - € 20.000 € 40.000 € 60.000 € 80.000 € 100.000 € 120.000 € Basisszenario: Manueller Posttransport mittels Pkw Kombiszenario: Autonomer Posttransport mittels Shuttle und Transportroboter Optimiertes Szenario: Autonomer Posttransport mittels Shuttle und optimiertem Transportroboter Kosten pro Jahr Stadt Verkehrsbetriebe ∑ 104.000 € ∑ 81.200 € ∑ 75.200 € Matthias Grote, Dipl.-Ing. Projektkoordinator und Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg matthias.grote@tuhh.de Marko Thiel, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Technische Logistik, Technische Universität Hamburg marko.thiel@tuhh.de Sandra Tjaden, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg sandra.tjaden@tuhh.de Heike Flämig, Prof. Dr.-Ing. Professur für Transportketten und Logistik, Institut für Verkehrsplanung und Logistik, Technische Universität Hamburg flaemig@tuhh.de
