eJournals Internationales Verkehrswesen 74/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0041
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Zertifizierung von automobilen GNSS-Empfängern unter realen Bedingungen

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2022
Franz Kurz
Paulo Mendes
Hartmut Runge
Veronika Gstaiger
Nachweis der Konformität von GNSS-Geräten, insbesondere zur Unterstützung der Funktionen des automatisierten Fahrens in den von der Society of Automotive Engineers (SAE) definierten Stufen L3, L4 und L5 erfolgt bisher über den direkten Vergleich mit hochwertigen GNSS-Geräten, wobei Test- und Referenzdaten den gleichen Qualitätsverlusten aufgrund äußerer Einflussfaktoren unterliegen. Der neu entwickelte und unter realen Bedingungen getestete Ansatz nutzt Luftbilder, die mithilfe des 4k-Kamerasystems des DLR an Bord eines Hubschraubers simultan zur Testfahrt eines mit GNSS-Empfängern bestückten Fahrzeugs aufgenommen werden.
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Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 64 TECHNOLOGIE Digitalisierung Zertifizierung von automobilen GNSS-Empfängern unter realen Bedingungen Innovatives Verfahren zur Bestimmung von Fahrzeug- Referenztrajektorien anhand simultan aufgenommener, hochpräziser Luftbildaufnahmen GNSS Empfänger, Hubschrauber, Luftbildauswertung, Zertifizierung Nachweis der Konformität von GNSS-Geräten, insbesondere zur Unterstützung der Funktionen des automatisierten Fahrens in den von der Society of Automotive Engineers (SAE) definierten Stufen L3, L4 und L5 erfolgt bisher über den direkten Vergleich mit hochwertigen GNSS-Geräten, wobei Test- und Referenzdaten den gleichen Qualitätsverlusten aufgrund äußerer Einflussfaktoren unterliegen. Der neu entwickelte und unter realen Bedingungen getestete Ansatz nutzt Luftbilder, die mithilfe des 4k-Kamerasystems des DLR an Bord eines Hubschraubers simultan zur Testfahrt eines mit GNSS-Empfängern bestückten Fahrzeugs aufgenommen werden. Franz Kurz, Paulo Mendes, Hartmut Runge, Veronika Gstaiger I m Rahmen des ESA-Forschungsprojekts VaGAD (Validate GNSS receiver for Autonomous Driving) [1] entwickelte die Firma NavCert GmbH zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein neuartiges Verfahren zur Zertifizierung und Prüfung von Global Navigation Satellite System (GNSS)-Empfängern im Automobilbereich mit Hilfe simultan aufgenommener Luftbilder. Dieses Zertifizierungsverfahren ermöglicht Herstellern (OEMs) und Tier-1-Organisationen die Überprüfung der Konformität von GNSS-Geräten, insbesondere zur Unterstützung der Funktionen des automatisierten Fahrens in den von der Society of Automotive Engineers (SAE) definierten Stufen L3, L4 und L5. Bislang erfolgt dieser Nachweis über den direkten Vergleich mit hochwertigen GNSS-Geräten, wobei Test- und Referenzdaten den gleichen Qualitätsverlusten aufgrund äußerer Einflussfaktoren unterliegen. Der neu entwickelte und unter realen Bedingungen getestete Ansatz nutzt Luftbilder, die mit Hilfe des 4k-Kamerasystems des DLR [2] an Bord eines Hubschraubers Foto: Lynda Sanchez / pixabay TECHNOLOGIE Digitalisierung Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 65 Digitalisierung TECHNOLOGIE simultan zur Testfahrt eines mit GNSS- Empfängern bestückten Fahrzeugs aufgenommen werden. Die hochpräzisen georeferenzierten Bilder ermöglichen die Ableitung einer Referenztrajektorie des Testfahrzeugs mit Positionsgenauigkeiten besser als 10 cm. Im Gegensatz zu bisherigen Verfahren bleiben die Referenzdaten auf diese Weise von äußeren Störfaktoren in GNSS-kritischen Umgebungen unbeeinflusst. Das Design des Verfahrens ist auf einen Einsatz unter realen Bedingungen für Verkehrssituationen auf Landstraßen, Autobahnen und in städtischem Gebiet ausgelegt und lieferte im Test zuverlässige und belastbare Ergebnisse, die künftig zur Kalibrierung, Validierung und Leistungsbewertung von GNSS-Empfängern genutzt werden können. Hintergrund Eine absolute und hochgenaue Positionsbestimmung von Fahrzeugen mittels GNSS ist eine wesentliche sicherheitskritische Komponente des autonomen Fahrens. Dies gilt heute insbesondere für Fahrzeuge mit automatisierten Fahrfunktionen, die speziell für das Erreichen der von der Society of Automotive Engineers (SAE) definierten Stufen L3, L4 und L5 ausgelegt sind (Norm J3016 der SAE [3]). Die jüngsten technologischen Entwicklungen im Automobilbereich haben zu einem zunehmenden Grad der Autonomisierung geführt. Deshalb sollten und müssen kritische technologische Komponenten im Hinblick auf ihre Zuverlässigkeit, ihre Sicherheit sowie ihre Gesamtfunktionalität und Systemgenauigkeit kontinuierlich auch unter realen Bedingungen auf öffentlichen Straßen getestet, validiert und schließlich zertifiziert werden. Die absolute Position eines Fahrzeugs wird bislang nur durch GNSS bestimmt. Ein Delta zur absoluten Position kann, insbesondere in Umgebungen ohne GNSS-Verfügbarkeit, durch Hilfssensoren ermittelt werden, z. B. durch ein INS (Inertial Navigation System) und einen Kilometerzähler. Für das autonome Fahren ist eine absolute Positionierungsfähigkeit mit mindestens Fahrspurgenauigkeit in Kombination mit hoher Integrität in allen Fahrumgebungen erforderlich. Die Anforderungen an Positionierungsgenauigkeiten sind im Bereich des autonomen Fahrens standardisiert und liegen bei 20 cm horizontal und 2 m vertikal. 1 Die Zuverlässigkeit und Genauigkeit von GNSS-Geräten für Fahrzeuge (system under test - SUT) werden in der Regel unter Verwendung eines hochwertigen GNSS- Geräts mit einer angenommenen höheren Genauigkeit (reference system - RS) bewertet. Bei diesem Ansatz wird die Tatsache ignoriert, dass sowohl das RS als auch das SUT denselben grundlegenden Fehlereinflüssen, wie beispielsweise Abschattungen der Signale durch Bäume oder in engen Häuserschluchten unterliegen, da sie nach denselben Funktionsprinzipien arbeiten. Deshalb kann die tatsächliche Genauigkeit von SUT mit diesem Verfahren nur sehr eingeschränkt gemessen werden. Ein unabhängiger Ansatz zur Bewertung der tatsächlichen Genauigkeit ist jedoch unbedingt erforderlich. Alternativ wurden Methoden zur relativen Positionierung entwickelt, z. B. mit visueller Odometrie [4] oder mit robotischen Totalstationen [5]. Bei Letzteren verfolgen mindestens drei synchronisierte robotische Stationen an bekannten Positionen auf dem Zielfahrzeug montierte Prismen entlang einer Strecke in einem abgegrenzten Testgebiet. Auf der Grundlage der relativen Messungen von Entfernung, Azimut und Höhe zu den Zielprismen kann eine Referenztrajektorie des Fahrzeugs berechnet werden. Die abgegrenzten meist sehr kleinen Testgebiete spiegeln jedoch das Verhalten der GNSS-Geräte in realen Verkehrssituationen nur bedingt wieder. Insbesondere bei Tests in Städten kommt es immer wieder zu Messungsunterbrechungen, und es bestehen große logistische Probleme. Um diese Lücke zu schließen, wird in diesem Beitrag eine weitere alternative Methode zur Bestimmung einer Referenztrajektorie unter realen Bedingungen vorgestellt. Dabei wird die absolute horizontale Fahrzeugposition mit Hilfe von simultan aufgenommenen Luftbildern aus einem Hubschrauber und der Höheninformation aus einem digitalen Geländemodell (DGM) bestimmt. Besonderes Augenmerk wird auf die Eignung der vorgeschlagenen Methode für die Validierung und Zertifizierung von SUT gelegt, bei der eine Genauigkeit von 10-cm für die horizontale Position gefordert wird. Zertifzierungsprozess von automobilen GNSS-Empfängern Ähnlich wie die Luftfahrt steht die Automobilindustrie vor verschiedenen Herausforderungen bezüglich der Zertifizierung von GNSS-Geräten, v. a. hinsichtlich der Ermittlung der Genauigkeit der Geräte und der damit verbundenen absoluten Positionsbestimmung. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Nachweis der Integrität, ein weiterer auf dem Nachweis der Genauigkeit. Die Bewertung der Integrität basiert auf dem traditionellen Ansatz, der besagt, dass ein System innerhalb einer definierten Leistungsanforderung in der erforderlichen Zeit ohne Probleme funktioniert. Ein Fahrzeug sollte also Millionen von Kilometer fahren, um zu beweisen, dass es einwandfrei funktioniert. Dieser Ansatz ist in der Automobilindustrie etabliert und wird für alle sicherheitskritischen Komponenten verwendet, deren Integritätsgrad gemäß der Norm ISO 26262 zu bewerten ist. Der Nachweis der erforderlichen absoluten oder relativen Positionsgenauigkeit des Fahrzeugs, die mit Hilfe eines RS ermittelt wird, ist von grundlegender Bedeutung, um die Funktionsfähigkeit des autonomen Fahrsystems zu gewährleisten. Es zeigt sich, dass Bewertungsverfahren zum Nachweis der Genauigkeit gefährdet sind, wenn RS und SUT die gleichen Arbeits- und Verarbeitungsprinzipien anwenden, insbesondere wenn RS und SUT identische Hard- und Softwarekomponenten haben. Typischerweise verfügt ein RS über bessere interne Oszillatorfunktionen mit allen verfügbaren Auswerte- und Korrekturalgorithmen. SUT verfügt möglicherweise über Hardwarekomponenten mit geringerer Leistung und nur einige der verfügbaren Algorithmen. In dieser Hinsicht sind sich die OEMs und Tier-1-Unternehmen der Automobilindustrie dieser Abhängigkeiten bewusst und suchen nach einem zuverlässigen Verfahren zur Kalibrierung und Validierung der SUTs ihrer Fahrzeugsysteme. Während Tier-1-Un- Genauigkeitsmetrik Positionsfehler Klasse I - Stadt Klasse II - Land Klasse III - Autobahn Horizontaler Positionsfehler (m) HPE | Perzentil 68.3 th ≤ 0.20 ≤ 0.25 ≤0.33 HPE | Perzentil 95.4 th ≤ 0.40 ≤ 0.50 ≤ 0.66 HPE | Perzentil 99.7 th ≤ 0.60 ≤ 0.75 ≤1.00 Vertikaler Positionsfehler (m) VPE-| Perzentil 68.3 th ≤ 1.00 ≤ 1.20 ≤ 1.50 VPE-| Perzentil 95.4 th ≤ 2.00 ≤ 2.40 ≤ 3.00 VPE-| Perzentil 99.7 th ≤ 3.00 ≤ 3.60 ≤ 4.50 Tabelle 1: Definitionen der Genauigkeits-Klassen für die Zertifizierung von SUTs Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 66 TECHNOLOGIE Digitalisierung ternehmen eine unabhängige Methode zur Validierung während der Entwicklung und Produktion benötigen, müssen OEMs die GNSS-spezifischen Leistungsindikatoren (KPIs) in den gelieferten Produkten unabhängig überprüfen. Der Zertifizierungsaspekt ist für OEMs und Tier-1-Unternehmen sehr wichtig, da er das Vertrauen in ein Produkt erhöht und sicherstellt, dass die definierten Anforderungen erfüllt werden. Es ermöglicht zertifizierten GNSS-Geräten einen Marktvorteil gegenüber nicht zertifizierten Geräten. In diesem Beitrag wird ein Zertifizierungsprozess anhand von drei Genauigkeitsstufen vorgeschlagen, die sich insbesondere auf horizontale und vertikale Positionsfehler von SUTs beziehen. Diese Stufen sind jeweils mit einem der drei Anwendungsszenarien Stadtverkehr (I), Landstraße (II) und Autobahn (III) verknüpft. Bei der Zertifizierung können eine oder mehrere Genauigkeitsstufen gewählt werden, falls Interesse besteht, die SUTs für nur eine Klasse zu zertifizieren. Im Rahmen von Prüf- und Zertifizierungstätigkeiten sind auch die anzuwendenden Metriken, Pass/ Fail-Kriterien und Stichprobenumfang der Messdaten, zu definieren. Die vorgeschlagenen Pass/ Fail-Kriterien basieren auf den Verteilungen der horizontalen und vertikalen Differenzen (HPE/ VPE) bzgl. der Referenztrajektorie, genauer auf den in Tabelle 1 definierten Perzentilen. Dies steht im Einklang mit dem Ansatz der Normungsorganisationen CEN/ CENELEC und ETSI. Der erforderliche Mindeststichprobenumfang für jede Klasse basiert auf der statistischen Überlegung, dass die Messvarianz zehnmal besser sein muss als die für die gewählte Genauigkeitsklasse definierte Messvarianz basierend auf einem Konfidenzniveau von 95,4 %. Unter diesen Überlegungen beträgt der festgelegte Mindeststichprobenumfang 625, 400 bzw. 230 für die Klassen I, II bzw. III. Neue Methode zur Gewinnung von Referenz-Trajektorien mithilfe von Luftbildern Die absolute horizontale Fahrzeugposition kann mithilfe von simultan aufgenommenen Luftbildern beispielsweise aus einem Hubschrauber und der Höheninformation der Straßenoberfläche aus einem DGM bestimmt werden. Dabei wird der dreidimensionale Bildstrahl zwischen dem Bildpunkt der sichtbaren GNSS-Antenne auf dem Fahrzeugdach mit dem DGM geschnitten (siehe Bild 1). Der Schnittpunkt liefert die X- und Y-Koordinaten der Referenztrajektorie exakt zum Aufnahmezeitpunkt des Luftbilds. Zusätzlich muss das Höhenoffset der GNSS-Antenne zur Straßenoberfläche berücksichtigt werden, welches durch eine Maßbandmessung vorab bestimmt werden kann. Des Weiteren wird bei diesem Verfahren die Höheninformation der Straßenoberfläche aus einer externen unabhängigen Datenquelle benötigt. Da sich die Qualität dieser zusätzlichen Datenquelle auf die Genauigkeit der Referenztrajektorie auswirkt, ist eine hohe Datengenauigkeit erforderlich. Untersuchungen haben gezeigt, dass die DGMs der Landesvermessungsämter für bestimmte Gebiete mit einer Genauigkeit besser als die spezifizierten 10 cm zur Verfügung stehen, was den Fehlereinfluss an dieser Stelle minimiert. Die räumliche Lage und Orientierung des Bildstrahls muss für jedes Luftbild in einem aufwändigen photogrammetrischen Prozess bestimmt werden. Wichtige Parameter sind hierbei die drei Rotationswinkel des Bildes im Raum, sowie die Positionskoordinaten des Projektionszentrums der Kamera, welche mit einem hochwertigen GNSS/ Inertialsystem im Hubschrauber gemessen und in einem Schätzverfahren unter Verwendung von Passinformationen weiter verbessert werden müssen. Durchführung einer Testkampagne Die Anwendbarkeit und Leistungsfähigkeit des neuen Verfahrens wurde in einer Testkampagne am 14. und 15.07.2021 im Raum München sowie in der Münchner Innenstadt demonstriert. Dabei wurden GNSS- Daten eines Referenzfahrzeugs und simultan aufgenommene Luftbilder aus einem Hubschrauber erfasst. Zunächst wurden weitere Kriterien für einen repräsentativen Datensatz definiert, wie beispielsweise den Bereich von Fahrzeuggeschwindigkeiten, die jeweilige Mindestanzahl von Luftbildern und die daraus resultierenden Mindestlängen der Streckenabschnitte. Die abgeleiteten Testszenarien enthalten außerdem gezielt Abschnitte mit zu erwartenden Leistungseinschränkungen für GNSS-Geräte. Auf einer Länge von insgesamt 30 km wurden Teilabschnitte zur Kalibrierung (CAL) und den bereits erwähnten Szenarien Stadtgebiet (I) (600 Aufnahmen), Landstraße (II) (400 Aufnahmen) und Autobahn (III) (240 Aufnahmen) definiert (siehe Bild-2). Da es in Deutschland aufgrund hoher Auflagen kaum möglich ist, mit Drohnen über städtischem Gebiet und Verkehrsachsen zu fliegen, kam ein Hubschrauber mit dem 4k-Kamerasystem des DLR [2] an Bord Bild 1: Prinzip der Bestimmung der Fahrzeugposition mit Hilfe eines Luftbilds (links) und Bestimmung der absoluten Höhe des GNSS-Geräts mit Hilfe einer unabhängigen Datenquelle (rechts) Bild 2: Überblick über die Testszenarien im Großraum München, sowie Beispiele für die Sichtbarkeit des Testfahrzeugs mit Zielmarkierung auf dem Fahrzeugdach in den Luftbildern Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 67 Digitalisierung TECHNOLOGIE zur Aufnahme der Luftbilder zum Einsatz (siehe Bild 3). Der Hubschrauber folgte dabei dem Testfahrzeug unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit und Richtung des Fahrzeugs, so dass das Fahrzeug während der Messkampagne kontinuierlich vom Kamerasystem erfasst wurde. Auf Flughöhen zwischen 600 und 800 m über Grund wurden Aufnahmen mit einer durchschnittlichen Bodenpixelgröße von 7 cm gemacht. Aufgrund der intensiven Vorbereitung und engen Kommunikation zwischen der Testfahrzeug- und Hubschraubercrew konnte für alle Szenarien die geforderte Anzahl von Aufnahmen erreicht werden. Zur genauen Lokalisierung der GNSS-Antenne auf den Luftbildern wurde zudem eine Markierung auf dem Dach des Testfahrzeugs angebracht, die es in der Nachbereitung ermöglichte, die genauen Positionen des Empfängers automatisiert zu messen (siehe Bild 2, rechts unten). Das Testfahrzeug wurde während der Kampagne mit zwei unterschiedlichen GNSS-Empfängern ausgestattet. Bei einem der Empfänger handelt es sich um eine hochwertige Ausführung, die über eine Mehrwege- und Interferenzminderung sowie eine Ionosphärenkorrektur verfügt und häufig zur Messung von Referenztrajektorien verwendet wird. Der zweite und etwas einfachere Empfänger wird in der Automobilindustrie genutzt. Während der Testfahrt wurden die GNSS-Geräte mit verschiedenen differentiellen globalen Positionierungsdiensten (DGPS) betrieben, wie SBAS (Satellite Based Augmentation System) und RTK des Deutschen Satellitenpositionierungsdienst (SAPOS). Die hochgenaue Post- Processing Lösung (PPS) von SAPOS wurde hauptsächlich bei der Kalibrierungssequenz zur Fehlersuche und Genauigkeitsuntersuchung verwendet. Ergebnisse und Diskussion Bei der Auswertung der Testergebnisse wurden zwei Fragestellungen untersucht, erstens, welche Genauigkeiten durch das neue Verfahren erreicht werden und zweitens, welche Ergebnisse bei der Zertifizierung der getesteten GNSS-Geräte erreicht werden. Für die erste Fragestellung wird die Genauigkeit des neuen Verfahrens anhand von Kontrollpunkten entlang der Teststrecken beurteilt. Eine Auswertung der Genauigkeitsdifferenzen an 23 Kontrollpunkten zeigt eine mittlere Abweichung von 6 cm in horizontaler Koordinatenrichtung [6]. Weitere Kriterien bei der Beurteilung der Genauigkeit sind die Genauigkeitsdifferenzen zwischen den gemessenen Positionen aus den Luftbildern vs. der PPS-Lösung des GNSS-Empfängers entlang der Kalibrierungssequenz. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass die PPS-Lösung nicht durch Empfangseinschränkungen oder andere GNSS-bedingten Fehlerquellen beeinflusst wird und ein Vergleich der Differenzen eine Größenabschätzung aller sonstigen möglichen Fehlerquellen beinhaltet. Auch hier zeigt sich, dass die mittlere Abweichung an insgesamt 662 Positionen etwa 6 cm in horizontaler Koordinatenrichtung beträgt [6]. Die Differenzen werden durch verschiedene Fehlerquellen verursacht, z. B. durch die Georeferenzierung der Luftbilder, durch die Messung der Position des GNSS-Geräts im Luftbild, durch den Höhenfehler des DGMs und durch die Fehler der PPS-Lösung. Es zeigt sich, dass eine stabile Genauigkeit von durchweg unter 10 cm bzgl. der horizontalen Position der Referenztrajektorie erreicht wird. Szenario/ Gerät p 68.3th HPE [m] p 94.4th HPE [m] p 99.7th HPE [m] p 68.3th VPE [m] p 95.4th VPE [m] p 99.7th VPE [m] Stadt I High-Grade (RTK) Tag 1 0.29 0.86 4.74 0.06 1.26 16.8 High-Grade Tag 2 1.51 4.33 26.46 1.90 5.90 20.1 Automotive-Grade Tag 1 1.18 2.23 3.48 2.30 4.01 6.39 Automotive-Grade Tag 2 1.21 2.48 5.82 3.90 5.75 6.41 Landstraße II High-Grade (RTK) Tag 1 0.33 1.24 1.81 0.25 2.76 4.60 High-Grade Tag 2 0.30 1.20 3.71 0.68 1.06 1.45 Automotive-Grade Tag 1 1.56 2.75 3.07 2.22 5.65 6.90 Automotive-Grade Tag 2 2.12 2.90 5.73 2.08 4.71 7.79 Autobahn III High-Grade (RTK) Tag 1 0.21 0.34 0.62 0.07 0.11 0.37 High-Grade Tag 2 0.41 0.60 1.05 0.24 0.47 0.83 Automotive-Grade Tag 1 0.60 0.90 1.09 1.27 2.97 3.32 Automotive-Grade Tag 2 1.25 1.79 3.96 2.63 3.94 4.45 Tabelle 2: Perzentilwerte der horizontalen und vertikalen Koordinatendifferenzen für die drei Testszenarien getrennt nach Tagen; kursiv und blau die Werte, welche die Kriterien erfüllen, grün die Werte, wenn alle Kriterien erfüllt sind. Bild 3: Das 4k-Kamerasystem des DLR montiert an den Kufen eines H135 Helikopters Internationales Verkehrswesen (74) 2 | 2022 68 TECHNOLOGIE Digitalisierung Im Hinblick auf eine mögliche Zertifizierung werden die bereits beschriebenen Perzentilwerte der Koordinatendifferenzen anhand der Positionen aus den Luftbilddaten für die drei Testszenarien I, II und III berechnet (siehe Tabelle 2) und als Pass/ Fail- Kriterium für die Zertifizierung eines hochwertigen und eines automobilen GNSS-Geräts verwendet. Dabei wurden die Werte getrennt für die zwei Tage berechnet, da z. T. unterschiedliche DGPS-Verfahren angewendet wurden. Die Ergebnisse der Datenanalyse zeigen, dass das hochwertige GNSS- Gerät mittels RTK-Korrekturen alle definierten Kriterien nur für die Klasse III - Autobahn erfüllen konnte. Weder das automobile GNSS-Gerät noch das hochwertige GNSS-Gerät (ohne und mit RTK) konnten die Kriterien für die Klassen I und II erfüllen. Daher könnte nur dem hochwertigen GNSS-Empfänger mit RTK-Korrekturen ein Zertifizierungs- und Prüfzeichen der Klasse III zugewiesen werden. Auffallend sind die vergleichsweise hohen Abweichungen selbst des höherwertigen GNSS-Geräts im Stadtgebiet, welche durch Mehrwegeffekte und Abschattungen verursacht werden. In Bild 4 sind die Differenzen zwischen der Luftbild-Position und den Positionen des hochwertigen und automobilen GNSS-Geräts für einzelne Straßen visualisiert. Während der einfache GNSS- Empfänger hohe Abweichungen und Ausfälle ausweist, zeigen auch die Messwerte des hochwertigen GNSS-Geräts kleine Ausfälle und systematische Differenzen von einigen Metern zur Referenztrajektorie. Das vorgestellte Verfahren erweist sich als widerstandsfähig und robust auch in Situationen, in denen lokale Effekte die Positionsgenauigkeiten von GNSS-Empfängern trotz GNSS-Korrekturen beeinträchtigen. Zudem liefert das neue Verfahren für alle Testszenarien Referenztrajektorien mit einer hohen Genauigkeit besser als 10 cm und kann deshalb für die Zertifizierung von SUTs verwendet werden. ■ Gefördert im Rahmen des ESA Projekts „VaGAD“ im NAVISP Element 2 Programm 1 Aktualisiert 2021, für weitere Details siehe https: / / www. gsc-europa.eu/ sites/ default/ files/ sites/ all/ files/ Report_ on_User_Needs_and_Requirements_Road.pdf REFERENZEN [1] ESA Project VaGAD: https: / / navisp.esa.int/ project/ details/ 105/ show [2] Kurz, F.; Rosenbaum, D.; Meynberg, O.; Mattyus, G.; Reinartz, P.(2014): Performance of a real-time sensor and processing system on a helicopter. ISPRS - International Archives of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, 189-193. [3] SAE, Internationaler Technischer Standard, 2014: Terminologie für automatisierte Fahrsysteme für Kraftfahrzeuge. www.sae.org/ news/ press-room/ 2014/ 10/ sae-international-technical-standardprovides-terminology-for-motor-vehicle-automated-driving-systems [4] Lin, X.; Wang, F.; Guo, L.; Zhang, W. (2019): An Automatic Key-Frame Selection Method for Monocular Visual Odometry of Ground Vehicle. In: IEEE Access, 7, pp. 70742-70754. [5] Vaidis, M.; Giguere, P.; Pomerleau, F.; Kubelka, V. (2021): Accurate outdoor ground truth based on total stations. CoRR, abs/ 2104.14396. https: / / arxiv.org/ abs/ 2104.14396 [6] Kurz, F.; Mendes, P.; Gstaiger V.; Bahmanyar, R.; d’Angelo, P.; Azimi, S.; Auer, S.; Merkle, N.; Henry, C.; Rosenbaum, D.; Hellekes, J.; Runge, H.; Toran, F.; Reinartz, P. (2022): Generation of reference vehicle trajectories in real-world situations using aerial imagery from a helicopter, ISPRS Annals, Nizza; in print. Paulo Mendes Projektmanager und Fachzertifizierer, NAVCERT, München paulo.mendes@navcert.de Hartmut Runge Wissenschaftler, Earth Observation Center, DLR, Oberpfaffenhofen hartmut.runge@dlr.de Franz Kurz Gruppenleiter, Earth Observation Center, DLR, Oberpfaffenhofen franz.kurz@dlr.de Veronika Gstaiger Wissenschaftlerin, Earth Observation Center, DLR, Oberpfaffenhofen veronika.gstaiger@dlr.de Bild 4: Darstellung der Referenztrajektorie aus Luftbildern (gelb) und der mit GNSS-Empfängern gemessenen Trajektorien (rot und blau) im Stadtgebiet von München. Die Ausschnitte zeigen Ausfälle und Abweichungen in den Daten der GNSS-Empfänger, während die Positionen der Luftbildauswertungen stabil und präzise bleiben. Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 | office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de