eJournals Internationales Verkehrswesen 74/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0053
91
2022
743

Nachhaltiger Transportieren

91
2022
Birte Heinen
Jan Sebastian Donner
Peter Wengelowski
Der LKW ist in Deutschland der Hauptverkehrsträger. Dies zeigt auch der Modal Split. Mit 19 % der gesamten Treibhausgasemissionen ist der Verkehrssektor in Deutschland der größte Verursacher von Emissionen. Um die nationalen und internationalen Klimaziele zu erreichen, müssen neue umweltfreundliche Transportmöglichkeiten identifiziert werden. Anhand eines Beispiel aus dem Massengutbereich wurden, unter Berücksichtigung des Berechnungsstandards EN16258, Transportbeispiele für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße kalkuliert. Die Schiene war trotz Vorlaufs mit dem LKW der umweltfreundlichste Verkehrsträger, gefolgt vom Binnenschiff. Der LKW emittierte am meisten CO2-Äquivalente.
iv7430038
Internationales Verkehrswesen (74) 3 | 2022 38 Nachhaltiger Transportieren Mit Modal Split für Massengüter die Klimaziele besser erreichen Nachhaltigkeit, Modal Split, Emissionen, Klimaziele, Multimodal Der LKW ist in Deutschland der Hauptverkehrsträger. Dies zeigt auch der Modal Split. Mit 19 % der gesamten Treibhausgasemissionen ist der Verkehrssektor in Deutschland der größte Verursacher von Emissionen. Um die nationalen und internationalen Klimaziele zu erreichen, müssen neue umweltfreundliche Transportmöglichkeiten identifiziert werden. Anhand eines Beispiel aus dem Massengutbereich wurden, unter Berücksichtigung des Berechnungsstandards EN16258, Transportbeispiele für die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße kalkuliert. Die Schiene war trotz Vorlaufs mit dem LKW der umweltfreundlichste Verkehrsträger, gefolgt vom Binnenschiff. Der LKW emittierte am meisten CO 2 -Äquivalente. Birte Heinen, Jan Sebastian Donner, Peter Wengelowski I n Deutschland belaufen sich 19 % der gesamten Treibhausgasemissionen auf den Verkehrssektor. Damit ist dieser der größte Verursacher von Emissionen. Um die nationalen und internationalen Klimaziele einhalten zu können, muss auch der Verkehrssektor klimafreundlicher werden. [1] Der Modal Split in Deutschland zeigt, dass der Hauptverkehrsträger weiterhin der LKW ist und es auch laut Verkehrsprognosen in Zukunft noch bleiben wird. Dabei ist der LKW eines der umweltschädlichsten Transportmittel, mit viermal so vielen Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Binnenschiff und fast siebenmal so vielen Treibhausgasemissionen, wie ein elektrisch angetriebener Güterzug (siehe Tabelle 1). Durch die Umverteilung des Modal Split wäre also schon heute eine erhebliche Reduktion der Treibhausgasemissionen bei geringen Investitionskosten möglich. [2] Am Beispiel von Massenguttransporten wird deutlich, dass in den beiden großen Massengutsektoren Forstwirtschaft sowie Erze und Steine der LKW immer noch das Hauptverkehrsmittel ist. Massengüter werden in großen Mengen transportiert und sind daher prädestiniert für einen Transport auf Verkehrsträgern mit hohen Kapazitäten, wie die Binnenschifffahrt oder die Schiene (siehe Bild 1). [3] Berechnungsstandard EN 16258 Um das Einsparungspotenzial zu verdeutlichen, kann eine beispielhafte Berechnung mit Hilfe der EN 16258 Norm, zur Berechnung von einheitlichen und transparenten Treibhausgasemissionen für Transportwege, aufgestellt werden. Im Vergleich zu anderen Berechnungsstandards fokussiert sich die EN 16258 nur auf die Treibhausgase, die direkt und indirekt bei einem Transport emittiert werden. Direkte Emissionen sind Schadstoffe, die durch den Transport vom Verkehrsmittel entstehen, wie zum Beispiel bei der Verbrennung von Kraftstoffen. Indirekte Emissionen beinhalten Emissionen, die zum Beispiel bei der Instandhaltung von Infrastruktur, der Produktion des Verkehrsmittels oder auch bei der Herstellung des Kraftstoffes entstehen. Die direkten Emissionen werden auch Tank-to-Wheel (TTW)- Emissionen genannt. Die Summe aus den Foto: World in my Eyes / pixabay LOGISTIK Modal Split Internationales Verkehrswesen (74) 3 | 2022 39 Modal Split LOGISTIK direkten und indirekten Emissionen ergeben die Well-to-Wheel (WTW)-Emissionen. Für die Berechnungen mit der EN 16258 müssen einige Rahmenbedingen festgelegt werden. Es wird zunächst immer angenommen, dass das Verkehrsmittel vollständig beladen ist, das bedeutet Less-then-Container-Loads werden konsolidiert oder das Binnenschiff wird immer vollständig beladen. Dies ist besonders für den Transport mit größeren Verkehrsmitteln wie das Binnenschiff wichtig. Alle Treibhausgase wurden auf CO 2 -Äquivalente umgerechnet, dies bedeutet, dass Methan, der 25-mal schädlicher als Kohlenstoffdioxid ist, 25 CO 2 -Äquivalente ausmacht. [4] Im Folgenden soll anhand eines Anwendungsfalls gezeigt werden, wie die intermodalen Transporte zur Einsparung von Treibhausgasen beitragen könnten. Anwendungsfall für einen Massenguttransport Die EN 16258 unterscheidet dabei in Volumengut, Massengut und Durchschnittsgut, wodurch eine beispielhafte Berechnung für ein Massengut, die Biomasse, durchgeführt werden kann, welches das Einsparpotenzial durch den Modal Split deutlich macht. [4] Biomasse ist zudem ein landwirtschaftliches Gut, bei dem oben bereits zu erkennen war, dass dort Einsparpotenzial vorhanden ist. Das gewählte Beispiel ist hier der Transport von Biomasse aus Kirchdorf im Landkreis Diepholz in Niedersachsen zum Industriestandort Stuttgart. Niedersachsen liegt auf Platz eins der deutschen Bundesländer mit der größten Biogas- und somit Biomasseproduktion. Zudem ist Niedersachsen ein Flächenland, das sehr landwirtschaftlich geprägt ist. Stuttgart als Zielort, ist ein Industriestandort mit einer hohen Energienachfrage, im Bereich des Stroms aber auch von Wärme. [5] Für das Anwendungsbeispiel wurden 1.000 Tonnen Biomasse als Menge bestimmt. Da der Landkreis Diepholz keine direkte Binnenwasseranbindung oder ein Umschlagterminal für den Schienengüterverkehr besitzt, muss ein Vorlauf mit dem LKW erfolgen. Der LKW verwendet mit 557 km die kürzeste und damit direkte Strecke nach Stuttgart. Für den Transport mit dem Güterzug muss nach fast 68 km in Bremen umgeschlagen werden, um dann ungefähr 676 km nach Stuttgart mit der Bahn zu fahren. Der Vorlauf für den Binnenschifftransport verläuft über Minden, dort wird nach 39 km LKW-Transport umgeschlagen, um danach 781.900 km über Wasserwege zu fahren (siehe Bild 2) Um die Emissionen für den Transport mit dem LKW berechnen zu können, müssen zunächst die Tonnenkilometer bestimmt werden, hier 557.000 tkm. Der LKW verbraucht im Durchschnitt 0,018 Liter Diesel pro Tonnenkilometer, das deutet also einen Energieverbrauch von 10.026 Litern Diesel für die gesamte Strecke. Für den Tank-to-Wheel-Transport wird ein Treibhausgasemissionsfaktor von 2,67 kgCO 2 e/ l und für den Well-to-Wheel-Transport ein Treibhausgasemissionsfaktor von 3,24 kgCO 2 e/ l festgelegt.[4] Nach dem Bilden der Summen emittiert der Tank-to-Wheel- Transport also 26.769,42 kgCO 2 e und der Well-to-Wheel-Transport 32.484,24 kgCO 2 e. Für den Transport mit dem Güterzug wird zunächst der LKW-Vorlauf berechnet. Hierbei werden 67.900 tkm Mais transportiert. Analog zur vorherigen Rechnung verbraucht dieser Transport 1.086,4 Liter Diesel. Insgesamt emittiert der Vorlauf also 2.900,69 kgCO 2 e für den Tank-to-Wheel- Transport und 3.519,93 kgCO 2 e für den Wellto-Wheel-Transport. Der Bahntransport startet in Bremen, da dort ein Straße-Schiene-Terminal vorhanden ist, welches das Schüttgut vom LKW auf den Güterzug umschlagen kann. Für den Güterzugtransport wird also wieder die Strecke von Bremen nach Stuttgart berechnet. Auf dem Güterzug werden 675.900 tkm transportiert. Da der Zug kürzer als zuvor ist, verbraucht dieser 0,028 kwh pro tkm, sodass der Transport 18.925,2 kWh verbraucht.[3] Durch die Umrechnung von Kilowattstunden auf verbrauchten Diesel ergibt sich hier ein Verbrauch von 1.900,1 Liter Diesel.[4] Anschließend ergibt sich also eine Emission von 5.073,24 kgCO 2 e für den Tank-to-Wheel- Bild 2: Transportkette eines beispielhaften Transportes von Biomasse Eigene Darstellung Einheit LKW Güterbahn Binnenschiff Flugzeug Treibhausgase g/ tkm 111 17 30 713 Kohlenmonoxid g/ tkm 0,086 0,011 0,081 - Flüchtige Kohlenwasserstoffe g/ tkm 0,037 0,002 0,028 - Stickoxide g/ tkm 0,244 0,026 0,382 - Feinstaub g/ tkm 0,006 0,001 0,009 - Tabelle 1: Emissionen und Energieverbrauch der Verkehrsmittel für das Bezugsjahr 2019 in Gramm pro Tonnenkilometer Quelle: Anlehnung an [2] 3 5,5 18,9 Verkehrsaufkommen Erzeugnisse aus Land-, Forstwirtschaft und Fischerei 2020 in Mrd. Tkm Eisenbahn Binnenschiff Lastkraftwagen 12,7 9,1 29,6 Verkehrsaufkommen Erze, Steine, Bergbau und Erden 2020 in Mrd. Tkm Eisenbahn Binnenschiff Lastkraftwagen Bild 1: Modal Split in Massengutsektoren Eigene Darstellung auf Basis von [3], S. 248-263 Internationales Verkehrswesen (74) 3 | 2022 40 LOGISTIK Modal Split Transport und 6.156,29 kgCO 2 e für den Well-to-Wheel-Transport. Für den gesamten Transport von Kirchdorf nach Stuttgart, bei dem der LKW den Vorlauf und der Güterzug den Nachlauf absolviert, entstehen 7.972,93 kgCO 2 e direkte Emissionen und insgesamt 9.676,22 kgCO 2 e Treibhausgasemissionen. Für den Binnenschifftransport wird der Hafen in Minden als Umschlagterminal verwendet, sodass 39.000 tkm mit dem LKW im Vorlauf geleistet werden müssen. Der Verlauf ergibt Tank-to-Wheel-Emissionen von 1.666,08 kgCO2e und Well-to-Wheel- Emissionen von 2.021,76 kgCO2e. Der Binnenschifftransport muss 781.900 tkm Transportleistung leisten. Dabei verbraucht das Binnenschiff 0,0114 Liter Diesel pro tkm, also wird für die Strecke 8.913,66 Liter Diesel verbraucht.[4] Die Treibhausgasemissionsfaktoren sind auch hier die gleichen wie für den Diesel beim LKW-Transport., das heißt, dass Binnenschiff emittiert, 23.799,47 kgCO 2 e Tank-to-Wheel-Treibhausgase und 28.880,26 Well-to-Wheel-Treibhausgase. Zusammen mit dem Vorlauf resultiert dieser Transport in 25.465,55 Tank-to-Wheel- Treibhausgase und 30.902 kgCO 2 e Well-to- Wheel Emissionen (siehe Bild 3). Im direkten Vergleich dieses speziellen Beispiels wird deutlich, dass der Güterzug mit dem elektrischen Antrieb die geringsten Treibhausgasemissionen für den Transportweg emittiert. Darauf folgt das Binnenschiff, und das klimaschädlichste Transportmittel wäre hier der LKW. Das Binnenschiff schneidet hier schlecht ab, da die Wasserstraßen nicht so gut vernetzt sind wie die Straße und das Binnenschiff durch mehrere Kanäle bis in den Rhein einen großen Umweg zurücklegen muss. Dazu muss für den Transport mit dem Binnenschiff in Minden das Gut umgeschlagen werden, sodass ein Vorlauf mit dem klimaschädlicheren Verkehrsmittel LKW notwendig ist. Auch bei dem Transport mit dem Güterzug muss das Massengut über Bremen umgeschlagen werden, da sich dort der nächste Umschlagterminal mit der Möglichkeit zum Umschlag von Biomasse befindet. Der Vorlauf mit dem LKW trägt auch noch einmal eine große Menge an Treibhausgasen bei. Emissionen von Güterumschlägen Bei der Berechnung mit EN 16258 werden die verursachten Emissionen beim Umschlag des Gutes nicht mit einbezogen, jedoch verursacht der Betrieb eines Terminals keinen kleinen Anteil an Emissionen. Das IFEU hat hierfür eine Studie aufgestellt, wieviel Energie bei einem solchen Umschlag benötigt wird. Der Wert für trockenes Massengut wird mit einem Energieverbrauch von 1,3 kwh/ Tonnen angesetzt. Dies kann mit dem Faktor von 0,1004 Liter Diesel pro kwh umgerechnet werden. Das heißt, der Umschlag von einer Tonne verbraucht 0,13 Liter Diesel und hat somit eine Well-to- Wheel-Emission von 0,422 kgCO 2 e.-[6] Beim Umschlag der Mais-Silage vom LKW auf den Güterzug entstehen bei einer Masse von 1.000 Tonnen Emissionen von rund 422 kgCO 2 e. Daraus resultiert der Transport über den Güterzug mit Vorlauf und Umschlag Emissionen in Höhe von 10.098,22 kgCO 2 e. Beim Transport mit dem Binnenschiff entstehen so insgesamt Emissionen für den vorherigen Transport von 31.324 kgCO 2 e. Für den LKW müssen keine Emissionen für den Umschlag berechnet werden, denn auch beim Transport mit dem Güterzug und dem Binnenschiff muss das Gut ein- und ausgeladen werden, sodass dies für den Vergleich hier nicht relevant ist. Trotz Umschlag ist der Transport mit dem Güterzug weiterhin der umweltfreundlichste Weg, das Massengut Biomasse zu transportieren. Auch das Binnenschiff bleibt umweltfreundlicher als der LKW. Bei der Umverlagerung des Transportes auf den Güterzug könnten 22.386,02 kgCO 2 e gespart werden. Damit könnte ein durchschnittlicher VW-Passat mit Benzinmotor 80.000 km und der deutsche Durchschnitt ungefähr fünf Jahre fahren. Fazit Die Umverlagerung des Modal Splits in Deutschland kann erheblich dazu beitragen, die Klimaschutzziele zu erreichen und insgesamt weniger Treibhausgase in Deutschland zu emittieren. Besonders die großen Transportmengen der Massengutverkehre können einen großen Beitrag zur Reduktion der Emissionen des Verkehrssektors leisten. Im Massenguttransportsektor ist aktuell und soll laut Prognosen auch in Zukunft der LKW das Hauptverkehrsmittel sein. Ein starkes Netz aus Schienen- und Wasserwegen sowie der Straße ermöglicht es, diese multimodalen und umweltfreundlichen Transportketten umzusetzen. Wenn dort ein Modal Shift stattfinden würde, könnten, wie im Beispiel deutlich wurde, die angestrebten Klimaziele für den Transportsektor besser erreicht werden. ■ QUELLEN [1] Umweltbundesamt (2021): Treibhausgasemissionen in Deutschland nach Sektoren des Klimaschutzgesetzes in den Jahren 1990 bis 2020 und Prognosen für 2030. Über statista. Dessau-Roßlau [2] Forschungsinformationssystem (FIS) (2020): „Luft- und Klimabelastung durch Güterverkehr“. Forschungsinformationssystem (FIS), Bonn. www.forschungsinformationssystem.de/ servlet/ is/ 39787. Abruf: 20.10.21 [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2021): Verkehr in Zahlen 2021/ 2022.In: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), 49. Jahrgang, Flensburg [4] Deutscher Speditions- und Logistikverband e.V. (2013): Berechnung von Treibhausgasemissionen in Spedition und Logistik DIN EN 16258. Deutscher Speditions- und Logistikverband e.V., Bonn [5] Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung (2010): Die Landwirtschaft in Niedersachsen. Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Hannover [6] Ingenieurgesellschaft für Verkehrswesen mbH (IVE), Institut für Energie und Umwelt (2016): Ecological Transport Tool for Worldwide Transports - Methodology and Data. EcoTransIT World Initiative (EWI), Heidelberg Jan Sebastian Donner Head of Projects, ShortSeaShipping Inland Waterway Promotion Center (spc), Bonn donner@shortseashipping.de Wengelowski, Prof. Dr. Fachbereich Seefahrt und Logistik, Jade Hochschule, Bremen peter.wengelowski@jade-hs.de Birte Heinen Masterstudentin Maritimes Management, Fachbereich Seefahrt und Logistik, Jade Hochschule, Bremen birte.heinen@student.jade-hs.de LKW Güterzug (Vorlauf LKW) Binnenschiff (Vorlauf LKW) 0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 26.769,42 7.972,93 25.465,55 32.484,24 9.676,22 30.902,00 Treibhausgasemissionen nach Verkehrsmitteln für den Transport von 1.000 t Biomasse von Kirchdorf nach Stuttgart WTW TTW Bild 3: Treibhausgasemissionen der Verkehrsmittel Eigene Darstellung