Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0069
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Billiger ist nicht automatisch besser
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Alexander Eisenkopf
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Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 11 Alexander Eisenkopf KONTRAPUNKT Billiger ist nicht automatisch besser M it dem 9-Euro-Ticket hat die Bundesregierung den Menschen ermöglicht, den diesjährigen wunderbaren Sommer in vollen Zügen zu genießen. 52 Mio. verkaufte Tickets in drei Monaten werden allseits als Riesenerfolg verbucht. Zwangsläufig musste das 9-Euro-Ticket ein Publikumsliebling werden, denn hierzulande greifen die Leute besonders eifrig zu, wenn es billig ist oder wenn der Staat ihnen (vermeintlich) etwas schenkt. Aus Sicht einschlägiger NGOs und der Sozialpolitiker soll das auch so billig weitergehen. Den aktuellen Vorschlag, schnellstmöglich ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für 49 EUR einzuführen, halten viele für unzureichend. Greenpeace liefert dazu ein Lehrstück von „Münchhausen-Ökonomik“: Bei einem Preis von 29- EUR blieben die Kosten für den Staat im Wesentlichen gleich, aber die Zahl der Nutzer würde verdoppelt. Allerdings gibt es bisher noch nicht einmal für ein 49-Euro- Ticket einen Finanzierungskonsens. Die paritätische Finanzierungzusage von insgesamt 3 Mrd. EUR steht unter dem Junktim, dass der Bund der Forderung der Länder nach höheren Regionalisierungsmitteln nachkommt. Diese Forderung wird primär mit Covid-19-Altlasten und rasant steigenden Energiebzw. Personalkosten begründet. Faktisch bedeutet dies jedoch, dass der neue Tarif für die öffentliche Hand deutlich teurer werden wird, zumal das Angebot ausgebaut werden müsste. Aber auch diesen finanzpolitischen Kuhhandel wird man noch zustande bringen. Es ist ja nur Geld. Geld aktueller oder zukünftiger- Steuerzahler, von dem bereits jetzt schätzungsweise jährlich 20 -Mrd. EUR in den ÖPNV fließen. Geld auch, von dem der Bundesrechnungshof sagt, dass der Bund derzeit nicht wisse, mit wie viel Mitteln er den ÖPNV insgesamt finanziere, und es insbesondere nicht möglich sei, die Zielerreichung im Verkehr sowie bezüglich des Klimaschutzes ausreichend zu kontrollieren. Die desaströse wirtschaftliche Lage zeigt sich etwa darin, dass vor Corona im Durchschnitt aller ÖPNV-Unternehmen nur 41,5 Prozent der entstandenen Kosten durch Fahrscheinerlöse (Nutzerfinanzierung) gedeckt wurden. Daher wäre eine intensive Evaluierung des 9-Euro-Tickets erforderlich gewesen, die nicht nur Jubelmeldungen über die Zahl der verkauften Tickets produziert, bevor man sich auf eine bundesweite 49-Euro-Flatrate festlegt. Dabei hätte insbesondere diskutiert werden müssen, ob die Alimentierung zusätzlicher Freizeitverkehre mit dem SPNV ein verkehrspolitisches Ziel ist. Auch der Umfang erwünschter Verlagerungseffekte vom PKW zum ÖPNV wäre z. B. mittels geeigneter Revealed Preference-Ansätze genauer zu analysieren und deren klimapolitische Effizienz kritisch zu hinterfragen gewesen. Aus ökonomischer und klimapolitischer Sicht spricht derzeit wenig für eine Fortsetzung der bundesweiten ÖPNV-Flatrate mit 49 EUR. So dürften den zu erwartenden jährlichen Kosten nur begrenzte Verlagerungseffekte gegenüberstehen. Ein Umstieg wird letztlich vor allem von der überregionalen Gültigkeit des Tickets incentiviert. Dies hat in der Fläche wenig Auswirkung, macht aber z. B. die Speckgürtel der Großstädte zusätzlich attraktiv für Fernpendler. Es kann jedoch nicht Sinn eines subventionierten Tickets sein, die Zersiedlung von Ballungsräumen zu fördern, weil Menschen mit einer ÖPNV-Flatrate längere Pendeldistanzen auf sich nehmen. Auch für eine pauschale Entlastung aller bestehenden Abo-Kunden zulasten des Steuerzahlers und die Subventionierung längerer Freizeitreisen mit dem SPNV gibt es keine wirklich gute Begründung. Für das 9-Euro-Ticket sprach vor allem die von Verkehrsminister Volker Wissing zu Recht konnotierte „Überwindung des Tarifdschungels“ und der einfachere Zugang zum ÖPNV. Ausgehend davon hätte man eine Vereinfachung und Harmonisierung der regionalen Tarifstrukturen einschließlich der Mechanismen der Anschluss- und Durchtarifierung und der Rolle der Verkehrsverbünde angehen müssen. Dies wäre allerdings auf das Bohren dicker Bretter hinausgelaufen - und wird mit einer Flatrate einfach übertüncht. Von den dafür aufgewendeten Mitteln hätte im Sinne von „besser statt billiger“ auch das ÖPNV-Angebot vor Ort profitiert. So aber wird aus dem 49-Euro-Ticket kein Meilenstein der Verkehrswende, sondern vor allem ein Schritt hin zu mehr Gemeinwirtschaftlichkeit und immer größerer Abhängigkeit des ÖPNV vom Tropf öffentlicher Zuwendungen. Prof. Dr. rer. pol. Alexander Eisenkopf zu aktuellen Themen der Verkehrsbranche
