Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0073
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Geschäftsmodelle für Stromtankstellen gesucht
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Frank Hütten
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Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 25 W ie sich die Elektromobilität in Europa weiterentwickelt, hängt maßgeblich davon ab, ob die Nutzer genügend Vertrauen haben, ausreichend Lademöglichkeiten für ihre Elektrofahrzeuge zu finden. Darin sind sich Akteure aus Politik, Automobilbranche und Transportwirtschaft weitgehend einig. Ein Grundvertrauen soll die geplante EU-Verordnung für die Tank- und Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) schaffen. EU-Verkehrsminister und Europäisches Parlament haben inzwischen ihre Positionen dazu festgelegt und verhandeln jetzt über den endgültigen Gesetzestext. Die gute Nachricht für die Branche: Egal wie die Kompromisssuche ausgeht, es wird verbindliche Vorgaben zum Aufbau eines Mindestnetzes von Ladesäulen und Wasserstofftankstellen für LKW entlang des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) geben. Die schlechte Nachricht ist: Das Mindestnetz wird den Transportunternehmen viel zu löchrig erscheinen, um Wasserstoff- und E-LKW mit ruhigem Gewissen auf Tour zu schicken. Das ist verständlich. Die Gewissheit, dass es spätestens alle 100 Kilometer auf dem EU-Autobahnnetz Lademöglichkeiten gibt, reicht einem Disponenten noch nicht, wenn er fürchten muss, dass sich an besonders frequentierten Orten dann Dutzende Fernverkehr-LKW vor zwei Ladesäulen stauen. Wo die voraussichtlich gefragtesten Ladeorte für LKW in Europa liegen werden, hat der europäischen Kfz-Herstellerverband ACEA schon einmal untersuchen lassen. Die EU-Staaten sollen die Hotspots bis 2025 massiv mit Ladesäulen aufrüsten, auch mit Hochleistungsstationen für besonders schnelles Aufladen, fordert der Verband. Er hält insgesamt deutlich mehr Ladesäulen für nötig, als die EU-Kommission in AFIR vorgeschlagen hat mit der zweibis dreifachen Leistung. Man darf aber nicht vergessen: Bei dem Tank- und Ladenetz, auf das sich die Mitgliedstaaten verpflichten sollen, handelt es sich um ein Mindest-Sicherheitsnetz, hauptsächlich für Langstrecken. Der Staat kann dadurch Unternehmen ermutigen und einen Anstoß geben, damit sich LKW mit alternativen Antrieben am Markt durchsetzen. Die vollständige Versorgungs-Infrastruktur, auch für Nebenstrecken und Kommunen, kann er nicht bauen. Da müssen private Unternehmen und Investoren ran. Es geht auch nicht nur um den Fernverkehr. Je vorhersehbarer Touren sind, desto besser lassen sich günstige Orte und Zeiten für das Aufladen von Batterien planen, wahrscheinlich besonders im Regional- und Lieferverkehr. Die Anforderungen der Transportunternehmen unterscheiden sich erheblich, je nachdem, auf welchen Strecken sie unterwegs sind, ob es eher flach oder gebirgig ist und welche Güter sie transportieren. Ohne Frage wird die Tourenplanung deutlich komplexer werden. Reservierungssysteme für öffentliche Ladestationen werden nötig sein. Aber noch wichtiger als das öffentliche LKW-Ladenetz wird die Ausstattung von Betriebshöfen für ein planbares Aufladen und Auftanken werden. Das Fraunhofer IAO kam in einer Simulation des typischen Regionalverkehrs einer Spedition und eines KEP-Unternehmens zu dem Ergebnis, dass beide ihre Fahrzeugflotten über Nacht auf dem Betriebshof gut laden können. Sie könnten auch fremden Fahrzeugen Strom zum Nachladen verkaufen, während diese an der Rampe stehen. Der Solarstrom dafür könnte vom Dach des Lagers kommen. Der Vorschlag der EU-Kommission, dass öffentliche und kommerzielle Gebäude bis 2027 Solardächer bekommen sollen, zeigt, wohin es gehen könnte. Um das alternative Kraftstoffnetz schnell hochzuziehen, sind regionale Bedarfsanalysen in der Logistikbranche nötig. Transportunternehmer, die ohne eigene Betriebshöfe operieren, brauchen vielleicht Tank- und Ladestationen in Gewerbegebieten. Die Netzplanung ist allerdings alles andere als trivial, schließlich darf der Strom nicht ausfallen, wenn viele LKW gleichzeitig laden. Hier sind die Energieversorger und -netzbetreiber gefragt. Die sollten viel stärker mit ins Boot geholt werden. Sie wollen Strom und Wasserstoff verkaufen, sie müssen deshalb auch mit dafür sorgen, dass der Betrieb von entsprechenden Tank- und Ladestationen zu einem tragfähigen Geschäftsmodell wird. Zunächst werden die EU-Staaten den Infrastrukturaufbau zwar mit viel Fördergeld anschieben, aber das kann auf Dauer nicht so bleiben. Die EU-Gesetzgeber können durch entsprechende Gesetzgebung Investoren die Sicherheit geben, dass zunehmend mehr LKW mit alternativen Antrieben auf den Markt kommen und für eine verlässliche Nachfrage nach Strom, Wasserstoff oder anderen alternativen Treibstoffen sorgen. Dass die Nachfrage gedeckt wird, dafür muss mittelfristig der Markt sorgen. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Geschäftsmodelle für Stromtankstellen gesucht
