Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0074
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Reduzierung des öffentlichen Parkraums
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Lukas Rapp
Tim Wörle
Martin Kagerbauer
Die Planung von Anlagen des ruhenden Verkehrs erhält aufgrund dessen Flächenrelevanz und seiner steuernden Wirkung auf das Verkehrsverhalten eine größere Bedeutung in urbanen Räumen. Nach der Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung des öffentlichen Parkraums konnten in der Vergangenheit unterschiedliche Reaktionen von Betroffenen beobachtet werden. Dieser Beitrag untersucht Wirkungen mehrerer Maßnahmen in verschiedenen Metropolen mithilfe von Experteninterviews, um die Akzeptanz der
Maßnahmen in der Bevölkerung zu erfassen.
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Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 26 Reduzierung des öffentlichen Parkraums Interviewstudie zur Maßnahmenakzeptanz in europäischen Metropolen Parken, ruhender Verkehr, Nutzendenakzeptanz, Parkraumreduzierung Die Planung von Anlagen des ruhenden Verkehrs erhält aufgrund dessen Flächenrelevanz und seiner steuernden Wirkung auf das Verkehrsverhalten eine größere Bedeutung in urbanen Räumen. Nach der Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung des öffentlichen Parkraums konnten in der Vergangenheit unterschiedliche Reaktionen von Betroffenen beobachtet werden. Dieser Beitrag untersucht Wirkungen mehrerer Maßnahmen in verschiedenen Metropolen mithilfe von Experteninterviews, um die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung zu erfassen. Lukas Rapp, Tim Wörle, Martin Kagerbauer D ie Urbanisierung verursacht einen steigenden Flächenbedarf und Flächenkonkurrenz im innerstädtischen Kontext. Hiervon ist insbesondere auch die Verkehrsinfrastruktur betroffen. Da zusätzliche Flächen meist nicht verfügbar sind, ist eine effiziente Nutzung des zur Verfügung stehenden Raumes notwendig. Der Konflikt wird durch das steigende Bedürfnis der städtischen Bevölkerung nach Aufenthaltsqualität und einer verbesserten Lebensqualität hinsichtlich Hitzeresilienz, Luftschadstoff- und Lärmreduzierung verstärkt. Sowohl ruhender als auch fließender motorisierter Individualverkehr (MIV) benötigen viel Fläche. Durch eine zunehmende Motorisierung der Bevölkerung in allen sozialen Gruppen und durch eine lange Standzeit der PKW über den Tag trägt der ruhende Verkehr deutlich zum Flächenverbrauch in den Städten bei. Dieser Raum fehlt für Aufenthaltsnutzungen oder für Verkehrsinfrastrukturen anderer Verkehrsmittel. Viele Städte streben daher nach einer Reduzierung des innerstädtischen Parkraumes. Dies trifft aber sowohl in der betroffenen Bevölkerung als auch bei Einzelhandel und Gewerbe oftmals auf Widerstand. Dieser Beitrag untersucht, welche Aktivitäten geeignet sind, um die öffentliche Akzeptanz einer Reduzie- Foto: Florian Pircher / pixabay INFRASTRUKTUR Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 27 Wissenschaft INFRASTRUKTUR rung des Parkraumangebots und Umgestaltung des Straßenraums zu erhöhen. Aus dem Vergleich verschiedener baulicher Maßnahmen, der jeweiligen Rahmenbedingungen, der begleitenden akzeptanzsteigernden Aktivitäten und der öffentlichen Reaktionen auf das Projekt werden Elemente identifiziert, die die Akzeptanz positiv beeinflussen. Alle untersuchten Beispielmaßnahmen haben Bestandsparkplätze reduziert. Der ehemalige Parkraum wurde baulich umgestaltet und z. B. in Grün- und Aufenthaltsflächen überführt. Damit stehen den Nachteilen (weniger Stellplätze) durchgängig auch konkrete Vorteile (mehr Aufenthaltsqualität) gegenüber. Das Ziel der Parkraumreduzierung ist u. a. eine Veränderung des Verkehrsverhaltens. Bewohnerparkregelungen werden daher nicht betrachtet, da deren Ziel das Verbessern der Parkraumverfügbarkeit für Anwohnende ist. Die untersuchten Maßnahmen finden sich in Räumen, die dicht bebaut und durch den öffentlichen Nahverkehr gut erschlossen sind. In diesem Umfeld ist es wegen gut ausgebauter Alternativen auch heute schon möglich, ohne einen privaten PKW mobil zu sein. Zudem ist in diesen Räumen der beschriebene Flächenmangel besonders ausgeprägt, so dass die negativen Auswirkungen des ruhenden Verkehrs hier am deutlichsten sichtbar sind. Für die Untersuchung wurde zunächst eine Literaturrecherche durchgeführt. Auf den theoretischen Erkenntnissen aufbauend wurde ein qualitatives Akzeptanzmodell entwickelt, welches Wechselwirkungen der baulichen Maßnahme, der akzeptanzsteigernden Aktivitäten und den Einstellungen der Bevölkerung beschreibt. Aus diesem Akzeptanzmodell wurde ein Leitfaden für Expertinnen- und Experteninterviews abgeleitet. Die Interviews wurden mit Personen aus den jeweiligen städtischen Planungsbehörden geführt, die in die Durchführung der Maßnahme involviert waren. Dieser Personenkreis verfügt über Wissen zu Details der Umgestaltungsmaßnahme und kann zudem die Einstellungen der Betroffenen einschätzen. Aus den Erkenntnissen der Experteninterviews erfolgte eine vergleichende Gegenüberstellung der vier betrachteten Maßnahmen. Bisherige Erkenntnisse zur Akzeptanz von Infrastrukturmaßnahmen Die Akzeptanz von Parkraumreduzierungsmaßnahmen ist ein bislang wenig beforschtes Feld. Es werden daher übertragbare Erkenntnisse aus benachbarten Forschungsfeldern herangezogen. Besonders die Technikakzeptanzforschung und die Begleitforschung zu Infrastrukturgroßprojekten haben sich hierzu etabliert. Auch wenn Projekte wie Windpark- oder Stromtrassenbau andere inhaltliche Schwerpunkte haben, so lassen sich viele Parallelen zum Thema der Parkraumreduzierung ziehen. Die Akzeptanzforschung unterscheidet oft nach den Faktorengruppen Akzeptanzsubjekt, -objekt und -kontext. Das Akzeptanzsubjekt ist diejenige Person oder Personengruppe, von welcher die Akzeptanz ausgeht. Wichtige Faktoren sind hier, neben soziodemografischen Merkmalen, das Wissen und das Problembewusstsein der Personen. Als Akzeptanzobjekt wird die akzeptierte oder nicht akzeptierte Planung, Entscheidung oder ein physisches Objekt bezeichnet. Das empfundene Nutzen-Kosten-Verhältnis und die Komplexität des Vorhabens sind dabei zentral. Der Akzeptanzkontext ergibt sich vor allem aus kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen. Akzeptanzsteigernde Aktivitäten zählen ebenfalls in den Bereich des Akzeptanzkontextes. Die Akzeptanz selbst ergibt sich aus dem Zusammenspiel dieser drei Faktorengruppen. Die Faktoren können nicht isoliert betrachtet werden, da Reaktionen auf eine Maßnahme stets in den Kontext eingeordnet werden müssen, wie beispielsweise bestimmte Wertevorstellungen oder Erfahrungen einer Personengruppe. [1, 2, 3] Generell zu berücksichtigen ist der Status-quo-Bias, ein bekannter psychologischer Effekt, der regelmäßig bei Maßnahmen beobachtbar ist, die bestehende Verhaltensmuster beschränken. Dieser auch als Veränderungsaversion bezeichnete Effekt beschreibt, dass viele Menschen tendenziell die derzeitige Situation beibehalten möchten und Veränderungen gegenüber eher skeptisch eingestellt sind. [4, 5] Die einschlägige Forschung befasst sich u. a. mit der Frage, wie das Entstehen von Akzeptanz unterstützt werden kann. Ein wichtiger Ansatz akzeptanzsteigernder Aktivitäten ist die Vermittlung von Inhalten der geplanten Maßnahme. Betroffene können sich nur ein fundiertes Urteil bilden, wenn sie über die Hintergründe der Maßnahme und über die Funktion und Vorteile des neuen Straßenraumes informiert sind. Andernfalls ist der öffentliche Diskurs mitunter von Halbwissen und Unverständnis geprägt. Insbesondere bieten sich Erklärungen zur Auswahl bestimmter Gestaltungselemente an, etwa die Pflanzung neuer Bäume zur gezielten Reduktion sommerlicher Hitze. Dies verdeutlicht, dass die Planenden die Gestaltungselemente des Straßenraumes konzeptionell durchdacht haben. Es ist über die klassische Information hinaus vorteilhaft, die Maßnahme in einen größeren Gesamtkontext einzubinden und diesen greifbar auszuformulieren. Die neu geschaffenen Qualitäten können so in lebensnahen, plastischen Bildern nähergebracht werden (Storytelling). Auch die Bedeutung für übergeordnete gesellschaftliche Ziele kann so hervorgehoben werden [6] - etwa „wir schaffen eine lebenswerte Innenstadt mit mehr Platz für Menschen und weniger Autos“. Diese Herangehensweise ist gerade bei restriktiven Maßnahmen im Bereich des MIV hilfreich. So kann betont werden, dass die Menschen nicht nur einen Verlust von Parkplätzen erfahren, sondern sie im Gegenzug konkrete Mehrwerte wie z. B. verbesserte Aufenthaltsqualität gewinnen. Eine wichtige Rolle spielt auch die konkrete Beteiligung der Bevölkerung am Planungsprozess. Der Begriff der Prozessqualität drückt dabei aus, inwiefern die Betroffenen die Beteiligungs- und Öffentlichkeitsarbeit als transparent und professionell wahrnehmen. Die Prozessqualität hat wesentlichen Einfluss auf das Entstehen von Akzeptanz [3]. Nur gelungene Beteiligungsverfahren schaffen Vertrauen und fördern die positive Wahrnehmung der planenden Stelle [7]. Da öffentliche Verwaltungen für Öffentlichkeitsarbeit oft nur begrenzte Ressourcen und Knowhow zur Verfügung haben, ist der Einsatz externer Dienstleister ratsam [6]. Akzeptanzsteigernde Aktivitäten können Akzeptanz stets nur in einem bestimmten Rahmen beeinflussen. Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 28 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Eine Maßnahme kann abhängig von den Rahmenbedingungen trotz professioneller und umfangreicher Informations- und Beteiligungsarbeit auf heftigen Gegenwind stoßen. Es ist zudem festzuhalten, dass gerade bei Parkraumreduzierung immer ein gewisses Maß an Widerstand zu erwarten ist, da es sich hierbei schlicht um eine konfliktträchtige Maßnahme handelt [6, 8]. Methode Die Entwicklung eines qualitativen Akzeptanzmodells diente dem Zweck, die untersuchten Maßnahmen trotz ihrer unterschiedlichen Ausprägungen und Rahmenbedingungen miteinander vergleichen zu können. Es ist vornehmlich aus theoretischen Erkenntnissen und Modellen der Technikakzeptanzforschung abgeleitet [3]. Aus dem erstellten Modell wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, welcher Informationen zu den einzelnen Bestandteilen des Modells erhebt. Das Modell, dargestellt in Bild 1, unterscheidet grundsätzlich zwei parallel verlaufende Prozesse: Der Bestandsstraßenraum wird durch die Umgestaltungsmaßnahme verändert. Analog hierzu wird die Wahrnehmung des Vorhabens durch die Betroffenen mit den akzeptanzsteigernden Aktivitäten verändert und führt zu neuen persönlichen Einstellungen. Unter dem Begriff der persönlichen Einstellungen werden neben Einstellungen im eigentlichen Sinne auch Werte, Fakten- und Erfahrungswissen sowie Gewohnheiten zusammengefasst. Ebenso ist der Einfluss von Mobilitätsbedürfnissen (z. B. Notwendigkeit eines PKW zur Anlieferung oder für Handwerkdienstleistungen) auf diese persönlichen Einstellungen zu berücksichtigen. Die Betroffenen können über die Bürgerbeteiligung, als Teil der akzeptanzsteigernden Aktivitäten, Einfluss auf die Gestaltung des neuen Straßenraums nehmen. Die Akzeptanz ergibt sich aus den persönlichen Einstellungen der Betroffenen in Relation zur Straßenraumgestaltung und der dortigen Berücksichtigung von Vorschlägen aus der Bürgerbeteiligung. Die Modellbestandteile und -zusammenhänge wurden in den Expertinnen- und Experteninterviews erfasst. Die Einstellungen der Bevölkerung wurden u. a. durch Fragen nach Reaktionen auf frühere Infrastrukturmaßnahmen erhoben. Details zu den jeweiligen Umgestaltungsmaßnahmen wurden überwiegend aus übermittelten Unterlagen und Plänen entnommen. Zur Erfassung der Vorbereitung der akzeptanzsteigernden Aktivitäten wurde gefragt, für wie konfliktträchtig die Maßnahme im Voraus eingeschätzt wurde und inwiefern die akzeptanzsteigernden Aktivitäten an die individuellen Voraussetzungen vor Ort angepasst wurden. Zuletzt wurden kurz- und langfristige Reaktionen der Öffentlichkeit auf das Projekt beleuchtet. Die Interviews wurden online geführt, transkribiert und systematisiert ausgewertet. Ergänzt um Daten wie beispielsweise des bestehenden Mobilitätsverhaltens im jeweiligen Projektumfeld konnte so herausgearbeitet werden, •• welche Akzeptanz bereits vor dem Projekt gegeben war, •• welches Maß an Veränderung das Projekt mit sich brachte, •• wie diese Veränderung durch akzeptanzsteigernde Aktivitäten begleitet, moderiert und gestaltet wurde, sowie •• welches Maß an Akzeptanz tatsächlich entstand. Die Umgestaltungsmaßnahmen und akzeptanzsteigernden Aktivitäten wurden mit Hilfe des Akzeptanzmodells analysiert. Im Anschluss wurden die betrachteten Projekte vergleichend gegenübergestellt. Dabei wurde untersucht, ob ähnliche Maßnahmen in unterschiedlichen Umfeldern unterschiedlich gut angenommen werden. Somit wurde der Einfluss von Teilaspekten und Rahmenbedingungen auf die Akzeptanzentstehung sichtbar. Analyse der Maßnahmen Zwei der betrachteten Maßnahmen wurden in Hamburg sowie jeweils eine in Wien und in Amsterdam durchgeführt. Alle Städte weisen einen im Vergleich zum Durch- Bild 1: Qualitatives Akzeptanzmodell Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 29 Wissenschaft INFRASTRUKTUR schnitt der deutschen Metropolen niedrigen MIV-Anteil am Verkehrsaufkommen der Bewohnenden auf (Amsterdam z. B. nur 23 %). Hervorzuheben ist der hohe Anteil des öffentlichen Personenverkehrs in Wien (38 %) und der hohe Radverkehrsanteil in Amsterdam (38 %). Der Motorisierungsgrad liegt mit Ausnahme Wiens unter dem Durchschnitt der deutschen Metropolen. Diese guten Voraussetzungen für den Verzicht auf einen privaten PKW im Umfeld der betrachteten Maßnahmen erleichtern die Durchführung restriktiver Parkraummaßnahmen. [9, 10, 11] Die Maßnahmen wurden von Beginn an überwiegend positiv wahrgenommen. Die Wohnbevölkerung zeigte sich offen für die Umgestaltung und forderte sie teils aktiv ein. Dieser Effekt war unter den Gewerbetreibenden meist schwächer ausgeprägt, wobei teils auch Widerstände aus dieser Gruppe kamen. Die Maßnahmen beinhalteten in allen Fällen eine Reduktion des Parkraums und eine Erhöhung der Aufenthaltsqualität, unterschieden sich aber im Umfang der Veränderung. Das Parken wurde bei einigen Maßnahmen vollständig unterbunden und durch Einfahrbeschränkungen ergänzt. Die akzeptanzsteigernden Aktivitäten waren daher ebenfalls unterschiedlich intensiv. Es wurde gerade bei baulich weniger umfangreichen Maßnahmen auf direkte Beteiligungsangebote weitgehend verzichtet. Das persönliche Gespräch zwischen Betroffenen und Planenden war aber durchgängig Bestandteil der Aktivitäten und wurde häufig in Anspruch genommen. Die Planenden wurden bei allen Maßnahmen durch externe Dienstleister bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Die Maßnahmen wurden überwiegend gut akzeptiert. Lediglich eine Maßnahme konnte aufgrund von Widerständen nicht wie ursprünglich geplant realisiert werden. Diese Widerstände kamen vor allem von Gewerbetreibenden, während sich die Wohnbevölkerung deutlich positiver äußerte. Die Analyse zeigt insgesamt, dass ein Zusammenhang zwischen Umfang der akzeptanzsteigernden Aktivitäten und der Akzeptanz der Umgestaltungsmaßnahme besteht. Dieser wird in der Praxis aber deutlich von weiteren Effekten überlagert: Das Maß an Vorerfahrung spielt eine zentrale Rolle. Bestand schon vorher eine große Offenheit für entsprechende Umgestaltungsmaßnahmen, konnten sogar umfangreichende Umgestaltungsmaßnahmen in kurzer Zeit mit wenig akzeptanzsteigernden Begleitaktivitäten erfolgreich umgesetzt werden. Dies trat meist in Städten auf, in denen vergleichbare Maßnahmen schon zuvor umgesetzt wurden - selbst, wenn die Reaktionen auf diese früheren Maßnahmen zunächst negativ waren. Die Vertretung der Gewerbetreibenden zählte bei einer der untersuchten Maßnahmen zu den Befürwortern, wenngleich dieselbe Gruppe einer ähnlichen Maßnahme in der Nähe noch sehr kritisch gegenüberstand. Persönliche Erfahrungen mit entsprechenden Maßnahmen haben nach diesen Beobachtungen den größten Einfluss auf die Akzeptanz. Die persönlichen Erfahrungen sind auch durch intensive akzeptanzsteigernde Aktivitäten nicht ersetzbar und können andere Effekte wie z. B. politische Einstellung überdecken. Der Status-quo-Bias ist für den Widerstand gegen die Maßnahmen ein Erklärungsansatz. Die kontinuierliche Gewöhnung an die Präsenz des PKW im öffentlichen Straßenraum erschwert Maßnahmen der Parkraumreduzierung. Betroffene verzichten auf die Chance einer Verbesserung und scheuen das Risiko der Verschlechterung. Positive Erfahrungen mit entsprechend umgestalteten Straßenräumen können diesen Effekt abschwächen und sogar umkehren, weil dann eine auf Aufenthaltsqualität und nicht-motorisierte Verkehrsträger ausgerichtete Straßenraumgestaltung als Normalzustand angesehen wird. Trotz der hierbei unterschiedlichen Ausgangslagen und Maßnahmen konnten mehrere Einflüsse der akzeptanzsteigernden Aktivitäten festgestellt werden: Ein wichtiger Einfluss ist das Maß der Beteiligung und die Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen. Die Aktivitäten umfassten in allen Maßnahmen Gestaltungsmöglichkeiten für die Betroffenen. Dabei wurden teils individuelle Formate für Anwohnende und Gewerbetreibende gefunden, teilweise auch direkt vor Ort und unter Einbeziehung lokaler Akteure. Wenige kritische Stimmen kamen in den betrachteten Maßnahmen dennoch meist von Gewerbetreibenden. Diese hatten heterogenere Ansprüche an die Maßnahme und waren nach eigener Wahrnehmung stark von der Erreichbarkeit mit dem PKW für Kunden und Lieferanten abhängig. Die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Planungen durch die Beteiligung wurde darüber hinaus unterschiedlich stark kommuniziert. In einzelnen Fällen wurden durch starke Beteiligung in der Planung der Maßnahme Hoffnungen geweckt, dass Maßnahmen auch entsprechend umgesetzt werden. Ein weiterer Einfluss ist die Prozessqualität der Aktivitäten. Sowohl die Qualität der eigentlichen Planung als auch der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation sind dabei von Relevanz. Eine umfangreiche Datenerhebung und -analyse ist Grundlage für die Erklärung der Maßnahme. Die Beteiligungsprozesse wurden in den betrachteten Maßnahmen von Dienstleistern unterschiedlich stark unterstützt. Verzögerungen und fehlende Beachtung der Rückmeldungen aus der Bevölkerung auf Grund von fehlenden Kapazitäten führten stellenweise zu Kritik. Empfehlungen und Ausblick Mit dieser Studie konnte gezeigt werden, dass die gewonnenen Ergebnisse im Verkehrsbereich vergleichbar mit denen aus anderen Forschungsfeldern sind. Die Foto: Kai / pixabay Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 30 INFRASTRUKTUR Wissenschaft Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus anderen Forschungsfeldern wird daher als sinnvoll angesehen. Akzeptanzsteigernde Aktivitäten erhöhen die Akzeptanz, deren Ausmaß hängt jedoch stark von Erfahrungen und Einstellungen sowie die vorhandenen Umfeldbedingungen ab. Es stehen vielfältige Möglichkeiten zu Verfügung, die Durchführung von Parkraumreduzierung zu unterstützen. Um den häufig beobachtbaren Status-quo-Effekt zu begegnen, sollte möglichst auf bereits durchgeführte Projekte in der Umgebung und deren enge Verwandtschaft zur geplanten Maßnahme verwiesen werden. Es können auch lokale, temporäre Umgestaltungsmaßnahmen zum Einsatz kommen, um persönliche Erfahrungen mit dem neuen Straßenraum zu ermöglichen. Zweckmäßig sind sogenannte Parklets, welche einen Parkstand temporär in Grün- oder Aufenthaltsflächen umwandeln. Erste Maßnahmen ihrer Art können aber dennoch unvermeidbar auf Widerstände stoßen. Ein Teil der Skepsis richtet sich aber nicht gegen die konkrete Umgestaltung selbst, sondern gegen die Veränderung an sich. Oft schwächt sich eine solche Ablehnungshaltung im Projektverlauf ab, so dass die Maßnahme damit den Weg für zukünftige Projekte ähnlicher Art ebnet. Das individuelle Eingehen auf die Betroffenen ist von besonderer Bedeutung. Durch eine differenzierte Ansprache und Beteiligung, einer klaren Kommunikation der Rahmenbedingungen und eine Interaktion vor Ort mit persönlichen Ansprechpartnern kann dies gelingen. Im Falle der Gewerbetreibenden sollte betont werden, dass das Gewerbe von einer gesteigerten Aufenthaltsqualität profitiert. Die besondere Berücksichtigung der Gewerbetreibenden ist wichtig, da selbst wenige, aber energisch auftretende Gegner eine Maßnahme empfindlich verzögern bzw. stoppen können. Es sollte des Weiteren stets Wert auf einen professionellen Auftritt gelegt werden. Dies ist eine Voraussetzung, dass akzeptanzsteigernde Aktivitäten ihre Wirkung entfalten. Ein empfundener Kompetenzmangel der Planenden kann selbst Gegenstand von Kritik werden. Die Unterstützung durch externe Dienstleister mit notwendigen Ressourcen und Knowhow ist zu empfehlen. Ebenso hilft der persönliche Kontakt zwischen Betroffenen und Planenden, Vorbehalte gegenüber Planenden und Planung abzubauen. Die Reduzierung von innerstädtischem Parkraum ist eine wirksame Maßnahme zur Förderung des Umweltbundes und der Attraktivität urbaner Räume. In Anbetracht der Vorteile scheint es angemessen, das Potenzial der Parkraumreduzierung auch gegen Widerstände aus Teilen der Betroffenen zu nutzen. Vielerorts wünschen sich große Teile der Bevölkerung umfangreiche Veränderungen im Straßenraum, sprechen aber mit leiserer Stimme als mancher Kritiker solcher Vorhaben. In Anbetracht der erkennbaren Veränderungen in den kommenden Jahrzehnten ist eine stetige Neueinordnung des Instruments der Parkraumreduzierung notwendig. Zusammenfassung Durch die Reduzierung des innerstädtischen Parkraumes kann Raum für andere Nutzungen geschaffen und der Umweltbund gestärkt werden. Entsprechende Projekte treffen jedoch oft auf Widerstände. Akzeptanzsteigernde Aktivitäten unterstützen Parkraumreduzierungsmaßnahmen. Hierzu wurden vier Beispielprojekte aus europäischen Metropolen untersucht und miteinander verglichen. Es zeigt sich, dass Menschen besonders dann skeptisch auf solche Projekte reagieren, wenn sie sich die konkreten Auswirkungen der Veränderung nicht vorstellen können. Akzeptanzsteigernde Aktivitäten sollten daher vor allem die Unsicherheiten bezüglich der neuen Straßenraumgestaltung mindern. Dazu können temporäre, punktuelle Umgestaltungsmaßnahmen ebenso wie der Verweis auf bereits erfolgreich durchgeführte Projekte verwendet werden. Ebenso sind klar umgrenzte Beteiligungsmöglichkeiten und Kapazitäten für professionelles Auftreten der Planenden von Bedeutung. ■ LITERATUR [1] Hüsing, B.; Bierhals, R.; Bührlen, B.; Friedewald, M.; Kimpeler, S.; Menrad, K. (2002): Technikakzeptanz und Nachfragemuster als Standortvorteil. [2] Schweizer-Ries, P.; Rau, I.; Nolting, K.; Rupp, J.; Keppler, D.; Zoellner, J. (2010): Aktivität und Teilhabe - Akzeptanz erneuerbarer Energien durch Beteiligung steigern. [3] Schäfer, M.; Keppler, D. (2013): Modelle der technikorientierten Akzeptanzforschung. [4] Samuelson, W.; Zeckhauser, R. (1988): Status quo bias in decision making. In: Journal of Risk and Uncertainty, 1. Jg., H. 1, S. 7-59. [5] Eidelman, S.; Crandall, C. (2012): Bias in Favor of the Status Quo. In: Social and Personality Psychology Compass, 6. Jg., H. 3, S. 270-281. [6] Bauer, U.; Hertel, M.; Sedlak, R. (2019): Parkraummanagement lohnt sich! Leitfaden für Kommunikation und Verwaltungspraxis. Hrsg. v. Agora Verkehrswende. [7] Umansky, D. (2020): Kommunikation kommunaler Verwaltungsbehörden bei der Öffentlichkeitsbeteiligung: Eine qualitative Fallstudie. In: Öffentliche Verwaltung - Verwaltung in der Öffentlichkeit. Herausforderungen und Chancen der Kommunikation öffentlicher Institutionen, S. 139-160. [8] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (Hrsg.) (2020): Ruhender Verkehr. Hinweispapier für die Straßenverkehrsbehörden, Bußgeldbehörden und Kommunen in Baden-Württemberg. [9] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018). Mobilität in Deutschland − MiD: Ergebnisbericht. [10] Tomschy, R.; Herry, M.; Sammer, G.; Klementschitz, R.; Riegler, S.; Follmer, R.; Spiegel, T. (2016). Österreich unterwegs 2013/ 2014: Ergebnisbericht zur österreichweiten Mobilitätserhebung „Österreich unterwegs 2013/ 2014 “. [11] Amsterdam, G. (2021). Amsterdamse thermometer van de Bereikbaarheid. Tim Wörle, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für-Technologie (KIT) tim.woerle@kit.edu Martin Kagerbauer, PD Dr.-Ing. Mitglied der Institutsleitung, Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) martin.kagerbauer@kit.edu Lukas Rapp, M.Sc. Referent Angebotsplanung, Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein (NAH.SH), Kiel lukas.rapp@nah.sh
