eJournals Internationales Verkehrswesen 74/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0076
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Grüne Instandhaltungsflotte für Österreichs Bahnnetz

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Christian Adamiczek
Jakob Raffel
Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Sicherheit sind für Eisenbahnverkehrsunternehmen von größter Bedeutung, sowohl im Güterverkehr als auch im Personenverkehr. Infrastrukturbetreiber:innen haben den Auftrag, einen leistungsfähigen und zuverlässigen Personenverkehr und Güterverkehr auf der Schiene zu gewährleisten. Sie müssen daher auf Störungen schnell und effizient reagieren. Die ÖBB-Infrastruk- tur AG investiert neben dem Ausbau und Neubau der Schieneninfrastruktur auch in einen komplett neuen Instandhaltungsfuhrpark: Hybrides Antriebskonzept, vollelektrischer Betrieb auf der Baustelle und modularer Aufbau optimieren die Instandhaltung und setzen neue Maßstäbe in Sachen Effizienz und Nachhaltigkeit.
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Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 34 Grüne Instandhaltungsflotte für Österreichs Bahnnetz Infrastrukturausbau, Instandhaltung, Modernisierung, Antriebskonzept, ModularCustomizing Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Sicherheit sind für Eisenbahnverkehrsunternehmen von größter Bedeutung, sowohl im Güterverkehr als auch im Personenverkehr. Infrastrukturbetreiber: innen haben den Auftrag, einen leistungsfähigen und zuverlässigen Personenverkehr und Güterverkehr auf der Schiene zu-gewährleisten. Sie müssen daher auf Störungen schnell und effizient reagieren. Die ÖBB-Infrastruktur-AG investiert neben dem Ausbau und Neubau der Schieneninfrastruktur auch in einen komplett neuen Instandhaltungsfuhrpark: Hybrides Antriebskonzept, vollelektrischer Betrieb auf der Baustelle und modularer Aufbau optimieren die Instandhaltung und setzen neue Maßstäbe in Sachen Effizienz und Nachhaltigkeit. Christian Adamiczek, Jakob Raffel D ie Instandhaltung und schnelle Reaktion auf technische Gebrechen sowie Störungen sind für eine Schieneninfrastrukturbetreiberin wie die ÖBB-Infrastruktur AG von großer Bedeutung. Zudem können Unwetter, wie Sturm oder starker Schneefall, schnell zu einer Belastung werden und den Bahnverkehr behindern. Hier muss schnellstmöglich reagiert werden, oft zählt jede Minute. Neben erfahrenen und gut ausgebildeten Mitarbeiter: innen braucht es auch das Equipment auf höchstem Niveau, wobei es vor allem auf hohe Verfügbarkeit und gute Usability ankommt. Durch eine komplette Modernisierung des- Fuhrparks gelingt es, die Instandhaltung effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Bahnland Österreich In Österreich werden Investitionen in Milliardenhöhe in den Infrastrukturausbau getätigt. Auch in den kommenden Jahren setzt sich dieser Trend fort. Schon jetzt ist Österreich das Bahnland Nummer 1 in der Europäischen Union. Pünktlichkeit der Züge und die Zufriedenheit der Bahnkund: innen sind auf einem Top-Niveau, so weist Österreich im Eisenbahnverkehr die meisten Personenkilometer auf. In und durch Österreich fahren jeden Tag über 6.500 Züge. Das entspricht heute schon über 100 Millionen Tonnen Gütern und über 270 Millionen Fahrgästen jährlich [1]. Und das, obwohl Österreich in Europa ein verhältnismäßig kleines Land ist. Großprojekte wie die Koralmbahn oder der Semmering-Basistunnel ermöglichen in Zukunft kürzere Fahrzeiten im Süden Österreichs und steigern die Kapazitäten im Personenverkehr wie auch im Güterverkehr. Da diese Neubaustrecken Teil internationaler Eisenbahnkorridore sind, kommt ihnen auch eine hohe europäische Bedeutung zu, denn von elf Schienenkorridoren in der EU verlaufen fünf durch Österreich [2]. Für den Güterverkehr stellt Österreich vor allem die Verbindung zwischen den Adriahäfen, wie Triest oder Koper, und der Industrie im Norden dar. Im Personenverkehr spielt Österreich als EU-Binnenland ebenso eine besondere Rolle. Über 160 internationale Fernzüge fahren täglich von und nach Österreich. Die Kapazitäten und die Verfügbarkeit des österreichischen Bahnnetzes sind für den europäischen Bahnbetrieb ein entscheidender Fak- Foto: Plasser & Theurer INFRASTRUKTUR Schienenverkehr Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 35 Schienenverkehr INFRASTRUKTUR tor. Damit also - vor allem auf den Hauptstrecken - eine störungsfreie Instandhaltung gewährleistet ist, investiert die ÖBB-Infrastruktur AG in 56 Instandhaltungsmaschinen von Plasser & Theurer. Anforderungen an die neue Flotte Einige Fahrzeuge der aktuellen Instandhaltungsflotte sind bereits 40 Jahre bei der ÖBB-Infrastruktur AG in Betrieb. Seither hat sich das Anforderungsprofil für die Maschinen stark verändert. Neben mehr Effizienz und mehr Leistung muss die Arbeitssicherheit für die Mitarbeiter: innen optimiert und gewährleistet sein. Darüber hinaus wird auch das Netz der ÖBB-Infrastruktur AG stets vielfältiger und entwickelt sich weiter. Neben alten Strecken wie am Semmering mit engen Kurvenradien und vielen Brücken gibt es auch viele Neubaustrecken mit kilometerlangen Tunnelanlagen. Die Bahn in Österreich ist schneller und leistungsstärker geworden, gleichzeitig fein verästelt im ganzen Land. Die ÖBB-Infrastruktur AG ist mit hohen Anforderungen in das Projekt gestartet. Neben der Sicherung von Instandhaltung auf Neubaustrecken gibt es vor allem zahlreiche wirtschaftliche und technische Anforderungen für den Ganzjahresbetrieb. Zunächst war es für die ÖBB-Infrastruktur AG wichtig, die Verschiedenartigkeit der Flotte stark zu reduzieren. Es soll nur wenige Fahrzeugtypen geben, die in der Grundstruktur gleich sind, um Instandhaltungs- und Ersatzteilkosten niedrig zu halten. Dadurch soll auch der Ausbildungsbedarf gesenkt werden. Gleichzeitig müssen trotz steigender Funktionalitäten Wirtschaftlichkeit und Effizienzsteigerung gegeben sein. Weiters sollen Emissionen reduziert werden und die- neuen Fahrzeuge mit der Klimaschutzstrategie der ÖBB-Infrastruktur AG im Einklang stehen. Da in Österreich der ETCS-Ausbau flächendeckend geplant ist, müssen auch alle Fahrzeuge ETCS-tauglich-sein. Plasser & Theurer hat sich beim Lastenheft sehr stark an Erfahrungen und Arbeitsabläufen der ÖBB-Infrastruktur AG orientiert. Zu diesem Zweck wurden auch die Mannschaften aus dem Außendienst, Praktiker: innen und Bediener: innen, die zukünftig mit der neuen Flotte arbeiten werden, bei der Erstellung mit einbezogen. Die Anschaffung einer neuen Instandhaltungsflotte ist eine langfristige Entscheidung, die jeden Tag Einfluss auf den Bahnbetrieb hat. Dementsprechend ist es für die ÖBB-Infrastruktur AG wichtig, dass die Mitarbeiter: innen schon bei der Konzeptionierung mit an Bord geholt wurden. Das soll nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch die Sicherheit im Betrieb. Um im gesamten Netz der ÖBB-Infrastruktur AG schnell vor Ort zu sein und die Transportzeiten so gering wie möglich zu halten, sind die Fahrzeuge regional stationiert. Durch die Höchstgeschwindigkeit von bis zu 120 km/ h können die Maschinen schnell den Einsatzort erreichen - und das im vollelektrischen Oberleitungsbetrieb. Im Zuge der Projektierung und der Definition der Anforderungen hat sich die ÖBB- Infrastruktur AG auch mit anderen Bahnen ausgetauscht, und die funktionalen Anforderungen wurden abgeglichen. Modularer Aufbau für drei Anwendungsschwerpunkte Instandhaltungsmaschinen wurden früher in Planung und Produktion als Einzelstücke betrachtet. Für die ÖBB-Infrastruktur AG war es jedoch wichtig, dass trotz unterschiedlicher Funktionen und Aufgaben die Grundstruktur des Fahrzeuges gleich bleibt und die Typenvielfalt in der Flotte reduziert wird. Durch das ModularCustomizing von Plasser & Theurer werden für die Gesamtflotte eine einheitliche Basis und ein gemeinsames Antriebskonzept geschaffen, doch der Aufbau wird an das Anforderungsprofil angepasst. Dieses einheitliche Trägerfahrzeug mit 15,4 m Drehzapfenabstand reduziert die Ersatzteil- und Instandhaltungskosten im Betrieb deutlich. Darüber hinaus wird die Instandhaltungsflotte der ÖBB-Infrastruktur AG von zwölf auf drei Fahrzeugtypen reduziert. Der einheitliche Bedienstandard der Fahrzeuge spart zudem Ausbildungs- und Personalkosten. Der Plasser CatenaryCrafter 15.4 E 3 vom Typ 1 ist optimal für Montageleistungen rund um Oberleitungen. Zu diesem Zweck wird dieses Fahrzeug mit einer dreiteiligen Hubarbeitsbühne ausgestattet, die für gleichzeitiges Arbeiten in unterschiedlichen Höhen unabhängig nach oben wie auch zur Seite beweglich ist (Bild-1). Für Inspektions- und Wartungsarbeiten an Oberleitungen wurde der Plasser CatenaryCrafter 15.4 E 3 vom Typ 2 konzipiert, auf Bild 1: Der Plasser CatenaryCrafter 15.4 E³ (Typ 1) für Montageleistungen rund um Oberleitungen Bild: Plasser & Theurer Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 36 INFRASTRUKTUR Schienenverkehr dessen Dach eine Arbeitsbühne montiert ist. Diese erlaubt einen großen Radius des Arbeitsbereiches, um möglichst flexibel zu sein. Darüber hinaus ist das Fahrzeug mit einer geräumigen Werkstatt und einem Lager ausgestattet. Die beiden Fahrzeugtypen 1 und 2 werden somit vor allem für den Schwerpunkt Oberleitungsbau und -instandhaltung eingesetzt. Ein wichtiges Anwendungsszenario sind Störungsfälle aufgrund von Naturkatastrophen, z. B. Sturmschäden, die technische Gebrechen an der Oberleitung auslösen. Der Einsatz als Messfahrzeug für die Oberleitung ist ebenso vorgesehen, um Fahrdrahthöhe und Fahrdrahtseitenlage zu ermitteln. Der Plasser MultiCrafter 15.4 E 3 ist das modulare Fahrzeug vom Typ 3, mit dem Aufgabenfelder im Bereich des Oberbaus abgedeckt werden. Dementsprechend wurde dieses Fahrzeug mit einem Kran und einer Ladefläche ausgestattet, die eine Nutzlast von bis zu 10 t ermöglicht. Im Vordergrund steht der Transport von kleinerem Gerät und Material für die Baustellen, beispielsweise zur Manipulation von Schwellen und Schienen. Außerdem dient er als Zugfahrzeug für den Schotterwagentransport. Das Multitalent ist auch zur Stelle, wenn das Lichtraumprofil wegen hineinragender Bäume überprüft werden muss. Ergänzt durch die Plasser TransportUnit kann weiteres Equipment wie ein Tunnelspülgerät mitgeführt werden. Jedes Fahrzeug der Flotte ist auch mit einem Sozialraum - inklusive Sanitäranlagen - und einem Technikcontainer ausgestattet. Speziell für den Wintereinsatz können an allen Fahrzeugtypen Schneebürsten oder Schneefräsen sowie andere Anbaugeräte für die Montage, Instandhaltung und Wartung montiert werden. Alle Unterflurmodule sind durch neue standardisierte Modullager im Fahrgestellrahmen verschraubt. Neben der Variabilität in der Anordnung sorgt die entkoppelte Bauweise dafür, dass Vibrationen und Schwingungen abgefangen werden. Die Nutzung vormontierter und geprüfter Module ist auch die Basis für eine schnellere sowie einfachere Wartung. Um den Komfort vor allem während des gesamten Transportes zu erhöhen, werden alle Fahrzeuge mit einer Sekundärfederung versehen. Der modulare Aufbau steigert die Verfügbarkeit, da man einzelne Module mit standardisierten Schnittstellen einfacher austauschen kann. Komplett vormontierte und geprüfte Einheiten ermöglichen einen raschen Ersatz und können zum Teil auch am Standort montiert werden. Mit der neuen Fahrzeugflotte wird so ein neuartiges Service-Konzept vor Ort implementiert werden. Das Fahrzeug ist binnen kurzer Zeit wieder im Einsatz. Währenddessen werden ausgebaute Module, wie z. B. ein komplettes Powerpack mit allen Komponenten des Motors, gewartet und wieder flott gemacht. So ist auch in der Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge für die nötige Effizienz gesorgt. Strom aus der Oberleitung und Batteriebetrieb auf der Baustelle für-mehr Nachhaltigkeit Die Bahn versucht den nachhaltigen Charakter stets hochzuhalten. Durch die Verkehrsdienstleistungen für die Fahrgäste und Kund: innen ersparen die ÖBB mit Bahn und Bus der Umwelt in Österreich jährlich rund 4 Mio. t CO 2 (ausgenommen sind pandemiebedingte Leistungsrückgänge). Im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern schneidet die Bahn im Hinblick auf die Nachhaltigkeit deutlich besser ab. Das Auto hat beispielsweise einen 30-mal höheren CO 2 -Ausstoß als die Bahn, das Flugzeug sogar 50-mal so viel.- So spielt die Bahn auch im Zuge des European Green Deal eine wichtige Rolle und soll das Rückgrat des europäischen Warenverkehrs und Personenverkehrs werden. Für die ÖBB ist Nachhaltigkeit ein wesentlicher Teil der Unternehmensphilosophie und tief in der Identität verankert. So versteht sich das Unternehmen nicht nur als größter Mobilitätsdienstleister des Landes, sondern auch als eines der größten Klimaschutzunternehmen Österreichs. Deshalb wird seit Jahren in allen Unternehmensbereichen auf Klimafreundlichkeit geachtet. Beispielsweise beziehen die ÖBB für ihre Züge nur grünen Bahnstrom aus erneuerbarer Energie, und durch alternative Antriebe sowie laufende Elektrifizierung sollen Dieselloks künftig der Vergangenheit angehören. Dementsprechend wurde auch bei dieser Fahrzeugbeschaffung ein besonderes Augenmerk auf Klimafreundlichkeit gelegt. Das neue Antriebskonzept E 3 von Plasser & Theurer ermöglicht vollelektrisches Fahren im Oberleitungsbetrieb. Da gerade bei Störungen oder im Zuge von Instandhaltungsmaßnahmen nicht immer eine Oberleitung zur Verfügung steht, sind die Fahrzeuge zusätzlich mit leistungsstarker Akkutechnik ausgestattet. Zum Fahren auf nichtelektrischen Strecken sowie als Backup ist ein dieselelektrisches Powerpack mit an Bord. Das Herzstück für den emissionsarmen Einsatz der Maschinen ist die Traktionsbatterie, die sicherstellt, dass der gesamte Baustellenbetrieb emissionsfrei abgewickelt werden kann. Plasser & Theurer sammelte bereits 2017 Erfahrungen im Batteriebetrieb mit dem HTW 100 E 3 . Mit dem neuen Plasser CatenaryCrafter 15.4 E 3 ist es möglich, eine ganze Arbeitsschicht über Batteriebetrieb zu arbeiten, ohne zu laden. Die Fahrt zum Einsatzort erfolgt über die Oberleitung mit bis zu 120 km/ h, gleichzeitig wird die durch Rekuperation gewonnene Energie in die Akkus gespeichert. Steht am Einsatzort kein Oberleitungsstrom zur Verfügung, wird unterbrechungsfrei in den Batteriemodus geschaltet. Der emissions- und lärmarme Betrieb schützt nicht nur die Umwelt, sondern verbessert auch die Arbeitsbedingungen am und um das Fahrzeug deutlich. Instandhaltungsmaßnahmen in urbanem oder bebautem Gebiet können vorgenommen werden, ohne Anrainer: innen mit Lärm oder Abgasen zu belästigen. Das E 3 -Konzept verringert den Dieselverbrauch und spart enorm CO 2 ein. ÖBB profitiert von konsequenter Weiterentwicklung Von der ÖBB-Infrastruktur AG erhielt Plasser & Theurer nach einem EU-weiten Vergabeverfahren den Auftrag über die neue Flotte von 56 Fahrzeugen. Sie setzt sich zusammen aus 29 Plasser Catenary- Crafter für die Oberleitung, 21 Plasser MultiCrafter für Oberbauinstandhaltung sowie sechs Plasser TransportUnit als Steuerwagen, die als Erweiterung für zusätzliches Equipment der Bautechnik dienen. Für weitere 46 Fahrzeuge wurde eine Kaufoption vereinbart. Die Firma Plasser & Theurer unterstützt so als Partner mit innovativen Fahrzeugen den modernen und nachhaltigen Bahnbetrieb in Österreich. ■ QUELLEN [1] Die ÖBB in Zahlen 2020/ 2021: https: / / konzern.oebb.at/ de/ ueberden-konzern/ die-oebb-in-zahlen [2] Europäische Güterverkehrskorridore: https: / / infrastruktur.oebb.at/ de/ geschaeftspartner/ schienennetz/ zugang-zum-oebb-netz/ europaeische-gueterverkehrskorridore Christian Adamiczek, Ing. Rail Equipment GmbH & Co KG, ÖBB-Infrastruktur AG, Wien (AT) christian.adamiczek@oebb.at Jakob Raffel, Ing. Instandhaltungsmanagement, ÖBB-Infrastruktur AG Wien (AT) jakob.raffel@oebb.at