Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2022-0082
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Spurwechsel in Afrika
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Verena Knöll
Daniel Bongardt
Die Länder Afrikas sind derzeit für nur 3,8 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Mit wachsenden Volkswirtschaften und Bevölkerungen nehmen die Emissionen auf dem Kontinent rapide zu – vor
allem im Verkehrssektor, der bereits eine wichtige Emissionsquelle ist. Urbanisierung, hohe Investitionsbedarfe in Infrastruktur und eine steigende Mobilitätsnachfrage bedingen Wachstum und Wandel des Sektors. Globale Trends der Elektrifizierung, der Nutzung erneuerbarer Energien und der digitalen Innovation bieten zahlreiche Möglichkeiten für einen Sprung zu nachhaltigem Verkehr auf dem Kontinent.
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Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 60 Spurwechsel in Afrika Die globale Verkehrswende kann nur gemeinsam mit Afrika-realisiert werden Afrika, Klimawandel, COP27, Dekarbonisierung, Verkehrswende Die Länder Afrikas sind derzeit für nur 3,8 % der weltweiten CO 2 -Emissionen verantwortlich. Mit wachsenden Volkswirtschaften und Bevölkerungen nehmen die Emissionen auf dem Kontinent rapide zu - vor allem im Verkehrssektor, der bereits eine wichtige Emissionsquelle ist. Urbanisierung, hohe Investitionsbedarfe in Infrastruktur und eine steigende Mobilitätsnachfrage bedingen Wachstum und Wandel des Sektors. Globale Trends der Elektrifizierung, der Nutzung erneuerbarer Energien und der digitalen Innovation bieten zahlreiche Möglichkeiten für einen Sprung zu nachhaltigem Verkehr auf dem Kontinent. Verena Knöll, Daniel Bongardt I m ägyptischen Sharm el-Sheikh kommen dieser Tage (6. bis 18. November) erneut Vertreter*innen von fast 200 Mitgliedsländern der Klimarahmenkonvention zur 27. Vertragsstaatenkonferenz zusammen. Dass die Klimaverhandlungen nach einigen Jahren wieder auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden, hat eine besondere Signalwirkung. Es ist höchste Zeit dafür, dass dem afrikanischen Kontinent eine bedeutendere Rolle zu Teil wird. Immerhin ist die Klimakrise in vielen afrikanischen Ländern bereits deutlich spürbar. Dabei liegt die Hauptverantwortung für den Klimawandel im Globalen Norden - auch in Deutschland. Die 54 Länder des afrikanischen Kontinents sind zusammengenommen nur für knapp 4 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich - und das bei einem Bevölkerungsanteil von fast 20 % der Weltbevölkerung. Mit seiner schnell wachsenden Bevölkerung und seinen wirtschaftlichen Wachstumsmöglichkeiten hat der Kontinent jedoch das Potenzial, zukünftig zu einem bedeutenden Treibhausgasemittenten zu werden. Dabei spielt der Verkehrssektor eine herausragende Rolle. In Afrika gehen 346- Millionen Tonnen (Mt) CO 2 auf sein Konto, das ist fast ein Drittel der gesamten energiebedingten CO 2 -Emissionen Afrikas. Zum Vergleich, in Deutschland sind es etwa 160 Mt CO 2 . Anders als in Deutschland steigen die Emissionen in Afrika weiterhin schnell an. Diese Dynamik droht die klimapolitischen Erfolge weltweit wettzumachen. Straßenbahn in Addis Abeba, Äthiopien Foto: GIZ, Thomas Imo / photothek.net MOBILITÄT Nachhaltigkeit Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 61 Nachhaltigkeit MOBILITÄT Keine Verkehrswende, ein Spurwechsel ist notwendig Der Begriff der Verkehrswende 1 erscheint für den afrikanischen Kontext unpassend, immerhin könnten viele afrikanische Länder bei einem Blick in die Statistik als geradezu vorbildlich gelten: Die Motorisierungsraten sind niedrig, es wird viel zu Fuß gegangen und die Verkehrsemissionen pro Kopf sind nahezu verschwindend gering. Diese Zahlen sind jedoch vor allem finanzieller Armut und mangelnden bezahlbaren, motorisierten Verkehrsangeboten geschuldet. Die verkehrsbedingte Lärm- und Luftverschmutzung, hohe Unfallzahlen und mangelnde Erreichbarkeit wichtiger Ziele stellen afrikanische Regierungen und Stadtverwaltungen auch heute vor eine große Herausforderung. Diesen Problemen gilt es zu begegnen, ohne bei der Verkehrsentwicklung in die Falle zu geraten, in die sich die Staaten des Globalen Nordens manövriert haben. Gelingt es, zukünftige Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor afrikanischer Länder zu vermeiden, ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu beeinträchtigen, ist eine nachhaltige Entwicklung möglich. Es geht daher nicht um eine Wende im Verkehr, sondern um einen Spurwechsel beim Aus- und Aufbau von Mobilitätssystemen. Klimafreundliche, effiziente Mobilitätsangebote müssen in Verbindung mit der Nutzung des enormen Potenzials erneuerbarer Energien von vornherein priorisiert werden. Dabei können hier nur ein paar grundliegende Gedanken angerissen werden, alles andere wäre vermessen angesichts der Größe, Diversität und Komplexität des Kontinents und des Themenfeldes. Zudem muss die Diskussion in Afrika geführt werden und nicht bei uns in Deutschland, auch wenn durch die hohen Emissionen in der Vergangenheit und die Folgen von Kolonialisierung deutsche Akteure auch in der Verantwortung stehen. Die folgenden Überlegungen können daher als Einladung verstanden werden, mit den Akteuren, die sich für dessen nachhaltige Ausgestaltung der Verkehrssysteme einsetzen, zu diskutieren. Sozial gerechte Mobilitätsangebote für Stadt und Land Im Jahr 2050 könnten Prognosen zufolge 2,5 Milliarden Menschen in Afrika leben, 1,5- Milliarden davon in Städten (ca. 60 bis 61 %) und 1 Milliarde im ländlichen Raum. Die Mobilitätsnachfrage wird stark zunehmen. Wie überall auf der Welt ist soziale Gerechtigkeit eine Grundvoraussetzung für eine Transformation im Sektor. Auf dem Land ist es heute schon oft schwierig, zentrale Orte und die dort vorhandenen Märkte, Jobs, Ausbildungsstätten oder das Gesundheitswesen zu erreichen. Städte wachsen zumeist ungesteuert, in Form sogenannter informeller Siedlungen. Auch dort fehlen die erforderlichen Angebote. Sollte es gelingen das Städtewachstum entlang nachhaltiger ÖPNV-Korridore zu kanalisieren, dann wäre es möglich, dass viele Verkehrsprobleme erst gar nicht entstehen. Bisher sind informelle Busse und Taxen, bekannt in Afrika unter den verschiedensten Namen (etwa Daladalas, Matatus, Bodas, Cars Rapide, etc.) das zentrale Mobilitätsangebot (Bild 1). Zum einen bieten die informell organisierten Dienste flexible, relativ flächendeckende Mobilitätsangebote und Arbeitsplätze. Zum anderen führt die Nutzung alter Fahrzeuge aber zu Problemen hinsichtlich Verkehrssicherheit und Luftverschmutzung. Auch wenn mittlerweile in einigen Städten Schnellbussysteme oder Straßenbahnen eingeführt werden, sind diese Mobilitätsangebote notwendig. Dabei gilt es, die Qualität der Angebote zu erhöhen und die Emissionen zu reduzieren, ohne dass die Angebote für Menschen mit geringem Einkommen unerreichbar werden. Dabei kann auch die Digitalisierung einen wesentlichen Beitrag leisten. Eine junge, technikaffine Bevölkerung bietet enormes Potenzial. Bei einem Blick auf den aktuellen Modal Split in verschiedenen afrikanischen Städten (Bild 2) fällt neben dem Paratransit der hohe Anteil des Fußverkehrs auf. Dies ist insbesondere auf mangelnde, bezahlbare Alternativen und ein hohes Maß sozialer Benachteiligung zurückzuführen. Gehwege fehlen vielerorts, sind unzureichend gesichert und somit keine attraktive Wahl. Dies zeigt sich auch in der Unfallstatistik vieler afrikanischer Länder: 40 bis 60 % der Unfalltoten sind Fußgänger*innen. Eine bessere Infrastruktur für aktive Mobilität ist daher dringend notwendig. Erneuerbare Energie und Elektromobilität entwickeln Im Sinne der Vermeidung von Emissionen sind nicht motorisierte Verkehrsmittel besonders erstrebenswert. Dennoch ist Mobilität, gerade über weitere Strecken hinweg, auf motorisierte Antriebe und externe Energiequellen angewiesen. Anpassungen in Mobilitätssystemen gehen daher idealerweise Hand in Hand mit der Einführung der Elektromobilität, kurz E-Mobilität. Aufgrund des enormen Potenzials zur kostengünstigen Erzeugung erneuerbarer Energie kann diese eine besondere Rolle spielen 2 . Den Beginn dieser Transformation sieht man bereits im Bereich der Motorräder. Motorräder sind ein wichtiges Verkehrsmittel in vielen afrikanischen Ländern und dementsprechend weit verbreitet. Start-ups wie Zembo in Uganda (Bild 3) oder Senergytek in Marokko zeigen, dass E-Mobilität zugleich eine Chance bietet, lokale Wertschöpfung zu generieren. Auch erste elektrisch betriebene Busse gibt es bereits made in Africa, etwa bei Roam in Kenia. Die Batte- 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Casablanca (Marokko) Dakar (Senegal) Dire Dawa (Äthiopien) Douala (Kamerun) Maputo (Mozambik) Sonstiges Private Autos und Motorräder Paratransit ÖPNV Zu Fuß (und Fahrrad) Bild 1: Car Rapide in Dakar, Senegal - Informelle Minibusse wie dieser sichern die Mobilität in vielen afrikanischen Städten angesichts unzureichender ÖPNV-Angebote. Foto: Ariadne Baskin Bild 2: Modal Split verschiedener afrikanischer Städte Quelle: MobiliseYourCity (2022) Internationales Verkehrswesen (74) 4 | 2022 62 MOBILITÄT Nachhaltigkeit rien kommen indes nach wie vor zumeist aus China, wo sie unter Einsatz vieler auch in Afrika vorkommender Rohstoffe hergestellt werden. Auch hier besteht ein Potenzial, Teile der Wertschöpfungskette auf den Kontinent zu verlagern. Noch sind es aber vor allem Pionierprojekte, die die Elektrifizierung des Verkehrssektors vorantreiben. Ein Großteil der in vielen afrikanischen Ländern schnell voranschreitenden Motorisierung findet über den Gebrauchtwagenmarkt statt. Angesichts oft unzureichender Importregulierungen und gänzlich fehlender Exportstandards der Herkunftsländer gelangen dabei zahlreiche verkehrsunsichere und emissionsintensive Fahrzeuge auf afrikanische Straßen. Gerade Fahrzeughersteller und bedeutende Fahrzeugexportländer wie Deutschland sind hier gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Infrastruktur nachhaltig entwickeln und finanzieren Ob ÖPNV, Fußverkehr, E-Mobilität oder ein Schienennetz für Güter und Passagiere, die nachhaltige Ausgestaltung von Verkehrssystemen auf dem afrikanischen Kontinent wird ohne die notwendigen Investitionen in den Ausbau von Infrastruktur nicht möglich sein. Laut African Economic Outlook 3 wären dafür jährlich Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 130 bis 170 Mrd. USD nötig (Bild- 4). Tatsächlich investiert werden aber nur 100 Mrd. USD, etwa ein Drittel davon im Verkehrssektor. Die Liste der möglichen Handlungs- und Investitionsfelder ist enorm: Der Ausbau von Straßen- und Schienennetzen gehört ebenso dazu wie der schnelle Ausbau von Erzeugung und Verteilung von regenerativem Strom, damit Züge und Straßenfahrzeuge klimaverträglich unterwegs sein können. Obendrein kann die Chance wahrgenommen werden, afrikanische Städte und Megastädte so zu gestalten, dass einer rasch wachsenden Zahl von Menschen klimaverträgliche Mobilität ermöglicht wird. Hinzu kommen die Anforderungen, die aufgrund der bereits spürbaren und in Zukunft erwarteten Auswirkungen des Klimawandels an existierende und neu zu bauende Infrastruktur gestellt werden, um diese klimaresilient zu gestalten und damit auch unnötige Schäden und Folgekosten zu vermeiden. Nach Angaben der Weltbank kostet es 2 bis 3 % mehr, Infrastrukturvorhaben klimaresilient zu bauen. Es gilt also verstärkt Mittel zu mobilisieren, um die Investitionslücke zu verkleinern und gleichzeitig robuste Verkehrsinfrastrukturen zu schaffen. Mittel der Klimafinanzierungen könnten hier einen guten Rahmen bieten, um internationale Gelder für den Verkehrssektor in afrikanischen Ländern verfügbar zu machen und damit wiederum Investitionen des Privatsektors anzureizen. Dabei gilt es zu bedenken, dass Investitionen besonders dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn sie zwischen den verschiedenen Geldgebern abgestimmt sind. Alle Infrastrukturinvestitionen über verschiedene Herkunftsquellen und geopolitische Interessen hinweg zu koordinieren und entsprechend den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung zu priorisieren, sollte dabei zuallererst in der Hoheit afrikanischer Regierungen und der Afrikanischen Union liegen. Während das teilweise gut funktioniert, besteht noch Potenzial für eine bessere Zusammenarbeit zwischen westlichen und chinesischen Banken und Investoren. Der Diskurs muss fortgeführt und ausgeweitet werden Man kann all diese Überlegungen natürlich weiterspinnen, ergänzen, sie differenzierter betrachten, in den nationalen Kontext verschiedener afrikanischer Länder stellen oder auf regionale Fallbeispiele anwenden und gegebenenfalls auch kritisch hinterfragen. Schließlich können alle Themen hier nur angerissen werden. Wir verstehen sie als Ausgangspunkt einer Diskussion, die in engem Austausch zwischen Staaten, Institutionen, Organisationen und Personen aus afrikanischen Ländern und dem Globalen Norden geführt werden sollte. Denn es liegt im Interesse und auch in der gemeinsamen Verantwortung der afrikanischen Regierungen und der internationalen Gemeinschaft, mit Blick auf eine klimaneutrale und sozial gerechte Gestaltung des Verkehrssektors zusammenzuarbeiten und einen Spurwechsel anzustoßen. ■ 1 Der Inhalt dieses Artikels basiert auf einem von GIZ und Agora Verkehrswende gemeinsam entwickelten englischsprachigen Diskussionspapier. Neben umfangreichen Recherchen wurden die Inhalte insbesondere gemeinsam in Gruppendiskussionen mit afrikanischen Verkehrsexpert*innen entwickelt. Das Papier kann hier heruntergeladen werden: https: / / changing-transport.org/ publication/ transforming-transport-in-africa/ 2 Auch für die Dekarbonisierung des internationalen Luft- und Seeverkehrs sind synthetische Kraftstoffe im Gespräch, die auf grünem Wasserstoff basieren. Bis dies in einem größeren Maßstab möglich ist, ist es noch ein weiter Weg, insb. da es in Afrika noch zu wenig Strom gibt und dieser bis auf weiteres vor Ort gebraucht wird. 3 www.icafrica.org/ fileadmin/ documents/ Publications/ AEO_2019-EN.pdf Verena Knöll Juniorberaterin Verkehr und Klima, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Bonn verena.knoell@giz.de Daniel Bongardt Programmleiter Verkehr und Klima, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Bonn daniel.bongardt@giz.de Bild 4: Infrastrukturinvestitionen in Afrika nach Herkunft Quelle: Autoren, basierend auf Global Infrastructure Outlook 2018 Bild 3: Elektrische Motorräder des afrikanischen Start-ups Zembo werden in Uganda bereits eingesetzt. Foto: GIZ
