Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0006
21
2023
751
Konkurrenzkampf um Fördermittel nimmt zu
21
2023
Frank Hütten
iv7510017
Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 17 F ür die europäische Verkehrsinfrastruktur schien das beispiellose Konjunkturprogramm „Next Generation EU“ (NGEU), mit dem die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise in den Mitgliedstaaten überwunden werden sollen, bisher ein Glücksfall zu sein. Vor allem Nachhaltigkeit und Digitalisierung sollen mit dem rund 800 Milliarden Euro schweren Programm, für das die EU sich auch verschuldet, gefördert werden. Projekte, die umweltfreundlichere Transporte erlauben, können diese Ziele oft erfüllen und wurden von den EU- Staaten auch schon fleißig zur Förderung durch NGEU vorgeschlagen. Fast 400 Verkehrsprojekte zählte der wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments im vergangenen Jahr in den nationalen Ausgabenplänen, die Bahn würde davon besonders stark profitieren. Geld für den Verkehr scheint in den nächsten Jahren in den EU-Kassen so reichlich vorhanden zu sein wie wohl noch nie. Doch dass auch tatsächlich alles in den Sektor fließt, ist nicht mehr so sicher, wie es noch vor einem Jahr schien. In der EU ist nämlich eine Diskussion über staatliche Fördermittel in Gang gekommen, deren Ausgang noch nicht absehbar ist. Hauptauslöser dafür ist der russische Angriff auf die Ukraine mit seinen enormen wirtschaftlichen Folgen und seinen geopolitischen Auswirkungen. Der Drang, der heimischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, ist noch größer geworden, als er durch die Covid-Pandemie bereits war. Herausforderungen sind dazugekommen. Wie etwa die derzeit in Brüssel besonders intensiv diskutierte europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA, mit dem diese ihren Produktionsstandort stärken wollen. Dass Washington 369 Milliarden US-Dollar in saubere Technologien investieren will, nutzt dem globalen Klimaschutz. Die EU-Staaten sind aber besorgt, dass ihre Unternehmen, zum Beispiel Hersteller von Elektrofahrzeugen, Standorte in die USA verlagern, um von den Subventionen profitieren zu können. Rufe, dass die EU mit mehr eigenen Subventionen antworten soll, werden laut. Die EU-Kommission hat bereits signalisiert, das wegen Covid-Pandemie und Ukraine-Krieg bereits stark gelockerte EU-Beihilferecht noch weiter anzupassen. 672 Milliarden Staatshilfen hat die Kommission nach dem Krisen-Beihilferecht bislang erlaubt, 53 Prozent davon wurden von Deutschland beantragt, 24 Prozent von Frankreich und sieben Prozent von Italien. Dies zeigt die Grenzen der nationalen Subventionspolitik auf. Unter den EU-Staaten gibt es Befürchtungen, dass diejenigen mit besonders „tiefen Taschen“ - wie Deutschland - andere an den Rand drücken. Wie hässlich diese Diskussion werden kann, hat sich bei der Suche nach neuen Gaslieferanten im vergangenen Jahr bereits gezeigt. Unter einem Subventionswettlauf in der EU würde der Binnenmarkt leiden, wird gewarnt. Dieser wurde zu seinem 30-jährigen Bestehen gerade erst wieder als EU-Wirtschaftsmotor gelobt, auch für die Transportwirtschaft. Mit dem Argument, der faire Wettbewerb im Binnenmarkt müsse geschützt werden, werben manche Mitgliedstaaten und einige Kommissionsmitglieder - allen voran Binnenmarktkommissar Thierry Breton - für die Aufstockung von EU-Fördermitteln und für neue gesamteuropäische Töpfe. Selbst die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat sich in einem Brief an die nationalen Regierungen für einen wie auch immer gearteten gemeinsamen europäischen Fonds ausgesprochen. „Europa als Ganzes“ könne nicht erfolgreich nachhaltig und digital werden, „wenn einige Länder gegenüber anderen gewinnen“, schrieb sie. Verschiedene EU-Staaten - darunter Deutschland - sträuben sich gegen eine Debatte über neue EU-Fonds, die auch mit neuen Schulden verbunden sein könnten. Sie fordern, erst zu prüfen, was aus den bestehenden Töpfen finanziert werden kann. Diese seien noch nicht ausgeschöpft. Eventuell könnte die Laufzeit für Next Generation EU über 2026 hinaus verlängert werden, um alle verfügbaren Mittel abrufen zu können. Setzt sich diese Argumentation durch, werden womöglich auch geplante Ausgaben für Verkehrsprojekte wieder in Frage gestellt. Verkehrspolitiker werden dann gute Argumente brauchen, warum zum Beispiel ein Digitalisierungsprojekt bei der Bahn eher gefördert werden sollte, als neue Produktionskapazitäten für Solaranlagen in der EU. Die Europäer werden weiter versuchen, die USA zu bewegen, sie beim IRA ähnlich zu behandeln wie Kanada und andere bevorzugte Handelspartner. Parallel läuft aber die Diskussion in der EU, wie es mit der eigenen Beihilfenpolitik weitergeht und welche Sektoren besonders viel Zuwendung brauchen. Wichtige Weichen könnten bis zum EU-Gipfel am 23. und 24. März in Brüssel gestellt werden. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Konkurrenzkampf um Fördermittel nimmt zu
