Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0007
21
2023
751
Wahrgenommene Sicherheit bei Automatisierung
21
2023
Viktoriya Kolarova
Jan Grippenkoven
Die zunehmende Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen bieten Chancen für eine Verbesserung der Mobilität, birgt allerdings auch das Risiko einer Zunahme von Verkehr sowie neue sicherheitsbezogene Herausforderungen. Dieser Beitrag fasst Erkenntnisse aus qualitativen und quantitativen Untersuchungen zur Bewertung der Sicherheit von automatisierten und vernetzten Fahrzeugen aus Nutzer:innensicht zusammen. Einflussfaktoren auf die wahrgenommene Sicherheit solcher Fahrzeuge sowie Implikationen für Politik und Praxis werden diskutiert.
iv7510018
Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 18 POLITIK Wissenschaft Wahrgenommene Sicherheit bei Automatisierung Empirische Ergebnisse zur Sicherheit automatisierter und vernetzter Fahrzeuge aus Nutzersicht Automatisiertes Fahren, Vernetztes Fahren, Wahrgenommene Sicherheit, Nutzerakzeptanz Die zunehmende Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen bieten Chancen für eine Verbesserung der Mobilität, birgt allerdings auch das Risiko einer Zunahme von Verkehr sowie neue sicherheitsbezogene Herausforderungen. Dieser Beitrag fasst Erkenntnisse aus qualitativen und quantitativen Untersuchungen zur Bewertung der Sicherheit von automatisierten und vernetzten Fahrzeugen aus Nutzer: innensicht zusammen. Einflussfaktoren auf die wahrgenommene Sicherheit solcher Fahrzeuge sowie Implikationen für Politik und Praxis werden diskutiert. Viktoriya Kolarova, Jan Grippenkoven D ie zunehmende Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen bietet Chancen für eine Verbesserung der Mobilität, Verkehrssicherheit und - Effizienz, birgt allerdings auch Risiken, z. B. für eine Zunahme der Verkehrsleistung. Die Auswirkungen der Technik auf das Verkehrssystem, Umwelt und Gesellschaft hängen dabei stark von den Anwendungsszenarien ab, die sich auf dem Verkehrsmarkt durchsetzen werden sowie die Art und Weise, wie diese technisch und als Gesamtkonzepte umgesetzt werden (z.-B. [1]). Bisherige Studien zeigen, dass die wahrgenommene Sicherheit von automatisierten und vernetzten Fahrzeugen (AVF) entscheidend für die Akzeptanz der Technik und somit für die Geschwindigkeit ihrer Marktdurchdringung ist. Betrachtet man die Sicherheit als ein menschliches Grundbedürfnis [2], so können potenzielle Vorteile von AVF erst dann durch die Nutzer: innen wahrgenommen werden, wenn sie das System als sicher bewerten. Die Wahrnehmung der Sicherheit und die damit verbundenen Anforderungen der Nutzer: innen solcher Fahrzeuge beeinflussten auch ihre Gestaltung und technische Entwicklung. Nicht zuletzt ist es zwar zu erwarten, dass automatisierte Systeme aufgrund schnellerer Reaktionszeiten auf zum Beispiel Verkehrshindernisse sowie fehlende Ablenkung und Ermüdung insgesamt sicherer als ein menschlicher Fahrer sind. Gleichzeitig könnten selbst sehr selten vorkommende Unfälle mit automatisierten Fahrzeugen in der Gesellschaft weniger akzeptiert werden als Unfällen mit manuell gefahrenen Fahrzeugen. Dieser Beitrag analysiert die wahrgenommene Sicherheit in AVF aus Nutzersicht. Dabei gehen wir folgenden Fragen nach: Welche Rolle spielt wahrgenommene Sicherheit für die Akzeptanz von AVF und welche Arten von wahrgenommenen Risiken und Ängsten lassen sich identifizieren? Welche Faktoren beeinflussen das Sicherheitsempfinden? Anschließend werden Implikationen für Politik und Praxis sowie offene Forschungsfragen diskutiert. Datengrundlage Der Beitrag fasst Erkenntnisse aus qualitativen und quantitativen Befragungen mit potenziellen Nutzer: innen von AVF zusammen. Diese wurden am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durch die Autoren des Beitrags in unterschiedlichen Forschungsprojekten durchgeführt. Bis auf eine der Studien basieren alle Untersuchungen auf einer kurzen Vorstellung des Konzepts vom automatisierten und vernetzten Fahren durch Text und Bilder/ Videos (s. Bild 1), die den Teilnehmern AT A GLANCE The ever-increasing automation and connectivity in transportation offer the chance for an improvement of mobility and the transport system, bears, however, also risks for increase in vehicle kilometers travelled and new safetyrelated challenges. This article summarizes insights from qualitative and quantitative studies dealing with the question of the evaluation of technical safety and cyber security of automated and connected vehicles from user point of view. Determinants of the perceived safety as well as implications for policy and praxis are discussed. Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 19 Wissenschaft POLITIK ein ähnliches mentales Modell des Zielsystems vermitteln sollten. Zusätzlich wurden Daten aus einer Begleitstudie zum Testbetrieb eines automatisierten Kleinbusses berücksichtigt, um den Vergleich des hypothetisch abgefragten Sicherheitsempfindens mit realen Erfahrungen und die Ableitung detaillierter Anforderungen an Fahrservices zu ermöglichen. Wahrgenommene Sicherheit und Arten von wahrgenommenen Risiken und Ängsten in AVF Während die Erhöhung der Sicherheit im Verkehr zu einem der wichtigsten Argumente für automatisiertes und vernetztes Fahren aus Expertensicht zählt, gehören Sicherheitsbedenken gleichzeitig zu einer der größten Akzeptanzbarrieren der Technik durch potenzielle Nutzer: innen. Safety und security, die englischsprachigen Entsprechungen des deutschen Begriffs Sicherheit bieten eine gute Ausgangslage zur Verfeinerung der Definition der wahrgenommenen Sicherheit in AVF. Safety beschreibt dabei die technische Sicherheit des AVF und security die Sicherheit gegen gefährdende äußere Eingriffe (z. B. auch Hackerangriffe oder aggressives Verhalten, z. B. Angriffe anderer Fahrgäste). Darüber hinaus kann noch die certainty ergänzt werden, die im Kontext AVF als Vorhersagesicherheit verstanden werden kann, also die Sicherheit, mit der Nutzer: innen eine räumlich-zeitliche Vorhersage zum Fahrzeug, in dem sie sich befinden, treffen können. Eine Einschränkung der wahrgenommenen Sicherheit (sowohl im Sinne safety, security als auch certainty) kann dazu führen, dass AVF-Lösungen bereits vor der ersten Nutzungserfahrung Ablehnung erfahren. Die Bewertung bzw. Einstellung in Bezug auf die Sicherheit von AVF hat dabei eine kognitive und eine affektive Komponente. Kognitiv bezieht sich dabei auf (Pseudo-)Wissen, Überzeugungen, Meinungen über AVF und affektiv auf die in Bezug auf AVF empfundenen Gefühle. So äußern Probanden in den qualitativen Untersuchungen Bedenken in Bezug darauf, dass technische Systeme insgesamt nicht fehlerfrei sind und ausfallen können. Auch Potenziale zu einer äußeren Einwirkung (Hacking) schließen manche davon nicht aus. Auf der affektiven Ebene äußern Probanden „Angst“ bzw. fehlendes Vertrauen in die Technik, die nicht nur auf potenzieller Fehleranfälligkeit des Systems fußen, sondern vor allem in einem Unwohlsein dabei, sich vollständig auf die Technik zu verlassen, der Technik „ausgeliefert zu werden“ und keine Kontrolle über die (Fahr-)Situation zu haben. Dafür sprechen auch die Ergebnisse unserer weiteren Studien: Zweifel an der safety des Systems, also ein eingeschränktes Vertrauen in die Technik zählte zu den am häufigsten genannten Entscheidungsfaktoren für die Nutzungsbereitschaft und hypothetische Wahl eines AVF (z. B. [3]). Obwohl Nutzer die Potenziale von AVF zur Erhöhung der Sicherheit im Verkehr erkennen, herrscht über alle Untersuchungen hinweg noch gewisse Skepsis gegenüber der Technik. Betrachtet man bspw. unterschiedliche (potenziell) mobilitätseingeschränkte Personengruppen, dann zeigen Ergebnisse unserer Umfragen, dass aktuell 66 % der Personen über 65-Jährige 1 und 40 % der körperlich eingeschränkten Personen 2 die Nutzung eines automatisierten Fahrzeugs aus technischer Sicht als zu risikoreich bewerten. Passend dazu berichteten Autofahrer in den qualitativen Untersuchungen, Schwierigkeiten damit zu haben, die vollständige Kontrolle an das Fahrzeug zu übergeben. In den quantitativen Befragungen zeigt sich ein ähnliches Bild: Nur 16 % der befragte Berufspendler 3 würden in einem automatisierten Fahrzeug vollständig autonom fahren. Interessanterweise gaben in einer weiteren Befragung ähnlich viele (17 %) Dienstwagenfahrer 4 an, dass sie in einem solchen Fahrzeug vollständig autonom fahren würden, obwohl die Mehrheit (58 %) der Befragten regelmäßig fortgeschrittene Assistenzsysteme (ADAS) nutzt. Nutzer: innen von ADAS berichten in den qualitativen Untersuchungen, dass sie situativ entscheiden, wann sie diese einsetzen (möchten) und daher auch bei höheren Stufen von Automatisierung die Kontrolle über das System behalten wollen würden. Auch bei individuellen Taxifahrten berichten die Befragten, dass sie, obwohl sie gefahren werden, gewisse Kontrolle über die Fahrsituation empfinden - wie etwa die Möglichkeit, dem Taxifahrer konkrete Anweisungen über die Geschwindigkeit und den Fahrstil zu geben. In individuell genutzten AVF dominieren daher vor allem Ängste in Bezug auf technische Sicherheit (safety) und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge. In geteilten Fahrzeugen (z. B. Taxi-ähnliche automatisierte Fahrdienste, automatisierte ÖPNV-Angebote) spielt zusätzlich zu safety die security eine Rolle. Die Ergebnisse der Begleitforschung zum Testbetriebs eines automatisierten Kleinbusses zeigen, dass die Angst von einem potenziellen Systemausfall und die fehlende Transparenz in Bezug auf den Systemstatus zwar relevant sind, aber vor allem Ängste bezogen auf andere Passagiere (security) zum Tragen kommen (vgl. [4]). Zweifel an der eigenen Sicherheit in AVF zeigten sich in Fokusgruppen und Befragungen zur wahrgenommenen Sicherheit in automatisierten Kleinbusshuttles z. B. in Ängsten vor Übergriffen anderer Fahrgäste oder der Sorge vor Hilflosigkeit in Notfallsituationen [4]. Solche Ängste werden potentiell durch die Abwesenheit des Fahrpersonals verstärkt, die sich aus einer anderen (implizit wahrgenommene) Rolle des Fahrers bspw. eines Buses ergeben, nämlich u. a. als Aufsichtsperson/ Sicher- Bild 1: Beispielszenen aus den im Rahmen der Online-Befragungen eingesetzten Videos zur Vorstellung unterschiedlicher Anwendungsszenarien vom automatisierten Fahren Quelle: DLR Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 20 POLITIK Wissenschaft heitsperson. Auch die Fahrzeuggröße spielt dabei eine Rolle: In einem größeren Fahrzeug (Bus oder Bahn), in dem Fahrgäste einen größeren Abstand zu eventuellen Aggressoren einnehmen können, ist das Sicherheitsempfinden potenziell höher als in Kleinbussen mit wenigen Fahrgästen (und ohne Fahrer) auf kleinem Raum. Zusätzliche Risiken bzw. Sicherheitsbedenken sehen potenzielle Nutzer bei Vernetzung der Fahrzeuge. Geäußerte Bedenken in Bezug auf Cybersecurity beziehen sich dabei weniger auf Datenschutz, sondern vor allem auf die Befürchtung von Hackingangriffen auf das System sowie dem potenziellen Ausfall wichtiger Netzverbindung oder fehlerhafte Daten. Das Thema certainty wird insbesondere im Kontext von geteilten AVF eine verstärkte Rolle spielen. In einem automatisierten bedarfsgerechten Fahrdienst im Vergleich zum Individual- oder Linienverkehr wählt der Algorithmus oder der Disponent unter Berücksichtigung (spontaner) Zusteigewünsche anderer Fahrgäste die Route und bestimmt damit auch die Fahrzeit. Die tatsächliche Route kann sich also im Verlauf einer Fahrt kurzfristig ändern. Dementsprechend steigt die wahrgenommene Unsicherheit, wenn nicht durch eine transparente Informationsumgebung Fahrgäste gut und in Echtzeit informiert werden. Einflussfaktoren auf die wahrgenommene Sicherheit Bei der Datenanalyse lassen sich unterschiedliche Gruppen von Einflussfaktoren auf die wahrgenommene Sicherheit in AVF identifizieren. Diese lassen sich zum Teil auch durch bekannte Faktoren aus der Risikowahrnehmungsforschung (vgl. [5, 6]) diskutieren bzw. erklären. Rolle (der Abgabe) der Kontrolle Die aktuell wahrgenommene Kontrolle über die Fahrsituation hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Bewertung der Sicherheit in zukünftigen automatisierten Fahrzeugkonzepten. Wie bereits oben erwähnt, berichten Autofahrer insbesondere in individuell genutzten (privaten) automatisierten Fahrzeugen die Schwierigkeit zu haben, die Kontrolle über das Fahrzeug komplett auf das System abzugeben. Dafür spricht auch die von einigen Befragte gewünschte Lenkradbzw. Eingriffsmöglichkeit in solchen Fahrzeugen. Gefragt nach der potenziellen Zeitnutzung in einem automatisierten Fahrzeug, berichten einige der Befragten, dass sie wahrscheinlich trotz der Automatisierung den Verkehr beobachten würden. Auffallend bei den Aussagen war auch, dass potenzielle Sicherheit solcher Fahrzeuge in Zusammenhang mit der Entfernung der anderen Autofahrer als potenzielle Risikoquelle diskutiert wurde. Automatisierung würde die „Aggressivität im Verkehr“ wegnehmen. Erkenntnisse aus der Risikowahrnehmungsforschung untermauern das: Wenn eine Person das Gefühl hat, das Ergebnis bei Gefahrensituationen zu kontrollieren, dann ist die wahrgenommene Sicherheit höher [6]. Beispiele dafür sind das (vor allem schnelles) Autofahren und das Nicht-Tragen vom Helm beim Fahrradfahren. Auch ist die Betroffenheit entscheidend: Menschen nehmen das Risiko viel stärker wahr, wenn sie selbst betroffen sind im Vergleich dazu, wenn andere betroffen sind [6]. Rolle der Erfahrung mit ADAS und des Technikverständnisses Die Erfahrungen der Befragten mit ADAS spielen bei ihrer Einschätzung von AVF auch eine Rolle: Drei von fünf Interviewten beschreiben die Fahrfunktionen als sehr hilfreich und unterstützend, allerdings als noch nicht komplett reif für die vollständige Übergabe von Fahr- und Parkaufgaben. Gleichzeitig sind Nutzer: innen von ADAS offener gegenüber der neuen Technik und weisen auf die Vorteile und den schnellen Vorschritt in diesem Bereich hin. Sicherheitsempfinden hängt neben der Erfahrung mit (ähnlicher) Technik auch mit dem Verständnis potenzieller Nutzer: innen von der Funktionsweise von AVF zusammen. Beispielsweise berichteten einige Befragte über Erfahrungen mit ADAS, die meistens fehlerfrei funktioniert hätten. Trotzdem berichten sie von einem Unbehagen bei der Nutzung solcher Systeme, nicht zuletzt, da sie die Funktionalität und Grenzen des Systems nicht kennen würden. Bei der Frage an notwendige Informationen zur Technik stellten einige der Befragten die Frage, wie man in einer Fahrsituation erkennen würde, dass das Fahrzeug „das Richtige“ tut, was auf Gestaltungbedarfe für die Kommunikation des Systems mit den Nutzenden hinweist. Rolle des Fahrzeugverhaltens (Geschwindigkeit und-Fahrstil) Noch mangelndes Vertrauen in die Technik bei einigen der Befragten äußerte sich in der Erwartung, dass die Fahrzeuge anfänglich langsam und vorsichtiger fahren würden, auch in Situationen, in denen sie selber aktuell eher zügiger/ schneller fahren. Gleichzeitig wird allerdings viel zu zögerliches und übermäßig vorsichtiges Verhalten des Fahrzeugs vor Personen mit Erfahrungen mit ADAS eher als unsicher empfunden. Das autonome Fahrzeug sollte dabei in den meisten Situationen schneller als ein konventionelles Fahrzeug fahren können. Die Anforderungen bzw. Erwartungen in Bezug auf einen sicheren Fahrstil von automatisierten Fahrzeugen können sich demnach sehr stark zwischen potenziellen Nutzer unterscheiden. Neben der individuellen Bewertung der Sicherheit von AVF kamen im Rahmen der Untersuchungen auch gesamtgesellschaftliche Themen in Bezug auf Sicherheit von AVF zum Vorschein. So gehörten beispielsweise zu den ersten Assoziationen zum automatisierten Fahren im Rahmen der Fokusgruppendiskussionen eine zunehmende Abhängigkeit von Maschinen und Technik in der Gesellschaft. Dieser Aspekt wurde in einer folgenden quantitativen Befragung 5 untersucht mit folgendem Ergebnis: Mehr als die Hälfte (55 %) gaben an, dass sie (eher) besorgt darüber seien, dass wir als Gesellschaft immer abhängiger von Maschinen und Technik werden, 27 % gaben „teils/ teils“ an und nur 19 % berichteten, dass sie (eher) unbesorgt seien. In diesem Zusammenhang wurde in der qualitativen Studie auch das Thema Vertrauen in der Technik und Sicherheit angesprochen, auch im Vergleich zum Vertrauen in einen menschlichen Fahrer. So reflektierte einer der Probanden: „Wir sind nicht gewöhnt, solche Aufgaben der Technik zu überlassen. Zumindest noch nicht.“ Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 21 Wissenschaft POLITIK Negativ bewertet wurde auch der potenzielle Verlust an menschliche Fertigkeiten in Bezug auf das Autofahren und die Kontrolle über ein Fahrzeug, was laut einer der befragten Personen die Nutzung der Technik noch unsicherer machen würde, da man in Notsituationen nicht adäquat reagieren könnte. Unsicherheiten in Bezug darauf, wie das System funktioniert, bzw. die wahrgenommene Komplexität des Systems spielen bei der Bewertung der technischen Sicherheit automatisierter Fahrzeuge auch eine wichtige Rolle. In einer der Gruppendiskussionen wurde daher insgesamt der Informationsbedarf für die breite Öffentlichkeit thematisiert und wer diese Information zur Verfügung stellen sollte. Als wichtigster Informationsbedarf im Kontext automatisierter Fahrzeuge wurde die Sicherheit thematisiert. Die Befragten äußerten den Wunsch nach einer neutralen Instanz, wie bspw. Forschungsinstituten oder öffentlichen Institutionen, zur Sicherheitsprüfung (inkl. Ergebnisse von Sicherheitstests und generelle Informationen zur Sicherheit solcher Fahrzeuge) und als Informationsquelle. Ähnliche Anhaltspunkte finden sich in den Aussagen der Befragten: „Es hängt vor allem mit dem Vertrauen zusammen: in die Technik und auch in die Hersteller, da man am Ende das eigene Leben in ihre Hände legt“. Diese Ergebnisse werden auch durch Erkenntnisse aus der Risikoforschung untermauert: Risikowahrnehmung sinkt mit Vertrauen in die Institution, die uns über potenzielle Risiken bzw. Sicherheitsaspekte informiert oder uns „dem Risiko aussetzt“ (in diesem Fall bspw. Institutionen, die Sicherheitsstandards für die Zulassung automatisierter Fahrzeuge festlegen). Insgesamt haben einige der Befragten über alle Untersuchungen hinweg offene Fragen dazu, wie AVF insgesamt auf der Straße funktionieren sollte, was sich in einer neutralen oder eher zurückhaltenden Haltung gegenüber der Technik äußerte. Fazit und Ausblick Die wahrgenommene Sicherheit in AVF ist eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz von AVF. Dabei hat sie unterschiedliche Facetten: technische Sicherheit (safety), Gefährdung durch äußere Eingriffe (security) und weitere mit dem Betrieb verbundenen subjektiv wahrgenommene Unsicherheiten (uncertanty). Trotz Vorteilen der Technik herrscht bei potenziellen Nutzenden noch Skepsis gegenüber AVF. Wesentliche Einflussfaktoren darauf sind die wahrgenommene Kontrolle über die (Fahr-)Situation, Fahrzeugverhalten und die im Kontext der Sicherheit diskutierten gesellschaftlichen Aspekte der Techniksicherheit. Unsere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass bei der Einführung dieser Technik noch Informationsbedarf über die Möglichkeiten und Grenzen besteht. Eine bedarfsgerechte Entwicklung der Technik, Möglichkeiten für potenzielle Nutzer: innen, Erfahrungen damit zu sammeln sowie ein breiter Dialog zu Sicherheitsaspekten und -anforderungen sind wesentlich für die Akzeptanz von AVF. Offene Forschungsfragen bleiben: Wie sicher ist im Kontext des AVF sicher genug für die Gesellschaft? Aktuell wird eine hohe Anzahl an Autounfällen, die durch menschliche Fahrer verursacht werden, in Kauf genommen bzw. akzeptiert. Inwieweit und in welchem Umfang werden auch potenziell sehr seltene Unfälle mit Beteiligung von AVF akzeptiert? Erhöht eine menschliche technische Aufsicht als Rückfallebene die Akzeptanz der Systeme? Welche Aufgaben und (Fahr-) Situationen und in welcher Form sollten noch durch Menschen überwacht oder gesteuert werden? Welche Faktoren beeinflussen die Bereitschaft für die Aufgaben- und Verantwortungsübergabe an die Technik bzw. das Fahrsystem insgesamt? In unseren Untersuchungen haben wir bereits einige relevante Aspekte identifiziert. Diese sollten in einem umfangreicheren Erklärungsrahmen weiter ausgearbeitet werden. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage, was ein sicheres Fahrverhalten der Fahrzeuge aus Nutzersicht ausmacht, und welche Gestaltungsanforderungen in Bezug auf das Verhalten der Fahrzeuge und ihre Kommunikation mit den Nutzenden sich dabei ergeben. Zukünftige Untersuchungen können die genannten Fragen adressieren. Dabei werden insbesondere Erkenntnisse aus der nutzerzentrierten Akzeptanzforschung im Rahmen erster Realbetriebe sehr wertvoll. ■ 1 N = 382; rekrutiert über einen Panel-Anbieter 2 N = 95, selbst-selektierte Teilnahme 3 Stichprobe mit 484 Berufspendlern, repräsentativ nach Alter und Geschlecht für Deutschland 4 Stichprobe mit 410 Dienstwagenfahrern (Fahrzeuge nicht älter als fünf Jahre) 5 Stichprobe mit 484 Berufspendlern, repräsentativ nach Alter und Geschlecht für Deutschland LITERATUR [1] Kolarova, V.; Stark, K.; Hedemann, L.; Lenz, B.; Jung, A.; Pützschler, M. (2020): Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen: Chancen und Risiken selbstfahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität−Analyse. [2] Maslow, A. H. (1943): A theory of human motivation. In: Psychological Review 50, pp. 370-396. [3] Kolarova, V.; Cherchi, E. (2021): Impact of trust and travel experiences on the value of travel time savings for autonomous driving. In: Transportation Research Part C: Emerging Technologies, 131, p. 103354. [4] Grippenkoven, J.; Fassina, Z.; König, A.; Dreßler, A. (2018): Perceived Safety: a necessary precondition for successful autonomous mobility services. Proceedings of the Human Factors and Ergonomics Society Europe Chapter 2018 Annual Conference (pp. 1-15). Berlin, Germany: Human Factors and Ergonomics Society Europe Chapter. [5] Slovic, P. (1987): Perception of risk. In: Science 236 (4799), pp. 280-285. [6] Ropeik, D. (2002): Understanding factors of risk perception. In: Nieman Reports 56 (4), p.-52. Viktoriya Kolarova, Dr. rer. nat. Gruppenleiterin „Automatisiertes und vernetztes Fahren“, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin viktoriya.kolarova@dlr.de Jan Grippenkoven, Dr. phil. Abteilungsleiter „Verkehrsmittel“, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Berlin jan.grippenkoven@dlr.de
