Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0009
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2023
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Wie sich die Autobahn digitalisieren will
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2023
Stefan Jung
Effiziente Transportwege sind wichtiger denn je: Fast 3,7 Milliarden Tonnen Güter werden jedes Jahr über deutsche Straßen transportiert. Obwohl es mit Flug- und Schienenverkehr viele Alternativen gibt, ist die Autobahn als Transportweg beliebt wie nie, denn kaum ein anderes Land verfügt über ein längeres und besser ausgebautes Straßennetz. Um die Infrastruktur in bestem Zustand zu halten und ihre Leistungsfähigkeit weiter zu steigern, soll die 2018 gegründete Autobahn GmbH des Bundes den Betrieb in allen 16 Bundesländern zentral verwalten, mit den verfügbaren Ressourcen besser planen und Bau- und Instandhaltungsprojekte effizienter umsetzen. Dazu wurden GIS-basierte Technologien etabliert, mit deren Hilfe sowohl der Zustand der Autobahnen als auch der Bestand der Bäume nun dauerhaft mithilfe visueller Dashboards überblickt und verwaltet werden kann.
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Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 27 Wie sich die Autobahn digitalisieren will Straßenverkehr, Bundesautobahn, Bau und Instandhaltung, Geographische Informationssysteme (GIS) Effiziente Transportwege sind wichtiger denn je: Fast 3,7 Milliarden Tonnen Güter werden jedes Jahr über deutsche Straßen transportiert. Obwohl es mit Flug- und Schienenverkehr viele Alternativen gibt, ist die Autobahn als Transportweg beliebt wie nie, denn kaum ein anderes Land verfügt über ein längeres und besser ausgebautes Straßennetz. Um die Infrastruktur in bestem Zustand zu halten und ihre Leistungsfähigkeit weiter zu steigern, soll die 2018 gegründete Autobahn GmbH des Bundes den Betrieb in allen 16-Bundesländern zentral verwalten, mit den verfügbaren Ressourcen besser planen und Bau- und Instandhaltungsprojekte effizienter umsetzen. Dazu wurden GIS-basierte Technologien etabliert, mit deren Hilfe sowohl der Zustand der Autobahnen als auch der Bestand der Bäume nun dauerhaft mithilfe visueller Dashboards überblickt und verwaltet werden kann. Stefan Jung I n diesem Jahr wird die Gesamtmenge der auf deutschen Straßen transportierten Güter mehr als 3,7 Milliarden Tonnen betragen [1]. Und die Tendenz ist weiter steigend: Prognosen gehen davon aus, dass die Menge 2025 bereits gigantische 3,9 Milliarden Tonnen übersteigen könnte. Obwohl es mit Binnenschifffahrt, Flug- und Schienenverkehr zahlreiche Alternativen gibt, ist die Autobahn als Transportweg so beliebt wie nie. Und das hat einen guten Grund, denn kaum eine andere Nation verfügt über ein Straßennetz, das länger und besser ausgebaut ist als Deutschland. Auf einer Gesamtlänge von rund 13.000 Kilometern verbinden die deutschen Autobahnen Nord und Süd genauso wie Ost und West. Wie wichtig diese Achsen für den europäischen Güterverkehr sind, zeigt sich auch bei einem Blick auf die Kennzeichen der LKW, die auf deutschen Autobahnen unterwegs sind: Laut einer Analyse von Toll Collect liegt der Anteil ausländischer Fahrzeuge bei rund 42 Prozent. Ein Großteil davon stammt aus Polen, doch auch viele in Litauen oder Tschechien zugelassene LKW nutzen die Fernstraßen, um Fracht von A nach B zu transportieren. Kein Wunder also, dass die deutsche Autobahn hinsichtlich des Foto: Erich Westendarp / pixabay Digitalisierung INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 28 INFRASTRUKTUR Digitalisierung Güterverkehrs auch als zentrales Nervensystem Europas bezeichnet wird. Ein Kraftakt, der sich nachhaltig bezahlt machen wird Bisher wurden die Autobahnabschnitte aller 16 Bundesländer unabhängig voneinander verwaltet. Das hatte zur Folge, dass wenig grenzübergreifender Informationsfluss bestand und Gelder nicht immer optimal eingesetzt werden konnten. Mithilfe der 2018 gegründeten Autobahn GmbH des Bundes soll sich das jetzt endlich ändern, denn durch sie kann die deutsche Autobahn erstmals zentral verwaltet werden. Ziel dabei ist es, mit den verfügbaren Ressourcen besser planen und Bau- und Instandhaltungsprojekte effizienter umsetzen zu können, um den guten Zustand des weit verzweigten Straßennetzes nicht nur dauerhaft zu gewährleisten, sondern die Leistungsfähigkeit sogar noch zusätzlich steigern zu können. Um dieses Vorhaben von der Theorie in die Praxis umsetzen zu können, braucht man auch eine zentrale Geodateninfrastruktur, die die Daten aus 16 Bundesländern und insgesamt zehn Niederlassungen in einem einheitlichen System zusammenführt. Von vielen Unternehmen wird die wichtige Rolle, die Geodaten spielen, noch immer nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt. Tatsächlich weisen aber etwa 80 Prozent aller Informationen einen Raumbezug auf - auch auf der Autobahn. Um die aktuelle Situation des Straßennetzes abbilden zu können, müsste also zunächst eine Zustandserfassung und -bewertung der Straßenabschnitte durchgeführt werden. Hierfür wurden die Autobahnen in Abschnitte von jeweils hundert Metern eingeteilt und mit Sensoren abgefahren. Die hierdurch gesammelten Daten wurden in ein System überführt, den sogenannten TIM- Geo Viewer. Dieser lässt sich von den Mitarbeiter: innen der Autobahn flexibel abrufen - egal ob im Büro oder auf mobilen Endgeräten im Außendienst. Damit bietet der TIM-Geo Viewer nicht nur einen Überblick über Zustand und Bauweise der Straßenabschnitte, sondern bildet außerdem eine Grundlage für Planungstools, die es der Autobahn GmbH ermöglichen, smarter zu planen und Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen effizienter auszuführen. Gesammelte Daten geben Auskunft über den Zustand der Autobahnen Bei der weiteren Erfassung des Datenbestandes wurden auch Daten über andere Objekte erfasst, die sich entlang des Streckennetzes befinden. Dazu gehören zum Beispiel Raststätten und Lärmschutzbauten, aber auch Versorgungskabel oder Bäume. Durch die Erfassung dieser verschiedenen Informationsebenen konnte ein digitales Abbild der Autobahn erstellt werden, das auch als „Digital Twin“ bezeichnet wird. Mit seiner Hilfe ist es nun zum Beispiel möglich, die Baumkontrolle aus der Ferne zu planen. Dank des TIM-Geo Viewers können die Mitarbeiter: innen alle Informationen über größere Pflanzen, die sich entlang der Fahrbahnen befinden, digital abrufen und erhalten dadurch zum Beispiel Einblick, um welche Baumsorte es sich handelt, welchen Umfang der Stamm aufweist. So können die Teams im Außendienst unter anderem dafür sorgen, dass sie die richtigen Werkzeuge mit sich führen, anstatt nicht zu wissen, was genau sie vor Ort erwarten wird. Während dieses Teilprozesses, der für die Digitalisierung der Autobahn essenziell ist, stellte sich allerdings heraus: Vor allem die deutschen Brücken, von denen es etwa 39.600 gibt, sind teilweise sanierungsbedürftiger als gedacht. Ein großer Teil von ihnen ist 40 und mehr Jahre alt, wobei laut Autobahn GmbH die Zahl der zu sanierenden Brücken sogar doppelt so hoch ausfallen dürfte wie zunächst angenommen [2]. Informationen wie diese sind essenziell, um besser einschätzen zu können, an welchen Stellen Investitionen getätigt werden müssen, um den Zustand der Straßen aufrechtzuerhalten und weiter zu verbessern. Die Umsetzung dieses Digitalisierungsprojekts ist ein gewaltiger Kraftakt. Angesichts der steigenden Herausforderungen ist es allerdings äußerst lohnenswert, diesen Schritt jetzt zu gehen, um in den kommenden Jahren in Echtzeit abrufen zu können, auf welchen Abschnitten eine Wartung notwendig wird, Straßenbelag ausgetauscht werden muss oder die Sträucher auf dem Mittelstreifen einen neuen Schnitt benötigen. Eine digitale Autobahn kommt Wirtschaft und Natur zugute Die digitale Transformation ist ein fortwährender Prozess - nicht nur im Zusammenhang mit Handel oder Industrie, sondern auch bei im Falle der deutschen Autobahn. Ist der notwendige Grundstein erst einmal gelegt, eröffnen sich allerdings nahezu grenzenlose Möglichkeiten, die noch weit über vorausschauende und ressourcensparende Verwaltung des Straßennetzes hinausgehen. So lässt sich mithilfe eines Digital Twin beispielsweise modellieren, wie sich der Verkehrsfluss ändert, wenn eine Brücke zur Sanierung gesperrt werden muss. Die Folgen von Disruptionen wie dieser bereits im Vorfeld abschätzen zu können, ist ausschlaggebend, um die Autobahn in ein neues, digitales Zeitalter überführen zu können, in dem nicht nur Gelder effizienter eingesetzt werden, sondern auch die Verkehrsteilnehmer: innen ihre Route möglichst smart planen können, um ebenfalls Ressourcen einzusparen. Vor allem für die Logistik sind solche Echtzeiteinblicke von unschätzbarem Wert. Stundenlang in einem Stau zu stehen, bringt nicht nur das Just-In-Time-Prinzip zum Wanken, das nur dann funktionieren kann, wenn sich Prozesse minutiös planen lassen. Auch der Kraftstoffverbrauch wird dadurch in die Höhe getrieben - angesichts der aktuellen Preise ein finanzieller Faktor, den sich kaum ein Unternehmen noch leisten kann. Einer Studie des Analyseanbieters Inrix zufolge liegt der dadurch verursachte Schaden jährlich in Milliardenhöhe [3]. Staus schaden demzufolge auch dem Wirtschaftswachstum. Kann das Wissen über bevorstehende Baustellen und Sperrungen und die dadurch zu erwartenden Verkehrsbehinderungen jedoch in Echtzeit mit Handels- und Transportbetrieben teilen, können diese ihre Routen umgehend anpassen und dadurch Wirtschaft wie Umwelt schützen. Digital Twins machen Mobilitätswende möglich Doch was kann die digitale Autobahn in Zukunft ganz konkret leisten - zum Beispiel, wenn E-Laster ihre Vorgänger mit Verbren- Foto: Daimler Truck Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 29 Digitalisierung INFRASTRUKTUR nermotor ablösen? Laut einer kürzlich von PwC veröffentlichten Studie könnte genau das bereits in naher Zukunft der Fall sein [4]. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft geht davon aus, dass bereits 2030 elektronisch betriebene LKW- Gesamtkosten aufweisen werden, die 30 Prozent unter den alten Dieselfahrzeugen liegen. Aus diesem Grund könnte zu diesem Zeitpunkt schon jeder dritte Lastwagen, der in Europa, Nordamerika oder China neu zugelassen wird, elektrisch fahren. Bis 2035 könnte der Anteil der Neuzulassungen dann bei stolzen 70 Prozent liegen, womit elektronisch betriebene LKW die Dieselvariante endgültig als Marktführer ablösen würden. Voraussetzung für diese Mobilitätswende ist ein flächendeckendes Netz von Ladesäulen. Laut PwC-Bericht müsste dies mindestens 1.800 Megawatt-Ladesäulen umfassen. Zusammen mit den benötigten Wasserstoff- Tankstellen würde dieser Ausbau allein in Europa rund 36 Milliarden Euro verschlingen - nicht gerade eine kleine Investition. Um die Gelder effizient einsetzen zu können, spielen Geodaten erneut eine entscheidende Rolle. Wie viele Ladestationen wo benötigt werden, hängt nämlich damit zusammen, welche Autobahnabschnitte und Raststätten am stärksten von LKW- Fahrer: innen frequentiert werden. Laut Toll Collect befinden sich die meistbefahrenen Autobahnabschnitte im Bereich der A2 um Hannover. Die Teilstrecke zwischen Hannover-Herrenhausen und Hannover Nordhafen weist im Schnitt beispielsweise täglich mehr als 11.200 Fahrten auf - verglichen mit durchschnittlichen Autobahnabschnitten handelt es sich dabei um etwa das Dreieinhalbfache [5]. Daten wie diese sind unverzichtbar, um die richtigen Standorte für LKW-Ladesäulen ermitteln zu können. Und mindestens ebenso wichtig sind sie, um das Versorgungsnetz, das unterirdisch entlang der Autobahnen verbaut ist, den neuen Bedürfnissen anzupassen. Ohne passende Anschlüsse nützen schließlich auch die neuesten Ladestationen in der Praxis nichts. Neue Chancen für den Solarausbau Eine weitere wichtige Debatte, dir durch die digitale Verwaltung deutscher Autobahnen entschieden vorangetrieben werden könnte, ist die Energiewende - eines der wohl aktuellsten Themen dieser Zeit. Da es sich bei Autobahnen um linear genutzte Flächen handelt, weisen sie ein hohes Solarpotenzial auf, das angesichts der aktuellen Energiekrise auf keinen Fall ungenutzt bleiben sollte. Noch fehlt es häufig an dem Wissen darüber, wo sich Photovoltaikanlagen gewinnbringend installieren und wie sie sich ans Stromnetz integrieren ließen, doch ein Digital Twin kann genau an dieser Stelle Licht ins Dunkel bringen. Insgesamt sind entlang deutscher Auto- und Bundesbahnen etwa 4.000 Kilometer an Lärmschutzvorrichtungen verbaut. Auch eine Überdachung von Autobahnen mit Photovoltaikanlagen ist derzeit im Gespräch. Ob und wie viel Strom sich durch solche Vorrichtungen erzeugen ließe, plant die Bundesregierung noch in diesem Jahr im Rahmen eines Pilotprojektes zu testen [6]. Hierfür soll an der baden-württembergischen Raststätte Hegau-Ost an der A 81 ein Demonstrator errichtet werden, der aus einem insgesamt 170 Quadratmeter großen Photovoltaik-Dach bestehen wird. Auf einer Stahlkonstruktion soll dies etwa fünfeinhalb Meter über der Fahrbahn montiert werden. Eine flächendeckende Nutzung solcher Anlagen sei vorerst nicht zu erwarten. Allerdings gehen Forscher: innen davon aus, dass auf technologisch sinnvollen Flächen wie Lärmschutzwänden oder Seitenstreifen ein Solar-Potenzial von mindestens 72 Gigawatt besteht - genug, um den jährlichen Bedarf von etwa 18.000 Haushalten, in denen vier Personen leben, abzudecken [7]. Das digitale Zeitalter deutscher Autobahnen startet jetzt Klimawandel, Energiekrise, Mobilitätswende: Gesellschaftlich sowie wirtschaftlich steht Deutschland derzeit vor enormen Herausforderungen. Für diese gilt es nun, neue und innovative Lösungen zu finden. Wie sich zeigt, spielt auch die deutsche Autobahn dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle - nicht nur hinsichtlich der E-Mobilität, die auch im Güterverkehr verstärkt Einzug hält, sondern auch, was den Ausbau eines flächendeckendes Solarnetzes betrifft. Die gute Nachricht ist: Die Autobahn GmbH des Bundes setzt derzeit alles daran, die Weichen für eine Zukunft zu ebnen, die nicht nur digitaler, sondern dadurch auch effizienter und nachhaltiger ist. Nachdem sie Anfang 2021 den Betrieb aufgenommen hat, ist nun der nächste Meilenstein in Sicht: Ab Ende kommenden Jahres will die Autobahn GmbH in der Lage sein, die zentrale IT-Infrastruktur, die im Verlauf der letzten Jahre errichtet wurde, selbstständig zu betreiben und zu verwalten. ■ QUELLEN [1] https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 205940/ umfrage/ prognose-zum-transportaufkommen-im-strassenverkehr-indeutschland/ (Abruf: 09.01.2023). [2] www.spiegel.de/ wirtschaft/ soziales/ deutschland-bruecken-sindnoch-maroder-als-befuerchtet-a-4ae84c75-afaf-444d-ac0add3016638def (Abruf: 09.01.2023). [3] www.dw.com/ de/ was-macht-stau-mit-unserer-umwelt-und-mituns/ g-47178066 (Abruf: 09.01.2023). [4] www.manager-magazin.de/ unternehmen/ autoindustrie/ pwc-studie-elektrolastwagen-werden-den-markt-beherrs chen-aadbdb4bf-a6e9-435f-b6d9-ab5148e80a98 (Abruf: 09.01.2023). [5] https: / / blog.toll-collect.de/ report-mautnetz-und-lkw-verkehr-fuer-das-2-halbjahr-2021-erschienen/ (Abruf: 09.01.2023). [6] www.heise.de/ news/ Solardaecher-ueber-Autobahnen-Deutschland-plant-Pilotprojekt-noch-in-diesem-Jahr-6345802.html (Abruf: 09.01.2023). [7] www.energiezukunft.eu/ erneuerbare-energien/ solar/ solardachueber-der-autobahn/ Abruf: 09.01.2023). Stefan Jung Head of Sales Transport, Telco and Utility, Esri Deutschland, Kranzberg s.jung@esri.de Foto: Daimler Truck