eJournals Internationales Verkehrswesen 75/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0019
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2023
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Automatisierter öffentlicher Verkehr in Grenzregionen

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Thomas Bousonville
Karim El Gharbi
Raphael Frank
Sabine Keinath
Wilko Manz
Isabelle Rösler
Jonas Vogt
Großstädte sind im öffentlichen, internationalen Fernverkehr häufig gut miteinander verbunden. Gleiches gilt selten für grenzüberschreitende Verkehre auf lokaler und regionaler Ebene. Diese finden vielerorts in ländlichen Räumen statt, wobei die Verkehrsnachfrage infolge der europäischen Integration kontinuierlich steigt. So pendeln in der Großregion rund um Luxemburg täglich über 250.000 Arbeitnehmer über nationale Grenzen. Anhand zweier Einsatzszenarien werden im Folgenden Erkenntnisse im Hinblick auf zukunftsträchtige Verkehrskonzepte wie Mobility-on-Demand und automatisierte Verkehre in grenzüberschreitenden Kontexten dargestellt.
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Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 64 MOBILITÄT Wissenschaft Automatisierter öffentlicher Verkehr in-Grenzregionen Erkenntnisse aus der Erprobung grenzüberschreitender Angebote für Pendler ÖPNV, Digitalisierung, Automatisiertes Fahren, Grenzüberschreitender Verkehr, Pendlerverkehr Großstädte sind im öffentlichen, internationalen Fernverkehr häufig gut miteinander verbunden. Gleiches gilt selten für grenzüberschreitende Verkehre auf lokaler und regionaler Ebene. Diese finden vielerorts in ländlichen Räumen statt, wobei die Verkehrsnachfrage infolge der europäischen Integration kontinuierlich steigt. So pendeln in der Großregion rund um Luxemburg täglich über 250.000 Arbeitnehmer über nationale Grenzen. Anhand zweier Einsatzszenarien werden im Folgenden Erkenntnisse im Hinblick auf zukunftsträchtige Verkehrskonzepte wie Mobility-on-Demand und automatisierte Verkehre in grenzüberschreitenden Kontexten dargestellt. Thomas Bousonville, Karim El Gharbi, Raphael Frank, Sabine Keinath, Wilko Manz, Isabelle Rösler, Jonas Vogt D ie grenzüberschreitende Mobilität ist innerhalb der EU von großer Bedeutung. Ein Beispiel hierfür ist der stark vernetzte Arbeitsmarkt der Großregion im luxemburgischbelgisch-deutsch-französischen Grenzgebiet. Im Jahr 2019 waren dort täglich über 250.000 Grenzpendlerinnen und Grenzpendler zu verzeichnen, mit einer großen Konzentration auf Luxemburg. In den kommenden Jahren ist mit weiteren Zunahmen der Grenzpendlerzahlen zu rechnen (Bild 1). Die abgeleitete Verkehrsnachfrage trifft in den maßgeblich ländlich geprägten Grenzregionen jedoch auf ein unzureichendes öffentliches Verkehrsangebot. Im Gegensatz zu den Wegen der Pendler enden viele der öffentlichen Verkehrsdienstleistungen an den Ländergrenzen, wodurch grenznahe Gewerbe- und Siedlungsgebiete häufig nicht oder nur über Umwege durch öffentliche Verkehrsmittel erschlossen werden. Lückenhafte Liniennetze und unzureichende Fahrangebote, führen zur verstärkten Nutzung des privaten PKW. Zudem finden nur bedingt Abstimmungen zwischen den Aufgabenträgern der unterschiedlichen Länder bezüglich grenzüberschreitender Verbindungen statt. Innovative öffentliche Angebotskonzepte, welche die Themenfelder der Digitalisierung, Elektrifizierung und Automatisierung weiterentwickeln und verknüpfen, verfügen insbesondere für den grenzüberschreitenden Pendlerverkehr über Potenzial für eine nachhaltigere, wirtschaftlichere und stärker an den Nutzerbedürfnissen orientierte Mobilität. Durch die Integration von automatisierten und vernetzten Fahrzeugen in existierende ÖPNV-Angebote, in Form von Zubringerdiensten oder On-Demand-Mobilitätservices, eröffnen sich Chancen zur Angebotsverbesserung sowie Flexibilisierung, die zu einer Stärkung des ÖPNV, Erhöhung der Verkehrssicherheit und zur Reduzierung der mobilitätsbedingten Emissionen beitragen können. Um das Potenzial, aber auch die Hemmnisse für die Digitalisierung und Automatisierung der Verkehre speziell für den grenzüberschreitenden Einsatz zu untersuchen, wurde von 2019 bis 2022 das Projekt TERMINAL mit Verkehrsakteuren und Hochschulinstituten der Großregion durchgeführt [1]. Betrachtet wurden infrastrukturelle, rechtliche, nutzerbezogene sowie betrieblichen Rahmenbedingungen und Anforderungen. Projektziele Anders als bei zahlreichen nationalen Pilotprojekten mit automatisierten Shuttlebussen, ist TERMINAL der erste grenzüberschreitende Feldversuch mit automatisierten Fahrzeugen (SAE-Level 3) im Regelverkehr im ländlichen Gebiet. Konkret sollte in zwei unterschiedlichen Pilotvorhaben der Einsatz automatisierter, straßengebundener Transportmittel vorbereitet werden. Inhalt des Anwendungsfalls 1 war ein teilautomatisierter Shuttleservice zwischen Frankreich und Deutschland. Im Anwendungsfall 2 wurde an einem automatisierten Mobility-ondemand-Dienst zwischen Frankreich und Luxemburg gearbeitet. Es galt insgesamt genehmigungsrechtliche Fragen zu klären, technische Anforderungen hinsichtlich der Infrastruktur und des einzusetzenden Fahrzeugs zu Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 65 Wissenschaft MOBILITÄT analysieren sowie die Nutzerakzeptanz und Kostenstruktur der Dienstleistung zu untersuchen. Das seit 2019 existierende digitale Testfeld Deutschland-Frankreich-Luxemburg für automatisiertes und vernetztes Fahren wurde als Gebiet für die Feldversuche genutzt. Stand der Technik Derzeit in Europa auf dem Markt verfügbare automatisierte Shuttles bewegen sich üblicherweise auf einem zuvor definierten und programmierten Fahrweg. Dabei fahren die hochautomatisierten Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen meist mit einer maximalen Geschwindigkeit von ca. 20 km/ h. Aus diesen Gründen wurden in den vergangenen Jahren vorwiegend Feldversuche im städtischen Bereich zur Bedienung der Letzten Meile durchgeführt, in welchen die Fahrgeschwindigkeit eine untergeordnete Rolle spielt [2]. Anders im Projekt TERMINAL, das die Beförderung von Berufspendlern zwischen Frankreich und Deutschland beziehungsweise Frankreich und Luxemburg anstrebte. In diesem Umfeld waren sowohl die zurückzulegenden Distanzen zum Erreichen des Zieles deutlich größer als auch die gewünschte Fahrgeschwindigkeit im außerörtlichen Straßennetz höher, damit diese Form der Mobilität eine ernsthafte Alternative zum privaten individuellen Verkehr darstellen kann. Eine zusätzliche Herausforderung bestand darin, ein prototypisches Fahrzeug in zwei Ländern zuzulassen. Dieses ambitionierte Vorhaben erforderte eine multidimensionale Umfeldanalyse, um eine Entscheidung bezüglich der Versuchsstrecken, des Fahrzeugs und der Zulassungsvoraussetzungen treffen zu können. Anwendungsfall 1: Teilautomatisierter Shuttleservice Frankreich-Deutschland Zunächst wurde eine sozio-ökomische Betrachtung durchgeführt, um ein Gebiet mit hohem Pendleraufkommen zu identifizieren. Ein hinreichendes Nutzerpotential war von Bedeutung, da kein reiner Showcase im Vordergrund stand, sondern eine verkehrliche Wirkung angestrebt war [3]. Das Ergebnis dieser Analyse war die Auswahl einer Verbindung zwischen der französischen Grenzstadt Creutzwald und einem Gewerbegebiet in Deutschland („Im Häsfeld“, Gemeinde Überherrn). Es galt im nächsten Schritt mögliche Strecken im Untersuchungsgebiet zu bestimmen und diese im Anschluss auf ihre Eignung für eine automatisierte Fahrt hin zu analysieren. Die dabei berücksichtigten Dimensionen umfassten die Infrastrukturebene, zum Beispiel Kreuzungspunkte oder sensible Einrichtungen entlang der Strecke, da diese für die sichere Funktionsweise des automatisierten Fahrzeugs eine Herausforderung sein können. Darüber hinaus wurde auch überprüft, inwiefern eine digitale Infrastruktur in Form eines flächendeckenden und schnellen Mobilfunknetzes oder aktueller digitaler Karten im Testgebiet vorhanden sind, um die Navigation des automatisierten Fahrzeugs zu gewährleisten. Letztlich fiel die Wahl auf zwei alternative, ca. 16 km lange Strecken, von denen eine einen signifikanten Innerortsanteil besitzt, die andere größtenteils aus einer kreuzungsfreien Überlandbundesstraße besteht (Bild 2). Die zu überwindende Distanz stellte eine Herausforderung für die Auswahl eines geeigneten automatisierten Fahrzeugs dar. Ursprünglich angedacht war ein automatisierter Shuttle-Bus, der Platz für ca. 15 Fahrgäste bietet. Dabei handelt es sich um Fahrzeuge, die in Kleinserien produziert werden und über keine allgemeine Straßenzulassung verfügen. In einem grenzüberschreitenden Kontext bedeutet dies, dass das automatisierte Fahrzeug in beiden Ländern einen Sondergenehmigungsprozess durchlaufen muss, um eine Fahrerlaubnis für eine fest- Bild 1: Grenzpendlerprognose für das Jahr 2050; Berechnung: INFO-Institut e.V. Quellen: BA; INAMI; Informations- und Presseamt der Regierung Luxemburg; Insee Bild 2: Teststrecke über Landstraße (links) sowie alternativ über Bundestraße (rechts) Quelle: openstreetmap.org contributors Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 66 MOBILITÄT Wissenschaft gelegte Strecke erhalten zu können. Der Genehmigungsprozess ist komplex und zeitintensiv und die angestrebte gegenseitige Anerkennung der Zulassungen ist derzeit rechtlich noch nicht geregelt [4]. Im Rahmen mehrerer öffentlicher Ausschreibungen wurde deutlich, dass der technische Reifegrad solcher Fahrzeuge aktuell nicht ausreichend ist, um die zu überbrückende Entfernung in einer angemessenen Geschwindigkeit bedienen zu können. In der Konsequenz wurde der Feldversuch mit einem Tesla Model X (Platz für bis zu sechs Passagiere plus Fahrer) verbunden mit dem Ziel eines möglichst hohen Anteils an automatisiert gefahrenen Strecken durchgeführt. Als Fahrzeug mit einer allgemeinen Typen-Zulassung entfiel für diesen Anwendungsfall die Zulassungsproblematik. Das Vorhandensein zweier alternativer Fahrstrecken erlaubte zudem eine Evaluierung der Auswirkung unterschiedlicher verkehrlicher Rahmenbedingungen auf den Automatisierungsanteil (Nutzungsgrad Autopilot). Die Testphase fand im Sommer 2021 statt und war noch von der Pandemie geprägt. Professionelle Busfahrer eines regionalen Verkehrsbetreibers übernahmen nach einer Schulung die Rolle der Sicherheitsfahrer. Tabelle 1 zeigt die Eckdaten des Feldtests. Mit einem durchschnittlichen Automatisierungsanteil von 63 % (für die Strecke über die Bundesstraße sogar 78-%) an der gesamten Kilometerleistung hat der Feldversuch die Möglichkeit des partiellen, autonomen Fahrens auf öffentlichen Straßen für Überlandfahrten demonstriert und gezeigt, dass der Autopilot sowohl bei Tag als auch bei Nacht gleichermaßen gut funktioniert. Die größten Herausforderungen stellen Kreisverkehre und am Straßenrand parkende Fahrzeuge dar, die vielfach einen Wechsel in den manuellen Modus erforderten [5]. Die Auswertung der direkt in dem genutzten Fahrzeug aufgezeichneten Daten ergab fahrerabhängige Anteile der Autopilot-Nutzung sowie unterschiedliche Verhaltensweisen bei der Rückübernahme der manuellen Kontrolle (durch Bremsen oder vorgesehene Schaltelemente). Dies geschah unter weitgehend gleichen Rahmenbedingungen und zeugt von einem individuellen Umgang der Sicherheitsfahrer mit dem technischen System, was auf ein unterschiedliches Maß an Erfahrung und Vertrauen zurückgeführt werden könnte [6]. Seitens der Passagiere zeigte sich eine hohe Akzeptanz des angebotenen Transportdienstes, die mit wiederholter Nutzung tendenziell zunimmt (Bild 3). Die Ergebnisse der Nutzerakzeptanzanalyse unterscheiden sich in einigen Aspekten von der in anderen Pilotvorhaben [7,- 8]. Eine wichtige Erkenntnis für künftige Projekte liegt beispielsweise in der Tatsache, dass die zufriedenstellende Fahrgeschwindigkeit (98 %) des Shuttles, die die eines konventionellen Fahrzeugs erreichte, sowie der Komfort und die dabei empfundene Sicherheit (93 %) stark zu der positiven Bewertung des Feldtests beigetragen haben und die künftige Nutzungsintention positiv beeinflussen können. Auch die zunächst verhaltene Wahrnehmung des Ride-Sharing-Konzepts überzeugte mit wiederholter Nutzung (Bild 3). Eine Ex-ante- und Ex-post-Befragung von Einmalnutzern des Shuttles (Stichprobengröße vorher 60, nachher: 17) hat den positiven Effekt des Fahrerlebnisses auf eine potenzielle zukünftige Nutzung bestätigt. Beispielhaft seien zwei Konstrukte aus der Befragung wiedergegeben: 1. „Automatisierte Shuttles können ein wichtiger Bestandteil des bestehenden ÖPNV-Systems werden“ (Mittelwert der Antworten vor der Fahrt: 4,27, nach der Fahrt: 4,47) 2. „Ich könnte mir vorstellen, ein automatisiertes Shuttle für alle Arten von Strecken, die sonst mit dem Bus zurückzulegen sind, zu benutzen“ (Mittelwert der Antworten vor der Fahrt: 4,02, nach der Fahrt: 4,12) Anwendungsfall 2: Achse Luxemburg - Frankreich Für die zweite grenzüberschreitende Strecke zwischen Luxemburg und Frankreich bestand das Hauptziel darin, ein von der Universität Luxemburg entwickeltes autonomes Versuchsfahrzeug unter realen Verkehrsbedingungen zu erproben. Des Weiteren sollte ein von der Universität Lothringen entwickelter Mobility-on-Demand (MoD)-Dienst in Verbindung mit dem automatisierten Fahrzeug getestet werden. Die Untersuchung bestand aus zwei Arbeitsschritten. Im ersten Arbeitsschritt wurde ein kommerzieller Bus, der auf der ausgewählten grenzüberschreitenden Strecke zwischen Luxemburg-Stadt (LU) und Thionville (FR) pendelt [9], mit einem Datenlogger ausgestattet. Der gesammelte Datensatz enthält ungefähr acht Stunden Fahrdaten, aufgeteilt in 15 Fahrten, die über vier Tage aufgezeichnet wurden. Er umfasst etwa 1,7 Millionen anonymisierte Bilder, die von zwei auf die Straße gerichteten Kameras aufgenommen wurden. Ebenfalls aufgezeichnet wurden Positions- Einsatztage 61 Involvierte Sicherheitsfahrer 5 Nutzer 10 regelmäßige Berufspendler 60 einmalige Nutzer Fahrleistung 6.025 km Zeitpunkt der Fahrten 75 % tagsüber; 25 % nachts Fahrstrecke 60 % über B269; 40 % über L167 Gesamtanteil Fahrten im automatisiertem Modus nach Strecke 78 % über B269; 66 % über L167; 52 % innerorts Begleitforschung 214 Fahrtenprotokolle; 424 Passagierbewertungen Tabelle 1: Eckdaten des Feldversuchs TERMINAL *Basis: n=9 für die erste Fahrt; n=361 alle Fahrten Angaben in % 66,7 88,9 88,9 88,9 100 93,6 98,1 93,4 93,4 97,8 50 60 70 80 90 100 Erste Fahrt Alle Fahrten Anteil der zufriedenen bis sehr zufriedenen Passagiere (Skalenwerte 4 und 5 auf einer Skala von 1 bis 5) Bild 3: Zufriedenheit der Passagiere mit dem Shuttleservice Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 67 Wissenschaft MOBILITÄT informationen, Daten von einem Beschleunigungsmesser und Fahrzeuginformationen, einschließlich Geschwindigkeit, Lenkwinkel und Position der Gas-/ Bremspedale. Der Zweck dieses Datensatzes war es, die Besonderheiten der grenzüberschreitenden Route zu erfassen, mit dem Ziel, eine künstliche Intelligenz (KI) auf Basis einer Imitationslerntechnik zu trainieren, um das automatisierte Fahrsystem auf einer bestimmten Strecke zu unterstützen. Die Details wurden in einer wissenschaftlichen Abhandlung veröffentlicht [10]. Der zweite Arbeitsschritt bestand darin, das entwickelte automatisierte Fahrsystem unter realen Verkehrsbedingungen zu testen. Dazu benötigte das Versuchsfahrzeug eine von den Behörden der jeweiligen Länder ausgestellte Testgenehmigung. Das Testfahrzeug ist ein modifizierter KIA Soul EV (Modell 2018), der mit einem Drive-by-Wire-System, einer Recheneinheit und einem Sensorträger auf dem Dach ausgestattet wurde. Dieser Hardwareaufbau musste zunächst vom TÜV Rheinland abgenommen werden. Neben der technischen Untersuchung wurde ebenfalls ein Fahrsicherheitstraining absolviert. Ziel dieses Trainings war es, Übernahmemanöver zu üben und sich mit dem Protokoll für automatisierte Fahrversuche unter realen Fahrbedingungen vertraut zu machen. Der daraus resultierende technische Bericht des TÜV Rheinland ermöglichte es, einen aktualisierten Fahrzeugschein zu erhalten, in dem die experimentellen Eigenschaften des Fahrzeugs aufgeführt sind. Diese Dokumente wurden verwendet, um beim luxemburgischen Verkehrsministerium eine zeitlich begrenzte Testgenehmigung zur Durchführung von Selbstfahrversuchen auf ausgewiesenen öffentlichen Straßen zu beantragen. Leider wurde diese Genehmigung von den französischen Behörden nicht anerkannt, wie ursprünglich von der digitalen grenzüberschreitenden Testfeld-Initiative zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg vorgesehen. Ein gemeinsames Antragsverfahren zwischen diesen drei Ländern ist weiterhin geplant, aber es bleibt unklar, wann dieses verfügbar sein wird und welche Anforderungen gelten [11]. Da der Test nicht auf der grenzüberschreitenden Strecke zwischen Luxemburg und Frankreich durchgeführt werden konnte, wurde das im Rahmen des Projekts entwickelte, automatisierte Fahrsystem im Kirchberg- Viertel von Luxemburg-Stadt erprobt. Vor der Durchführung von Tests auf öffentlichen Straßen wurde das Fahrzeug zuerst auf einer nicht-öffentlichen Teststrecke getestet, um sicherzustellen, dass alle Systeme ordnungsgemäß funktionieren. Am 20. und 21. Juni 2022 wurde das automatisierte Fahrexperiment auf öffentlichen Straßen durchgeführt. Parallel dazu wurde die von der Universität Lothringen entwickelte MoD- Anwendung getestet. Der MoD-Dienst besteht aus einer mobilen Anwendung mit zwei Betriebsmodi, einem für das Fahrzeug und einem für den Benutzer. Für die Demonstration wurden zwei Pick-up- und zwei Drop-off- Orte definiert. Ein typisches Szenario ist, dass ein Benutzer, der sich an einem Pick-up-Ort befindet, das automatisierte Fahrzeug mit der MoD-Mobilanwendung bucht und einen Zielort (Drop-off) angibt. Diese Informationen werden dann an die mobile Anwendung weitergeleitet, die sich im autonomen Fahrzeug befindet. Der Sicherheitsfahrer, der das Fahrzeug überwacht, kann dann die Route festlegen und die automatisierte Navigation auf der gewünschten Route starten. Bild 4 zeigt die 3 km lange Teststrecke im Kirchberg-Gebiet der Stadt Luxemburg mit den Pick-up- und Drop-off-Stellen. Mehrere Tests wurden erfolgreich durchgeführt, um den MoD-Dienst und die automatisierten Fahrsysteme mit Geschwindigkeiten von bis zu 30 km/ h zu demonstrieren. Lessons learned und Ausblick Die gemachten Erfahrungen können in rechtliche, technische, ökonomische sowie nutzerbezogene Dimensionen eingeteilt werden. Auf allen Ebenen bestehen derzeit noch Herausforderungen für einen regulären Einsatz automatisierter Shuttles im grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehr. Die automatisierte und grenzüberschreitende Fahrt hat sich in der Projektlaufzeit insbesondere im Anwendungsfall 2 als eine unlösbare Aufgabe erwiesen, da eine gegenseitige, ländergrenzen-überschreitende Anerkennung der Fahrzeugzulassung nicht möglich ist. Dieser gegenseitige Anerkennungsprozess in der EU sollte dringend angestoßen werden und dies am besten digital und multilingual. Der Fähigkeit zum grenzüberschreitenden Denken und Arbeiten müsste eine höhere Bedeutung beigemessen werden. Auch die Beschaffung eines Fahrzeugs zur Bedienung des Anwendungsfalls 1 hat sich als ein komplexes Unterfangen erwiesen. Der derzeitige Markt verspricht zwar perspektivisch SAE-Level 4-Fahrzeuge im Bereich der Personenbeförderung. Gegenwärtig werden jedoch vorrangig Fahrzeuge mit SAE-Level 3 angeboten. Dies wahrscheinlich auch vor dem Hintergrund, dass ein großer zeitlicher und monetärer Aufwand erforderlich ist, um die Technik so weit zu entwickeln, dass dies nicht nur auf einer virtuellen Schiene und mit einer vergleichsweise niedrigen Geschwindigkeit erfolgt. Die über das Fahrzeug hinaus entstehenden Zusatzkosten wie beispielsweise die Kosten für Gutachten über die Strecke (Betriebsbereich) und Fahrzeugzulassung, Software sowie Schulung von Personal sind nicht zu unterschätzen und bewegen sich im sechsstelligen Euro-Bereich. Ein wirtschaftlicher Betrieb der erprobten Transportdienstleistung kann vor diesem Hintergrund nur bei einem zukünftigen Verzicht auf den Sicherheitsfahrer Bild 4: Testgelände für automatisiertes Fahrsystem und MoD-Service Quelle: Universität Luxemburg Internationales Verkehrswesen (75) 1 | 2023 68 MOBILITÄT Wissenschaft erreicht werden (Level 4). Berechnungen aus dem Projektvorhaben weisen darauf hin, dass selbst in diesem Falle die Anzahl der durch die in Deutschland vorgeschriebene Technische Aufsicht überwachten Fahrzeuge den entscheidenden Parameter für die potenzielle Wirtschaftlichkeit des Angebotes darstellt [12]. Dennoch hat der Feldversuch gezeigt, dass die Zufriedenheit der Passagiere mit wiederholter Nutzungserfahrung zunimmt und dass eine hohe Fahrgeschwindigkeit nicht im Widerspruch zum Sicherheitsempfinden steht. Somit können die Anwendungsbereiche von automatisierten Shuttles perspektivisch auf überörtliche Fahrten erweitert werden. Darüber hinaus zeigt die Begleitforschung, dass ein komfortablerer Fahrzeuginnenraum die Fahrt angenehm macht und sowohl zur Zufriedenheit der Fahrgäste als auch zur wachsenden Bereitschaft zum Sharing beiträgt. Hinsichtlich der Planung des Mobilitätsdienstes und der Anzahl der Sammelstellen hat der Feldversuch auch gezeigt, dass die geringere räumliche Flexibilität des Shuttles im Vergleich zum eigenen privaten Fahrzeug weiterhin eine Nutzungsbarriere darstellt. Somit sollte die Entfernung bis zur nächsten Sammelstelle für potenzielle Nutzer zehn Minuten Fußweg nicht überschreiten mit dem Ziel, zeitlich besser mit dem MIV konkurrieren zu können. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Angebotsmodelle mit hoher räumlicher und zeitlicher Flexibilität über einen geringeren Bündelungsgrad (Verknüpfbarkeit mehrerer Fahrtenwünsche) verfügen. Ein geringer Bündelungsgrad verbunden mit Leerfahrten im peripheren Raum wirkt sich dabei negativ auf die Wirtschaftlichkeit sowie die energetische Bilanz des Verkehrsangebots aus. Trotz der im Projekt zutage getretenen, noch unzureichend gelösten Herausforderungen können automatisierte Fahrzeuge künftig einen Beitrag zur Sicherung der Daseinsvorsorge in ländlichen Grenzregionen leisten. Ein weiterer Treiber dafür ist der schon heute bestehende und sich in den kommenden Jahren voraussichtlich erheblich verstärkende Fahrermangel. Daher ist die neue Verordnung, die unter Einführung von technischen Aufsichten für die Verbreitung von Level 4-Shuttles sorgen soll, eine Chance für den ÖPNV, insbesondere in Kombination mit On-Demand-Mobilitätsangeboten. ■ Das Projekt TERMINAL wurde kofinanziert durch das Programm INTERREG V A GR sowie das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Transport des Saarlandes QUELLEN [1] Projekt TERMINAL, https/ / terminal-interreg.eu [2] Verband deutscher Verkehrsunternehmen. www.vdv.de/ liste-autonome-shuttle-busprojekte.aspx [3] Rentschler, C. (2022): Bedürfnisse an und Umweltwirkungen von automatisierten und individualisierten Mobilitätsdienstleistungen. In: Grüne Reihe - Veröffentlichungsreihe des Instituts für Mobilität und Verkehr. Dissertation. TU Kaiserslautern, Kaiserslautern. Institut für Mobilität und Verkehr [4] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2018): Testfeld Deutschland-Frankreich- Luxemburg: Konzept für das grenzüberschreitende Digitale Testfeld. https: / / bmdv.bund. de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ DG/ testfeld-deutschland-frankreich-luxemburg-konzeptfuer-das-grenzueberschreitende-digitale-testfeld.html [5] Bousonville, T.; Rösler, I.; Wolniak, N.; Vogt, J.; Wieker, H. (2022): Evaluating a rural cross-border automated shuttle service operated by a Tesla Model X”. May 2022, Conference Paper: 14th ITS European Congress, Toulouse, May 2022, France [6] Bousonville, T.; Rösler, I. ; Vogt, J.; Wolniak, N. (2022): Performance and acceptance of a partially automated shuttle service for commuters using a Tesla Model X. In: Transportation Research Procedia 64 (2022), pp. 98-106 [7] Nordhoff; de Winter; Payre, van Arem; Happee (2020): Passenger opinions of the perceived safety and interaction with automated shuttles: A test ride study with ‘hidden’ safety steward. In: Transportation Research Part A 138 (2020), pp. 508-524 [8] Salonen; Haavisto (2019): Towards Autonomous Transportation. Passengers’ Experiences, Perceptions and Feelings in a Driverless Shuttle Bus in Finland. In: Journal Sustainability 2019, 11 (3), p. 588. Special Issue Smart Mobility for Future Cities [9] Weber, E.: www.emile-weber.lu/ de/ rgtr-bus-linie/ i/ thionville-f-manom-f-cattenom-fkirchberg/ n/ 501-new.html [10] Varisteas, G.; Frank, R.; Robinet, F. (2021): RoboBus: A Diverse and Cross-Border Public Transport Dataset. 2021 IEEE International Conference on Pervasive Computing and Communications Workshops and other Affiliated Events (PerCom Workshops), pp. 269-274, doi: 10.1109/ PerComWorkshops51409.2021.9431129, Kassel, Germany [11] Antrag auf Genehmigung von Erprobungen in Frankreich - Erlass vom 26. Mai 2021 unter www.legifrance.gouv.fr/ eli/ arrete/ 2021/ 5/ 26/ TRER2108356A/ jo/ texteJORF n°0143 du 22 juin 2021 [12] Verordnung zur Genehmigung und zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion in festgelegten Betriebsbereichen (Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungsund-Betriebs-Verordnung - AFGBV) vom 24.06.2022 Karim El Gharbi, M. Sc. Institut für Mobilität und Verkehr, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU), Kaiserslautern karim.elgharbi@rptu.de Isabelle Rösler, Dipl. Betriebswirtin (FH) Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken isabelle.roesler@htwsaar.de Jonas Vogt, M.Sc. Stellvertretender Leiter Forschungsgruppe Verkehrstelematik (FGVT), Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken jonas.vogt@htwsaar.de Raphael Frank, Prof. Dr. Fachgebiet Intelligente und Verteilte Systeme, Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust, Universität Luxemburg raphael.frank@uni.lu Sabine Keinath, Dipl.-Ing. Grundsatzfragen der Mobilität, Verkehrspolitik, Verkehrsrecht, Saarland - Ministerium für Umwelt, Klima, Mobilität, Agrar und Verbraucherschutz, Saarbrücken s.keinath@umwelt.saarland.de Wilko Manz, Prof. Dr. Fachbereich Bauingenieurwesen, Lehrstuhl für Mobilität und Verkehr, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU), Kaiserslautern wilko.manz@rptu.de Thomas Bousonville, Prof. Dr. Fachgebiet Logistik und Wirtschaftsinformatik, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken thomas.bousonville@htwsaar.de