Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0023
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Bundesweites Plattformprojekt soll Produktion regenerativer Kraftstoffe beschleunigen | Lagerung und Umschlag flüssiger Energieträger im Duisburger Hafen geplant | HoLa-Projekt: Potenzielle Ladestandorte für E-LKW | Emissionen senken durch nachhaltige Flugkraftstoffe | Intelligente kooperative Verkehrssysteme sollen Radfahrer besser schützen | Smart Window – Augmented Reality für Schiffsführer
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Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 6 IM FOKUS Bundesweites Plattformprojekt soll Produktion regenerativer Kraftstoffe beschleunigen S ynthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien, sogenannte reFuels, können in großen Mengen hergestellt und schon heute in fast allen Fahrzeugen eingesetzt werden. Das haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in großangelegten Projekten wie dem vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekt „reFuels - Kraftstoffe neu denken“ bewiesen. Die neue Plattform InnoFuels soll jetzt die vielen nationalen und europäischen Forschungsvorhaben zur Weiterentwicklung, Produktion und Anwendung von Power-to-Liquid- und Biokraftstoffen vernetzen, Synergien aufzeigen und so dabei helfen, insbesondere die Produktion größerer Mengen strombasierter Flüssigkraftstoffe zu beschleunigen. Die aus erneuerbaren Quellen hergestellten synthetischen reFuels gelten als ein Hoffnungsträger im Kampf gegen den Klimawandel. Sie versprechen nicht nur eine bis zu 90-prozentige CO 2 -Reduktion gegenüber herkömmlichen Treibstoffen, sondern erlauben auch die weitere Nutzung der gesamten Tank-Infrastruktur von der Herstellung über den Transport bis zum Vertrieb - und bestehender Fahrzeugflotten mit Verbrennungsmotor, bei historischen und heutigen Autos wie auch bei Nutzfahrzeugen oder Lokomotiven. Bislang werden strombasierte Kraftstoffe vorwiegend im Forschungsmaßstab produziert. Wenn es künftig steigende Beimischungsquoten dieser Kraftstoffe geben soll und genügend reFuels für den Luft- und Schiffsverkehr zur Verfügung stehen sollen, müssen viel größere Mengen auf industrieller Ebene produziert werden. Neben technischen Fragen sollen innerhalb der Plattform InnoFuels deshalb auch die optimale Gestaltung von Regeln und ökonomischen Rahmenbedingungen für die flächendeckende Massenproduktion von re- Fuels erörtert werden. Denn für einen schnellen Markthochlauf bräuchten mögliche Produzenten Klarheit und langfristige Sicherheit, ob erneuerbare strombasierte Kraftstoffe auf die Treibhausgasminderungsquoten zum Erreichen der Klimaschutzziele der Europäischen Union angerechnet würden. www.kit.edu Bild: Markus Breig, Amadeus Bramsiepe / KIT Lagerung und Umschlag flüssiger Energieträger im-Duisburger Hafen geplant D er Duisburger Hafenbetreiber duisport setzt die Standortentwicklung zur zentralen Drehscheibe für erneuerbare Energien fort: Die Duisburger Hafen AG und Koole Terminals B. V., niederländischer Entwickler und Betreiber von Flüssigmassengut- Terminals, wollen gemeinsam ein Tanklager für flüssige erneuerbare Brennstoffe und Rohstoffe wie Ammoniak im Gebiet des Rheinkai Nord in Duisburg-Hochfeld entwickeln. Ammoniak ist ein wichtiger Energieträger für Wasserstoff. Als künftiger Standort wurde ein Grundstück am Rheinkai Nord in Duisburg-Hochfeld gewählt. Die Partnerschaft zwischen duisport und Koole schafft Voraussetzungen und setzt Synergien frei, welche die gesamte Industrieregion Rhein-Ruhr langfristig stärken und Duisburg als zentralen Wasserstoff-Hub kontinuierlich weiter ausbauen und stärken sollen. Das Thema Wasserstoff spielt schon lange eine zentrale Rolle für Duisburg und ist zugleich der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft der Logistik. Am Rheinkai Nord wurde ehemals Kohle gelagert und umgeschlagen, nun sollen künftig grüne Produkte bewegt werden. www.duisport.de Bild: Hans Blossey / duisport Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 7 IM FOKUS Emissionen senken durch nachhaltige Flugkraftstoffe E uropäisches Parlament und Rat haben sich über den Vorschlag „ReFuelEU Aviation“ geeinigt. Sobald die neuen Vorschriften in Kraft sind, werden sie dazu beitragen, den Luftfahrtsektor zu dekarbonisieren, indem die Kraftstoffanbieter verpflichtet werden, Kerosin ab 2025 nachhaltige Flugkraftstoffe (Sustainable Aviation Fuels, SAF) in immer größeren Mengen beizumischen. So sollen sich die jährlichen CO 2 -Emissionen von Luftfahrzeugen bis 2050 um etwa zwei Drittel senken lassen. Die neuen ReFuelEU Aviation-Vorschriften sehen vor, dass Flugkraftstoffanbieter an EU-Flughäfen einen Mindestanteil nachhaltiger Flugkraftstoffe bereitstellen müssen. Der soll von 2 % an den Gesamtkraftstofflieferungen bis 2025 auf 70 % bis 2050 steigen. In der EU muss das neue Gemisch auch einen im Laufe der Zeit steigenden Mindestanteil synthetischer Kraftstoffe enthalten. Luftfahrzeugbetreiber dürfen bei Abflug von EU-Flughäfen nur so viel Kraftstoff tanken wie für den Flug notwendig, unter anderem damit keine durch zusätzliches Gewicht bedingten Emissionen entstehen. Und Flughäfen müssen sicherstellen, dass ihre Betankungsinfrastruktur für den Vertrieb nachhaltiger Flugkraftstoffe bereitsteht und hierfür geeignet ist. Die Vorgaben für die Beimischung nachhaltiger Flugkraftstoffe beziehen sich auf Biokraftstoffe, wiederverwertete kohlenstoffhaltige Brennbzw. Kraftstoffe und synthetische Flugkraftstoffe entsprechend der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Im Sinne der Nachhaltigkeitsziele wird die Produktion aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen ausgeschlossen. Da die neuen Vorgaben in der gesamten EU gelten werden, gewährleisten sie gleiche Wettbewerbsbedingungen - jedenfalls im EU-Binnenmarkt - sowie Rechtssicherheit für die Kraftstoffproduzenten und tragen dazu bei, die großindustrielle Produktion auf dem gesamten Kontinent anzukurbeln. Die Mengen nachhaltiger Flugkraftstoffe, die EU-Luftfahrtunternehmen unionsweit zur Verfügung stehen, werden damit stetig zunehmen. https: / / commission.europa.eu Bild: Martin Winkler / pixabay HoLa-Projekt: Potenzielle Ladestandorte für E-LKW D er Aufbau von öffentlicher Ladeinfrastruktur für batterieelektrische LKW ist ein wichtiger Baustein zur Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs und spielt eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der deutschen und europäischen Klimaziele. Im Hinblick auf die Attraktivität von konkreten Standorten besteht jedoch noch Unklarheit. Eine neue Studie des Fraunhofer ISI, die im Rahmen des vom BMDV geförderten Projekts „HoLa - Hochleistungsladen LKW- Fernverkehr“ realisiert wurde, setzt hier an und befasst sich mit der Attraktivität von öffentlichen LKW-Parkflächen und deren potenzieller Eignung für die Ladeinfrastruktur. Als Ausgangspunkt für die Analyse zur Standortattraktivität und künftiger Ladeinfrastruktur-Eignung dienten öffentlich zugängliche Daten zu gegenwärtigen LKW- Parkflächen sowie eine vorherige Studie zu LKW-Halteorten in Europa. Diese Daten wurden mit Informationen zu Standortmerkmalen wie der Anbindung an Autobahnen, dem Vorhandensein von Tankstellen und Autohöfen sowie Industrie- und Geschäftsinformationen aus dem Umfeld kombiniert, aggregiert und anhand einer multikriteriellen Entscheidungssowie Archetypenanalyse untersucht. Die Auswertung von gut 1.700 öffentlichen Standorten verdeutlicht, dass weniger einzelne, sondern die Kombination mehrerer Merkmale entscheidend ist für die Attraktivität eines Standortes: Über 70 Prozent aller Stopps liegt an einem von drei Clustern bestehend aus einer Kombination von Gewerbe- und Industriegebieten, Parkplätzen mit Service-Arealen sowie Rastanlagen. Folglich lautet eine Empfehlung, sich beim Aufbau von öffentlicher Ladeinfrastruktur für E-LKW an Orten zu orientieren, die genau diese Merkmale aufweisen: Hier verweilen schon heute viele LKW für eine gewisse Zeit, und die Fahrer künftiger E-LKW könnten während ihres Ladevorganges vorhandene Serviceangebote nutzen und danach ihre Fahrt zügig fortsetzen. Wo sich die attraktivsten und am besten geeigneten Ladeorte für E-LKW genau befinden könnten, zeigt eine interaktive Karte, die auf Basis von OpenStreetMaps.org (OSM) erstellt wurde. Durch einen Klick auf einzelne Standorte werden deren Geokoordinaten und Attraktivität auf einer Skala von eins „unattraktiv“ bis 100 „hochattraktiv“ angezeigt. Je höher der Wert, desto größer die Eignung für den potentiellen Aufbau einer Ladeinfrastruktur. Die Attraktivität wird zusätzlich durch die Farbskala verdeutlicht. Sollten sich in einem kleinen Umkreis mehrere mögliche Standorte befinden, zum Beispiel auf unterschiedlichen Seiten der Autobahn, so ist lediglich der Mittelpunkt auf der Karte abgebildet. www.hochleistungsladen-lkw.de/ hola-de/ interaktive-standortkarte-ladeinfrastruktur. php Bild: eActros / Daimler Truck AG Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 8 IM FOKUS Smart Window - Augmented Reality für Schiffsführer M it dem Verbundprojekt „Smart Window“ hat das Fraunhofer ISIT gemeinsam mit Partnern aus Industrie und dem Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) an einer intelligenten Lösung zur Implementierung eines Augmented-Reality-Displays auf einer Schiffsbrücke gearbeitet, um zukünftig alle relevanten Daten für den Schiffsbetrieb zu verarbeiten, zu filtern und darzustellen. Wie der Versuchsaufbau (siehe Bild) zeigt, bietet das Einbetten des AR-Displays in ein Fenster der Schiffsbrücke die Möglichkeit, eine Vielzahl von Informationen direkt im Blickfeld des Schiffsführers darzustellen, und so den Schiffsführern ihre Arbeit zu erleichtern. Das Fraunhofer ISIT hat für das neuartige AR-Display als zentrales Element ein scannendes Vollfarben-Laserprojektionssystem entwickelt. Kernstück des Systems ist ein Mikrospiegel aus Silizium. Er ist an zwei senkrecht zueinanderstehenden Achsen aufgehängt. Um diese Achsen kann der Spiegel schwingen, angeregt durch elektrostatische Kräfte. Wird Laserlicht auf den Spiegel geworfen, kann mit einem solchen Spiegel ein beliebiges, für die Anwendung hinreichend großes und gut ausgeleuchtetes Bild auf das Schiffsfenster projiziert werden. Das Vorhaben insgesamt ist sehr anspruchsvoll. Eine Augmented Reality-Ansicht entsteht durch das komplexe Zusammenspiel von Datenaufbereitung, Sensorik und Visualisierung, welche meist speziell für einen Blickwinkel erstellt wird. Um dem Benutzer Informationen so in sein Sichtfeld einzuspielen, dass diese die Realität gezielt anreichern, muss das digitale Modell der Welt mit der Realität in Deckung gebracht werden. So sind globale Daten, wie etwa Positionsdaten aus dem elektronischen Seekartendarstellungssystem, und lokale Daten aus schiffseigenen Sensoren, etwa Radar, zu fusionieren und relativ zum Betrachter wiederzugeben. Das erfordert neben einer enormen Rechenleistung insbesondere Informationen über das Blickfeld des Nutzers, so dass die eingeblendeten Daten aus dessen Sicht klar den realen Objekten zugeordnet werden können. Bewegt sich der Nutzer, muss dies in Echtzeit nachvollzogen und das virtuelle Bild entsprechend nachgeführt werden. Diese Tracking-Funktion übernimmt eine 3D- Kamera, die auch bei den schwachen Lichtverhältnissen auf einer nächtlichen Schiffsbrücke robust und exakt funktionieren muss. Das Projekt Smart Window hat große Bedeutung für die steigenden Anforderungen an die aktuelle Transport- und Versorgungsinfrastruktur angesichts der zunehmenden Globalisierung. Die Schifffahrt spielt hier eine besondere Rolle. Denn während Lastwagenfahrer und Lokführer an die Infrastruktur des Straßen- und Schienennetzes gebunden sind und Piloten sich weltweit auf eine elektronische Überwachung und Steuerung verlassen können, sind Schiffe vielerorts häufig noch auf sich allein gestellt. Mit Smart Window wären aktuelle umfangreiche Informationen zur Navigation, dem Wetter und kreuzenden Schiffen in Echtzeit verfügbar, genauso wie Informationen zum technischen Status des Schiffes und der Funktionsfähigkeit vieler Subsysteme. www.isit.fraunhofer.de Bild: Fraunhofer ISIT Intelligente kooperative Verkehrssysteme sollen Radfahrer besser schützen V ernetzung und Automatisierung von Fahrzeugen bieten eine große Chance, auch die Sicherheit von Radfahrenden zu erhöhen. In Salzburg wurden erstmals drahtlose Kommunikationskanäle zwischen unterschiedlichen Fahrzeugen, Fahrrädern und der Infrastruktur unter realen Bedingungen validiert. Forschende aus Österreich und Deutschland haben eine Methode für die kooperative Erkennung von Kollisionsrisiken erprobt und Warnkonzepte für Radfahrende entwickelt. Verkehrsunfälle mit Fahrrädern nehmen seit Jahren stetig zu. 2015 verzeichnete die Verkehrsunfallstatistik der Statistik Austria 6.901 Verkehrsunfälle mit Fahrrädern, 2021 waren es bereits 9.578. Die Anzahl der Getöteten betrug in diesem Zeitraum bis zu 50 Radfahrende pro Jahr. Die Unfälle mit anderen beteiligten Fahrzeugen ereigneten sich dabei meist bei einer Abbiegesituation in einem Kreuzungsbereich, wobei das Fahrrad im überwiegenden Fall geradeaus fuhr. Neueste technologische Entwicklungen im Bereich der Fahrzeugkommunikation mittels ITS-G5, der Fahrradlokalisierung, der Umfeldwahrnehmung des vernetzen und automatisierten Fahrzeugs mittels Kamera und LiDAR-Sensorik sowie bei straßenseitiger Sensorik mit Kameras schafften die Grundlagen für kooperative Lösungsansätze zur Detektion und Vermeidung von Kollisionsrisiken. Verletzliche Verkehrsteilnehmende wie Fahrradfahrende sollen dabei nicht nur erkannt, sondern aktiv in die Kollisionsvermeidung mit einbezogen werden. Das bringt einen Mehrwert auf mehreren Ebenen: Radfahrende werden frühzeitig vor Kollisionen gewarnt, um gefährliche Situationen zu erkennen und Unfälle zu vermeiden. Vernetzte Fahrzeuge und Fahrassistenzsysteme können Radfahrende durch eine verbesserte Detektionsqualität sowie aktive Kommunikation zuverlässiger erkennen und frühzeitig reagieren. Kommunen und Infrastrukturbetreiber erhalten objektive Bewertungen von Risikozonen an Verkehrsknotenpunkten und können diese durch gezielte Maßnahmen vorbeugend entschärfen. Im Forschungsprojekt wurden unterschiedliche Lösungsansätze analysiert, um geeignete und sichere Methoden auswählen zu können. Die vielversprechendsten Methoden wurden in einem kontrollierten Experiment getestet und jeweils in drei Szenarien an zwei Testkreuzungen im ländlichen und urbanen Bereich erprobt. In allen sechs getesteten Szenarien konnten riskante Situationen mit Kollisionsrisiko nachgestellt und Kollisionswarnungen erzeugt werden. www.bike2cav.at Bild: Salzburg Research / wildbild
