eJournals Internationales Verkehrswesen 75/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0024
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2023
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Gemeinwohlorientierung der Schieneninfrastruktur als semantische Innovation

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Alexander Eisenkopf
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Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 9 Alexander Eisenkopf KONTRAPUNKT Gemeinwohlorientierung der-Schieneninfrastruktur als semantische Innovation D ie deutsche Finanzpolitik hat den Reiz von Sondervermögen wiederentdeckt: Es gibt mittlerweile einen Finanzmarktstabilisierungsfonds, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds als Schutzschild gegen die Folgen der Covid 19-Pandemie, einen Klima- und Transformationsfonds und nicht zuletzt das Sondervermögen Bundeswehr. Sondervermögen sind politökonomisch attraktive Konstruktionen. Ausgaben und Schulden werden in Schattenhaushalte überführt und dem Publikum mit dem Begriff „Vermögen“ das Gegenteil von dem suggeriert, was tatsächlich passiert: Es werden vor allem Schulden gemacht, die zukünftige Haushalte belasten. Auch das ehemalige Sondervermögen Deutsche Bundesbahn sorgte zuverlässig für Wertvernichtung, die am Ende zu einem Schuldenstand von rd. 34 Mrd. EUR führte. Im Zuge der Gründung der Deutschen Bahn AG wurden diese Altschulden im „Bundeseisenbahnvermögen“ geparkt, dem auch die Altlasten in Form ehemaliger Bundesbahnbeamten und Versorgungsempfänger zugewiesen wurden. Dieses „Sondervermögen“ beansprucht bis heute jährlich Haushaltsmittel in Milliardenhöhe - von 2023 bis 2026 rund 5,5-Mrd. EUR p.a. - zur Defizitdeckung. Aus der 1994 weitgehend schuldenfreien DB AG ist fast 30 Jahre später ein komplexer, stark diversifizierter Konzern geworden, dessen Nettofinanzschulden wieder die Größenordnung von 30 Mrd. EUR erreichen - und dies, obwohl Investitionen in Aus- und Neubau der Schieneninfrastruktur seit der Jahrtausendwende im Wesentlichen über verlorene Zuschüsse des Bundes finanziert wurden und mittlerweile auch die Erhaltung des Bestandsnetzes über die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen massiv bezuschusst wird. Zu allem Überfluss fordert die DB AG bis zum Jahr 2030 bis zu 80 Mrd. EUR zusätzliche Mittel für eine Generalsanierung der Infrastruktur - ein Fass ohne Boden. Vor diesem Hintergrund mahnt der Bundesrechnungshof ein grundlegendes Umsteuern in der Bahnpolitik an, damit der Sanierungsfall DB AG nicht das System Eisenbahn insgesamt torpediert. Hierzu gehöre es laut Rechnungshof, nachvollziehbare Ziele für das System Eisenbahn zu entwickeln, deren Kosten vollumfänglich zu ermitteln und einen realistischen Umsetzungszeitraum dafür abzuschätzen. Insbesondere sollten Management- und Finanzressourcen der DB AG endlich auf die Probleme des Schienennetzes und Schienenverkehrs in Deutschland fokussiert werden, statt mehr oder weniger erfolgreich Nahverkehr im Ausland und internationale Logistik zu betreiben. Da der integrierte Konzern die Dauerkrise der DB AG nicht verhindert habe, sei auch die Konzernstruktur neu auszurichten. Die Forderung des Rechnungshofs nach einer Ausgliederung der bundeseigenen Infrastruktur aus dem Bahnkonzern verhallte in der Bundesregierung selbstverständlich ungehört. Stattdessen wird dort vor allem semantische Innovation betrieben und das fehlende Geld beim Straßengüterverkehr eingesammelt. Das Konstrukt einer gemeinwohlorientierten Infrastruktur innerhalb eines aktienrechtlich verfassten Konzerns DB AG muss zwangsläufig eine Totgeburt bleiben. Trotz millionenschwerer externer Gutachten werden seine umfänglichen Anreiz- und Governance-Probleme weder abschließend erkannt noch gelöst werden können. Selbstverständlich hat die Konzernführung der DB AG in einem solchen Konstrukt immer ein Interesse, Regelungen durchzusetzen, welche die Infrastruktur weiterhin als finanzpolitischen Verschiebebahnhof nutzbar und die Politik erpressbar machen. Im Reformprozess wird sie ihre Vorstellungen einer gemeinwohlorientierten Infrastruktur gnadenlos durchsetzen. Dass man bereit ist, alle Wünsche der Konzernführung zu befriedigen, zeigen die aktuellen Beschlüsse der Koalition, 45 Mrd. EUR für Infrastrukturmaßnahmen bis zum Jahr 2027 bereitzustellen. Die Gegenfinanzierung dieses „Sondervermögens“ soll über eine neue CO 2 -Komponente der LKW-Maut ermöglicht werden, die rechnerisch einer Verdopplung der bisherigen Mautsätze entspricht. Politökonomisch und kommunikativ ist dies ein Volltreffer, da eine inflationstreibende Abgabenerhöhung durch ein klimapolitisches Heilsversprechen kaschiert wird. Mit vernünftiger Klimapolitik hat das aber genauso wenig zu tun wie die gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft mit guter Bahnpolitik. ■ Prof. Dr. rer. pol. Alexander Eisenkopf zu aktuellen Themen der Verkehrsbranche