Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0027
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Klimaschutz im Straßengüterverkehr - mehr als die Quote für Verbrenner
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Frank Hütten
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Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 15 S o langsam nimmt das EU-Klimaschutzpaket „Fit for 55“, mit dem die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 verringert werden sollen, Gestalt an. Ein Gesetz nach dem anderen nähert sich der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt, nachdem sich Europäisches Parlament und die Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Text geeinigt haben. Die Neufassung der Emissionshandelsrichtlinie gehört dazu, der zentrale Baustein des Gesetzespakets. Während etliche Verordnungen und Richtlinien aus dem Paket über die Ziellinie rollen, hat die EU-Kommission vor wenigen Wochen noch einen weiteren Klimaschutz-Legislativvorschlag ins Gesetzgebungsverfahren geschickt, der für die Transportwirtschaft wichtig ist: eine Verordnung über neue CO 2 -Grenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge. Nach der enormen politischen und medialen Aufregung über den Versuch der deutschen FDP, die in Brüssel fertig ausgehandelten und von der Bundesregierung schon mehrfach gebilligten CO 2 -Grenzwertregeln für PKW und Vans im letzten Moment noch mit Blick auf die Anrechnung von E-Fuels abzuändern, ist wohl auch bei den schweren Nutzfahrzeugen mit spannenden Diskussionen zu rechnen. Bemerkenswert ist, dass die Kommission für LKW und Busse - anders als für Lieferwagen und PKW - kein Datum vorgeschlagen hat, ab dem nur noch neue Fahrzeuge in der EU zugelassen werden dürfen, bei denen gar kein Kohlendioxid mehr aus dem Auspuff kommt. Bekommen die Vorschläge eine Mehrheit in Europäischem Parlament und EU-Ministerrat, dürfen Nutzfahrzeughersteller auch 2040 noch jeden zehnten LKW mit Verbrennungsmotor auf den EU-Markt bringen. Einen solchen dürften auch Fahrzeuge von Feuerwehr, Militär, Katastrophenschutz et cetera haben. Der Umweltverband Transport & Environment schätzt, dass das weitere zehn Prozent der EU-Nutzfahrzeuge sein könnten. Alle diese LKW sind dann wahrscheinlich auch 2050 noch unterwegs, wenn die EU klimaneutral sein will. Trotzdem ist der Kommissionsvorschlag immer noch ein mächtiges Signal dafür, dass die EU im Straßengüterverkehr auf Fahrzeuge setzen soll, die batterieelektrisch oder mit Wasserstoff - entweder über eine Brennstoffzelle oder durch direkten Einsatz in einem für Wasserstoff geeigneten Verbrennungsmotor - angetrieben werden. Die Rolle von synthetischen E-Fuels und Biokraftstoffen in Verbrennungsmotoren bleibt auf zehn bis maximal 20 Prozent begrenzt. Im Gesetzgebungsprozess wird mit Sicherheit erneut leidenschaftlich diskutiert werden, ob das nicht mehr oder weniger sein sollte. Eigentlich täte die EU besser daran, diese Frage den Markt entscheiden zu lassen und sich auf einen Ordnungsrahmen zu konzentrieren, der klimafreundlichere Treibstoffe erzwingt - durch CO 2 -Emissionshandel, Energiesteuerrichtlinie, die Richtlinie für Erneuerbare Energie und Kraftstoffqualitätsstandards. Wenn dann E-Fuels im Straßengüterverkehr deutlich teurer bleiben als der direkte Einsatz von Strom, wie das viele prophezeien, würden sich Transportunternehmen von allein dagegen entscheiden. Zwei Argumente für eine stärkere politische Steuerung wiegen allerdings schwer. Zum einen triebe eine zunächst starke Nutzung von E-Fuels auch für LKW den Bedarf an „grünem“ Strom noch weiter nach oben. Die Erzeugung von Ökostrom ist aber die wirkliche Engstelle bei der angestrebten Energiewende. Zum anderen könnten sich die Akteure beim parallelen Aufbau von Tank- und Ladeinfrastruktur für E-Fuels, Biokraftstoffe, Wasserstoff und Strom verzetteln, was den Aufbau eines ausreichenden Netzes zur Versorgung von Wasserstoff- und E-LKW verzögern würde. Mit diesem Netz steht und fällt aber der Erfolg der ganzen Klimaschutzstrategie für den Straßenverkehr. Gelingt es nicht, die notwendige Ladeinfrastruktur rechtzeitig bereitzustellen, kann sich Strom als der mutmaßlich günstigste Antrieb im Straßenverkehr nicht durchsetzen. Noch höhere Kosten und noch größere Mühen, andere nachhaltige Kraftstoffe in ausreichender Menge zu erzeugen, wären die Folge. Die LKW-Hersteller fürchten, dass sie am Ende Strafen für verpasste CO 2 -Grenzwerte zahlen müssen, weil die Ladeinfrastruktur noch löchrig und Diesel noch zu billig ist und Transportunternehmen ihre E-LKW deshalb nicht ausreichend nachfragen. Wenn die EU daran glaubt, dass Strom der günstigste nachhaltige Treibstoff für LKW sein wird, muss sie sich vor allem um die richtigen Preissignale und den Aufbau der nötigen Infrastruktur kümmern. Die EU-Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass ausreichend Ökostrom erzeugt wird und die Stromnetze für seinen Transport da sind, dass der Aufbau von Ladesäulen zum Geschäftsmodell werden kann und dass ein ausreichend hoher CO 2 -Preis den Einsatz der nachhaltigsten Antriebe lukrativ macht. Das ist am Ende wichtiger als die Anzahl der nach 2040 noch erlaubten Verbrennungsmotoren in LKW und Bussen. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Klimaschutz im Straßengüterverkehr - mehr als die Quote für Verbrenner