eJournals Internationales Verkehrswesen 75/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0039
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2023
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Optimierte Instandhaltung für Schienenfahrzeuge

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2023
Lars Schnieder
Schienenfahrzeuge haben eine lange Lebensdauer. Während dieser Zeit werden Komponenten und Teilsysteme wenn nötig wieder instand gesetzt, zwischendurch überholt und gegebenenfalls mehrfach erneuert. Das Fahrzeuginstandhaltungsmanagement adressiert alle hierfür erforderlichen Prozesse. Digitale Technologien halten auch in der Fahrzeuginstandhaltung zunehmend Einzug. Für die erfolgreiche Einführung datengetriebener digitaler Geschäftsmodelle müssen jedoch nicht nur technologische und rechtliche Voraussetzungen gegeben sein – ohne Akzeptanz in der Belegschaft wird der Erfolg ausbleiben.
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Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 66 TECHNOLOGIE Maintenance Optimierte Instandhaltung für-Schienenfahrzeuge Digitalisierung als Grundlage von Innovationen in der Instandhaltung von Schienenfahrzeugflotten Digitalisierung, Prädiktive Instandhaltung, Instandhaltungsmanagement, Asset Management Schienenfahrzeuge haben eine lange Lebensdauer. Während dieser Zeit werden Komponenten und Teilsysteme wenn nötig wieder instand gesetzt, zwischendurch überholt und gegebenenfalls mehrfach erneuert. Das Fahrzeuginstandhaltungsmanagement adressiert alle hierfür erforderlichen Prozesse. Digitale Technologien halten auch in der Fahrzeuginstandhaltung zunehmend Einzug. Für die erfolgreiche Einführung datengetriebener digitaler Geschäftsmodelle müssen jedoch nicht nur technologische und rechtliche Voraussetzungen gegeben sein - ohne Akzeptanz in der Belegschaft wird der Erfolg ausbleiben. Lars Schnieder D er Rechtsrahmen der Eisenbahnsicherheit in der Europäischen Union [1] verlangt von den für die Instandhaltung zuständigen Stellen, dass die Fahrzeuge, für deren Instandhaltung sie zuständig sind, in einem sicheren Betriebszustand sind. Im Rahmen seiner Konstruktionspflicht gewährleistet der Hersteller der Schienenfahrzeuge zum Zeitpunkt der Erteilung der Inbetriebnahmengenehmiung, dass in der Konzeptions- und Planungsphase Konstruktionsfehler vermieden wurden. Konkret bedeutet dies, dass die Schienenfahrzeuge zum Zeitpunkt der Erteilung der Inbetriebnahmegenehmigung den gebotenen Sicherheitsstandards entsprechen. Einem ingenieurmäßigen probabilistischen Sicherheitsverständnis folgend ist offensichtlich, dass die Schienenfahrzeuge mit einem verbleibenden Restrisiko in Verkehr gebracht werden. Den Hersteller von Schienenfahrzeugen trifft daher eine umfassende Instruktionspflicht, um den Betreiber in die Lage zu versetzen, den Gefahren soweit möglich entgegenzuwirken. Um die Sicherheit der Fahrzeuge auch im Betrieb aufrechtzuerhalten, etablieren die für die Instandhaltung zuständigen Stellen umfassende Managementsysteme. Instandhaltung von Schienenfahrzeugen Herstellervorgaben für die Instandhaltung Ausdruck der aktiven Wahrnehmung der Instruktionspflicht durch die Schienenfahrzeughersteller ist die systematische Weiterleitung sicherheitsbezogener Anwendungsregeln an die für die Fahrzeuginstandhaltung zuständige Stelle [2]. In der Regel machen die Hersteller den Betreibern daher konkrete Vorgaben zu Art und Häufigkeit der Instandhaltungsarbeiten, der Ausbildung und Qualifikation des Instandhaltungspersonals sowie qualitätssichernder Maßnahmen im Rahmen der Instandhaltung. Auf diese Weise wird neben einem hohen Sicherheitsniveau auch ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Betriebsbereitschaft gewährleistet. Diese herstellerseits vorgegebenen Instandhaltungsprogramme basieren auf den bei den Fahrzeugherstellern vorliegenden Erkenntnissen und Erfahrungen über das Verschleißverhalten einzelner Baugruppen und Komponenten. Die Herstellervorgaben sind in der Regel hinsichtlich der Intervalle für einzelne Instandhaltungsmaßnahmen konservativ aufgebaut. Damit werden die bei Inbetriebnahme neuer Fahrzeuge oder Fahrzeuggenerationen noch nicht vorliegenden Erfahrungen über das detaillierte Verschleißverhalten oder das Zusammenwirken einzelner Komponenten im Sinne einer mindestens gleichwertig hohen Betriebssicherheit kompensiert [3]. Die Einhaltung der konservativen Herstellervorgaben verursacht jedoch höhere Kosten für die Instandhaltung, als dies bei einer Berücksichtigung der realen Beanspruchung der Komponenten im Betrieb der Fall wäre. Optimierung der Instandhaltungsprogramme im Betrieb Vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit des Betriebs haben die Betreiber den Wunsch, die oftmals laufleistungsabhängig oder kalendarisch bestimmten Fristenarbeiten an die tatsächliche betriebliche Belastung des Fahrzeugs anzupassen oder idealerweise vorherzusagen (prädiktive Instandhaltung). In der Praxis passt daher der Betreiber das Instandhaltungsprogramm an seine spezifischen Betriebsbedingungen an. Aus den tatsächlichen Beanspruchungsparametern des Betriebs und den Auslegungsparametern des Fahrzeugs lassen sich die maßgebenden Verschleiß-, Alterungs-, und Ausfallparameter ableiten. Es besteht somit die Möglichkeit, die Instandhaltung zielgenau auf den tatsächlichen Verschleiß, die Alterung und den Ausfall der Komponenten auszurichten. Um mit Änderungen bei Ausrüstung, Verfahren, Organisation, Personalausstattung oder Schnittstellen umgehen zu können, sollten die für die Instandhaltung zuständigen Stellen Risikobewertungsverfahren eingerichtet haben. Diese Verfahren bewerten, inwieweit ein verändertes Instandhaltungsverfahren häufiger zu möglichen Gefährdungen führt, oder ob die Gefährdungen potenziell höhere Schadensausmaße mit sich bringen. Zielstellung ist hier der Nachweis einer mindestens gleichen Sicherheit des neuen Verfahrens im Vergleich zu vorherigen Ansätzen (vgl. [4]). Digitalisierung der Instandhaltung von Schienenfahrzeugflotten Der erfolgreiche Sicherheitsnachweis für veränderte Instandhaltungsprogramme erfordert für statistisch signifikante Aussagen Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 67 Maintenance TECHNOLOGIE große Datenmengen. Daten können in der digitalisierten Wirtschaft aber erst genutzt werden, wenn sie in elektronischer Form vorliegen. Nur elektronisch vorliegende Daten können in vielfältiger Form weiterverarbeitet und nutzbar gemacht werden. Es müssen also im Eisenbahnverkehrsunternehmen systematisch große Datenbestände erfasst und verwaltet werden, um diese für die Optimierung von Instandhaltungsprozessen nutzen zu können. Genau dies ist Ansatzpunkt der Digitalisierung. Das heißt, dass das System Bahn muss für informationsverarbeitende Systeme lesbar gemacht werden. Ohne die Digitalisierung der Schienenfahrzeugflotten kann keine digitale Datenverarbeitung, ob nun durch lernende Verfahren oder andere, stattfinden. Technisch geht es dabei um die Aufzeichnung und die Umwandlung von analogen in digitale Signale, mit denen Computersysteme arbeiten können. Die hierfür erforderliche systemtechnische Infrastruktur sind Informations- und Kommunikationstechnologie- Plattformen. Technologische Grundlagen digitaler Geschäftsmodelle: Informations- und Kommunikationstechnologie-Plattformen Bild 1 zeigt eine grundlegende Architektur von Plattformen im Internet of Things (IoT) [5]. Ein IoT-System besteht aus den folgenden Komponenten: •• Edge Computing bezeichnet Geräte auf Schienenfahrzeugen, welche die Daten erheben, vorverarbeiten und an die zentrale Dateninfrastruktur übertragen. Hierbei handelt es sich um Sensorwerte oder um Informationen aus dem Betriebssystem der unterschiedlichen Fahrzeugsysteme. Hierbei ist auf eine rückwirkungsfreie Integration in die elektronischen Einrichtungen des Schienenfahrzeugs zu achten, um eine bestehende Fahrzeugzulassung nicht negativ zu beeinflussen. •• Konnektivität beschreibt die Verbindung zwischen den einzelnen Edge Devices und der zentralen Dateninfrastruktur. Hierbei kommen verschiedene Übertragungsmedien wie ein Wireless Local Area Network (WLAN), Bluetooth oder- Mobilfunk sowie unterschiedliche Kommunikationsprotokolle zur Anwendung [6]. •• Der zentrale Datenspeicher ist Teil der Dateninfrastruktur, die als Cloud oder Serverdienst zur Verfügung stehen. Hier sind in der Regel auch zusätzlich Rechenleistung oder Software vorhanden, die für die Bereitstellung von Daten nötig sind. Hierbei handelt es sich um Datenbanken, Data-Warehouses bzw. Data Lakes [7]. •• Enterprise-Resource-Planning (ERP) bezeichnet die unternehmerische Aufgabe, Personal, Ressourcen, Kapital, Betriebsmittel und Material im Sinne des Unternehmenszwecks rechtzeitig und bedarfsgerecht zu planen, zu steuern und zu verwalten. Diese Aufgabe wird heutzutage mit Hilfe von IT-Systemen auf Basis einer modernen Informations- und Kommunikationstechnik realisiert. In den ERP-Systemen vorhandene Daten fließen in die Auswertungen mit ein. •• Big Data Analytics bezeichnet die Modelle, mithilfe derer aus den gewonnenen Daten Erkenntnisse gezogen werden [8]. Hierbei kann es sich beispielsweise um die Vorhersage von Ausfallzeitpunkten handeln, so dass erforderliche Instandhaltungsaktivitäten zeitgerecht disponiert werden können und die Abnutzungsvorräte der Einzelkomponenten vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit optimal ausgeschöpft werden. Am Markt gibt es ein vielfältiges Produktportfolio, welches sich von einzelnen Komponenten bis zu vollständigen IoT-Systemen erstreckt. Die Beschaffung vollständiger IoT-Systeme birgt die Gefahr, dass die Daten nur darin verwendet werden können. Dies kann dadurch bedingt sein, dass sie eigene Dateninfrastrukturen und Analyseplattformen bereitstellen und eine Bereitstellung an externe Systeme durch Schnittstellen vernachlässigt wird. Allerdings ist es essentiell, dass Daten möglichst breit zur Verfügung stehen und in beliebigen Systemen verwertbar sind. Wertschöpfung aus Daten endet nicht mit ihrer einmaligen Analyse. Es entstehen stets neue Anwendungsfälle, die eine Verknüpfung mit Daten aus anderen Systemen erfordern. Ebenso ist eine Kooperation verschiedener Akteure wichtig, da nur mehrere Betreiber gemeinsam eine größere Datenbasis schaffen, die bessere Ergebnisse liefern kann. Dies rückt bestehende rechtliche Hemmnisse in den Vordergrund. Rechtliche Grundlagen digitaler Geschäftsmodelle: Vertragliche Vereinbarungen Ist der Prozess der Fahrzeuginstandhaltung auf einer digitalen technologischen Basis umgesetzt, liegt eine wesentliche Voraussetzung für digitale Geschäftsmodelle vor. Allerdings sind die Hürden für die Umsetzung oftmals nicht nur technischer Natur. In der Praxis sind hierbei die Interessen verschiedener Stakeholder hinsichtlich der Datenbereitstellung zu berücksichtigen, was in Bild 2 hinsichtlich möglicher vertraglicher Interaktionen zwischen Fahrzeughersteller, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen dargestellt ist: •• Verkehrsunternehmen benötigen für die Abwicklung ihres Betriebs Fahrzeugflotten, die sie entweder selbst besitzen oder die ihnen von Dritten zur Nutzung bereitgestellt werden. •• Fahrzeughalter verantworten den sicheren Zustand der Schienenfahrzeuge. Für sie ist der revisionssichere Nachweis der Erfüllung ihrer Rechtspflichten wichtig. •• Fahrzeuginstandhalter (in Bild 2 nicht dargestellt) haben das Interesse einer möglichst wirtschaftlichen Durchführung der Instandhaltungsaktivitäten, bzw. der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Auftraggeber. •• Fahrzeughersteller: Fahrzeughersteller möchten ihre aus dem Produkthaftungsrecht resultierenden Rechtspflichten erfüllen. Sie möchten aus dem Betrieb Wis- Bild 1: Architektur von IoT-Systemen [5] Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 68 TECHNOLOGIE Maintenance sen für die konstruktive Auslegung zukünftiger Fahrzeuge erhalten. In diesem Geflecht unterschiedlicher Interessen müssen geeignete Regelungen zur Nutzung der im Betrieb der Schienenfahrzeuge entstandenen Daten betrachtet werden. Maschinendaten gewinnen vor allem dann einen besonderen Wert, wenn Geschäftsmodelle digitalisiert werden und Daten zur Geschäftsgrundlage werden. Dies ist in der Instandhaltung von Fahrzeugflotten der Fall. Insofern hat der Staat unterschiedliche gesetzliche Regelungen geschaffen, welche grundsätzlich Schranken für die Verwendung von Daten zwischen Privaten setzen. Die bestehenden rechtlichen Regelungen bilden jedoch den Gegenstandsbereich der Transaktion von Maschinendaten unzureichend ab [9]: •• Datenschutzrechtliche Bestimmungen: Die Datenschutz-Grundverordnung (DS- GVO) und ergänzende nationale Vorschriften gewähren einen besonderen Schutz für personenbezogene Daten (bspw. Informationen über eine natürliche Person, ihre Aktivitäten, ihren Aufenthaltsort und ihre Kontakte). Wird allerdings der konkrete Personenbezug durch Anonymisierung entfernt oder liegt kein Personenbezug vor, findet das Datenschutzrecht keine Anwendung. •• Schutz des geistigen Eigentums: Das Recht des geistigen Eigentums soll immaterielle Güter (bspw. Computersoftware) schützen. Damit soll dem Hersteller, der das immaterielle Gut entwickelt hat, eine vorrangige wirtschaftliche Verwertung seines Produktes sowie ein Schutz vor Nachahmung gesichert werden. Der gesetzliche Schutz des geistigen Eigentums greift jedoch regelmäßig nicht für einzelne Informationen. Ähnlich verhält es sich mit dem Patentschutz, da ein Datenbestand, der lediglich die erfindungsgemäß gewonnenen Erkenntnisse enthält, nicht unter den Patentschutz fällt. •• Schutz von Geschäftsgeheimnissen: Dem Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses soll die ungestörte profitable Nutzung eigener Innovationsaktivitäten und des damit erarbeiteten Informationsvorsprungs sichern. Allerdings stößt auch dieses Rechtsinstitut bei in Schienenfahrzeugen gewonnen Maschinendaten an seine Grenzen. Zum einen sieht das Gesetz nur einen möglichen Schutz von Informationen vor, einzelne Rohdaten wären damit wohl nicht vom Schutzbereich erfasst. Zum anderen dürfen produktimmanente Informationen durch Untersuchung frei auf dem Markt verfügbarer Produkte aufgedeckt (Reverse Engineering) und in der Folge weiterverwendet werden. •• Sachenrechtlicher Schutz: Das Sachenrecht für bewegliche Sachen im bürgerlichen Recht wurde geschaffen für eine exklusive Zuordnung von nicht beliebig multiplizierbaren Gegenständen, die durch Nutzung an Wert verlieren - dies spricht gegen eine Anwendung von Vorschriften zum Sacheigentum auf Daten. Das Sacheigentum des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) umfasst allerdings den Schutz von Datenträgern, da diese wiederum Sachen sind. Über den Eigentumsschutz an Datenträgern sind die darauf gespeicherten Daten mittelbar mitgeschützt. Die unbefugte Änderung oder Löschung von Daten ist daher als Eingriff in das Eigentum am Datenträger anzusehen, der zu Schadensersatz führen kann. •• Strafrechtsschutz: Das Strafrecht gewährt einen Schutz vor unberechtigtem Zugriff auf einen Datenbestand. Danach ist es verboten, Einrichtungen zum Schutz von Daten (z. B. Firewall oder Verschlüsselung) zu umgehen, um Zugriff auf die Daten zu erlangen. Verboten sind die unberechtigte Löschung, Veränderung, Beschädigung und Zerstörung von Daten. Geschütztes Rechtsgut ist die Datenintegrität und die ungehinderte Verfügungsmöglichkeit des Berechtigten über Daten, nicht aber die rechtliche Zuordnung von Daten oder die Vertraulichkeit einer Information. Das bloße Kopieren von nicht besonders gegen Zugriff gesicherten Daten ist daher nicht Tathandlung. Der strafrechtliche Schutz steht jedem berechtigten Dateninhaber zu. Berechtigter Dateninhaber ist derjenige, der die Speicherung von Daten unmittelbar durch Eingabe, durch Start eines Speicherprogramms oder durch bestimmungsgemäße Verwendung eines zur Datenerzeugung und -aufzeichnung bestimmten Gerätes bewirkt hat. Allein aus der Herstellung und dem Verkauf eines Gerätes zur Datenerzeugung kann - wenn eine entsprechende Vereinbarung fehlt - eine Berechtigung an den damit erzeugten Daten nicht abgeleitet werden. Maschinengenerierte Einzeldaten sind - wie die Darstellung zeigt - nicht umfassend gesetzlich geschützt. Da ein gesetzlicher Schutz für Daten und Informationen, die im Unternehmen erhoben werden, nur in wenigen Fällen bei Erfüllung besonderer Voraussetzungen besteht, bietet es sich zum anderen an, einen Schutz wertvoller Daten gegenüber Geschäftspartnern über Verträge zu etablieren. In Verträgen kann auch festgelegt werden, dass und unter welchen Bedingungen ein im Einzelfall anzuerkennendes Schutzrecht an Daten zugunsten des Vertragspartners aufgegeben wird. Digitale Geschäftsmodelle - der-Faktor Mensch „Never change a running system“ ist ein Satz, den sicher jeder schon einmal gehört hat. In der Natur des Menschen liegt es, dass er Veränderungen erst einmal skeptisch gegenübersteht. Der digitale Wandel von Fahrzeuginstandhaltungsprozessen ist auch in dieser Hinsicht kein Selbstläufer. Durch die Prozessdigitalisierung werden Arbeitsgewohnheiten der Mitarbeitenden in der Fahrzeuginstandhaltung verändert. Daher sollte die Digitalisierung möglichst durch Bild 2: Vertragsstruktur bei direkter Fahrzeugbeschaffung durch den Aufgabenträger und Herstellerinstandhaltung [10] Internationales Verkehrswesen (75) 2 | 2023 69 Maintenance TECHNOLOGIE ein aktives Veränderungsmanagement (Change Management) begleitet werden. Das Change Management eines Unternehmens koordiniert, organisiert und begleitet (Ver-)Änderungen aller Art in Betrieben. Nicht selten verstehen die Mitarbeitenden nicht, warum sie plötzlich etwas anders machen sollen als zuvor oder stellen in Frage, weswegen viel Geld investiert wird, um vermeintlich unnötige Veränderungen voranzutreiben. Zudem können Frustration und Ablehnung auf Seiten der Belegschaft steigen, sollten Prozesse bei der Einführung nicht sofort funktionieren oder im laufenden Prozess kleinere Anpassungen stattfinden müssen. Auch dass die Leistung der Abteilungen künftig transparenter und vergleichbarer gegenüber anderen Abteilungen gemacht wird, kann bei den Beteiligten zu Bedenken oder gar Angst führen. Um mit dieser Angst und Ablehnung gegenüber Veränderungen richtig umzugehen bzw. sie gar nicht erst aufkommen zu lassen, werden situativ verschiedene Methodiken im Change-Management eingesetzt. Beispiele umfassen: •• Ausreichende und umfassende Kommunikation: Das Change Management stellt sicher, dass alle Mitarbeitenden in den Instandhaltungswerken korrekt und in geeigneter Weise über die bevorstehenden Maßnahmen sowie den Grund bzw. den Zweck der Maßnahmen informiert werden. •• Einbindung und Akzeptanz: Bestmöglich sollten betroffene Mitarbeitende in die Erstellung des Anforderungskatalogs mit eingebunden werden, so dass sie zukünftige digitale Instandhaltungsprozesse aktiv mitgestalten. Dadurch wird die Akzeptanz für die Maßnahmen und Prozesse erhöht. •• Definition von Testphasen: Im Rollout- Plan neuer Maßnahmen sollten Testzeiten sowie isolierte Tests unter Realbedingungen berücksichtigt werden. Dadurch können auftretende Fehler schneller behoben werden, ohne dass diese Einfluss auf den gesamten Betriebsablauf ) des Instandhaltungswerks haben. •• Rückfallpläne: Durch aufgestellte Rückfallpläne bleibt die Belegschaft bei anfänglichen Problemen mit dem neuen System handlungsfähig. Zudem wird durch einen umfangreichen Plan ein Verständnis für eine Anlaufphase geschaffen. Bei der Einführung und Veränderung von Prozessen setzen viele Firmen bereits länger auf das Wissen und die Expertise erfahrener Change Management-Berater. Sie unterstützen und beraten bei der Umsetzung und verfügen über viel Praxiserfahrung um beurteilen zu können, wie eine Veränderung bestmöglich in einem laufenden Betrieb erfolgreich umgesetzt werden kann. Fazit Die Datenwertschöpfungskette reicht von der Erschließung von Datenquellen und dem Sammeln von Daten über die Speicherung von Daten, ihre Analyse und Auswertung, die Verknüpfung mit anderen Datenbeständen, die Herausfilterung bestimmter Datenmerkmale (z. B. Anonymisierung) bis hin zum Vergleich eines Datenbestandes mit Referenzdaten und zur Prüfung von Konsistenzen eines Datenbestandes. Technologisch können diese Aufgaben durch IoT-Plattformen und verbindliche Schnittstellenvorgaben gelöst werden. Um ein tragfähiges Geschäftsmodell aus der Verarbeitung von Daten für die Zwecke der vorausschauenden Instandhaltung zu machen, sind vertragliche Regelungen als Grundlage einer hersteller- und betreiberübergreifenden Dateninfrastruktur für die systematische Erhebung von Massendaten erforderlich. Nur auf diese Weise können Verbesserungspotenziale in Konstruktion und Instandhaltung von Schienenfahrzeugflotten datengetrieben identifiziert und in verfügbarkeitssteigernde Maßnahmen überführt werden. Die Berücksichtigung technischer und rechtlicher Rahmenbedingungen allein ist für den Erfolg der Prozessdigitalisierung notwendig, aber nicht hinreichend. Für eine nachhaltige Akzeptanz in der Belegschaft muss diese frühzeitig in die Veränderungsprozesse mit eingebunden werden. ■ LITERATUR [1] Richtlinie (EU) 2016/ 798 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über Eisenbahnsicherheit. [2] Durchführungsverordnung (EU) 2019/ 779 der Kommission vom 16. Mai 2019 mit Durchführungsbestimmungen für ein System zur Zertifizierung von für die Instandhaltung von Fahrzeugen zuständigen Stellen gemäß der Richtlinie (EU) 2016/ 798 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 445/ 2011 der Kommission. [3] Müller, T.; Nikutta, J. (2007): Sicherheitstechnische Aspekte bei der Optimierung der ICE-Instandhaltung. In: EI-Eisenbahningenieur 11, S. 18-22. [4] Durchführungsverordnung (EU) Nr. 402/ 2013 der Kommission vom 30. April 2013 über die gemeinsame Sicherheitsmethode für die Evaluierung und Bewertung von Risiken und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 352/ 2009. [5] Bock, U.; Schnieder, L. (2021): Predictive Maintenance von Schienenfahrzeugflotten . In: Verband Deutscher Eisenbahningenieure e.V. (Hrsg.), Eisenbahningenieurkompendium 2021. Erscheinungsdatum voraussichtlich 11/ 2021. [6] Bock, U.; Seifert, N.; Schnieder, L. (2015): “Always-on“ - Moderne Fahrzeug-IT als Basis für zukunftsweisenden Schienenpersonenverkehr . In: Eisenbahntechnische Rundschau 64, H. 7-8, S. 58-61. [7] Bock, U.; Schnieder, L.; Pal, D. (2020): Kriterien zur Auswahl von Architekturen für IoT-Plattformen zur prädiktiven Instandhaltung von Fahrzeugflotten im Schienenverkehr. 17. Internationale Schienenfahrzeugtagung, Dresden, 26.02.-28.02.2020. [8] Brandt, H.; Bock, U. (2018): Predictive Maintenance - IT gestützte Ermittlung flexibler Wartungszyklen für Fahrzeuge im Personenverkehr . In: Eisenbahntechnische Rundschau, H. 1/ 2, S. 58-62. [9] Bitkom e. V. (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.): Datennutzung für digitale Geschäftsmodelle Leitfaden zu Rechtsfragen und Vertragsgestaltung. Teil 1 - Gesetzliche Grundlagen. Berlin, 2021. [10] Schnieder, L. (2018): Strategisches Management von Fahrzeugflotten im öffentlichen Personenverkehr - Begriffe, Ziele, Aufgaben, Methoden. Berlin: Springer. Lars Schnieder, Prof. Dr.-Ing. habil. Chief Executive Officer, ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH, Braunschweig; Lehrbeauftragter an der RWTH Aachen und der TU Braunschweig lars.schnieder@ese.de