Internationales Verkehrswesen
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Von Mobilitäts-Apps und virtuellen Kundenzentren bis hin zu Mobilitätsplattformen und Mobilitätsbudgets: Der öffentliche Nahverkehr muss sich umfassend digitalisieren, um zukunftsfähig zu sein. Moderne
IT-Lösungen helfen dabei, schnell in die Digitalisierung einzusteigen und sie flexibel auszubauen.
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Internationales Verkehrswesen (75) 3 | 2023 64 MOBILITÄT Digitalisierung Die Kunden und das Klima wollen es Ticketing, Digitale Services, Mobilitätsplattform, Mobilitätsbudget Von Mobilitäts-Apps und virtuellen Kundenzentren bis hin zu Mobilitätsplattformen und Mobilitätsbudgets: Der öffentliche Nahverkehr muss sich umfassend digitalisieren, um zukunftsfähig zu sein. Moderne IT-Lösungen helfen dabei, schnell in die Digitalisierung einzusteigen und sie flexibel auszubauen. Martin Timmann A uch für den öffentlichen Nahverkehr führt heute kein Weg mehr an der Digitalisierung vorbei. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Einkaufen im Online- Shop, Bankgeschäfte per App erledigen, den Urlaub im Reiseportal buchen: Die Menschen sind heute aus allen Lebensbereichen digitale Services gewöhnt, deshalb betrachten sie es als Selbstverständlichkeit, auch mit ihren Verkehrsunternehmen digital interagieren zu können. Die Corona-Pandemie hat diese Erwartungshaltung noch einmal nachhaltig und unumkehrbar verstärkt. Hinzu kommt das Deutschlandticket. Es setzt öffentliche Verkehrsunternehmen einem ganz neuen Wettbewerb aus. Nur wenn sie ihren Kunden einen einfachen digitalen Weg zum Deutschlandticket eröffnen, können sie ihre Bestandskunden binden und Abo-Einnahmen sichern. Nicht zuletzt liegt die Digitalisierung des ÖPNV aber auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Digitale Services können Menschen die Nutzung alternativer Verkehrsmittel so einfach wie möglich machen und sie so dazu bringen, ihre Autos öfter stehen zu lassen. Das macht die Digitalisierung zu einem großen Hoffnungsträger für die Verkehrswende und den Kampf gegen den Klimawandel. Mobilitäts-App und Abo-Online- Service Konkret haben Verkehrsunternehmen zahlreiche Möglichkeiten zur Digitalisierung ihres Vertriebs - die wichtigste stellen Mobilitäts-Apps dar (Bild 1). Sind sie richtig konzipiert, ermöglichen sie Fahrgästen, intuitiv mit wenigen Klicks die gewünschten Tickets zu finden und zu buchen. Ein Ticketkatalog führt Kunden, die sich mit den Tarifen schon auskennen und genau wissen, welchen Fahrschein sie möchten, schnell zum Ziel. Eher sporadischen Fahrern ist dagegen mit einem Ticketkauf aus der integrierten Fahrplanauskunft heraus über die Start-Ziel-Anfrage am besten geholfen. Auch zu flexiblen ÖPNV-Angeboten wie etwa On-Demand-Shuttles können Mobilitäts-Apps einen unkomplizierten Zugang ermöglichen. Fahrgäste müssen nur den gewünschten Abfahrtszeitpunkt und das Ziel eingeben, dann werden ihnen - je nach umgesetztem Modell - unmittelbar die nächstgelegenen Abfahrtshaltestellen angezeigt oder sie werden an ihrem Wunschort abgeholt. Abos rund um die Uhr und völlig ortsunabhängig bestellen und verwalten: Das können Verkehrsunternehmen ihren Kunden mit Abo-Online-Services ermöglichen. Über virtuelle Self-Service-Kundenzentren können Fahrgäste am PC zuhause und im Büro oder unterwegs per Smartphone und Tablet ihre Fotos und Berechtigungsnachweise hochladen oder ihre Kunden- und Vertragsdaten umfassend verwalten. Auch die Ausgabe von Abos als Printticket oder mobiles Handyticket ist möglich. Bild 1: Als Kunde sein Abo rund um die Uhr und völlig ortsunabhängig verwalten - das geht mit Abo-Online- Lösungen. Quelle: HanseCom Internationales Verkehrswesen (75) 3 | 2023 65 Digitalisierung MOBILITÄT Mobilitätsplattform und Mobilitätsbudget Mobilität nicht nur von Haltestelle zu Haltestelle, sondern von Tür zu Tür, können Verkehrsunternehmen ihren Kunden mit Mobilitätsplattformen bieten. Dazu führen diese Plattformen alle erforderlichen Verkehrsmittel zentral zusammen: von klassischen ÖPNV-Angeboten wie Bus und Straßenbahn bis hin zu Leihfahrrädern, E-Scootern oder Carsharing-Autos. Dabei müssen gar nicht alle Angebote von den Verkehrsunternehmen selbst, sondern können auch von Drittanbietern stammen. Die Nutzer können auf alle Angebote mit einem einzigen digitalen Kanal wie etwa einer Moblitäts-App integriert zugreifen und sie flexibel zu kompletten Reiseketten kombinieren: etwa mit dem E-Scooter zur S-Bahn, mit der S-Bahn dann so nahe wie möglich zum Ziel und schließlich mit dem Leihfahrrad den Rest des Weges. Diese Mobilität von Tür zu Tür können sie ganzheitlich routen, buchen und bezahlen - mit einer einzigen Registrierung und ohne Absprünge in Systeme von Drittanbietern. Verkehrsunternehmen haben sogar die Möglichkeit, noch einen Schritt weiter zu gehen und Komplementärservices zu integrieren: beispielsweise regionale Dienste oder Stadtwerke-Services wie Parktickets oder Stromtanken und Eintrittskarten für Kulturveranstaltungen oder Sportaktivitäten. Dann haben die Nutzer die Möglichkeit, zusätzlich zur Reisekette auch gleich das Reiseziel mit zu buchen. Gewissermaßen die Business-Variante von Mobilitätsplattformen sind Mobilitätsbudgets. Sie erlauben es Unternehmen, im Rahmen ihres betrieblichen Mobilitätsmanagements eine attraktive und umweltfreundliche Alternative zum Firmenwagen anzubieten. Mit Mobilitätsbudgets können sich Mitarbeiter ebenfalls über eine einfache Oberfläche die situativ benötigte Mobilität integriert zusammenstellen. Neben dem ÖPNV und lokaler Mikromobilität haben sie dabei auch den Fernverkehr zur Auswahl, um ihre Geschäftsreisen abzudecken (Bild 2). Wichtig für den Erfolg von Mobilitätsbudgets ist sicher auch, dass die Mitarbeiter damit ähnliche Möglichkeiten zur privaten Nutzung haben, wie das bei Firmenwagen der Fall ist, also sie etwa auch in ihrer Freizeit nutzen oder ihre Familien mitnehmen können. Dazu müssen noch die entsprechenden Gesetze und steuerlichen Grundlagen angepasst werden. Lösungen für das Deutschlandticket Für das Deutschlandticket können Verkehrsunternehmen eigene Apps und Abo- Online-Services starten oder das Ticket in bereits vorhandene Lösungen integrieren. Sie können ihren Kunden dabei zwei Möglichkeiten bieten, das Deutschlandticket bei ihnen zu erwerben und die zugehörigen Abonnements zu verwalten: per Abo-Online oder mit der mobilen App. Unabhängig davon, welchen digitalen Vertriebsweg die Kunden wählen, können Verkehrsunternehmen ihnen das Ticket immer automatisch auf deren Smartphone-App ausgeben oder als Chipkarte zuschicken. Betreiben Unternehmen bereits eine Mobilitätsplattform oder unterstützen Mobilitätsbudgets, sollten sie das Deutschlandticket in diese Angebote integrieren. Wenn ein Nutzer eine individuelle Reisekette routet und das Deutschlandticket abonniert hat, sollte automatisch ermittelt werden, welche Fahrten und Teilstrecken damit bereits abgedeckt sind. Um ihre Attraktivität als Anbieter des Deutschlandtickets weiter zu erhöhen, haben Verkehrsunternehmen außerdem die Möglichkeit, es mit regionalen Zusatzangeboten zu erweitern und ebenfalls digital zur Verfügung zu stellen. Das können etwa Erste-Klasse-Upgrades, Fahrradkarten, regionale Mitnahmeregelungen oder vergünstigte Drittmobilität wie Bike-Sharing sein. Schnell starten und flexibel ausbauen Verkehrsunternehmen muss vor der Einführung digitaler Services nicht bange sein. Der Markt bietet ihnen moderne, zukunftssichere Lösungen, die sich mit geringem Aufwand implementieren und flexibel erweitern lassen. So haben sie beispielsweise die Möglichkeit, sich nach dem Baukasten- Prinzip eine Mobilitäts-App zusammenzustellen und schnell damit zu starten. Diese App können sie dann Schritt für Schritt zu einer umfassenden Mobilitätsplattform ausbauen. Eine geeignete Lösung bringt dazu alle klassischen Funktionen wie Nutzer-Payment- und Tarifmanagement sowie VDV- KA-konformes Ticketing mit und kombiniert diese mit modernsten Technologien. Dazu zählen etwa Identity Management, Push- und Notification-Services oder Portale für Kunden und Verkehrsunternehmen. Ein integrierter MaaS-Hub (Mobility as a Service) ermöglicht es Verkehrsunternehmen, unterschiedlichste Mobilitätsanbieter für Car-Sharing, Elektro-Scooter, Leihfahrräder oder On-Demand-Shuttles per Tiefenintegration einzubinden. Über einen speziellen Info-Service lassen sich damit dann multi- und intermodale Routen berechnen. Das ermöglicht es Endnutzern, mit ihrer App Verbindungen über alle verfügbaren Modalitäten hinweg zu suchen, zu buchen und abzurechnen. Einfacher kann man ÖPNV nicht machen. ■ Martin Timmann Geschäftsführer, HanseCom, Hamburg hallo@hansecom.com Bild 2: Mit Mobilitätsbudgets können sich Mitarbeiter über eine einfache Oberfläche die situativ benötigte Mobilität integriert zusammenstellen. Quelle: HanseCom; iStock.com/ TommL
