Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0069
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Der LKW als Melkkuh der Bahn
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Alexander Eisenkopf
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Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 9 Alexander Eisenkopf KONTRAPUNKT Der LKW als Melkkuh der Bahn J etzt wird die LKW-Maut auf Bundesfernstraßen doch noch zum 01.12. um einen CO 2 -Aufschlag in Höhe von 200 EUR je Tonne CO 2 angehoben. Da die Eurovignettenrichtlinie vom März 2022 eine CO 2 -bezogene Differenzierung der Maut für schwere Nutzfahrzeuge vorsieht, besteht hier auch grundsätzlich Handlungsbedarf - allerdings nicht zum 01.12.2023 und nicht in der Größenordnung eines CO 2 -Preises von 200 EUR je Tonne. Zusammen mit der aus europarechtlicher Sicht erst 2027 zwingenden Bemautung von Fahrzeugen über 3,5 t werden die Mehreinnahmen infolge der Mauterhöhung auf rund 7,6 Mrd. EUR p.a. geschätzt - über 80 Prozent des bisherigen Aufkommens. Laut offizieller Lesart will die Bundesregierung mit der CO 2 - Maut den Umstieg auf klimaneutrale Antriebe beschleunigen. Tatsächlich dürfte es sich eher um die Etablierung einer zusätzlichen ergiebigen Finanzierungsquelle für die Sanierung der notleidenden Schieneninfrastruktur handeln. Nach den letzten Meldungen sollen die geschätzten Mehreinnahmen von rd. 30 Mrd. EUR bis 2027 zu 40 % in die Schiene fließen. Der unter Minister Ramsauer etablierte Finanzierungskreislauf Straße ist damit Schnee von gestern. Dieser hatte ermöglicht, den Investitionshochlauf bei den Bundesfernstraßen ab 2015 fast vollständig aus Mautmitteln zu finanzieren. Die Größenordnung der bevorstehenden Mauterhöhung, die Margen der Güterkraftverkehrsunternehmen und die Anbieterstruktur in diesem Markt lassen erwarten, dass die zusätzlichen Mautkosten nahezu vollständig auf die Verlader und deren nachgelagerte Branchen überwälzt werden. Faktisch handelt es sich bei der Maßnahme daher um eine „Transportsteuer“, die zwar bezogen auf einen Joghurtbecher oder eine Flasche Wein beim Endkonsumenten kaum spürbar ist, aber in Einzelfällen, z. B. bei Massengütern und Baustoffen durchaus relevante Preissteigerungen bedeuten kann. Dies gilt insbesondere angesichts der plausiblen Prognose, dass eine spürbare Verlagerung von Verkehren mangels entsprechender Kapazitäten und wettbewerbsfähiger Angebote der Schiene Wunschdenken ist. Auch ein Umstieg auf „emissionsfreie“ elektrische schwere Nutzfahrzeuge dürfte nicht in der imaginierten Weise stattfinden. Diese sind zwar bis Ende 2025 von der Mautpflicht befreit, aber am Markt in absehbarer Zeit nur in homöopathischen Dosen verfügbar und zweibis dreimal so teuer wie ein konventioneller LKW. Von der Einsatztauglichkeit im Fernverkehr mangels geeigneter Ladeinfrastruktur ganz zu schweigen. Mit großer Genugtuung wird die Mauterhöhung bei der Schienenlobby aufgenommen. Man sieht ein „Riesenpotenzial für die Verkehrswende“ (Allianz pro Schiene) und einen „wichtigen Schritt in Richtung Kostenwahrheit im Güterverkehr“ (Netzwerk Bahnen). Allerdings hat die zukünftige Maut nur wenig mit Kostenwahrheit zu tun. Schwere Nutzfahrzeuge zahlen auf der Basis problematischer Wegekostenrechnungen sogar noch kalkulatorische Zinsen auf das im Bundesfernstraßennetz gebundene Kapital sowie zusätzlich KFZ- und Kraftstoffsteuern bzw. die CO 2 -Abgabe nach dem Brennstoffhandelsgesetz, wenn sie in Deutschland tanken. Angesichts eines CO 2 -Preises von derzeit 85 bis 90 EUR je Tonne im europäischen Emissionshandelssystem scheint ein Betrag von 200-EUR vor allem finanzpolitisch motiviert. Im Sinne der Einnahmenerzielung wurde auch die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag verdrängt, eine Doppelbelastung durch den nationalen CO 2 - Preis zu vermeiden. Auch an die perspektivisch anstehende Einbeziehung des Verkehrs in den europäischen Emissionshandel, die ja das klimapolitisch gebotene Instrument ist, hat man nicht gedacht. Kostenwahrheit heißt zunächst einmal, dass die fiskalisch relevanten Infrastrukturkosten gedeckt werden. Hier sieht es bei der Schiene eher mau aus. Der weit überwiegende Teil der in die Infrastruktur fließenden Mittel wurde und wird à fonds perdu finanziert und taucht in der Kalkulation der Trassenpreise folglich überhaupt nicht auf. Die letzte verkehrsträgerübergreifende Wegekostenrechnung für das Jahr 2007 bezifferte den Wegekostendeckungsgrad des Schienengüterverkehrs auf 11 %. Angesichts der in den letzten Jahren vom Bund gezahlten Trassenpreissubventionen dürfte dieser aktuell eher gegen Null gehen, während der LKW seine Wegekosten vollumfänglich deckt. Anstatt den Straßengüterverkehr weiter zu diskreditieren, sollte sich die Bahnbranche daher über jeden LKW-Kilometer freuen. Der Wettbewerb zahlt zuverlässig und pünktlich, solange die Trucks rollen. ■ Prof. Dr. rer. pol. Alexander Eisenkopf zu aktuellen Themen der Verkehrsbranche
