eJournals Internationales Verkehrswesen 75/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0079
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2023
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Auswirkungen des Klimawandels auf Binnenschifffahrt und regionale Wirtschaft

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2023
Lukas Eiserbeck
Mark  Braun
Dirk Wittowsky
Maik Luksch
Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen beeinflussen bereits heute sämtliche Lebensbereiche. Dieser Einfluss wird sich zukünftig noch intensivieren, wodurch die Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen überproportional ansteigt. Das Projekt R2K-Klim+ beschäftigte sich in den vergangenen drei Jahren mit der Abbildung dieser Auswirkungen auf das Rheineinzugsgebiet und die Stadt Duisburg sowie mit potenziellen Maßnahmen zur Klimaanpassung. Unter anderem untersuchte es strukturelle Veränderungen der Binnenschifflogistik, die durch längere und intensivere Niedrigwasserphasen entstehen.
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Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 44 Auswirkungen des Klimawandels auf Binnenschifffahrt und regionale Wirtschaft Auf welche Veränderungen muss sich die Logistikbranche am-Rhein einstellen? Binnenschifffahrt, Klimawandel, Klimafolgenanpassung, Regionalwirtschaft, Lieferketten, Verkehrsentwicklung Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen beeinflussen bereits heute sämtliche Lebensbereiche. Dieser Einfluss wird sich zukünftig noch intensivieren, wodurch die Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen überproportional ansteigt. Das Projekt R2K-Klim+ beschäftigte sich in den vergangenen drei Jahren mit der Abbildung dieser Auswirkungen auf das Rheineinzugsgebiet und die Stadt Duisburg sowie mit potenziellen Maßnahmen zur Klimaanpassung. Unter anderem untersuchte es strukturelle Veränderungen der Binnenschifflogistik, die durch längere und intensivere Niedrigwasserphasen entstehen. Lukas Eiserbeck, Mark Braun, Dirk Wittowsky, Maik Luksch D ie Stadt Duisburg ist wie andere Kommunen in Deutschland auch von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Langen Trockenperioden und damit verbundenen Niedrigwasserereignissen im Rhein auf der einen Seite stehen Überflutungen infolge von Starkniederschlägen und Hochwasser gegenüber. Hierbei treten sowohl Personen- und Umweltschäden als auch Beeinträchtigungen in der Binnenschifffahrt und Industrie auf. Im Sommer nimmt die thermische Belastung für die Bevölkerung in den dicht bebauten und versiegelten Siedlungsgebieten zu, sodass sich die Stadt an die Folgen des Klimawandels anpassen muss. Hierfür hat das im Rahmen der BMBF-Förderbekanntmachung „RegIKlim - Regionale Informationen zum Klimahandeln“ geförderte Projekt „Strategisches Entscheidungsunterstützungstool zur Anpassung an den Klimawandel auf regionaler und kommunaler Ebene im Rhein-Einzugsgebiet - R2K- Klim+“ (FKZ 01LR2008A-F) seit Juni 2020 den Grundstein gelegt. Das Projekt R2K-Klim+ Das interdisziplinär besetzte Konsortium erarbeitete hierfür eine integrierte und ganzheitliche Entscheidungsunterstützung zur Klimaanpassung im kommunalen Verwaltungshandeln. Die Konsortialpartner führten Vulnerabilitätsanalysen für ausgewählte Faktoren durch, um klimawandelbezogene Einflüsse im Rheineinzugsgebiet und in Duisburg hinsichtlich ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Aus- und Wechselwirkungen auf das Gesamtsystem zu untersuchen. Die dezentral generierten Ergebnisse wurden einem zentral gesteuerten Entscheidungsunterstützungssystem (EUS) zugeführt, das kommunalen Entscheidungstragenden als transparente und nachvollziehbare Handlungsgrundlage für Investitionsentscheidungen dienen soll. Foto: Daniels Fotowelt / pixabay LOGISTIK Klimawandel Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 45 Klimawandel LOGISTIK Das Forschungsprojekt wurde vom Forschungsinstitut für Wasserwirtschaft und Klimazukunft an der RWTH Aachen e. V. (FiW) koordiniert. Weitere Partner des Konsortiums waren die Ingenieurgesellschaft Dr. Siekmann und Partner mbH, die geomer GmbH, das Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung (RISP) e. V. an der Universität Duisburg-Essen und das Forschungsinstitut für Ökosystemanalyse und -bewertung an der RWTH Aachen (gaiac) e. V., die sich u. a. mit den Themen Hydrologie, Hydraulik, Dürre, urbaner Hitze sowie der Konzeptionierung des EUS beschäftigten. Die Stadt Duisburg begleitete alle Entwicklungsschritte aus anwendungsorientierter Perspektive. Im Unterauftrag von FiW und Stadt Duisburg waren die Prognos AG für die Modellierung regionalökonomischer Effekte bei Niedrigwasser und das Zentrum für Logistik und Verkehr (ZLV) an der Universität Duisburg-Essen für die Analyse der Auswirkungen auf den innerstädtischen Verkehr verantwortlich. Die Ergebnisse der Themenfelder Wirtschaft und Verkehr werden im Zuge dieses Artikels näher ausgeführt. Pegel Kaub - Nadelöhr vor allem für die Chemie- und Mineralölindustrie Der Rhein ist Deutschlands wichtigste Binnenwasserstraße: Von den in Deutschland insgesamt 182 Millionen per Binnenschiff transportierten Tonnen wurden im Jahr 2022 etwa 85 % auf dem Rhein befördert [1]. Damit hat der Rhein für das deutsche und europäische Transportsystem zwar eine herausragende Bedeutung, im langjährigen Mittel nimmt die Menge der auf dem Rhein gehandelten Güter jedoch ab (siehe Bild 1). Dies hängt unter anderem mit den häufiger und intensiver auftretenden Niedrigwasserereignissen der vergangenen Jahre zusammen. Im Jahr 2018 meldete BASF einen auf das Niedrigwasser und seine Konsequenzen zurückführbaren operativen Verlust von 250 Mio. EUR an [2] - auf ganz Deutschland gerechnet ergaben sich Rückgänge in der Industrieproduktion von ca. 1,5 % [3]. Um für die Zukunft Aussagen zu möglichen Niedrigwasserfolgen im Kontext der Klimakrise treffen zu können, wurde mittels einer Regressionsanalyse der Einfluss eines zusätzlichen Niedrigwassertages an einem bestimmten Pegelpunkt auf die in diesem Monat per Binnenschiff über den Pegel gehandelte Gütermenge aus der Vergangenheit bestimmt. Das Einzugsgebiet des Rheins bzw. seiner handelsintensiven Zuflüsse (Saar/ Mosel, Main, Neckar, Ruhr) wurde dabei in 15 Regionen unterteilt, die durch ihre Lage in Relation zu den drei transportzonenbestimmenden Pegelpunkten Emmerich, Duisburg-Ruhrort und Kaub gekennzeichnet sind [4]. Die Ergebnisse der Regression wurden anschließend auf zwei verschiedene, dem RCP 8.5-Szenario entsprechende Niedrigwasserszenarien (eines mit moderater, eines mit extremer Ausprägung) angewendet. Die so ermittelten Elastizitäten veränderter Transportmengen wurden anschließend auf Basis des regionalökonomischen Modells REGINA der Prognos AG in eine pro Region erstellte Input-Output-Tabelle eingespielt [5]. Diese Input-Output-Tabelle erlaubt Aussagen zu den Verflechtungen von Wirtschaftszweigen untereinander, sowie zur Entstehung des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes. Die Ergebnisse der Modellierung zeigen, dass in einem extremen Niedrigwasserjahr bis zu 10,2 Millionen Tonnen an Lieferungen via Binnenschiff ausbleiben könnten, während es im moderaten Szenario immerhin noch 3,8 Millionen Tonnen wären. Dies entspricht in etwa 6,5 % bzw. 2,5 % der Gütermenge, die im Jahr 2022 per Binnenschiff auf dem Rhein gehandelt wurde. Besonders stark betroffen von diesen Transportrückgängen sind die industriestarken Regionen entlang des Rheins, wie Duisburg, Mannheim-Ludwigshafen, Köln und das Rhein-Main-Gebiet. Es zeigt sich darüber hinaus, dass insbesondere der Pegel Kaub, der gemeinhin als das „Nadelöhr“ in der Rheinschifffahrt gilt, einen extremen Einfluss auf die gehandelte Gütermenge besitzt. Dies lässt sich deutlich an einem Vergleich der beiden Regionen Mannheim-Ludwigshafen und Duisburg erkennen: Im Extremszenario könnte Mannheim-Ludwigshafen einen Produktionswertverlust von bis zu 1,1 Mrd. EUR, einen Wertschöpfungsverlust von 240 Mio. EUR und einen Verlust von 1.700 Arbeitsplätzen erleiden. Im Vergleich dazu sind die Auswirkungen in Duisburg mit einem Produktionswertverlust von lediglich 50 Mio. EUR, einem Wertschöpfungsverlust von 10 Mio. EUR und dem Verlust von 120 Arbeitsplätzen deutlich geringer, obwohl in beiden Regionen eine ähnlich hohe Abhängigkeit von der Binnenschifffahrt besteht. Betrachtet man die Auswirkungen des Niedrigwassers auf das gesamte Rheineinzugsgebiet, so zeigt sich, dass der Produktionswert in einem dem Extremszenario entsprechenden Jahr um bis zu 3,4- Mrd. EUR zurückgehen könnte, was Wertschöpfungsverluste von 800 Mio. EUR - 50 100 150 200 250 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 in Millionen Tonnen Entwicklung der Güterbeförderung der Binnenschifffahrt in Deutschland und auf dem Rhein Güterbeförderung Binnenschifffahrt Rhein Güterbeförderung Binnenschifffahrt Deutschland Bild 1: Entwicklung der Güterbeförderung der Binnenschifffahrt in Deutschland und auf dem Rhein [1] (in Mio. € für ein extremes Niedrigwasser) Herstellung von chemischen Erzeugnissen Logistik und Handel Ver- und Entsorgung Kokerei und Mineralölverarbeitung Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitswesen Baugewerbe Sonstige Mio. € Bild 2: Verteilung der Wertschöpfungsrückgänge eines extremen Niedrigwassers am Rhein auf die Branchen Eigene Darstellung und Berechnung auf Basis des Modells REGINA Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 46 LOGISTIK Klimawandel und den Verlust von etwa 8.000 Arbeitsplätzen nach sich ziehen würde. Selbst in einem moderaten Niedrigwasserjahr wären immer noch Verluste des Produktionswertes von bis zu 1 Mrd. EUR möglich, mit einem Wertschöpfungsverlust von 480 Mio. EUR und dem Verlust von 4.700 Arbeitsplätzen. Große Disruptionen aus Branchenperspektive werden insbesondere auf die Chemiebranche, sowie die Logistikbranche selbst zukommen, die sich in Form von erheblichen Wertschöpfungsverlusten und einem Erwerbstätigenrückgang zeigen werden (siehe Bild 2). Darüber hinaus steht auch die Branche der Kokerei und Mineralölverarbeitung vor zusätzlichen strukturellen Umbrüchen - hier ist die relative Betroffenheit aufgrund der überproportional hohen Abhängigkeit vom Binnenschiff als Verkehrsträger am höchsten: Bis zu 10 % der Wertschöpfung und der Erwerbstätigen können hier im Extremszenario wegfallen, und selbst in einem moderaten Szenario sind Rückgänge je nach Region um bis zu 4 % möglich. Auch wenn das betrachtete Szenario nur den obersten von vielen möglichen Entwicklungspfaden aufzeigt, ist die Tendenz zur zukünftigen Zunahme von Niedrigwasserereignissen im Rhein eindeutig. Die Modellergebnisse stellen zudem nur die Auswirkungen eines einzelnen Jahres dar. Selbst wenn sich über einen längeren Zeitraum nur moderate Niedrigwasserjahre entfalten sollten, so ist der kumulierte Effekt bis zur Mitte des Jahrhunderts immer noch erheblich und stellt die Logistiksowie die Industriebranchen am Rhein vor große strukturelle Herausforderungen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden daher insbesondere in Städten wie Duisburg, die sowohl industrieals auch logistikintensiv wirtschaften sichtbar und können zu Verschiebungen im Wirtschaftsaber auch Verkehrssystem führen. Niedrigwasser führt lokal zu einem höheren Verkehrsaufkommen Die Stadt Duisburg befindet sich seit Jahrzehnten in einem Strukturwandel vom ehemals dominierenden Montanbereich zu neuen industriellen Strukturen, von Großunternehmen zum Mittelstand, vom produzierenden Gewerbe zu Logistik, Handel und Dienstleistungen. Infolge dieses Wandels hat sich die Stadt zu einem Standort mit großräumiger Bedeutung für den Güterverkehr entwickelt [6]. Die zuverlässige Verkehrsinfrastruktur ist für die Stadt Duisburg Voraussetzung für die Sicherung des Logistikstandorts und die reibungslose Versorgung von Personen und Unternehmen mit Lebensmitteln, Gütern und Rohstoffen [7, 8]. Einen entscheidenden Beitrag leistet hierbei der Duisburger Hafen als größter Binnenhafen Europas mit Seehafenstatus. Neben der Binnenschifffahrt weist die Stadt aber auch einen überdurchschnittlichen Anteil der Eisenbahn am Güterverkehr auf, der durch ein dichtes Autobahnnetz in der Stadt bzw. ihrem Umfeld ergänzt wird. Trifft ein klimawandelbedingtes Extremereignis mit seinen Folgen auf diese Wertschöpfungsbzw. Logistikkette, so sind modale, zeitliche und räumliche Verlagerungen mögliche Anpassungsstrategien im Logistiksektor. Den größten wirtschaftlichen Einfluss für die Untersuchungsregion Duisburg hat das Klimasignal Niedrigwasser, bzw. eine eingeschränkte Schiffbarkeit des Rheins und der Ruhr. Im Fall von Niedrigwasser ist eine räumliche Verlagerung aufgrund der Gebundenheit an die Schifffahrtswege praktisch ausgeschlossen. Eine zeitliche Verlagerung ist durch die zeitkritische Natur der Logistikwirtschaft eine probate, dennoch suboptimale Adaption. Idealerweise wird eine modale Verlagerung durchgeführt, die aber durch fehlende Alternativen und Planungskapazitäten gehemmt wird. In der Folge kommt es zu Transportstauungen im Hafengebiet, einem sich verzögernden Vor- und Nachlauf im LKW-Verkehr, einer eingeschränkten Transportsicherheit (z. B. Einhaltung von Fristen), Mehrkosten durch einen höheren Planungs- und Logistikaufwand sowie einer Überbeanspruchung von Lagerkapazitäten [9]. Für die Modellierung der niedrigwasserbezogenen Verlagerungseffekte werden die Jahre 2016 und 2018 hinsichtlich vorhandener Verkehrsdaten verglichen. Als Input betrachten wir die transportierten Güter in Tonnen je Monat, je Verkehrsträger, je Gutart (nach NST-2007) in Deutschland. Für den Vergleich werden die Jahre 2016 und 2018 verwendet, da es zwischen den jeweiligen Jahren keine relevante Veränderung für logistische Verkehre gab, bis auf die Zunahme der Intensität und Dauer der Niedrigwasserphase - diese war in 2018 in den Monaten August bis November extrem ausgeprägt. Für die Modellannahme gilt, dass sämtliche Änderungen des Modal-Splits und der Gütermengen in den IST-Daten zwischen den beiden Jahren auf das Niedrigwasser zurückzuführen sind. Technische Neuerungen, Logistiktrends und andere klimatische Faktoren werden für den Vergleich in dieser kurzen Zeitspanne nicht betrachtet. Aus den transportierten Gütermengen der Verkehrsträger Schiff, Schiene und Straße wird die anteilige Transportleistung in Prozent und für die Jahre 2018 und 2016 die modale Veränderung bestimmt (siehe Bild 3). Die Ergebnisse der modalen Veränderung werden abhängig der Gutart nach NST-2007, dem Verkehrsträger und dem Monat dargestellt. Die verlagernden NST07 Abteilungen B1 (Erzeugnisse der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei), B5 (Kokerei- und Mineralölerzeugnisse) und B6 (Chemische Erzeugnisse, Mineralerzeugnisse) weisen im Durchschnitt Lager für Rohstoff- und Vormaterialbestände von 1,68 Wochen bis 3,17 Wochen auf [10]. Aufgrund der Wirtschaftlichkeit in Bezug auf die Transportkosten ist eine größere Abnahmemenge vorteilhaft. Für die Berechnung der Mehrmengen wird angenommen, dass die Gütermenge von einer Woche auf fünf Werktage verlagert wird. Ferner wird von einer Betroffenheit der jeweiligen Gutart ausgegangen, sofern der gemittelte prozentuale Anteil des Schiffes im Betrag über einem Prozentpunkt liegt. Die Veränderung der anteilig transportierten Gütermenge des Binnenschiffs wird anschließend gewichtet auf Straße und Schiene aufgeteilt, wodurch man die anteilige Verlagerung der ausbleibenden Gütermenge auf die beiden jeweiligen Verkehrsträger erhält (siehe Bild 3). Für die Übersetzung in LKW-Verkehre wird abhängig von der NST-Klasse ein repräsentativer LKW-Typ gewählt (konventioneller Sattelzug und Tank-Sattelzug) [11]. In Abhängigkeit der durchschnittlichen Entfernungsbereiche und Ladungsmengen pro beladenem LKW kann so die effektive Anzahl an LKW bestimmt werden, die den Hafen als Zielort haben. Die Verflechtungsprognose 2030 [12] gibt an, dass 96,3 % aller Deutschland übergreifenden Binnenschiffverkehre Duisburg als Zielverkehr ausweisen. 3,7 % aller Güter werden dort lediglich Bild 3: Prozentuale, anteilige Verlagerung der ausbleibenden Gütermengen nach Verkehrsträger, NST-Klasse und Monat Eigene Darstellung und Berechnung Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 47 Klimawandel LOGISTIK umgeschlagen und müssen folglich nicht im Modell umgelegt werden. Im Verkehrsmodell werden die ausbleibenden Gütermengen auf Basis der oben beschriebenen Daten abgebildet und mithilfe der vorangegangenen Annahmen als LKW-Mehrbelastung durch die Erhöhung der Nachfrage auf das Straßennetz umgelegt. Hierfür wurden die verkehrserzeugenden Bezirke am Duisburger Hafen identifiziert und die Mehrbelastung entsprechend der Nachfrage der Bezirke gewichtet. In der Modellierung wird angenommen, dass fünf Tage Niedrigwasser in den tatsächlich verlagernden NST-Klassen über den LKW substituiert werden. Dies entspricht einer Anzahl von 599 LKW. Die Mehrbelastung (siehe Bild 4, ca. 200 LKW/ d) wird hauptsächlich über die A40 und A59 verlagert. Zusätzlich wird ein Teil aus dem Norden (>200 LKW/ d) über die A59, Abfahrt DU- Ruhrort und anschließend über die Straße „Am Nordhafen“ geführt (siehe Bild 4). Diese Mehrbelastung wird unweigerlich das vorhandene überlastete Verkehrssystem weiter belasten und es wird zu Staus und Verkehrsverzögerungen bzw. höheren Emissionen im Stadtgebiet kommen. Niedrigwasserphasen haben somit einen starken Einfluss auf die Wertschöpfungskette und die damit verbundenen vor- und nachgelagerten Transporte. Durch die klimawandelbedingte erwartete Zunahme von Niedrigwasserphasen zeigt sich folglich ein dringender Handlungsbedarf zur Anpassung des Transport- und Logistiksystems auf diese geänderten Rahmenbedingungen, beispielsweise durch die Erhöhung von kurz-/ mittelfristigen Lagerkapazitäten, Ausbau von KV-Terminals, oder firmenübergreifende Kooperationen. Der Klimawandel erhöht den Transformationsdruck in der Branche weiter Vergleicht man die Ergebnisse der ökonomischen Modellierung der Niedrigwasserphasen für Duisburg mit den Folgen für andere Regionen südlich des Pegels Kaub, insbesondere unter Betrachtung der hohen Bedeutung des Logistiksektors für die Stadt, so zeigt sich eine vergleichsweise geringe Betroffenheit der Stadt. Nichtsdestotrotz kann bereits diese leichte Betroffenheit zu Disruptionen im Verkehrssektor, zu Staus und Verzögerungen auf Ausweichbzw. Umlegungsstrecken führen. Darüber hinaus zeigen sich derzeit ohnehin zahlreiche Umbrüche in der Logistikbranche, beispielsweise im Bereich der Dekarbonisierung oder dem Fachkräftemangel, auf die die Logistik entsprechend reagieren muss. Der Klimawandel und die Anpassung an dessen Folgen fügen diesen bestehenden Herausforderungen noch eine weitere Ebene hinzu und müssen in der Transformation stetig mitgedacht werden. Das Forschungsprojekt R2K-Klim+ wird sich in seiner zweiten Phase bis Ende 2026 intensiv mit der weiteren Erforschung dieser Zusammenhänge auseinandersetzen und Maßnahmen entwickeln und bewerten, um die Anpassung an die Klimawandelfolgen in Duisburg, dem Rheineinzugsgebiet und dem Logistiksystem durch informierte und datengetriebene Entscheidungen voranzubringen. ■ LITERATUR [1] Destatis (2022): Güterverkehrsstatistik der Binnenschifffahrt. www. destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Transport- Verkehr/ Gueterverkehr/ Publikationen/ Downloads-Schifffahrt/ statistischer-bericht-binnenschifffahrt-2080400221095.html (Abruf: 30.08.2023). [2] Chemietechnik.de (2018): Bis 20 % Rückgang: BASF senkt Ergebnisprognose für 2018.www.chemietechnik.de/ markt/ bis-20-rueckgang-basf-senkt-ergebnisprognose-fuer-2018.html (Abruf: 07.09.2023). [3] Ademmer, M.; Jannsen, N.; Mösle, S. (2020): Extreme weather events and economic activity: The case of low water levels on the Rhine river, Kiel Working Paper, No. 2155. [4] Contargo (2017): Kleinwasser. www.Contargo.net/ assets/ pdf/ Kleinwasser_Info-2017-DE.pdf (Abruf: 07.09.2023). [5] Prognos AG (2023): Die Prognos-Modelllandschaft. www.prognos. com/ de/ modelle-tools/ modelle (Abruf: 07.09.2023). [6] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2021): Raumordnungsbericht 2021. Wettbewerbsfähigkeit stärken. Bonn. [7] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (2022): Transport und Verkehr. www.bbk.bund.de/ DE/ Themen/ Kritische- Infrastrukturen/ Sektoren-Branchen/ Transport-Verkehr/ transportverkehr_node.html (Abruf: 05.12.2022). [8] Buth, M.; Kahlenborn, W.; Savelsberg, J.; Becker, N.; Bubeck, P.; Kabisch, S., et al. (2015): Vulnerabilität Deutschlands gegenüber dem Klimawandel. Dessau-Roßlau. www.umweltbundesamt.de/ sites/ d e f a u l t / f i l e s / m e d i e n / 3 7 8 / p u b l i k a t i o n e n / c l i m a t e _ change_24_2015_vulnerabilitaet_deutschlands_gegenueber_ dem_klimawandel_1.pdf (Abruf: 05.12.2022). [9] Eigene Erhebung im Rahmen des BMBF-Projektes R2K-Klim+. [10] Seiler, C.; Wohlrabe, K.; Wojciechowski, P. (2014): Konjunkturtest im Fokus: Lagerbestand und Reichweite der Aufträge in der Industrie - ein Vergleich. ifo Institut. www.ifo.de/ DocDL/ ifosd_2014_21_4. pdf (Abruf: 31.07.2023). [11] BMVI (2016): Entwicklung eines Modells zur Berechnung von modalen Verlagerungen im Güterverkehr für die Ableitung konsistenter Bewertungsansätze für die Bundesverkehrswegeplanung. https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ G/ BVWP/ bvwp-2015-mod a l w a h l z e i tz u v e r l a e s s i g k e i tg u e t e r v e r k e h r. p d f ? _ _ blob=publicationFile (Abruf: 25.04.2023). [12] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030 Los 3: Erstellung der Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen unter Berücksichtigung des Luftverkehrs. http: / / daten.clearingstelle-verkehr. de/ 276/ 1/ verkehrsverflechtungsprognose-2030-schlussberichtlos-3.pdf (Abruf: 31.07.2023). Dirk Wittowsky, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Leiter Instituts für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg- Essen dirk.wittowsky@uni-due.de Maik Luksch Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Mobilitäts- und Stadtplanung, Universität Duisburg-Essen maik.luksch@uni-due.de Mark Braun Projektkoordinator, Forschungsinstitut für Wasserwirtschaft und Klimazukunft, RWTH Aachen braun@fiw.rwth-aachen.de Lukas Eiserbeck Projektleiter Umwelt-, Kreislaufwirtschaft und Klimawandel, Prognos AG lukas.eiserbeck@prognos.com Bild 4: Visualisierung der niedrigwasserbedingt veränderten Transportströme im PTV-Visum- Verkehrsmodell der Stadt Duisburg Eigene Darstellung und Berechnung basierend auf dem PTV-Visum-Verkehrsmodell der Stadt Duisburg