Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0082
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Bitte weitersagen!
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Caroline Hasenbalg
Ricarda Rex
Susanne Schween
Natalie Schneider
Anna Helfers
Carsten Sommer
Im Rahmen des Projekts EMILIA – Entwicklung eines pandemieresistenten ÖPNV wurde u. a. untersucht, wie Verkehrsunternehmen kommunikativ auf die Anliegen der Fahrgäste reagieren können. Mit Fokus auf
der Stammkundschaft wurde gemeinsam mit der Verkehrsgesellschaft Frankfurt a. M. (VGF) und traffiQ eine Tell-a-Friend-Aktion durchgeführt und im Herbst 2022 von einer Befragung begleitet. Die Beteiligung an der Aktion war – nicht zuletzt aufgrund der nahenden D-Ticket-Einführung – gering, jedoch konnten interessante Erkenntnisse zu Abo-Konditionen und pandemiebezogenen Themen generiert werden.
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Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 56 MOBILITÄT ÖPNV Bitte weitersagen! Tell-a-Friend-Aktion und Befragung der Stammkundschaft in-Frankfurt a. M. im Pandemieherbst 2022 Tell-a-Friend, Kundenbindung, Stammkundschaft, Pandemie, Online-Befragung Im Rahmen des Projekts EMILIA - Entwicklung eines pandemieresistenten ÖPNV wurde u. a. untersucht, wie Verkehrsunternehmen kommunikativ auf die Anliegen der Fahrgäste reagieren können. Mit Fokus auf der Stammkundschaft wurde gemeinsam mit der Verkehrsgesellschaft Frankfurt a. M. (VGF) und traffiQ eine Tell-a-Friend-Aktion durchgeführt und im Herbst 2022 von einer Befragung begleitet. Die Beteiligung an der Aktion war - nicht zuletzt aufgrund der nahenden D-Ticket-Einführung - gering, jedoch konnten interessante Erkenntnisse zu Abo-Konditionen und pandemiebezogenen Themen generiert werden. Caroline Hasenbalg, Ricarda Rex, Susanne Schween, Natalie Schneider, Anna Helfers, Carsten Sommer T reue Kundinnen und Kunden sind für Unternehmen von großem Wert. Sie stellen eine wesentliche Einnahmequelle dar - und das nicht nur in Krisenzeiten. Eine zufriedene Stammkundschaft hat darüber hinaus ein hohes Referenzpotenzial und kann dazu beitragen, neue Kundschaft zu gewinnen und Seltennutzende zu bestärken, den ÖPNV häufiger zu nutzen. Hintergrund des Experiments Im Rahmen des Forschungsprojekts EMI- LIA - Entwicklung eines pandemieresistenten ÖPNV, welches vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gefördert und federführend durch das Fachgebiet „Verkehrsplanung und Verkehrssysteme“ der Universität Kassel bearbeitet wird, werden Handlungsempfehlungen für Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger entwickelt. Diese Empfehlungen sollen dazu beitragen, die Gesundheitsrisiken im ÖPNV zu reduzieren, das Vertrauen der Kundschaft zu stärken und damit den ÖPNV insgesamt resistenter gegenüber Pandemien zu gestalten. Die Forschungsarbeit erfolgt innerhalb der fünf Handlungsfelder Planung/ Betrieb, Fahrzeuggestaltung, Vertrieb/ Information, Finanzierung/ Tarif sowie Kommunikation. Das Handlungsfeld der Kommunikation wird dabei u. a. von Probst & Consorten Marketing-Beratung bearbeitet. Um den Akteuren der ÖPNV- Branche Empfehlungen in Bezug auf die Kommunikation in Pandemiezeiten und für die Zeit danach bereitzustellen, wurden im Rahmen des Projektes verschiedene kommunikative Maßnahmen in sogenannten Reallaboren getestet. Dieser Artikel bezieht sich auf die Ergebnisse und Erläuterungen eines Reallabors in Zusammenarbeit mit der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) und der lokalen Nahverkehrsgesellschaft traffiQ, in dem untersucht wurde, inwiefern die Stammkundschaft mit einer Tell-a-Friend-Aktion als Multiplikator für die Nutzung des ÖPNV in der auslaufenden Pandemie gewonnen werden kann. Im Rahmen des EMILIA-Projekts zeigte sich, dass sowohl Fahrgäste als auch die breite Öffentlichkeit den ÖPNV als einen Risiko-Ort in Bezug auf mögliche Infektionen wahrnehmen und dass das Risiko, sich im ÖPNV zu infizieren eine große Rolle beim Ausstieg aus der ÖPNV-Nutzung spielt [1, 2]. Auch wenn die Risikowahrnehmung für Busse und Bahnen von 2021 zu 2022 leicht rückläufig war, hat sich seitdem offenbar das Bild manifestiert, dass der ÖPNV riskanter als viele vergleichbare (oder sogar objektiv gefährlichere) öffentliche Orte ist [3]. Dementsprechend haben sich auch die Fahrgastzahlen in Deutschland noch nicht vollständig erholt [4]. Dies ist eine problematische Entwicklung - nicht nur weil es den Klimaschutzzielen entgegensteht - sondern auch, weil die Forschung in diesem Bereich mittlerweile gezeigt hat, dass die ÖPNV-Nutzung in der Tat auch während der Pandemie sicher ist [ 5, 6, 7]. Das öffentliche Unbehagen gegenüber der Nutzung von Bus und Bahn sollte von Verkehrsunternehmen im Rahmen von Kommunikationsmaßnahmen aktiv adressiert werden, um die Kundenbindung - in Pandemiezeiten und darüber hinaus - bestmöglich zu erhalten und zu stärken. Im Rahmen bisheriger Forschung wurde argumentiert, dass die Stammkundschaft in der Erholungsphase nach der Pandemie eine wichtige Rolle als Multiplikator spielen könnte, um ausgestiegene Fahrgäste zurückzuholen und ÖPNV-ferne Menschen als neue Kundinnen und Kunden anzuwerben [1]. Tell-a-Friend-Maßnahmen werden in diesem Zusammenhang eingesetzt, um Mundwerbung (engl.: word-of-mouth communication, WOM) zu initiieren. Mundwerbung bezeichnet die Art von Werbung für Produkte oder Dienstleistungen, die von bestehender Kundschaft auf freiwilliger Basis betrieben wird [8]. Wenn bestehende Kundinnen und Kunden eine solche Weiterempfehlung aussprechen, bedeutet dies aktive Mundwerbung - so auch im Falle von Tell-a-Friend-Aktionen. Fordert potenzielle Kundschaft wiederum einen Rat bei der bestehenden ein, ist die Rede von passiver Mundwerbung - bspw. bei Ask-your-Friend- Kampagnen [9]. Die Studienlage zur Mundwerbung und damit der Weiterempfehlungsabsicht im ÖPNV ist bisher begrenzt. Eine Studie aus dem Jahr 2017 fand heraus, dass die Weiterempfehlungsabsicht von der Zufriedenheit mit der Wartezeit, Reisezeit und Reiserfahrung abhängt [10]. Bakti et al. (2020) bezogen zusätzlich zur Zufriedenheit mit der Servicequalität, persönliche Einstellungen und Normvorstellungen mit ein und konnten zeigen, dass letztere einen Einfluss auf die Weiterempfehlungsabsicht haben [8]. Ob neben betriebsbezogenen und persönlichen Aspekten auch die Durchführung einer Tell-a-Friend-Aktion seitens des Verkehrsunternehmens die wahrgenommene Kundenbindung - operationalisiert als Kundenzufriedenheit und Weiterempfehlungsabsicht - beeinflussen kann, wurde im vorliegenden Experiment geprüft. Im Rahmen eines Literaturüberblicks stellten Van Lierop et al. (2017) verschiede- Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 57 ÖPNV MOBILITÄT ne Studienergebnisse aus den Jahren 1999 bis 2015 u. a. zu Einflussfaktoren auf die Kundenbindung bzw. -treue im ÖPNV zusammen. In Bezug auf die Kundenbindung bzw. -treue erwiesen sich die Wahrnehmung des Preis-Leistungs-Verhältnisses, die Sicherheit und Sauberkeit im Fahrzeug, der Kontakt mit dem Fahrpersonal sowie das wahrgenommene Image bzw. die Verbundenheit („involvement“) mit dem ÖPNV als förderliche Faktoren [11]. Hinsichtlich der Pandemie stellt sich die Frage, ob das Thema Sicherheit öffentlich kommuniziert werden sollte, da dies die Kundschaft womöglich besorgter zurücklassen könnte als zuvor. Im Rahmen des vorliegenden Experiments wurde auf Basis dessen explorativ untersucht, ob Botschaften zu den Themen Preis bzw. Kosten-Nutzen-Verhältnis, Umweltfreundlichkeit sowie Sicherheit und Sauberkeit dazu führen, dass der ÖPNV und das Abo besser bewertet werden und sich die wahrgenommene Kundenbindung unterscheidet. Helfers et al. (2022) konnten feststellen, dass diese Themen der Stammkundschaft auch im Pandemiekontext besonders wichtig waren [1]. Eine Studie von Krogull & Probst (2003) fand heraus, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Nutzungshäufigkeit des ÖPNV und der tatsächlichen Weiterempfehlung vorliegt [9]. Dementsprechend ist anzunehmen, dass die Stammkundschaft eine relevante Zielgruppe für Tell-a-Friend- Aktionen ist. Dank der in der Regel vorhandenen Vertragsbeziehung mit dieser Kundengruppe ist außerdem eine vergleichsweise kostengünstige und direkte Ansprache möglich, weswegen für das vorliegende Experiment die Stammkundschaft der VGF als Zielgruppe ausgewählt wurde. Datenbasis Kern des Reallabors war eine Kundenbindungsmaßnahme in Form eines Anschreibens und einer Tell-a-Friend-Aktion für die Stammkundschaft. Bei letzterem handelte es sich um einen Aufruf zur Weiterempfehlung des Abos, welche bei erfolgreichem Vertragsschluss in eine Prämie - in diesem Fall je einem Freimonat für die werbende als auch die geworbene Person - mündete. Insgesamt wurden im Herbst 2022 6.000 volljährige Personen mit einem Abo für das Stadtgebiet Frankfurt am Main angeschrieben. Die Corona-7-Tage-Inzidenz verzeichnete in Hessen - im Vergleich zu einem Hoch von über 1.000 Fällen Mitte Oktober 2022 - wieder eine fallende Entwicklung [12]. Zum Zeitpunkt des Anschreibens bestand Maskenpflicht im öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland. Mit Blick auf den Gesamtverlauf fand die Befragung in der ausklingenden Phase der Pandemie statt. Die Stammkundschaft wurde gleichmäßig in drei Versuchsgruppen und eine Kontrollgruppe unterteilt. Die Personen in den drei Versuchsgruppen erhielten ein Anschreiben, in dem sich die VGF zunächst für die Treue der Stammkundschaft bedankte. Außerdem war ein Aufruf zur Teilnahme an einer Online-Befragung enthalten - gemäß der Botschaft „Ihre Meinung ist uns wichtig! “. Für die Teilnahme wurden als Dankeschön drei eBook-Reader verlost - am Gewinnspiel beteiligten sich rund 73 % der Antwortenden. Zusätzlich enthielt das Anschreiben in den Versuchsgruppen den Hinweis auf einen beiliegenden Flyer: „Das Abo zahlt sich in vielerlei Hinsicht aus - jetzt weitersagen und einen Freimonat sichern! Der beiliegende Flyer zeigt, wie das funktioniert.“ Die Flyer waren in allen drei Versuchsgruppen mit Hinweisen zum Ablauf der Tell-a-Friend-Aktion und einer Auflistung von Vorteilen eines Abos größtenteils identisch gestaltet. Lediglich das zentral dargestellte Argument für ein Abo variierte zwischen „Das Abo ist was für Sparfüchse! “ (Argument zum Preis bzw. Kosten-Nutzen-Verhältnis), „Das Abo macht klimaschonend mobil! “ (Argument zur Umweltfreundlichkeit) und „Das Abo bringt sorglos und sicher ans Ziel! “ (Argument zu Sauberkeit und Sicherheit) (vgl. Bild 1). Auf den Flyern war zudem ein zwischen den Versuchsgruppen unterscheidbarer QR- Code abgebildet, der zur Landingpage für die Tell-a-Friend-Aktion der VGF führte. Die Kontrollgruppe erhielt nur das Anschreiben ohne Flyer. In Summe haben 418 der insgesamt 6.000 angeschriebenen Abonnentinnen und Abonnenten an der Befragung teilgenommen (Rücklaufquote 7 %) - davon haben 387-Personen alle Fragen vollständig beantwortet. Über die Hälfte der Antwortenden Bild 1: Überblick Flyer Tell-a-Friend-Aktion mit variierenden Botschaften, Herbst 2022 Alle Darstellungen: Probst & Consorten Marketing-Beratung Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 58 MOBILITÄT ÖPNV ist 60 Jahre oder älter, wodurch diese Altersgruppe in der Stichprobe überrepräsentiert ist. Etwa 49 % der Befragten nutzen eine (9 Uhr-)Jahreskarte, während die andere Hälfte der Stichprobe auf Zielgruppenprodukte (Schüler- oder Seniorenticket) entfällt. Übertragbare Abos werden in den meisten Fällen seltener als einmal im Monat oder nie weitergegeben. Im Vergleich zum Herbst/ Winter 2019 - vor Beginn der Pandemie - nutzte etwa die Hälfte der Befragten den ÖPNV genauso häufig wie zum Befragungszeitpunkt im Herbst 2022. Ein Drittel der Befragten fuhr 2019 noch häufiger mit dem ÖPNV, ein deutlich geringerer Anteil seltener als zum Befragungszeitpunkt. Die Gründe für die Nutzung des ÖPNV variieren, wobei als hauptsächlicher Nutzungszweck Freizeit- und Geschäftsreisen in etwa gleichem Maße genannt werden. Was ist der Stammkundschaft bei ihrer Verkehrsmittelwahl wichtig und wie wird der ÖPNV dahingehend bewertet? Für die befragten Abonnentinnen und Abonnenten sind Zuverlässigkeit, Sicherheit vor Belästigung, Diskriminierung und Gewalt sowie Flexibilität die wichtigsten Aspekte bei der Verkehrsmittelwahl - erst auf dem fünften Rang folgt der Preis bzw. das Kosten-Nutzen-Verhältnis (vgl. Bild 2). Umweltfreundlichkeit ist für knapp über die Hälfte aller Befragten „sehr wichtig“ - die andere Hälfte ist sich weniger einig, weshalb dieser Aspekt insgesamt lediglich auf Rang 8 landet. Der pandemiebezogene Aspekt des Schutzes vor Krankheit, Infektionen und Corona scheint für die Befragten zumindest im direkten Vergleich mit den anderen Themen etwas weniger relevant zu sein. Personen ab 60 Jahren bewerten sowohl den Infektionsals auch den Umweltschutz in der Verkehrsmittelwahl aber als deutlich wichtiger als jüngere Befragte. Im Gegensatz dazu spielen Zuverlässigkeit und Reisedauer für ältere Befragte eine eher untergeordnete Rolle. Privatsphäre ist der Aspekt mit dem differenziertesten Meinungsbild - diese wird von einem vergleichsweise großen Anteil als „eher/ überhaupt nicht wichtig“ angesehen. Die Befragten bewerteten den ÖPNV anschließend in Bezug auf die Aspekte, die sie zuvor in deren Wichtigkeit für die Verkehrsmittelwahl mit „unentschieden“ oder „sehr/ eher wichtig“ einstuften. Die beiden wichtigsten Aspekte bei der Wahl eines Verkehrsmittels (Zuverlässigkeit und Sicherheit) werden für den ÖPNV als eher mittelmäßig bewertet (Ø 2,7 bzw. 2,6 auf einer Skala von „sehr gut (1)“ bis „sehr schlecht (5)“). Auch in Sachen Sauberkeit (Ø 2,7) und Infektionsschutz (Ø 2,9) ist die Einschätzung des ÖPNV eher durchwachsen. Bestnoten erhalten Umweltfreundlichkeit und Sicherheit vor Unfällen - beides wird im Mittel immerhin als „gut“ ( je Ø 2,0) bewertet. Die Zuverlässigkeit des ÖPNV wird insbesondere von den Jüngeren schlechter eingestuft als von den Älteren - gleiches gilt für Einfachheit und das Kosten-Nutzen- Verhältnis. Langjährige Abo-Kundschaft bewertet die Sicherheit vor Gewalt schlechter - ebenso ist sie kritischer in Bezug auf die Zuverlässigkeit und Einfachheit. Die unterschiedlichen Botschaften auf den Flyern führten - entgegen der Annahmen im Experiment - nicht dazu, dass der ÖPNV bei den entsprechenden Aspekten (Sauberkeit/ Schutz vor Infektionen, Preis bzw. Kosten- Nutzen-Verhältnis und Umweltfreundlichkeit) besser bewertet wird. Was spricht aus Nutzendensicht für-ein Abo? Für die befragten Kundinnen und Kunden stellt vor allem die Ersparnis ein wichtiges Argument für ein Abo dar (vgl. Bild 3). Insbesondere der Preisvorteil im Vergleich zu Monatskarten und die geringe Nutzenschwelle sind ausschlaggebend für den Besitz eines Abos. Die Zusatzleistung der Mitnahme wird im Mittel als wichtiger bewertet als die Übertragbarkeit. Die Einschätzung der VGF-Vorteilswelt ist dahingehend am differenziertesten. In Bezug auf das Alter und das Abo-Produkt zeigen sich Unterschiede: Personen mit Seniorenticket sehen den Umweltaspekt als wichtigeres Argument für ein Abo an als Personen mit Jahreskarten oder Schülertickets - beim Alter zeigt sich ein vergleichbares Bild. Die digitale Selbstverwaltung wird eher von jüngeren Personen als wichtig erachtet, während die langjährige Abo-Kundschaft weniger Wert darauflegt. Die Vorteilswelt Bild 2: Wichtigkeit Aspekte für Verkehrsmittelwahl Quelle: P&C-Befragung der VGF-Stammkundschaft im Rahmen des Forschungsprojekts EMILIA, Herbst 2022 Bild 3: Wichtigkeit Argumente für ein Abo Quelle: P&C-Befragung der VGF-Stammkundschaft im Rahmen des Forschungsprojekts EMILIA, Herbst 2022 Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 59 ÖPNV MOBILITÄT wird insbesondere von Personen, die sparsam sein müssen, als wichtig angesehen. Hierbei spielt auch die Dauer des Abonnements und das Abo-Produkt eine Rolle: Abonnentinnen und Abonnenten mit kürzerer bisheriger Abo-Dauer und ( jüngere) Personen mit Schülertickets finden die Vorteilswelt wichtiger. Die unterschiedlichen Botschaften der Flyer hatten hingegen keinen Einfluss auf die Bewertung der entsprechenden Argumente. Wie kommt die Tell-a-Friend- Aktion an? Mehr als 50 % der Befragten sind mit ihrem Abo-Produkt „sehr zufrieden“. Ein ähnlich hoher Anteil würde ihr Abo „sehr wahrscheinlich“ weiterempfehlen. Die Flyer und damit die Möglichkeit der Teilnahme an der Tell-a-Friend-Aktion führten dabei im Vergleich zur Kontrollgruppe weder zu Unterschieden in der Zufriedenheit noch in der Weiterempfehlungsabsicht - ebenso wenig hatte die Botschaft auf dem Flyer einen Einfluss. Über drei Viertel der Befragten geben zwar an, den Flyer betrachtet zu haben. Die QR-Codes zur Landingpage der Aktion wurden hingegen kaum genutzt. An der Tell-a- Friend-Aktion beteiligten sich schlussendlich nur einzelne Personen, obwohl der Flyer - laut Befragung - für ca. 40 % „sehr/ eher interessant“ war. Dementsprechend kann keine Auswertung in Bezug auf die Teilnahme an der Aktion je nach Botschaft auf dem Flyer bzw. zwischen Versuchs- und Kontrollgruppe stattfinden. Exkurs: Wie wird die Maskenpflicht im ÖPNV im Herbst 2022 eingeschätzt? Eine breite Zustimmung generiert die Aussage, dass das Tragen einer Maske sowohl den eigenen Schutz als auch den Schutz anderer bewirkt (vgl. Bild 4). Zwei Drittel der Befragten sprechen sich für die Maskenpflicht im ÖPNV aus und eine Mehrheit fordert eine stärkere Kontrolle dieser Regelung. Besonders bei Personen ab 60 Jahren ist die Zustimmung zu den genannten Aspekten groß. Beim Thema Tragekomfort von Masken sind die Meinungen geteilt, wobei etwas mehr als ein Drittel „überhaupt nicht“ zustimmt, dass das Tragen unbequem sei. Vor allem die langjährige Abo-Kundschaft und ältere Personen lehnen diese Aussage ab. Es gibt keine Unterschiede in der Einschätzung nach der Häufigkeit der ÖPNV-Nutzung. Fazit und Ausblick Zuverlässigkeit, Sicherheit und Flexibilität sind den Abonnentinnen und Abonnenten bei ihrer Verkehrsmittelwahl am wichtigsten - der ÖPNV wird in diesen Aspekten als eher mittelmäßig bewertet. In Bezug auf die Pandemie wird deutlich, dass Sauberkeit, Infektionsschutz und Privatsphäre in der Verkehrsmittelwahl im Herbst 2022 im Vergleich zu anderen Aspekten weniger relevant sind. Die Maskenpflicht wird eher befürwortet und eine höhere Kontrolle gewünscht - insbesondere von älteren Kundinnen und Kunden. Fast die Hälfte der Kundschaft nutzt den ÖPNV zum Befragungszeitpunkt im Herbst 2022 so häufig wie vor der Pandemie, etwa ein Drittel weniger häufig. Die im Experiment variierenden Botschaften auf dem Flyer konnten die Bewertung von Preis, Umweltfreundlichkeit, Infektionsschutz und Sauberkeit zuzeiten der ausklingenden Pandemie nicht nachweislich verbessern. Mit Blick auf das Abo erweist sich der Preis als bedeutendster Vorteil. Obwohl der Rücklauf bei der Tell-a- Friend-Aktion gering war, zeigt die Befragung generell eine hohe Zufriedenheit mit dem Abo-Produkt und Weiterempfehlungsabsicht. Beides unterscheidet sich aber weder danach, ob die Personen einen Flyer erhielten, und damit an der Tell-a-Friend-Aktion teilnehmen konnten, noch anhand der platzierten Botschaft. Demnach lässt sich feststellen, dass die kommunikative Maßnahme zur Tell-a-Friend-Aktion als auch die Botschaften keinen direkten Effekt auf die Bewertung des ÖPNV und des Abos, die Kundenzufriedenheit, die Weiterempfehlungsabsicht oder die tatsächliche Teilnahme an der Aktion hatte. Grund dafür könnte sein, dass die einmalige Intervention in Form der unterschiedlichen Botschaften zu schwach ausfiel, als dass sie einen Einfluss auf die Bewertung hat. Auch wenn sich die Tell-a-Friend-Aktion unmittelbar auf den Prozess der Weiterempfehlung bezog, wird die Weiterempfehlungsabsicht davon im vorliegenden Versuch nicht beeinflusst. Der Flyer als Kundenbetreuungsmaßnahme mit exklusiven Vorteilen (Teilnahmöglichkeit an der Aktion) scheint ebenso wenig für eine höhere Kundenzufriedenheit zu sorgen. Auch die Weiterempfehlungsabsicht und Zufriedenheit sind vermutlich recht stabile Größen, die auf zahlreichen vergangenen Erfahrungen der Befragten fußen und dementsprechend mit der gewählten einmaligen Intervention nicht beeinflusst werden konnten. Damit die Kommunikationsbotschaften zu den Vorteilen des ÖPNV und des Abos als auch der Sicherheit an Bord im Pandemiekontext eine Wirkung entfalten, müssten diese vermutlich weiter ausgebaut, wiederholt und auf mehreren Kanälen gestreut werden. Nur einzelne Personen haben sich schlussendlich an der Tell-a-Friend-Aktion beteiligt und jemanden geworben. Grund für die geringe Teilnahme könnte unter anderem der Aktionszeitraum von Herbst 2022 bis Mitte März 2023 sein: Zum Versandzeitpunkt bestand die Ankündigung, dass zum Jahresbeginn 2023 das Deutschlandticket als deutschlandweit im ÖPNV gültiges Ticket für 49 Euro im Monat angeboten wird. Dieses kann vielerorts, je nach bisherigem Preisniveau, als Konkurrenzprodukt zum Abo verstanden werden - so auch in Frankfurt. Die zum Befragungszeitraum eher unsichere Informationslage sowie das schlussendlich verschobene Einführungsdatum des Deutschlandtickets auf Mai 2023 könnten dazu geführt haben, dass die Tell-a-Friend-Aktion und damit der Ab- Bild 4: Maskenpflicht Quelle: P&C-Befragung der VGF-Stammkundschaft im Rahmen des Forschungsprojekts EMILIA, Herbst 2022 Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 60 MOBILITÄT ÖPNV schuss eines Abos für potenzielle Kundinnen und Kunden nicht in Frage kam und diese eher „abwarten“ wollten. Die VGF hätte den Freimonat als Belohnung zwar auch bei Abschluss eines Deutschlandtickets unter den zuvor beschriebenen Bedingungen ausgegeben, die Einführung des neuen Angebots erfolgte jedoch schlussendlich nicht im Aktionszeitraum. Denkbar wäre zudem, dass die Belohnung für das Weiterempfehlen im Verhältnis zum Aufwand für die Teilnehmenden nicht attraktiv genug war. Demnach sollte der Werbungsprozess technisch möglichst einfach und aufwandsarm gestaltet sein. Das Werben anderer Personen für Produkte mit kürzerer Vertragsdauer - z. B. Monatstickets - könnte außerdem zielführender sein als der hier untersuchte Bezug zu Produkten, die eine stärkere Bindung und damit höhere Einstiegshürden für die Geworbenen mit sich bringen. Sind die Prozesse und die Landingpage für eine Tell-a-Friend-Aktion einmal eingerichtet, lässt sich diese ohne größeren Aufwand - auch in leicht abgewandelter Form und unter Berücksichtigung der vorherigen Empfehlungen - wiederholen. Um zunächst verschiedene Ausgestaltungen einer solchen Aktion als auch verschiedene kommunikative Botschaften risikoarm zu testen, kann ein begrenzter Nutzendenkreis als Versuchsgruppe fungieren. Die vorliegende Untersuchung fand noch vor Einführung des Deutschlandtickets statt - demnach zu Zeiten, in denen Jahreskarten sowie rabattierte Zielgruppentickets (z. B. für Schülerinnen und Schüler oder Seniorinnen und Senioren) die zentralen Abo-Produkte darstellten. Diese wiederum sind im ersten Vertragsjahr nicht nachteilsfrei kündbar und binden die Kundschaft damit in gewisser Weise auch vertraglich. Auch das Deutschlandticket verlängert sich wie bisherige Abo-Produkte automatisch. Es bietet jedoch eine stark verkürzte Mindestbezugsdauer von einem Monat, weshalb mit einer größeren Bereitschaft zum Abschluss des Produkts, aber auch mit einer höheren Fluktuation zu rechnen ist. Maßnahmen, die wie die Tell-afriend-Aktion auf die positive, aktive Mundwerbung setzen, sollen potenzielle Kundinnen und Kunden zum Kauf animieren. Auch wenn das vorliegende Reallabor nicht den gewünschten Effekt auf die wahrgenommene Verbundenheit der Stammkundschaft hatte, so sollte dieses Ziel insbesondere im Kontext des Deutschlandtickets nicht aus den Augen verloren werden: Vor allem die emotionale Kundenbindung wird mit der reduzierten vertraglichen Bindung (nachteilsfreie monatliche Kündbarkeit) und im Zuge voraussichtlich steigender Preise nach dem Einführungszeitraum noch relevanter, um die wichtige Zielgruppe der Stammkundschaft langfristig zu halten. ■ QUELLEN [1] Helfers, A.; Reiserer, M.; Schneider, N.; Ebersbach, M.; Sommer, C. (2022): Should I stay or should I go? Risk perception and use of local public transport during the COVID-19 pandemic. In: Frontiers in psychology, (13. Jg.), Artikel 926539. [*Shared first authorship] https: / / doi.org/ 10.3389/ fpsyg.2022.926539 [2] Schneider, N.; Helfers, A.; Reiserer, M.; Sommer, C. (2022): Subjektives Empfinden des Risikos im ÖPNV während der Pandemie Sicherheit aus Fahrgastsicht. In: Der Nahverkehr, H. 11/ 2022, S. 18-22. [3] Helfers et al., in prep. [4] Statistisches Bundesamt (2023): Fahrgastzahl im Linienverkehr mit Bussen und Bahnen 2022 um 29 % gestiegen. Pressemitteilung Nr. 140 vom 6. April 2023. www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2023/ 04/ PD23_140_461.html (Abruf: 05.06.2023). [5] Jones, N. R.; Qureshi, Z. U.; Temple, R. J.; Larwood, J. P. J.; Greenhalgh, T.; Bourouiba, L. (2020): Two metres or one: what is the evidence for physical distancing in covid-19? In: BMJ, (370. Jg.), Artikel m3223. https: / / doi.org/ 10.1136/ bmj.m3223 [6] Charite Research Organisation CRO. (2021): Studie zur Untersuchung des Corona-Infektionsrisikos im öffentlichen Personen- Nahverkehr. www.besserweiter.de/ pendler-coronastudie-der-charite. html (Abruf: 05.06.2023). [7] Galmiche, S.; Charmet, T.; Schaeffer, L.; Paireau, J.; Grant, R.; Chény, O.; von Platen, C.; Maurizot, A.; Blanc, C.; Dinis, A.; Martin, S.; Omar, F.; David, C.; Septfons, A.; Cauchemez, S.; Carrat, F.; Mailles, A.; Levy- Bruhl, D.; Fontanet, A. (2021): Exposures associated with SARS- CoV-2 infection in France: A nationwide online case-control study. In: The Lancet Regional Health - Europe, (7. Jg.), Artikel 100148. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.lanepe.2021.100148 [8] Bakti, I. G. M. Y.; Rakhmawati, T.; Sumaedi, S. et al. (2020): Public transport users’ WOM: an integration model of the theory of planned behavior, customer satisfaction theory, and personal norm theory. In: Transportation Research Procedia, (48. Jg.) H. 2, S. 3365- 3379. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.trpro.2020.08.117 [9] Krogull, S.; Probst, G. (2003): Mundwerbung für Busse und Bahnen. Effektive Kommunikation durch Nutzung des Referenzpotenzials. In: Internationales Verkehrswesen (55. Jg.), H. 7/ 8, S. 343-347. [10] Diab, E.; van Lierop, D.; El-Geneidy, A. M. (2017): Recommending Transit: Disentangling users’ willingness to recommend transit and their intended continued use. In: Travel Behaviour and Society, (6. Jg.), S. 1-9. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.tbs.2016.03.001 [11] Van Lierop, D.; Badami, M. G.; El-Geneidy, A. M. (2018): What influences satisfaction and loyalty in public transport? A review of the literature. In: Transport Reviews (38. Jg.), H. 1, S. 52-72. https: / / doi.org/ 10.1080/ 01441647.2017.1298683 [12] Siekmann, M. (2023): COVID-19 7-Tage-Inzidenz für Hessen. www. corona-in-zahlen.de/ bundeslaender/ hessen/ (Abruf: 05.06.2023). Ricarda Rex, Dipl. Wirtsch.ing. Consultant, Probst & Consorten Marketing-Beratung, Dresden r.rex@probst-consorten.de Susanne Schween, Dr. Fachbereichsleiterin Vertrieb und Kundenmanagement, Stadtwerke Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mbh (VGF), Frankfurt am Main s.schween@vgf-ffm.de Caroline Hasenbalg, M. A. Consultant, Probst & Consorten Marketing-Beratung, Dresden c.hasenbalg@probst-consorten.de Anna Helfers, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme, Universität Kassel a.helfers@uni-kassel.de Carsten Sommer, Prof. Dr.-Ing. Leiter Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme, Universität Kassel c.sommer@uni-kassel.de Natalie Schneider, Dipl. Ing. M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme, Universität Kassel n.schneider@uni-kassel.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 | office@trialog.de | www.trialog-publishers.de Redaktionsleitung: Tel.: +49 7449 91386.44 eberhard.buhl@trialog.de redaktion@internationales-verkehrswesen.de
