Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2023-0087
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V2X-Kommunikation in Testfeldern für Autonomes Fahren
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Katharina Hartmann
Miriam Grünhäuser
Kooperative intelligente Verkehrssysteme (Cooperative Intelligent Transport Systems, C-ITS) gewinnen zunehmend an Bedeutung. Ein Teil von C-ITS ist die Fahrzeug-Infrastruktur Kommunikation (V2X). Allein
in Deutschland gibt es über 25 Testfelder, in denen u. a. Einsatzgebiete der V2X-Kommunikation erprobt werden. Im Projekt ALFRIED wurde eine Analyse hinsichtlich der Kompatibilität und Standardkonformität
der Testfeld-seitigen V2X-Nachrichten in Deutschland durchgeführt. Die Analyse zeigt Herausforderungen bei der Interoperabilität und die notwendige Koordinierung von Testfeldern in Bezug auf Technolo-
gien und Angebote auf.
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Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 77 V2X-Kommunikation in Testfeldern für Autonomes Fahren Vergleichende Analyse der Services und Nachrichten Testfeld, Reallabor, V2X, C-ITS, Standard, Interoperabilität, Harmonisierung Kooperative intelligente Verkehrssysteme (Cooperative Intelligent Transport Systems, C-ITS) gewinnen zunehmend an Bedeutung. Ein Teil von C-ITS ist die Fahrzeug-Infrastruktur Kommunikation (V2X). Allein in Deutschland gibt es über 25 Testfelder, in denen u. a. Einsatzgebiete der V2X-Kommunikation erprobt werden. Im Projekt ALFRIED wurde eine Analyse hinsichtlich der Kompatibilität und Standardkonformität der Testfeld-seitigen V2X-Nachrichten in Deutschland durchgeführt. Die Analyse zeigt Herausforderungen bei der Interoperabilität und die notwendige Koordinierung von Testfeldern in Bezug auf Technologien und Angebote auf. Katharina Hartmann, Miriam Grünhäuser A utonomes und vernetztes Fahren gilt als wesentlicher Bestandteil zukünftiger Mobilität. Aufgrund der Vorteile der Technologie hat die aktuelle Bundesregierung im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, Deutschland als „Innovationsstandort für autonomes Fahren“ zu positionieren [1]. Ein wesentlicher Bestandteil der Innovationsförderung des Bundes sind „Digitale Testfelder“ für autonome und vernetzte Mobilität. Aktuell gibt es in Deutschland über 25 solcher Testfelder im öffentlichen Straßenraum. Mit Hilfe dieser Testfelder erforschen Konsortien aus Wissenschaft, Industrie und Verwaltung Möglichkeiten der zukünftigen Mobilität und erproben neue Technologien im Realverkehr. Während die Automatisierung meist auf fahrzeugseitigen Einrichtungen, wie der automatischen Abstandshaltung oder dem Adaptive Lane Keeping System (ALKS) basiert, können Vernetzungsfunktionen auch durch die Infrastruktur unterstützt werden. Diese Vernetzung wird als V2X-Kommunikation (Vehicle-to-Everything, V2X) bezeichnet und teilt sich in die Kommunikation zwischen Fahrzeugen (Vehicle-to-Vehicle, V2V) und zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur (Vehicle-to-Infrastructure, V2I) auf. V2X-Kommunikation im Überblick V2X-Kommunikation wird in Europa durch das European Telecommunications Standards Institute (ETSI) unter der Beteiligung von Gremien wie dem Car-2-Car Communication Consortium und der C-Roads Initiative standardisiert. Zur Übertragung der Nachrichten existieren zwei Varianten - DSRC (kurz für Dedicated Short Range Communication) und C-V2X (Cellular-V2X). Während VW sich schon 2019 durch die Symbolbild: Kabiur Rahman / Unsplash Autonomes Fahren TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 78 TECHNOLOGIE Autonomes Fahren Integration einer fahrzeugseitigen On- Board-Unit in den Golf 8 und die spätere ID- Reihe klar zu DSRC positioniert hat, senden andere Automobilhersteller noch gemischte Signale. DSRC arbeitet mit dem WLAN-ähnlichen 802.11p-Standard, während C-V2X die LTE und 5G New Radio Mobilfunktechnologie nutzt. Unabhängig von der Übertragungstechnologie haben sich Industrie und Forschung unter dem Dach der ETSI auf ein Set an Nachrichtenformaten zur Kommunikation geeinigt und in Standards veröffentlicht. Hierzu gehören unter anderem vom Fahrzeug sekündlich ausgesendete Positionsinformationen (Cooperative Awareness Messages, CAM), Gefahrenwarnungen (Decentralized Environmental Notification Messages, DENM), sowie Statusinformationen von Lichtsignalanlagen (Signal Phase and Timing, SPaT) in Verbindung mit der Kreuzungstopologie (Map Topology, MAP) [2]. Umsetzung in Deutschland Neben Fahrzeugen wird auch die Infrastruktur beispielsweise an Straßen, Lichtsignalanlagen oder Bahnübergängen mit V2X ausgestattet. In Deutschland passiert dies zumeist in den bereits erwähnten Testfeldern, zudem plant auch die Autobahn GmbH die Ausrüstung aller Baustellenwarner mit V2X [3]. Zur Übersicht über Aktivitäten zum autonomen und vernetzten Fahren schuf die Bundesanstalt für Straßenwesen 2020 im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) eine online abrufbare Karte [4]. Hier verzeichnet sind verschiedene Informationen zu Projekten und Testfeldern, wie Kontaktdaten, genutzte Übertragungstechnologie und implementierte Nachrichtenformate. Die Karte enthält neben dem Straßenverkehr auch Testfelder zum autonomen Schienen- und Wasserverkehr. Es zeigt sich: In Deutschlands Testfeldern werden unterschiedlichste Ziele verfolgt. Von der Erprobung des autonomen Fahrens über das Testen von vernetzten Fahrzeugfunktionen durch Automobilhersteller bis hin zur Integration von Sensorprototypen lokaler Unternehmen. Daher ist es nicht überraschend, dass auch die Integration der V2X-Kommunikation abhängig von der Ausrichtung in unterschiedlichster Weise erfolgt. Aber welche Testfelder setzen welche Infrastrukturservices um? Und werden die geltenden Standards bei der Implementierung eingehalten? Um Antworten auf diesen Fragen zu finden, hat das Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in Braunschweig im Rahmen des Forschungsprojekts AL- FRIED Messfahrten auf verschiedenen Testfeldern in Deutschland vorgenommen. Ziel der Testfahrten war die Prüfung auf Konformität zum Standard, um die Kompatibilität zwischen den Testfeldern zu erhöhen. Von März bis September 2022 fuhren die Projektmitarbeiter insgesamt sieben Testfelder ab (siehe Bild 1), um vor Ort Daten der Infrastruktur aufzuzeichnen. Aufgezeichnet wurde mit einer On- Board Unit der Firma Cohda Wireless (Cohda MK5), die auch in neueren Serienfahrzeugen von VW zum Einsatz kommt. Noch Unklarheiten bei der Interpretation der Standards Lichtsignalanlagen und andere mit Kommunikationseinheiten ausgestattete Infrastrukturelemente in den Testfeldern senden unter anderem die Nachrichtenformate DENM, SPaT und MAP. Zur Übertragung von V2X-Nachrichten aus der intelligenten Infrastruktur nutzen die betrachteten Testfelder Kommunikationseinheiten von Siemens oder Cohda Wireless. Oftmals werden sogar Einheiten beider Hersteller in einem Testfeld parallel eingesetzt. Gefahrenmeldungen im Testfeld Niedersachsen (Braunschweig) und im Testfeld Deutschland (Frankfurt a. M.) werden über das Nachrichtenformat DENM ausgesendet. Die Aussendung erfolgt per GeoBroadcast, sodass Daten von einem Knoten an alle Knoten in einem geografischen Zielgebiet gesendet werden. Der Sender muss sich dabei nicht im Zielgebiet befinden. Bereits umgesetzte beispielhafte Anwendungsfälle, die mittels eines Codes in der Nachricht definiert werden, sind unter anderem Warnungen vor Baustellen und vor einem Stauende. SPaT und MAP werden analog zum Standard für die Übertragung des Signalstatus Bild 1: Messfahrten in deutschen Testfeldern für autonomes und vernetztes Fahren Quelle: DLR Internationales Verkehrswesen (75) 4 | 2023 79 Autonomes Fahren TECHNOLOGIE von Lichtsignalanlagen genutzt. Dies geschieht in allen betrachteten Testfeldern mit Ausnahme des Testfelds Deutschlands. In den Testfeldern Hamburg und Kassel werden die SPaT und MAP teilweise mit einem zusätzlichen Security Header gesendet. Dieser Security Header dient zur Signierung der Nachricht und beinhaltet ein Zertifikat, mit dem Empfänger die Identität des Senders verifizieren können. Diese Verifikation erhöht die Vertrauenswürdigkeit und gewährleistet die Verlässlichkeit der Nachrichteninhalte. Die Übertragung der SPaTs und MAPs kann im Single-Hop- oder Multi-Hop-Verfahren erfolgen. In einigen Testfeldern werden Nachrichten über mehrere Kommunikationseinheiten weitergeleitet (Multi-Hop), während in anderen Testfeldern keine Weiterleitung erfolgt. Bei der Betrachtung der Lichtsignalanlagen-Nachrichten ist aufgefallen, dass in den untersuchten Testfeldern keine einheitliche Bezeichnung der Regionen sowie keine konsistente Namensgebung der Infrastruktureinheiten erfolgen. So kommt es beispielsweise zu dem Phänomen, dass einige Testfeldbetreiber ihre Region nach der Postleitzahl benennen, während andere die Länderkennung (49) oder eine einstellige Zahl nutzen. Da die angegebene Region in Verbindung mit einer ID die Lichtsignalanlage identifiziert, kann es dazu kommen, dass mehrere Lichtsignalanlagen dieselbe Kennung aufweisen. Die Namensgebung der Lichtsignalanlagen reicht von einer wenig aussagekräftigen Kennung (z. B. „LSA300“) bis hin zu einer konkreten Nennung der Straße und des Ortes. Eine weitere Unklarheit bezüglich der Umsetzung des Standards bezieht sich auf die Angabe der StationID. Die StationID dient der Identifizierung der Infrastruktureinheit oder des Fahrzeuges und wird bei jeder Nachricht mitgesendet. In den betrachteten Testfeldern wurden die StationIDs der Infrastrukturkomponenten nach eigenem Ermessen auf dreibis achtstellige Ziffernfolgen gesetzt. Einige Nachrichten wurden sogar noch mit dem Standardwert 0 als StationID ausgesendet. Nur teilweise Kompatibilität zwischen den Testfeldern Die Unterschiede in der Interpretation der Standards können in der Praxis zu Schwierigkeiten führen. Bieten Testfelder beispielsweise Erprobungsfahrten für Automobilhersteller an, bei denen im Realverkehr die Kommunikation getestet wird, so ist die korrekte Interpretation der Nachrichten durch das Fahrzeug nur auf dem Testfeld gewährleistet, auf dem es auch getestet wurde. Auf anderen Testfeldern kann es durch andere Wertebereiche oder regionale Anpassungen zu Verständnisschwierigkeiten kommen. Die Verständnisprobleme können sich auch auf das autonome Fahren auswirken, das durch Informationen der Infrastruktur unterstützt werden kann. Einige Testfelder bieten beispielsweise neben dem aktuellen Signalstatus einer Lichtsignalanlage auch eine Prognose des Status für bis zu zehn Sekunden an. Auf Basis dieser Prognose soll effizienteres Fahren durch angepasste Geschwindigkeitsempfehlungen ermöglicht werden. Teilweise werden in Testfeldern für den aktuellen Status und die Prognose zwei verschiedene Kommunikationseinheiten eingesetzt. Für Erprobungen muss dem Testfahrzeug vorab mitgeteilt werden, welche Bedeutung die jeweiligen Nachrichten haben. Dies hat zur Folge, dass ein Fahrzeug, das in einem Testfeld erprobt wurde, die Nachrichten eines anderen Testfeldes gegebenenfalls nicht verstehen kann. Die fehlende Kompatibilität zwischen den Testfeldern hat auch Auswirkungen auf die Ausrollung der Technologie im realen Straßenverkehr. Fahrzeuge verschiedener Hersteller oder Serien, die in unterschiedlichen Testfeldern erprobt wurden, können V2X-Nachrichten gegebenenfalls anders interpretieren. Der Interpretationsspielraum reicht von einem leicht unterschiedlichen Verhalten (beispielsweise fährt ein Fahrzeug früher los als ein anderes) bis hin zu einem Ausfall der Funktion. Zusammenfassung und Ausblick Im Projekt ALFRIED forscht das DLR unter anderem zur Konformität von V2X-Kommunikation in deutschen Testfeldern für autonomes und vernetztes Fahren zu den geltenden Standards und zur Kompatibilität zwischen den Testfeldern. Die Anzahl an Testfeldern und Projekten zum autonomen und vernetzten Fahren nimmt in Deutschland stetig zu. In diesem Beitrag wurden ausgewählte Ergebnisse vorgestellt und diese im Rahmen der Entwicklungen zum autonomen Fahren eingeordnet. Es wurde aufgezeigt, dass die Testfelder unterschiedlichste Zielstellungen haben und demzufolge verschiedene Anwendungsfälle unterstützen. Auch innerhalb ähnlicher Zielstellungen (bspw. der funkbasierten Übertragung des Lichtsignalanlagenstatus an Fahrzeuge) haben die Testfelder unterschiedliche Herangehensweisen gezeigt. In einem Großteil der Testfelder weisen die ausgesendeten Nachrichten keine vollständige Konformität zu aktuellen Standards auf. Durch verschiedene Implementierungen von V2X-Nachrichten ist auch die Interoperabilität zwischen Testfeldern nicht gewährleistet. Die fehlende Interoperabilität bremst sowohl aktuelle Erprobungen als auch die Ausrollung der Technologie im realen Straßenverkehr. Die aufgezeigten Kompatibilitätsprobleme im Bereich der V2X-Kommunikation machen auf die noch unzureichende Koordinierung und Harmonisierung der Testfelder aufmerksam. Ein Ansatz ist die Schaffung einer zentralen Stelle für die Förderung des Austausches zwischen Testfeldern und den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis. ■ QUELLEN [1] Bundesregierung (2021): Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP, S. 27. [2] C-Roads (2021): Common C-ITS Service and Use Case Definitions Version 2.0.0. www.c-roads.eu/ platform/ documents.html (Abruf: 02.10.2023). [3] ADAC (2022): Neues Baustellenwarnsystem für mehr Sicherheit auf Autobahnen. www.adac.de/ news/ baustellenwarner-sorgen-fuermehr-sicherheit-auf-autobahnen/ (Abruf: 05.10.2023). [4] Bundesanstalt für Straßenwesen (2021): Testfeldmonitoring. Digitale Testfelder und Erprobungsvorhaben. www.testfeldmonitor.de (Abruf: 05.10.2023). Katharina Hartmann, B.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Verifikation und Validierung, DLR Institut für Verkehrssystemtechnik, Braunschweig katharina.hartmann@dlr.de Miriam Grünhäuser, Dipl. Wi.-Ing. (FH) Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Verifikation und Validierung, DLR Institut für Verkehrssystemtechnik, Braunschweig miriam.gruenhaeuser@dlr.de
