eJournals Internationales Verkehrswesen 76/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0002
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2024
761

Innerdeutscher Luftverkehr auf dem Rückzug

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2024
Alexander Eisenkopf
iv7610011
Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 11 DOI: 10.24053/ IV-2024-0002 Alexander Eisenkopf KONTRAPUNKT I n den letzten Jahren wurde sowohl von Politikern als auch aus der Wissenschaft wiederholt ein Verbot innerdeutscher Flüge ins Gespräch gebracht. Dies wäre zwar ein radikaler, aber trotzdem denkbarer Eingriff in die Verkehrsmärkte gewesen, den klimapolitisch motivierte Beobachter für unabdingbar gehalten haben. Schaut man auf die aktuelle Entwicklung des innerdeutschen Luftverkehrs, hat sich dieses Problem jedoch bereits teilweise erledigt. Während die sogenannte Recovery-Rate der deutschen Flughäfen im Jahresdurchschnitt 2023 bei knapp 80 Prozent des Vor-Corona-Niveaus lag, erreichte die Zahl der Passagiere im innerdeutschen Verkehr nur knapp die Hälfte von 2019. Peinlich für den Luftverkehrsstandort Deutschland ist, dass sich der Markt in den europäischen Nachbarländern wieder weitgehend auf das Vor-Krisen-Niveau erholt hat. Diese ernüchternde Entwicklung hat sowohl angebotswie auch nachfrageseitige Gründe. Tatsächlich schwächelt der für das Inlandsgeschäft wichtige Geschäftsreiseverkehr noch immer, weil Online-Meetings das Reisen zum Teil entbehrlich machen und der Trend, zuhause zu arbeiten, bisher nicht wirklich gebrochen wurde. Auch die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland verläuft derzeit eher mau. Bedeutsamer ist allerdings die Angebotssituation. Generell hatten zumindest die größeren Flughäfen im letzten Jahr noch Probleme, ausreichend Personal zu gewinnen. In Erinnerung an das Chaos im Sommer 2022 wurden daher im Sommerflugplan 2023 zehntausende Flüge vorab gestrichen. Außerdem ziehen die ihrem Namen gerecht werdenden Low Cost Airlines wie Ryanair, Easyjet oder Wizz Air ihre Flugzeuge aus Deutschland ab. Hohe Flughafengebühren, Steuern und Luftsicherheitskosten machen es für sie unattraktiv, deutsche Flughäfen zu nutzen oder gar innerdeutsche Verkehre zu organisieren. Seit 2019 sind allein die staatlich bedingten Standortkosten um rund 50 Prozent gestiegen. Außerdem scheuen die Low Cost Airlines den Wettbewerb mit dem Platzhirsch Lufthansa; die Lufthansa hat aber auch ihr Angebot im innerdeutschen Verkehr deutlich eingeschränkt und treibt die Substitution innerdeutscher Flüge durch integrierte Schienenverkehrsangebote aktiv voran. Bei ihren Zubringerflügen zu den Drehkreuzen Frankfurt und München, die den Markt dominieren, gab es besonders starke Rückgänge. Hier ist keine Besserung in Sicht, wie die angekündigte komplette Streichung der Verbindungen von Friedrichshafen nach Frankfurt wegen unzureichender Flugzeugkapazitäten zeigt. Diese Geschäftspolitik der Lufthansa scheint eine Art vorauseilender Gehorsam mit Win-win-Komponente zu sein. Der politisch unerwünschte und auch ökonomisch weniger attraktive Kurzstreckenverkehr wird heruntergefahren, während im Gegenzug die Politik über ein höheres Gebührenniveau die „Billigflieger“ aus dem deutschen Markt heraushält. So hat die Bundesregierung z. B. der Erhöhung der Maximalgebühr für Passagier- und Gepäckkontrollen zugestimmt und die ursprünglich beschlossene Kerosinsteuer, die Lufthansa in ihrem internationalen Geschäft stärker belastet hätte, zugunsten einer Erhöhung der Luftverkehrssteuer aufgegeben. In einer solchen Gemengelage hat es der sich selbst immer noch als Flag Carrier lesende „Teuerflieger“ Lufthansa sehr viel leichter, bei knappem Angebot hohe Ticketpreise und sprudelnde Gewinne abzusichern. Ein damit verknüpftes schleichendes Grounding des innerdeutschen Luftverkehrs kann aber nicht im Interesse der Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft sein, zumal sich die Angebotsqualität des Fernverkehrs der Deutschen Bahn aktuell auf eher bescheidenem Niveau bewegt. Und die wirtschaftliche Situation der regionalen Flughäfen droht sich dramatisch zuzuspitzen. Kluge Politik für den Luftverkehrsstandort Deutschland würde anders aussehen, denn dessen Interessen sind nicht automatisch deckungsgleich mit denen der Lufthansa. Innerdeutscher Luftverkehr auf dem Rückzug Prof. Dr. rer. pol. Alexander Eisenkopf zu aktuellen Themen der Verkehrsbranche