eJournals Internationales Verkehrswesen 76/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0006
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2024
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Digital und nachhaltig mobil

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2024
Juliane Schicketanz
Timmo Janitzek
Fahrassistenzsysteme, vernetzte Rufbusse und Mobilitäts-Apps halten zunehmend Einzug in unseren Alltag. Diese und weitere aktuelle und zukünftige Entwicklungen der Digitalisierung im Verkehr, ihre Chancen und Risiken sowie notwendige Rahmenbedingungen wurden in zwei Forschungsvorhaben im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) analysiert. Zusammengefasst sind die Ergebnisse nun in einer Broschüre veröffentlicht. Dieser Artikel gibt die zentralen Ergebnisse wieder.
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Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 25 Xxxxx xxxxxxxxxxx LOGISTIK DOI: 10.24053/ IV-2024-0006 grund eines hohen Komforts gegenüber dem klassischen Auto, da man während der Fahrt andere Dinge erledigen kann. Zudem sprechen sie mehr Menschen an, die bisher nicht selbst fahren konnten oder durften. Ohne Regulierung solcher Angebote könnten in der Folge also mehr Menschen mit privaten Pkw mehr Wege zurücklegen, wodurch zusätzliche negative Umweltwirkungen des Verkehrs wie Lärm oder Flächenverbrauch entstehen. Private „Robotaxis“, aber auch fahrerlose Ruf busse, die entlang von bestehenden Bus- und Bahnlinien verkehren, stehen dabei in Konkurrenz zum klassischen ÖPNV. Gleichzeitig haben diese neuen Fahrzeuge aber eine geringe Kapazität, sodass in der Folge insgesamt deutlich mehr Fahrzeuge auf der Straße unterwegs sind. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie ältere Menschen und Kinder, von Angeboten ausgeschlossen werden, wenn die Planung und Buchung von Routen nur noch über bestimmte technische Voraussetzungen (z. B. Smartphone) funktionieren. D ie Digitalisierung und Automatisierung bieten zahlreiche Chancen: Durch die zunehmende Digitalisierung wissen wir mehr über die Mobilität der Menschen. Eine Kommune kann somit ihr öffentliches Verkehrsangebot besser an die Nachfrage anpassen, damit Energie sparen sowie den Verkehr intelligent steuern. Autonome On- Demand-Angebote bringen Menschen zur nächsten Haltestelle, die bisher nicht den ÖPNV nutzen konnten, weil es am passenden Angebot mangelte. Diese Veränderungen eröffnen das Potenzial, Wege vom privaten Pkw auf den ÖPNV zu verlagern. Mobilitäts-Apps erhöhen die Nutzerfreundlichkeit und Attraktivität, Wege mit Bus und Bahn oder Sharing-Angeboten in einer App zu planen und zu buchen (Mobility-asa-Service, MaaS). Mehr Menschen können so am Mobilitätsangebot teilhaben. Allerdings birgt die Digitalisierung im Verkehr auch zahlreiche Risiken für Umwelt und Klima. Das private automatisierte Fahrzeug könnte an Attraktivität gewinnen, auf- Die Vorteile digitaler Lösungen im Verkehr sollten also vorrangig für eine nachhaltige Mobilität zur Verfügung stehen. Hierzu sind verschiedene Regulierungsansätze notwendig, die die Aspekte Mobilität, Klimaschutz, Energieeffizienz, Verkehrssicherheit, Gesundheitsschutz sowie Flächen- und Ressourcenverbrauch berücksichtigen. Eine Ausgestaltung des Rechtsrahmens sollte grundsätzlich das Konzept einer integrierten Verkehrsplanung als Basis haben. Eine integrierte Verkehrsplanung richtet die Ausgestaltung des Verkehrsangebotes und der -infrastruktur an ökologischen und gesellschaftlichen Zielen aus. Beispiele für diese Ziele sind eine Verbesserung der Mobilität bei weniger Pkw-Verkehr durch die Stärkung des Umweltverbundes, eine Steigerung der Verkehrssicherheit, eine Verbesserung der Luftqualität und eine Verringerung des Verkehrslärms. Nachfolgend werden fünf konkrete Bausteine für einen konsistenten Regulierungsrahmen einer nachhaltigen Digitalisierung Digital und nachhaltig mobil Umweltbundesamt, Chancen, Risiken, ÖPNV, automatisierter Verkehr, Infrastruktur Fahrassistenzsysteme, vernetzte Rufbusse und Mobilitäts-Apps halten zunehmend Einzug in unseren Alltag. Diese und weitere aktuelle und zukünftige Entwicklungen der Digitalisierung im Verkehr, ihre Chancen und Risiken sowie notwendige Rahmenbedingungen wurden in zwei Forschungsvorhaben im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) analysiert. Zusammengefasst sind die Ergebnisse nun in einer Broschüre veröffentlicht. Dieser Artikel gibt die zentralen Ergebnisse wieder. Juliane Schicketanz und Timmo Janitzek Digitalisierung INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 26 INFRASTRUKTUR  Digitalisierung DOI: 10.24053/ IV-2024-0006 und Automatisierung im Personenverkehr vorgestellt (Bild 1). Baustein 1: Zulassung automatisierter Fahrzeuge Die Zulassung automatisierter Fahrzeuge sollte an ihren Einsatzzweck gebunden sein. Damit ist eine Genehmigung insbesondere für solche Fahrzeuge zu erteilen, die Verkehrsangebote als Teil des ÖPNV und als Sammelfahrdienste darstellen. Bisher sind automatisierte Fahrzeuge in Deutschland vor allem im Rahmen von kontrollierten Versuchen im Straßenverkehr eingesetzt. Eine Zulassung automatisierter Fahrzeuge in größerem Rahmen sollte nur dann erfolgen, wenn vollständig funktionierende digitale Verkehrssicherheitssysteme vorhanden sind, die die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden (d. h. auch im Fuß- und Radverkehr) gewährleisten. Solche Systeme müssen z. B. das sichere Abbiegen von automatisierten Fahrzeugen umfassen. Des Weiteren fallen hierunter Vorgaben für technische Standards zur Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmenden, z. B. zum Vorfahrt-Gewähren oder auch die Signalisierung von Parkplatzsuchfahrten, Ein- und Ausstiegen und Fahrgastwechsel. Darüber hinaus sollte die Energieeffizienz bei der Zulassung automatisierter Fahrzeuge berücksichtigt werden. Dies betrifft nicht nur die fahrzeugseitig verbauten Antriebe (z. B. batterieelektrische Antriebe), sondern auch die zusätzlichen Energiebedarfe durch IT-Systeme im Fahrzeug. Geringere Energiebedarfe können durch Vorgaben bzw. Anreize zur Entwicklung energieeffizienter Komponenten für die Automatisierung (wie Sensorik, Aktorik oder Bildverarbeitung) erreicht werden. Auch eine Programmierung und Umsetzung energiesparender Fahrweisen, die durch Automatisierung und Vernetzung möglich werden, sind wichtig. Zudem sollte eine effiziente Erhebung und Verarbeitung von Daten erfolgen. Dies betrifft eine prioritäre bzw. ausschließliche Sammlung und Nutzung von sicherheits- und verkehrsrelevanten Daten. Baustein 2: Begrenzung negativer Effekte des automatisierten Fahrens Ohne Regulierung des automatisierten Fahrens ist mit einer erheblichen Zunahme des Pkw-Verkehrs zu rechnen, beispielsweise aufgrund von Leerfahrten. Bei knappen Parkmöglichkeiten könnten die Nutzenden von fahrerlosen Fahrzeugen diese einfach in der Nähe ihres Aufenthaltsortes herumkreisen und sich zu einem späteren Zeitpunkt abholen lassen. Dies ist mit verschiedenen negativen Umweltfolgen verbunden (z. B. Lärm, Flächeninanspruchnahme, Verkehrssicherheit). Regelungen sollten daher unter anderem Leerfahrten und Parksuchverkehr adressieren. Dies kann beispielsweise über fahrleistungsabhängige Abgaben für Wege ohne Personen geschehen oder über Regelungen für den maximalen Parkplatzsuchradius beim automatisierten Parken. Ebenso kann Fahrzeugen das Einfahren in bestimmte Stadtgebiete verwehrt werden, wenn die Mitfahrenden zuvor keinen Parkplatz vor Ort gebucht haben. Einschränkungen des Autoverkehrs dürfen dabei nicht die Erreichbarkeit eines Quartiers oder einer Straße durch die Bürgerinnen und Bürger einschränken. Daher sollten Kommunen sicherstellen, dass die Zonen mit Zufahrtsbeschränkungen gut an das ÖPNV-Netz angeschlossen sind und am Rand der Gebiete Stellplätze für Pkw vorhanden sind. Baustein 3: Stärkung des Umweltverbundes Zur Stärkung des Umweltverbundes müssen Bund, Länder und Kommunen ein bundesweites, lückenloses öffentliches Verkehrssystem im Fern- und Nahverkehr schaffen, das gut mit den Rad- und Fußverkehrsnetzen verknüpft ist. Das Rückgrat des Systems bilden auch in Zukunft Busse und Bahnen, die zunehmend automatisiert fahren werden und die auf der ersten und letzten Meile durch automatisierte Sammelfahrdienste als Linienbedarfsverkehr (§44 PBefG) oder gebündelter Bedarfsverkehr (§50 PBefG) im ÖPNV-Standard ergänzt werden. Diese Bedarfsverkehre sollten in die Nahverkehrsplanung sowie in die Tarifsysteme des ÖPNV integriert werden. Gleichzeitig müssen Buchungen mit und ohne Smartphone sowie Bezahlmöglichkeiten mit und ohne Kreditkarte ermöglicht werden, um niemanden von der Nutzung auszuschließen. ÖPNV-Standard bedeutet auch ein barrierefreier Zustieg und der Transport von Gepäck und Fahrrädern. Um die ÖPNV-Qualität von Sammelfahrdiensten sicherzustellen, muss der Staat den Anbietern Vorgaben zur Buchungs- und Bezahlmöglichkeit sowie zur Barrierefreiheit machen. Sammelfahrdienste braucht es nicht nur zu den Hauptverkehrszeiten, sondern besonders in den Zeiten und Gebieten schwacher Nachfrage. Um auch in den weniger lukrativen Zeiten und Gebieten ein attraktives Angebot zu schaffen, gibt es verschiedene Optionen: Entweder schafft die öffentliche Hand eigene Sammelfahrdienste als Teil des ÖPNV-Angebots oder sie setzt Anreize für kommerzielle Betreiber, ein Angebot einzurichten (bspw. durch gebündelte Konzessionen für lukrative mit schwächer nachgefragten Bedienungsgebieten). Allerdings bestünde in den besonders lukrativen innerstädtischen Gebieten dann das Risiko einer Verlagerung von Verkehrsanteilen des Umweltverbundes auf die neuen Angebote infolge der Konkurrenz. Baustein 4: Digitale Infrastruktur Neben automatisierten Fahrzeugen bedarf es einer vernetzten digitalen Infrastruktur. Diese sollte durch öffentliche Investitionen nur dann ausgebaut werden, wenn sie gemeinwohlorientiert und energieeffizient ist und vorrangig für ein nachhaltiges Verkehrsmanagement genutzt wird. Letzteres kann eingesetzt werden, um ƒ die Einhaltung der Straßenverkehrsregeln durchzusetzen, ƒ eine Maut für das Fahren auf bestimmten Straßenkategorien oder in bestimmten Zonen zu erheben und dadurch einen finanziellen Anreiz zum Umstieg auf den Umweltverbund zu schaffen, ƒ die Verkehrssteuerung automatisierter Fahrzeuge durch eine übergeordnete Betriebszentrale zu übernehmen, die eine ökologisch nachhaltige Fahrweise fördert, oder ƒ durch eine vorgeschlagene Routenwahl gezielt bestimmte Straßen und Gebiete zu entlasten. Da die digitale Infrastruktur eng mit Gemeinde-, Kreis-, Land- und Bundesstraßen verbunden ist, bedarf es vor der Einführung eines digitalen Verkehrsmanagements einer Klärung der Verantwortlichkeiten (Kommune, Land, Bund). Es gilt die sachliche und örtliche Zuständigkeit für die Finanzierung, den Auf bau und den Betrieb der erforderlichen digitalen Infrastruktur zu regeln. Außerdem ist der Bezug zu den Betreibern automatisierter Fahrzeuge festzulegen. Es bedarf einer genauen Abgrenzung zwischen der technischen Aufsicht, der Betriebszentrale des Betreibers, die operativ ins Fahrzeug hereinreicht, und der übergeordneten öffentlichen digitalen Infrastruktur. Um die Vernetzung zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur zu ermöglichen, muss die Unter der Schirmherrschaft von +++ Digitale Transformation Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 27 DOI: 10.24053/ IV-2024-0006 Eingangsabbildung: © iStock.com/ metamorworks tätsdaten gewährleistet werden. Initiativen zur Verbesserung des Datenangebotes und der Datenvernetzung gibt es bereits, beispielsweise die Mobilithek des BMDV oder den Mobility Data Space der DRM Datenraum Mobilität GmbH. In den kommenden Jahren ist daher mit einer Verbesserung der Datenlage zu rechnen. Zahlreiche rechtliche Fragen, insbesondere im Hinblick auf Bereitstellungsbzw. Erhebungspflichten sowie den Datenzugang für Dritte und Finanzierungsfragen sind aber noch zu klären. Mobilfunkinfrastruktur, insbesondere 5G, flächendeckend ausgebaut werden. Die erheblichen Rohstoff- und Energiebedarfe für diese Vernetzung sollten in Treibhausgasbilanzen einfließen. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie die Verarbeitung der Mobilitätsdaten muss nach Energieeffizienzkriterien bspw. entsprechend des „Blauen Engels“ für Rechenzentren erfolgen. Baustein 5: Mobilitätsplattformen & Mobility-as-a-Service Die Weiterentwicklung digitaler Mobilitätsplattformen zu „Mobility-as-a-Service“- Plattformen, mit denen man einfach ganze Wegeketten mit verschiedenen Verkehrsmitteln planen und buchen kann, hat das Potenzial, Verkehr vom MIV auf den Umweltverbund zu verlagern. Dadurch können digitale Mobilitätsplattformen zum Klimaschutz, zur Flächen- und Ressourcenschonung sowie zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz beitragen. Um MaaS-Anwendungen zu ermöglichen, muss der Austausch einer Vielzahl von statischen und dynamischen Mobili- LITERATUR Albrecht, T.; Kühne, B.; Verse, B. (2023): Digitalisierung und Automatisierung im Verkehr. Ein regulativer Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung , Umweltbundesamt (Hrsg.), 173679. Bruns, F.; Straumann, R.; Nobis, C.; Winter, M.; Kolarova, V.; Karl, A.; Burgdorf, C.; Werner, J.; Frölicher, J.; Regling, L. (2023): Abschlussbericht Digitalisierung im Verkehr. Vorschläge für Regelungskonzepte Juliane Schicketanz Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Umweltbundesamt im Fachgebiet I 2.1 „Umwelt und Verkehr“ juliane.schicketanz@uba.de Timmo Janitzek Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt im Fachgebiet I 2.1 „Umwelt und Verkehr“ timmo.janitzek@uba.de und Rahmenbedingungen zur Realisierung einer nachhaltigen Mobilität , Umweltbundesamt (Hrsg.), 3718 58 1000. Thaller, C.; Blechschmidt, J.; Deineko, E.; Fremder, L.; Galich, A.; Hettich, G.; Kirsten, S.; Liedtke, G.; Winkler, C.; Vortisch, P.; Zeidler, V.; Heidt, C.; Helms, H.; Kraeck, J. (2023): Abschlussbericht Digitalisierung im Verkehr. Potenziale und Risiken für Umwelt und Klima , Umweltbundesamt (Hrsg.), 3716 58 1030. Veranstalter 14. - 16. Mai 2024 Messe Karlsruhe it-trans.org Fachmesse | Konferenz | Netzwerken Unter der Schirmherrschaft von Dr. Volker Wissing Bundesminister für Digitales und Verkehr Partner +++ Künstliche Intelligenz +++ Bezahlung & Ticketing +++ Cybersecurity +++ Daten-Standards & Governance +++ Digitale Transformation +++ 5G & Telekommunikation +++ Shared Mobility & Mobility as a Service +++ Autonome Mobilität +++ NEXT STOP IT-TRANS! Jetzt Ticket sichern: Anzeige