Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0011
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2024
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Containerisierung des Einzelwagenverkehrs
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2024
Ralf Ebert
Aylin Altun
Die Nutzung des Schienengüterverkehrs ist wesentlich für die Erreichung der Klimaziele sowie für die Umsetzung der Ziele des Masterplan Schienengüterverkehr des BMDV. Um die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelwagenverkehrs zu steigern, sind innovative Konzepte notwendig. Die Containerisierung des Einzelwagenverkehrs durch Trennbarkeit von Güterwagen und Behälter bringt neue Potenziale mit sich, flexibler zu agieren, besser auf Kundenbedürfnisse einzugehen und dadurch den Modal Shift vom Straßen- zum Schienengüterverkehr zu unterstützen.
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Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 54 DOI: 10.24053/ IV-2024-0011 LOGISTIK Güterverkehr 25 % zu steigern [1]. Aktuell liegt der Anteil der Schiene am gesamten Güterverkehr bei etwa 20 %, davon wiederum 17 % beim Einzelwagenverkehr [2]. Um Treibhausgasemissionen zu reduzieren, soll ein Modal Shift vom Straßenzum Schienengüterverkehr stattfinden, da der SGV knapp 90 % weniger Emissionen ausstößt [3] als der D er Schienengüterverkehr (SGV) gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit im Kontext der Erreichung der Klimaziele. Im Masterplan Schienengüterverkehr des BMDV hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den Modal Split der Schiene am Güterverkehr bis 2030 auf mindestens Lkw-Verkehr, der mit seinem Modal Split von 71 % mit Abstand führt [4]. Der Einzelwagenverkehr (EV) ist eine Produktionsform des Schienengüterverkehrs, bei dem einzelne Wagen oder Wagengruppen über ein mehrstufiges, schienengebundenes Transportnetzwerk vom Sender zum Empfänger transportiert wer- Containerisierung des Einzelwagenverkehrs Wie die Trennbarkeit von Güterwagen und Behälter die Zukunft des Einzelwagenverkehrs beeinflusst Innovation, Schienengüterverkehr, Intermodaler Transport Die Nutzung des Schienengüterverkehrs ist wesentlich für die Erreichung der Klimaziele sowie für die Umsetzung der Ziele des Masterplan Schienengüterverkehr des BMDV. Um die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelwagenverkehrs zu steigern, sind innovative Konzepte notwendig. Die Containerisierung des Einzelwagenverkehrs durch Trennbarkeit von Güterwagen und Behälter bringt neue Potenziale mit sich, flexibler zu agieren, besser auf Kundenbedürfnisse einzugehen und dadurch den Modal Shift vom Straßenzum Schienengüterverkehr zu unterstützen. Ralf Elbert, Aylin Altun Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 55 Güterverkehr LOGISTIK DOI: 10.24053/ IV-2024-0011 den. Dabei werden zunächst einzelne beladene Güterwagen oder Wagengruppen von den Absendern mithilfe von Rangierfahrten gesammelt. Für eine maximale Auslastung der zulässigen Zugkapazitäten, vor allem die Zuglänge, werden diese auf der Hauptstrecke mit anderen Güterwagen bzw. Wagengruppen zusammengestellt, transportiert und anschließend an die Empfänger mittels entsprechender Rangierfahrten verteilt [5]. Durch das Zusammenstellen aus Einzelwagen und Wagengruppen können Effizienzvorteile der Schiene gegenüber der Straße erzielt werden. Im Vergleich zum Kombinierten Verkehr (KV) entfällt außerdem der Umschlag der Güter zwischen Straße und Schiene. Allerdings sind die Prozesse, die zur Zusammenstellung der Züge benötigt werden, sehr personal-, zeit- und kostenintensiv [6]. Der Einzelwagenverkehr heute Die Produktionsform des Einzelwagenverkehrs wird genutzt, wenn das Sendungsauf kommen für die Nutzung des Ganzzugverkehres, bei dem ein Kunde alle Wagen eines Zuges belädt und so bis zum Empfänger transportieren lässt [5], zu gering ist oder der Versender/ Empfänger bspw. aufgrund eines eigenen Gleisanschlusses keinen Bedarf für einen Vor- oder Nachlauf mit einem Lkw hat, wie es beim kombinierten Straßen- und Schienenverkehr der Fall ist. Der EV ist dementsprechend das schienengebundene Gegenstück zum Lkw-Verkehr, da Sendungen in einzelnen Wagen oder Wagengruppen transportiert werden können. Dies erklärt wiederum, warum der EV und der Lkw-Verkehr stärker im gegenseitigen Wettbewerb stehen [5]. Während sich die Transportleistung des Kombinierten Verkehrs von 2015 bis 2021 dynamisch von 51,6 auf 58,3 Mrd. Tonnenkilometern (tkm) entwickelt hat [7] , sind im Einzelwagenverkehr eher rückläufige Zahlen zu beobachten: Dort hat sich die Transportleistung von 2015 bis 2020 von 23 auf 21 Mrd. tkm verringert [1]. Grund dafür ist unter anderem die Tatsache, dass der EV sehr manipulationsintensiv ist [8]: Die Güterwagen erfordern sowohl bis zur Ankunft am Start-Rangierbahnhof als auch auf der Hauptstrecke und bis zur Ankunft beim Empfänger mehrfach Rangierfahrten, um die Züge so zusammenzustellen, dass sie über einen möglichst langen Streckenabschnitt eine vorteilhaft hohe Zugkapazität ausnutzen können. Dadurch ergeben sich mehrere Nachteile, z. B. hohe Rangierkosten an Zugbildungsanlagen und vor Ort bei den Versendern/ Empfängern als auch lange Transportzeiten. Dabei lässt sich ein signifikanter Anteil der Transportzeit im EV auf die Rangierfahrten zurückführen [6]. Veränderungen des EV durch eine Containerisierung Die im EV genutzten herkömmlichen Güterwagen sind fest verschweißte Einheiten von Tragwagen und Behälter. Die kleinste Sendungseinheit ist ein Güterwagen mit einer dazugehörigen Güterwagennummer [5]. Durch eine Containerisierung, die eine Trennung von Tragwagen und Behälter ermöglicht, ändert sich das - die kleinste Sendungseinheit wird ein Behälter. In der Konsequenz haben damit sowohl der Behälter als auch der Tragwagen eine eigene Nummer zur Identifikation und Steuerung. Solche Güterwagenkonzepte eröffnen neue Möglichkeiten, z. B. branchenspezifische Lösungen für den EV, und befinden sich aktuell in Planung oder sind gar im Umlauf auf den Schienen. Beispiele hierfür sind etwa der m²-Güterwagen von DB Cargo (siehe Abbildung 1), der InnoWaggon von Innofreight Solutions (siehe Abbildung 2), die Intermodalwagen von Wascosa sowie das Plattformkonzept TransANT der Rail Cargo Group. Gemeinsamkeit dieser innovativen Güterwagenkonzepte ist, dass sie unterschiedlichste modulare Tragwagen mit abnehmbaren, multifunktionalen Behältern verbinden. Dabei können die standardisierten Behälter bei den Kunden des EV abgeladen und von diesen angemietet werden, um sie innerhalb ihres eigenen Werkgeländes (fallweise sogar platzsparend gestapelt) als Lagerfläche zu nutzen. Die Tragwagen müssen im Vergleich zum Equipment im Kombinierten Verkehr weiterhin ablauf bergfähig sein, sodass sie rangiert werden können, was eine Grundvoraussetzung für die Nutzung im EV ist [9]. Während für die Nutzung von herkömmlichen Güterwagen im EV eine Anbindung an das Schienennetz durch einen Gleisanschluss notwendig ist, können durch eine Trennung von Tragwagen und Behälter auch Kunden ohne Gleisanschluss Güter beispielsweise über Railports versenden und empfangen, wobei ähnlich wie im KV die letzte Meile des Behälters über einen Transport auf der Straße stattfindet. Beim Versand können bereits beladene Behälter direkt auf die Tragwagen umgeschlagen werden, was die Anzahl an Rangierfahrten verringert. Im besten Fall können mit derselben Rangierfahrt, mit der die Behälter zum Kunden geliefert werden, neue Behälter abgeholt und weiter transportiert werden. Damit können Rangierkosten gesenkt und die Umlaufzeit reduziert werden. Die skizzierten Potenziale des EV durch eine Containerisierung, d. h. Trennbarkeit von Tragwagen und Behälter, stellt jedoch insbesondere die Disposition der Transporte vor neue Herausforderungen. Während im klassischen EV lediglich der Güterwagenumlauf gesteuert wird, müssen bei solch containerisierten Transporten zusätzlich zum Tragwagen auch die Behälter separat gesteuert werden. Wie in Abbildung 1 und 2 zu sehen, können bei einigen Anbietern sogar bis zu zwei Behälter auf einem Tragwagen platziert werden, was eine Steuerung noch komplexer gestaltet. Dies stellt ein taktisches Planungsproblem im Operations Research dar und wird in der Literatur als Bild 1: m²-System der DB Cargo (Bild: DB AG, Pablo Castagnola) Internationales Verkehrswesen (76) 1 ǀ 2024 56 Artikelstartbild: © iStock.com/ Roman Vyshnikov DOI: 10.24053/ IV-2024-0011 Service Network Design Problem mit Asset Management bezeichnet [10]. Die Aufgaben, die sich dabei der Disposition stellen, sind: sowohl die Tragwagen als auch die Behälter effizient zu steuern, sodass Zugkapazitäten möglichst ausgelastet und Leerfahrten reduziert werden. Dabei sollen so viele Behälter wie nötig, jedoch so wenige wie möglich im Umlauf bleiben, um auch hier Kapazitäten auszuschöpfen und Leerstände zu vermeiden. Ziel ist eine Minimierung der Umlaufzeit von Tragwagen und Behälter, um möglichst viele Aufträge innerhalb einer Zeitperiode abwickeln zu können und somit die Transportleistung zu erhöhen. Zusammenfassung und weitere Entwicklung Insgesamt lässt sich festhalten, dass der EV einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten kann. Durch eine Containerisierung und die Entwicklung optimierter Dispositionsplanungen kann die Umlaufsteuerung der Tragwagen und Behälter effizient gestaltet und dadurch Zeit und Kosten gesenkt werden, was folglich die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs steigert [6]. Wie genau sich solche innovativen Güterwagenkonzepte auf die Umlaufsteuerung auswirken und welche Lösungsverfahren für die daraus resultierenden neuen Planungsprobleme in der Disposition möglich sind, wird aktuell im „Forschungslab innovativer Güterwagen“ untersucht - einem Kooperationsinstitut zwischen der DB Cargo und der TU Darmstadt, das die Zusammenarbeit im Bereich Planung und Analyse von Logistik- und Transportdienstleistungen fördert . Bild 2: MonTainer von Innofreight (Bild: Innofreight.com) LITERATUR [1] Bundesministerium für Digitales und Verkehr (2021). Klimaschutz im Verkehr - Schienengüterverkehr.https: / / bmdv.bund. de/ DE/ Themen/ Mobilitaet/ Klimaschutzim-Verkehr/ Schienengueterverkehr/ schienengueterverkehr.html#: ~: text=Im%20 Masterplan%20Schienenverkehr%20 h a t % 2 0 s i c h , b i s % 2 0 z u % 2 0 1 5 0 % 2 0 Lkw%20ersetzen. (Abruf 05.01.2024) [2] Roland Berger im Auftrag des VDV: Gutachten zum Schienengüterverkehr in Deutschland bis 2030. URL: https: / / www. vdv.de/ rb-pub-21-021-cop-vdv-gutach tenschienengueterverkehr-210921-on line-es.pdfx (Abruf 05.01.2024) [3] Umweltbundesamt (2022). Emissionsdaten. https: / / www.umweltbundesamt. de/ themen/ verkehr/ emissionsdaten#ve rkehrsmittelvergleich_personenverkehr_ grafik (Abruf 05.01.2024) [4] Allianz Pro Schiene. Marktanteile: Der Erfolgskurs der Güterbahnen. https: / / www. allianz-pro-schiene.de/ themen/ gueterverkehr/ marktanteile/ (Abruf 05.01.2024) [5] Stuhr, H. et al. (2023). Schienengüterverkehr: Marktumfeld, Produktion, Technik und Innovation. Springer Fachmedien Wiesbaden. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978- 3-658-38753-2 [6] Bundesnetzagentur (2022). Sondererhebung Einzelwagenverkehr, Marktstrukturen und Wirtschaftlichkeit. https: / / data.bundesnetzagentur.de/ Bundes netzagentur/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Sachgebiete/ Eisenbahn/ Unterneh men_Institutionen/ Veroeffentlichungen/ Marktuntersuchungen/ Sondererhebung/ ewv_bericht.pdf (Abruf 05.01.2024) [7] Statista (2023). Beförderungsleistung im kombinierten Verkehr in Deutschland in den Jahren 2007 bis 2021. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 1167956/ umfrage/ befoerderungs leistung-im-kombinierten-verkehr-indeutschland/ (Abruf 05.01.2024) [8] Mühlsteiger, A. & Rüger, B. (2020). Effizienzsteigerung im Einzelwagenver kehr. Eisenbahntechnische Rundschau (ETR), 19. http: / / hdl.handle.net/ 20.500. 12708/ 140228 [9] DB Cargo AG (2022). Wagen mit System. URL: https: / / www.dbcargo.com/ rail-de-de/ logistik-news/ neues-wagenkreislaufwirtschaft-salzgitter-ag-m2wagen-8965290 (Abruf 05.01.2024) [10] SteadieSeifi, M. et al. (2014). Multimodal freight transportation planning: A literature review. European journal of operational research 233.1. 1-15. Ralf Elbert, Prof. Dr. Leiter des Fachgebiets Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt elbert@log.tu-darmstadt.de Aylin Altun, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik, Technische Universität Darmstadt altun@log.tu-darmstadt.de LOGISTIK Güterverkehr
