Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0027
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Der PKW als Teil des ÖPNV
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Lisa Schultheis
Die moderne Mobilität steht vor ständigen Herausforderungen, die zunehmend innovative und nachhaltige Lösungen erfordern. Großstädte werden über den öffentlichen Nahverkehr gut versorgt, kämpfen aber in der Rushhour zeitgleich mit verstopften Straßen und hoher Emissionsbelastung. Noch schwieriger ist die Situation in ländlichen Gebieten. Menschen sind nach wie vor auf ihren eigenen Pkw angewiesen, um zur Arbeit zu pendeln. Die lokalen ÖPNV-Netze reichen meist nur bis über die Stadtgrenze, nicht aber bis aufs Land.
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MOBILITÄT ÖPNV Internationales Verkehrswesen (76) 2 ǀ 2024 54 DOI: 10.24053/ IV-2024-0027 gen, dass wir den ÖPNV ausbauen und attraktiver gestalten müssen. Die Einführung des Deutschlandtickets im vergangenen Jahr war eine wichtige und gute Maßnahme. Sie hat eine Transformation in der ÖPNV-Welt angestoßen und sorgt dafür, dass der öffentliche Verkehr attraktiver wird. Zeitgleich wird damit aber auch deutlich mehr Kapazität benötigt, damit Fahrgäste ihren Bedürfnissen entsprechend von A nach B gelangen. Um all diesen Herausforderungen gerecht zu werden, braucht es digitale und nahtlose Angebote, damit immer mehr Menschen ohne L aut statistischem Bundesamt nutzen knapp 70 % der Pendelnden den eigenen Pkw für den Arbeitsweg. Eine konkretere Aufschlüsselung im Personenverkehr zeigt ebenso ein klares Bild und damit ein großes Ungleichgewicht: Insgesamt verkehrten rund 45 Mrd. Menschen im Jahr 2021 im motorisierten Individualverkehr (MIV), daneben wurden nur knapp 6,7 Mrd. im Bus- und Straßenverkehr und 1,74 Mrd. im Eisenbahnverkehr befördert. [1] Die Zahlen sowie die Auswirkungen dieser auf unsere Verkehrs- und Umwelt bele- Hürde in den Umweltverbund umsteigen. In diesem Kontext gewinnt die Integration von Fahrgemeinschaften in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zunehmend an Bedeutung. Bonn, als lebendige Stadt mit einem fortschrittlichen Verkehrssystem, setzt hierbei auf die wegweisende Lösung von goFLUX. Mobilität für alle: Ein zentrales Anliegen der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg Kreis Bonn hat ein breites Spektrum an Berufspendler*innen und legt großen Wert darauf, Der PKW als Teil des ÖPNV Eine Zeitenwende im Öffentlichen Verkehr Integrierte Mobilität, Intermodalität, Pendel-Fahrgemeinschaften, Neue Mobilität Die moderne Mobilität steht vor ständigen Herausforderungen, die zunehmend innovative und nachhaltige Lösungen erfordern. Großstädte werden über den öffentlichen Nahverkehr gut versorgt, kämpfen aber in der Rushhour zeitgleich mit verstopften Straßen und hoher Emissionsbelastung. Noch schwieriger ist die Situation in ländlichen Gebieten. Menschen sind nach wie vor auf ihren eigenen Pkw angewiesen, um zur Arbeit zu pendeln. Die lokalen ÖPNV-Netze reichen meist nur bis über die Stadtgrenze, nicht aber bis aufs Land. Lisa Schultheis MOBILITÄT ÖPNV Internationales Verkehrswesen (76) 2 ǀ 2024 55 DOI: 10.24053/ IV-2024-0027 Mobilität für alle zugänglich zu machen. Der ÖPNV spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem er eine effiziente, umweltfreundliche und kostengünstige Alternative zum individuellen Auto bieten will. In den vergangenen Jahren ist die Wirtschaftsregion Bonn/ Rhein-Sieg erheblich gewachsen, was überwiegend auf die gestiegene Mobilität von Arbeitnehmenden zurückzuführen ist. Viele wohnen im Umland und pendeln für ihre Arbeit in eine andere Kommune, was zu einer Zunahme des Verkehrsvolumens führt. Trotz dieser Zuwächse wurde das Verkehrsangebot nicht im gleichen Maße erweitert, wie aus einer Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/ Rhein-Sieg („Pendlerregion Bonn/ Rhein-Sieg“) hervorgeht. [2] Die Ausdehnung der Verkehrsinfrastruktur und der Mobilitätsangebote blieben nicht im gleichen Umfang bestehen, was die Anfälligkeit der Region für Staus weiter erhöht hat. Um dieser Herausforderung zu begegnen, schlägt die IHK einen vielfältigen Mix an Lösungsansätzen vor, die dazu beitragen können, die Verkehrssituation nachhaltig zu verbessern, dazu zählen auch digitale Fahrgemeinschaften. Auch Bonns Oberbürgermeistern Katja Dörner sieht Fahrgemeinschaften (engl. „Carpooling“) im modernen Verkehrsmix: „Carpooling ist neben dem dringend erforderlichen Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des ÖPNV ein weiterer Baustein, um den Verkehr auf der Straße zu entlasten - und auch die Menschen, die es nutzen,“ Dörner ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und gehört zu den 21 Oberbürgermeister*innen, die seit langem fordern, der Mobilitätswende bundesweit mehr Priorität einzuräumen. ÖPNV als Rückgrat des Verkehrssystems - Unternehmen als Kooperationspartner*innen Mit einer engen Taktung und einem dichten Haltestellennetz innerhalb der Stadt versorgt SWB Bus und Bahn (Stadtwerke Bonn Verkehrs GmbH) seine Bürger*innen mit dem ÖPNV in Bonn sehr gut. Doch gerade außerhalb der Stadtgrenzen braucht es Lösungen, durch die Menschen einfacher in den Umweltverbund gelangen, insbesondere, wenn die Anbindungen nicht gut genug oder mit zu vielen Umstiegen verbunden sind. Seit August 2022 gehen SWB und das Kölner Unternehmen goFLUX Mobility gemeinsam neue Wege. Sie integrieren private Pkw sinnvoll in den öffentlichen (Nah-) Verkehr. Digitale Fahrgemeinschaften ergänzen über die Mitfahr-App goFLUX das Verkehrsnetz von SWB Bus und Bahn. Die Kooperationspartner ermöglichen Pendelnden so über intermodale Fahrten einen leichteren Umstieg vom Auto in den Umweltverbund. Fahrgemeinschaften, Busse und Bahnen können beliebig kombiniert werden. Als weiteren Anreiz fahren Menschen mit einem Deutschlandticket kostenlos oder vergünstigt in goFLUX-Fahrgemeinschaften mit. Das integrative Angebot verbessert die Stadt-Land-Beziehung und reduziert gleichzeitig den MIV. Die regionale Vernetzung ist ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Mobilitätstransformation. Daher integriert goFLUX auch Unternehmen und Arbeitgeber*innen in das neue Angebot, um einen direkten Draht zu Berufspendelnden herzustellen und Unternehmen verschiedene Vorteile in der Mitarbeitenden-Mobilität zu ermöglichen. Ein gutes Beispiel ist der Venusberg in Bonn. Er befindet sich zwar im Stadtgebiet, wird jedoch aktuell nur mit Buslinien versorgt. Mit dem Universitätsklinikum Bonn sowie dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen befinden sich dort zwei große Arbeitgeber*innen, die ihren Mitarbeitenden eine gute und nachhaltige Anbindung ermöglichen möchten. Durch die nahtlose Integration von Fahrgemeinschaften in das Bonner ÖPNV-Netz ist ein durchdachtes, ganzheitliches Mobilitätsangebot entstanden, das bereits bis heute den Pendelweg vieler Menschen verbessern konnte. Arbeitswege werden so effizienter, da sie Zeit als auch Ressourcen sparen. Bedürfnis und Akzeptanz: Berufspendelnde als Nutzende im Fokus Viele Mitfahrprojekte sind in den vergangenen Jahren an einer fehlenden kritischen Masse gescheitert. Es reicht nicht, sich nur auf eine starke Technologie zu verlassen. Wenn Fahrgemeinschaften den ÖPNV sinnvoll ergänzen sollen, braucht es ein holistisches Konzept, damit das Zusammenspiel aller Akteur*innen Synergieeffekte bildet. Das Mobilitäts-Bedürfnis und die Akzeptanz der Nutzenden sind entscheidend für den Erfolg eines neuen Angebots. goFLUX berücksichtigt diese Faktoren, indem die App eine einfache und nutzungsfreundliche Plattform bietet, die individuelle Präferenzen und Anforderungen vereint. Monetäre Anreize für Menschen, die eine Fahrt anbieten, aber auch das kostenfreie Fahren für Menschen mit Deutschlandticket, sind ein Bild 1: Routenempfehlung mit intermodaler Verbindung in der goFLUX-App ÖPNV MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (76) 2 ǀ 2024 56 DOI: 10.24053/ IV-2024-0027 enormer Hebel, wenn es um die Attraktivität und Akzeptanz dieser Mobilitäts-Lösung geht. Auch die individuelle Pendel-Routine lässt sich in der App einstellen, damit Nutzende flexibel bleiben und beispielsweise auch Homeoffice Tage angeben können. Indem goFLUX Mobility Pkw mit dem ÖPNV vernetzt und zeitgleich Arbeitgeber- *innen miteinbezieht, ist in Nordrhein- Westfalen eine kritische Masse entstanden, wodurch sich Angebot und Nachfrage selbst regeln. Erfolgreiche Zusammenarbeit und nachhaltige Mobilität: Bilanz einer innovativen Partnerschaft im ÖPNV Seit der Einführung im August 2022 haben die goFLUX-Fahrgemeinschaften das Verkehrsnetz in Bonn auf bemerkenswerte Weise ergänzt. Nach knapp anderthalb Jahren zogen die Partner*innen eine positive Bilanz. Gemeinsam haben sie mehr als 7000 Fahrgemeinschaften abgewickelt und damit etwa 150.000 Kilometer auf der Straße vermieden sowie mehr als 42.000 kg CO 2 -Äquivalente eingespart. Die steigende Akzeptanz der der Pendler*innen in Bonn erfüllt die Stadtwerke mit Freude, insbesondere in Anbetracht des nachhaltigen Beitrags zur Umweltentlastung im Personenverkehr. Anja Wenmakers, Geschäftsführerin von SWB Bus und Bahn, äußerte sich dazu bei der gemeinsamen Pressekonferenz Ende 2023: „Nach einem Jahr ziehen wir ein durchaus positives Fazit. Die Zahlen steigen stetig, und wir sind überzeugt, dass dieser Trend auch im kommenden Jahr bestätigt werden kann. Als Nahverkehrsunternehmen tragen wir aktiv zur Förderung des betrieblichen Mobilitätsmanagements in diesem Segment bei. Fahrgemeinschaften sind nicht nur gut für die Umwelt, sondern lassen sich auch nahtlos mit unseren Sharing-Angeboten kombinieren. Individuelle Mobilitätsketten bilden die Grundlage für die Zukunft des Verkehrs. goFLUX ist ein bedeutendes Element in dieser Kette.“ Eine übertragbare Erfolgsgeschichte aus Frankreich In Frankreich ergänzen Fahrgemeinschaften seit vielen Jahren erfolgreich den öffentlichen Nahverkehr. Während unsere Nachbarn monatlich schon mehr als 1 Million Pendel-Fahrgemeinschaften abwickeln und dadurch ihren Personenverkehr und ihre Kapazitäten erweitern, ist dieses Konzept in Deutschland noch vergleichsweise neu. go- FLUX Mobility, mittlerweile ein Tochterunternehmen der französischen Karos-Gruppe, überträgt die Erfolge aus Frankreich auf den deutschen Markt. Auszeichnungen wie der Umweltwirtschaftspreis.NRW, Projekt Nachhaltigkeit und der Deutsche Mobilitätspreis unterstreichen dies. Auch die Nutzungszahlen des ÖPNV-Angebots spre- Bild 2: Die Zahlen der durchgeführten goFLUX-Fahrgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen zeigen einen exponentiellen Anstieg seit September 2022 Legende: Grüne Linien - reines ÖPNV-Netz von Île-de-France. Rote Linien - Pendel-Fahrgemeinschaften, die das vorhandene Netz ergänzen Bild 3: Die goFLUX-Mutter Karos steigert die Erreichbarkeit des ÖPNV in Frankreich (hier: Großraum Paris) von 36 auf über 90 Prozent MOBILITÄT ÖPNV LITERATUR [1] https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Arbeit/ Arbeitsmarkt/ Erwerbstaetigkeit/ im-Fokus-Pendler. html. [2] h tt p s : / / w w w. i h k b o n n . d e / s t a n d o rt p o l iti k / v e r ke h r s p o l iti k / v e r ke h r s p o l iti s c h e p o s iti onen-1-1. Lisa Schultheis Head of Communications bei goFLUX Mobility lisa.schultheis@go-flux.de weltfreundliche und bedarfsgerechte Fortbewegung. Bonn geht hier mit gutem Beispiel voran und zeigt, dass eine integrierte Mobilitätsstrategie der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft ist. Im Januar dieses Jahres startete goFLUX eine neue Kooperation mit dem Verkehrsverbund Großraum Ingolstadt (VGI) und erschließt damit ein weiteres Bundesland. Diese Zusammenarbeit zeigt erneut, dass die Integration von privaten Pkw nachhaltige Optimierungsmöglichkeiten im Personennahverkehr bietet. Die Kombination aus Digitalisierung und der Flexibilität von Pendel-Fahrgemeinschaften eröffnet dabei neue Perspektiven für eine effiziente und umweltfreundliche Mobilität. Nordrhein Westfalen und Bayern agieren hier beispielhaft und setzen neue Maßstäbe für die Gestaltung der Zukunft im Personenverkehr. ■ Eingangsabbildung: © iStock.com/ AndreyPopov Max L. J. Wolf Projektarbeit bei kleineren und mittleren Vorhaben Orientierung schaffen für die Praxis mit dem Projektmanagement-Kompass! expertverlag.de Anzeige chen für sich - goFLUX betrachtet sie als entscheidenden Faktor für den Erfolg dieser übertragbaren Lösung: Daten und Zahlen sind elementar, wenn es um die Bewertung eines neuen Mobilitätsansatzes geht. Reine Fahrtangebote oder das Potenzial zu benennen, reicht als Indikator nicht aus, wenn wir wirklich wollen, dass Fahrgemeinschaften als fester Bestandteil in der Mobilitätswelt stattfinden. Ausblick: Neue Horizonte für den ÖPNV durch innovative Kooperationen Das ergänzende Angebot in Bonn zeigt, wie innovative Ansätze nicht nur die urbane, sondern auch die ländliche Mobilität nachhaltig gestalten und verbessern kann. Die Verknüpfung von Fahrgemeinschaften mit dem bestehenden ÖPNV-System eröffnet neue Perspektiven für eine effiziente, um- ÖPNV MOBILITÄT
