eJournals Internationales Verkehrswesen 76/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0029
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2024
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Unternehmen als Multiplikatoren der Mobilitätswende

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2024
Matthias Nocker
Julia Schmid
Die Klimakrise erfordert eine andere Mobilität. Jedoch werden fossile Verkehrsformen, insbesondere im Kontext von Unternehmen, von öffentlicher Hand noch immer massiv gefördert. Betriebliches Mobilitätsmanagement (BMM) kann helfen innerhalb von Unternehmen Mobilität anders zu denken und zu praktizieren. Eine Rücknahme oder Ökologisierung klimakontraproduktiver Subventionen wird dadurch politisch leichter umsetzbar. Dieser Beitrag zeigt, mit welchen BMM-Beratungsformaten und Governance-Strukturen Gebietskörperschaften Unternehmen als Multiplikatoren der Mobilitätswende gewinnen können.
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DOI: 10.24053/ IV-2024-0029 Internationales Verkehrswesen (76) 2 ǀ 2024 62 (2020: 2,3 Mrd. €) zusammen [3]. Die Situation in Deutschland ist ähnlich [4]. Die größten Posten sind die Mineralölste uervergünstigung für Diesel, die Verpflichtung zur Errichtung von Stellplätzen, die pauschalierte Besteuerung von Dienstwägen und die Pendler: innenförderungen - womit wir beim Thema Arbeitswege und Unternehmensmobilität angelangt sind: Ein Großteil der Marktverzerrungen zugunsten fossiler Automobilität geschieht im Kontext von Unternehmen. Dies führt so weit, dass werktags Arbeits- und Dienstwege gut die Hälfte aller Pkw-Fahrten ausmachen [5]. Eben weil so viele Wege im Kontext von Unternehmen getätigt werden, besteht hier ein großer Hebel, um den Carbon Lock-in aufzulockern: Sofern es gelingt klimafreund- A ngesichts der sich beschleunigenden Klimakrise erscheint eine Mobilitätswende mit Emissionsreduktionen dringend angezeigt. Jedoch verharren Gesellschaften in einem sogenannten „Carbon Lock-in“ [1], einer besonders starken Form der Pfadabhängigkeit von - im gegenständlichen Fall - fossilen Verkehrsformen und Strukturen. Carbon Lock-in im Verkehr Noch immer fördert die öffentliche Hand den fossilen Verkehr in Milliardenhöhe: In Österreich mit bis zu 4 Mrd. € pro Jahr [2]. Diese klimakontraproduktiven Subventionen machen nahezu 1 % des BIP aus und entsprechen in etwa den Ausgaben für Umweltschutz (2020: 1,5 Mrd. €) und Landesverteidigung liche Mobilität für Unternehmen und ihre Mitarbeiter: innen zu etablieren, lässt sich eine Ökologisierung und ein Zurückfahren der klimakontraproduktiven Subventionen politisch leichter durchsetzen. Dazu - und dies ist die zentrale These dieses Beitrags - können von kommunaler Seite geförderte Beratungsprogramme für Betriebliches Mobilitätsmanagement wesentlich beitragen. Durch diese Impulse von außen können Unternehmen Aktivitäten für eine attraktivere und klimafreundliche Mobilität umsetzen. Dies stößt Lernprozesse an, übersetzt technologische Innovationen in klimafreundliche Praktiken und verstetigt sowie habitualisiert sie. Es stellt sich nun die Frage, wie kommunale Beratungsprogramme für Betriebliches Mo- Unternehmen als Multiplikatoren der Mobilitätswende Betriebliches Mobilitätsmanagement, Nachhaltige Mobilität, Klimaneutralität, Mobilitätswende, Unternehmen Die Klimakrise erfordert eine andere Mobilität. Jedoch werden fossile Verkehrsformen, insbesondere im Kontext von Unternehmen, von öffentlicher Hand noch immer massiv gefördert. Betriebliches Mobilitätsmanagement (BMM) kann helfen innerhalb von Unternehmen Mobilität anders zu denken und zu praktizieren. Eine Rücknahme oder Ökologisierung klimakontraproduktiver Subventionen wird dadurch politisch leichter umsetzbar. Dieser Beitrag zeigt, mit welchen BMM-Beratungsformaten und Governance-Strukturen Gebietskörperschaften Unternehmen als Multiplikatoren der Mobilitätswende gewinnen können. Matthias Nocker, Julia Schmid MOBILITÄT  Unternehmen DOI: 10.24053/ IV-2024-0029 Internationales Verkehrswesen (76) 2 ǀ 2024 63 niederschwellig und der Weg zu einer direkten Ansprechperson nicht weit. Die nachhaltige Verankerung von BMM, auch bei der Umsetzung von Einzelmaßnahmen, ist Erfolgsgarant für eine zukunftsfähige Mobilität im Unternehmen. Um dies auch nach der Teilnahme an einem BMM- Beratungsformat zu gewährleisten, empfiehlt sich der fortlaufende Austausch unter Alumni-Unternehmen. Ein BMM-Klub bewährt sich nach wie vor in München: Im Klub treffen sich die Unternehmen halbjährlich und tauschen sich über aktuelle Trends rund um BMM aus. Die fünf Beratungsformate (Initialzündung, Einzelaktivität, Mobilitätskonzept, Kooperationen, Neuansiedelung) bilden gemeinsam mit der unterstützenden Governance (Kompetenzzentrum, Gebietsmanager: innen und BMM-Klub) eine effektive Struktur, um Unternehmen als Multiplikatoren der Mobilitätswende zu gewinnen und so den Spielraum für ein Zurückfahren der klimakontraproduktiven Subventionen zu vergrößern. ■ LITERATUR [1] Sato I, Elliott B, Schumer C. What Is Carbon Lockin and How Can We Avoid It? 2021. [2] Kletzan-Slamanig D, Köppl A, Sinabell F, et al. Analyse klimakontraproduktiver Subventionen in Österreich. Wien: Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung - Universität Wien - Sattler & Schanda Rechtsanwälte; 2022. [3] Statistik Austria. Staatsaufgaben nach Aufgabenbereichen. Wien; 2023. [4] Burger A, Bretscheider W. Umweltschädliche Subventionen in Deutschland. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt; 2021. [5] Schwendinger M. Mobilitätsmanagement als Treiber der Mobilitätswende. VCÖ Factsheet 2022; 02. [6] Hösl R. Betriebliche Mobilitätsberatung durch Kommunen. Das Beispiel Münchens. 2021. [7] Industrie- und Handelskammer zu Köln. Betriebliches Mobilitätsmanagement - Chancen für die regionale Wirtschaft. 2018. [8] IVM GmbH. Effizient Mobil - Unser Angebot. 2024; Im Internet: https: / / effizient.ivm-rheinmain.de/ unser-angebot/ ; Stand: 26.03.2024. [9] Mobilitätslabor Policy Lab. Policy Lab Website. 2024; Im Internet: https: / / policylab.at/ ; Stand: 28.03.2024. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Boarding1Now halte, Vorteile und Maßnahmen von BMM kennenzulernen. 2. Beratungen zu Einzelaktivitäten geben konkrete Hinweise zur Umsetzung gezielter Maßnahmen bzw. unterstützen bei etwaigen Fördereinreichungen. Dieses Format ist vor allem für Klein-Unternehmen konzipiert, die BMM-Aktivitäten umsetzen wollen, ohne eine strukturelle Veränderung einzugehen. 3. Die Erarbeitung eines Mobilitätskonzeptes geht mit einer strategischen Neuausrichtung einher und soll die Voraussetzungen schaffen, dass BMM langfristig und strategisch im Unternehmen verankert wird. 4. Die Unterstützung von Kooperationen innerhalb eines räumlichen Gebietes schafft Synergien und ermöglicht Maßnahmen, die man als Unternehmen allein nicht umsetzen kann. 5. Eine Beratung im Zuge einer Neuansiedelung bietet ein „Window of Opportunity“ für die Neuausrichtung der Mitarbeiter: innen-Mobilität. Eine Vielzahl von Unternehmenspraktiken und Habitusformen werden bei einer Umsiedelung neu ausgerichtet und eingelernte Verhaltensformen aufgebrochen. Diese Gelegenheit sollte für BMM genutzt werden, denn eine erste Hürde, nämlich jene der bestehenden Gewohnheiten, ist bereits überwunden. Unterstützende Governance- Strukturen Über diese fünf Beratungsformate hinaus wird die Errichtung einer zentralen Anlaufstelle im Sinne eines Kompetenzzentrums für alle kommunalen BMM-Themen empfohlen. Für Unternehmen mindert dies die Hemmschwelle sich zu BMM-Erstinformationen oder Beratungen abzuholen. Eine solche Stelle kann die Ersteinschätzung hinsichtlich der BMM-Affinität und -Reifegrad eines Unternehmens prüfen, das passende Beratungsprogramm vorschlagen sowie mögliche Kooperationen zwischen mehreren Unternehmen forcieren. Für die Einbindung weiterer kommunaler Akteur: innen kann ein Kompetenzzentrum ein wichtiges Bindeglied sein. Wirtschaftsvertretungen, Ansiedelungs-Agenturen und andere involvierte Institutionen müssen gut aufeinander abgestimmt sein. Ein proaktives Fördern der Unternehmen bedingt kurze Kommunikationswege zwischen den involvierten Akteur: innen. Für das Recruiting von Unternehmen eigenen sich zudem Gebietsmanager: innen, die im Sinne einer Kümmerer-Person vor Ort fungieren. Die Gebietsmanager: innen - organisatorisch integriert in eine Interessensvertretung, einen Bürokomplex-Betrieb oder andere kommunale Institutionen - sind vor Ort und kennen die Problemlagen der Unternehmen. So ist der Einstieg auch für BMM bilitätsmanagement (BMM) ausgestaltet sein sollen, damit möglichst viele Unternehmen zu Multiplikatoren der Mobilitätswende werden. Good Practices für BMM- Beratungen aus Deutschland Einige Good Practices sind bereits etabliert: In München bietet das städtische BMM-Programm [6] seit gut 20 Jahren Unternehmen ein kostenfreies Programm rund um die Umsetzung von Aktivitäten für klimafreundliche Mobilität der Mitarbeiter: innen sowie die strategische Verankerung von Betrieblichem Mobilitätsmanagement in der jeweiligen Organisation. Unternehmen mit insgesamt mehr als 100.000 Beschäftigten haben daran bisher teilgenommen. Für Köln wurden in einem BMM-Strategiepapier fünf Formate vorgeschlagen [7]: (1) Eine niederschwellige Beratung als Einführung, (2) Erstellung eines Mobilitätskonzepts, insbesondere für Unternehmen mit Problemlagen (Parkplatzmangel, Bauvorhaben etc.), (3) Unterstützung von Unternehmen, deren Mobilität durch Baustellen eingeschränkt ist, (4) Beratung zur Fördereinreichung bei Einzelaktivitäten sowie (5) Unterstützung von Unternehmen aus derselben Nachbarschaft beim Auf bau von BMM-Kooperationen. In Südhessen deckt das Programm „Effizient Mobil“ [8] die folgenden vier Beratungsschienen ab: (1) Initialberatung für allgemeine Informationen über Ziele und Potenziale von BMM, (2) maßnahmenorientierte Beratung zu einzelnen Aktivitäten, (3) Erarbeitung eines Betrieblichen Mobilitätskonzeptes, (4) standortbezogene Beratung zu BMM-Kooperationen. Das Policy Lab als Inkubator für Policy-Innovationen Im Rahmen des österreichischen Mobilitätslabors Policy Lab [9] werden gegenwärtig Strukturen, die Unternehmen beim Auf bau von Betrieblichem Mobilitätsmanagement unterstützen sollen, erarbeitet. Konkret werden anhand des Beispiels Wien Beratungsformate und Governance-Strukturen konzipiert und für einen möglichen Transfer in weitere Gebietskörperschaften auf bereitet. Dabei wird berücksichtigt, dass Unternehmen einen jeweils eigenen Anspruch an BMM-Maßnahmen und begleitenden Dienstleistungen haben (je nach Betriebsgröße, geografischer Lage, BMM-Umsetzungsstadium etc.). Auf bauend auf den vorhandenen Good Practices und umfassenden Unternehmensberatungen in Wiener Pilotgebieten kristallisieren sich die folgenden fünf Beratungsformate heraus: 1. Initialberatungen dienen als erster Impuls für Unternehmen, die bei BMM noch ganz am Anfang stehen. Hier können Info-Veranstaltungen oder Webinare ein gutes Werkzeug sein, um die ersten In- Unternehmen MOBILITÄT Matthias Nocker, MSc, Senior Expert Mobilität, Abteilung für Stadtentwicklung und Mobilität, UIV Urban Innovation Vienna GmbH, Wien nocker@urbaninnovation.at Julia Schmid, BSc, Projektmanagerin, tbw research GmbH, Wien j.schmid@tbwresearch.org