Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0033
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2024
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Öffentlicher Verkehr im Aufwind?
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2024
Ullrich Martin
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Ullrich Martin Univ.-Prof. Dr.-Ing., Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart Liebe Leserinnen und Leser, Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung und die damit einhergehenden Herausforderungen haben den öffentlichen Verkehr wieder deutlich stärker in den Blickpunkt gerückt. In der Folge eröffnen sich auch vielfältige Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der öffentlichen Verkehrssysteme, und es kommt darauf an, diese Chancen zielgerichtet und zukunftsorientiert möglichst zeitnah zu nutzen. Best-Practice-Ansätze bieten sicher beachtenswerte Grundlagen zur Ausweitung erfolgreich realisierter Lösungen. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn bei einer Adaption die jeweils konkreten Rahmenbedingungen im Anwendungsbereich hinreichend berücksichtigt werden. Der exzessive Ausbau und die Reaktivierung der öffentlichen Verkehrssysteme stellt an sich noch keinen Wert dar und kann den eigentlichen verkehrspolitischen Zielstellungen sogar entgegenwirken. Diese heute noch aktuelle Erkenntnis geht u. a. bis in das auslaufende 19. Jahrhundert zurück, als der ungehemmte Bau auch kleinster Eisenbahnstrecken die sogenannte Gründerkrise maßgeblich mit auslöste. Die sorgfältige Abwägung bei den Entscheidungen zur Entwicklung unserer öffentlichen Verkehrssysteme mag auf den ersten Blick mitunter projekthemmend erscheinen, ist aber im Hinblick auf die längerfristige Entwicklung unverzichtbar. Neben der Modernisierung der bestehenden Systeme gibt es gegenwärtig vielfältige Aktivitäten zur Etablierung neuer Mobilitätslösungen, die die vorhandenen Strukturen des öffentlichen Verkehrs ergänzen oder ersetzen sollen. Damit zeigt sich nicht zuletzt auch das breite Interesse am öffentlichen Verkehr, der selbst natürlich auch einer Perspektive zur kontinuierlichen Weiterentwicklung nicht nur bestehender Systeme bedarf. Der Erfolg neuer Lösungsansätze hängt maßgeblich davon ab, ob die bestehenden Mobilitätsangebote durch günstigere Alternativen bei vergleichbarem Leistungsspektrum ersetzt werden können oder für ein erweitertes Mobilitätsangebot eine entsprechende volkswirtschaftliche bzw. nutzerbezogene Zahlungsbereitschaft besteht. Allerdings ist der Nachweis der Vorteilhaftigkeit neuer Lösungen in föderalen Strukturen mit den damit verbundenen diversitären Zuständigkeiten mitunter schwierig, wie zum Beispiel die gegenwärtige Diskussion zur Finanzierung des Deutschlandtickets zeigt. Um das Potenzial neuer Entwicklungen zeitnah erschließen zu können, sollten auch die Verfahren für föderal relevante Entscheidungsfindungen an die aktuellen Erfordernisse angepasst werden. Auch wenn diese wenigen Aspekte bereits die hohe Komplexität bei der sachgerechten Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs verdeutlichen, sollte uns das nicht abschrecken, sondern vielmehr motivieren, um den öffentlichen Verkehr mit seinen unbestrittenen Vorteilen auch künftig als attraktiven Bestandteil der Mobilitätssicherung auszubauen. Ihr Öffentlicher Verkehr im Aufwind? Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 3 DOI: 10.24053/ IV-2024-0033 Ullrich Martin EDITORIAL
