eJournals Internationales Verkehrswesen 76/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0042
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2024
763

(Autonome) On-Demand-Shuttles für den ländlichen Raum

92
2024
Viktoriya Kolarova
Kerstin Stark
Marco Rehme
Vivien Langer
Steve Rother
Im Projekt „UseXS – User-Experience Autonomes Shuttle“ wurden Ansätze für eine ÖPNV-Feinerschließung der überwiegend dörflichen Strukturen im Erzgebirgskreis entwickelt. Der Fokus lag dabei auf dem On-Demand-Einsatz autonomer Shuttles zur Verbesserung des öffentlichen Mobilitätsangebots. Der Artikel fasst die Ergebnisse einer iterativen Konzeptionierung unter Beteiligung regionaler Stakeholder zusammen. Dabei wurden anhand von Expertenworkshops sowie Einzelinterviews Betriebskonzepte, Betreibermodelle sowie ein Umsetzungskonzept für die Realisierung derartiger neuer Mobilitätsangebote erarbeitet.
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wickeln und nachhaltiger gestalten sowie bestmöglich mit den weiteren Verkehrsträgern verbinden. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „WIR! - Wandel durch Innovation in der Region“ gefördert. In dem Vorgängerprojekt „Smarte Mobilitätsketten im ländlichen Raum“ wurden bereits erste konzeptionelle Ansätze für die nahverkehrliche Feinerschließung Einleitung Im Projekt „UseXS - User-Experience Autonomes Shuttle“ werden bedarfsorientierte öffentliche Verkehrsangebote im ländlichen Raum untersucht. Es ist ein Vorhaben der Forschungsplattform „Smart Rail Connectivity Campus“ (SRCC) 1 am Standort Annaberg-Buchholz. Der Schwerpunkt des SRCC liegt auf der angewandten Erforschung, Entwicklung und Erprobung von Technologien, die den Schienenverkehr weiterentder überwiegend dörflichen Strukturen im Erzgebirgskreis durch den Einsatz von bedarfsorientierten bzw. „On-Demand“- Mobilitätsangeboten entwickelt. Darauf auf bauend werden im Projekt „UseXS“ umsetzungsreife Betriebs- und Betreiberkonzepte für (autonome) On-Demand-Shuttles und ein Umsetzungskonzept entwickelt. Um die Anforderungen der potenziellen Nutzer und Nutzerinnen einfließen zu lassen, fanden Untersuchungen zur Nutzer- (Autonome) On-Demand-Shuttles für den ländlichen Raum Entwicklung von Betriebskonzepten und Betreibermodellen am Beispiel der Region Erzgebirge Autonome Shuttles, Betriebskonzepte, Betreiberkonzepte, On-Demand-Verkehr, ÖPNV Im Projekt „UseXS - User-Experience Autonomes Shuttle“ wurden Ansätze für eine ÖPNV-Feinerschließung der überwiegend dörflichen Strukturen im Erzgebirgskreis entwickelt. Der Fokus lag dabei auf dem On-Demand-Einsatz autonomer Shuttles zur Verbesserung des öffentlichen Mobilitätsangebots. Der Artikel fasst die Ergebnisse einer iterativen Konzeptionierung unter Beteiligung regionaler Stakeholder zusammen. Dabei wurden anhand von Expertenworkshops sowie Einzelinterviews Betriebskonzepte, Betreibermodelle sowie ein Umsetzungskonzept für die Realisierung derartiger neuer Mobilitätsangebote erarbeitet. Viktoriya Kolarova, Kerstin Stark, Marco Rehme, Vivien Langer, Steve Rother Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 32 DOI: 10.24053/ IV-2024-0042 MOBILITÄT  ÖPNV akzeptanz und „User Experience“ statt, die den pilothaften mehrtägigen Einsatz eines autonomen Shuttles begleiteten. Diese Analysen stehen nicht im Fokus des vorliegenden Beitrags, es wird allerdings an geeigneten Stellen darauf verwiesen. Die Erarbeitung der Betriebs-, Betreiber- und Umsetzungskonzepte erfolgte in einem iterativen und partizipativen Prozess über die Projektlaufzeit hinweg unter Beteiligung lokaler und regionaler Akteure mittels Workshops sowie strukturierter Einzel- und Gruppeninterviews. Aus den Diskussionen ergab sich der Wunsch eines zeitnahen Einsatzes neuer Bedarfsverkehre. Da ein regulärer autonomer Einsatz angesichts der technischen Reife derzeit noch nicht möglich ist, fokussierte sich die Konzeptentwicklung auf einen nicht-autonomen Betrieb. Der vorliegende Artikel fasst die bisherigen Ergebnisse zusammen und diskutiert Herausforderungen und Lösungsansätze für den Einsatz von bedarfsorientierten Mobilitätsangeboten im ländlichen Raum. Betriebskonzept und Einsatzszenarien Vorgehen Die Erarbeitung des Betriebskonzepts erfolgte zunächst im Rahmen eines Workshops mit regionalen Akteuren (u. a. Bürgermeister und weitere Vertreter der kommunalen Selbstverwaltung, von Mobilitäts- und Technologieanbietern sowie der Wirtschaftsförderung). Die Beteiligung diente dazu, lokale Expertise einzusammeln und die Herausforderungen sowie Erfolgsbedingungen für einen Einsatz im Erzgebirgskreis zu identifizieren. Dazu wurde ein vorstrukturierter „Betriebskonzept-Baukasten“ (siehe Bild 2) (nach dem Vorbild von Stark et al. (2019)) verwendet, mit dem sich die Ausprägungen wesentlicher Betriebsparameter spezifizieren lassen. Die seitens des Projektteams konsolidierten Ergebnisse aus dem Workshop in Form eines ausgearbeiteten Betriebskonzepts wurden im Rahmen von Experteninterviews diskutiert und weiterentwickelt. Zudem wurden in Übereinstimmung mit den lokalen und regionalen Akteuren verschiedene Annahmen getroffen, um die Auswahl realistischer Einsatzszenarien zu begrenzen. Zum einen ist dies die Annahme, dass ein Bedarfsverkehr im Erzgebirge aufgrund der Nachfragestruktur und der eher großen Distanzen als Zu-/ Abbringer eingerichtet werden sollte und nicht als Tür-zu-Tür-Angebot. Zum anderen sollten sich die Einsatzszenarien an den Rahmenbedingungen und Zielstellungen für so ein neues Mobilitätsangebot orientieren. Um die jeweils resultierenden unterschiedlichen Anforderungen transparent zu machen, wurden ‒ auf bauend auf einem Basiskonzept ‒ ein Mindest- und ein Maximal-Szenario entwickelt: das EinsatzszenarioGelegenheitsnutzung und das Einsatzszenario Alternative zur Autonutzung. Als drittes relevantes Ein- Bild 1: Bilder aus einem pilothaften Einsatz von einem autonomen Shuttle und einem konventionellen Shuttle (ERZmobil) in Gelenau Bild 2: Auszug aus dem Betriebskonzept-Baukasten Merkmale Ausprägungen Betrieb Route / Start- und Endpunkt On Demand Feste Route (Linie) Haltestellen keine physisch virtuell Betriebszeiten In bestimmten Zeitfenstern 24/ 7 Integration ÖPNV-Angebot Angebot als Zu- und Abbringer Keine Integration Verkehrsbündelung/ Pooling Ja, mit Begrenzung der zusätzl. Reisezeit durch Umwege < 30 min Ja, mit Begrenzung der möglichen Zustiege nein Betriebsgebiet Überregional (z. B. landkreisübergreifend) Regional (z. B. landkreisweit) Lokal begrenzt (z. B. bestimmte Straßen/ Korridore) Straßenart, Geschwindigkeitsvorgaben (Haupt-)Straße innerorts (= 50 km/ h) Verkehrsberuhigte Straße (< 50 km/ h) Straße außerorts (> 50 km/ h) Angebotsstruktur Preismodell ÖV-Tarif-Integration vollintegriert in ÖV-Tarif Aufpreis zur ÖV-Fahrkarte eigenes Preissystem Finanzierung Öffentliche Abgeltung Kostendeckende Ticketgestaltung Private Finanzierung/ Beteiligung Zielgruppen Ältere (> 65) Kinder / Schüler Berufspendelnde Allgemeinbevölkerung Mitfahroption Kollektiv (viele Mitreisende) Ride-pooling (wenige Mitreisende) Einzelbeförderung Nachfragevolumen Groß tageszeitlich variierend Gering ÖPNV  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 33 DOI: 10.24053/ IV-2024-0042 Vorbuchungszeit von etwa 30 Minuten zu setzen. Die Nutzung soll über einen Aufpreis auf das reguläre ÖPNV-Ticket möglich sein. Fahrzeugtechnisch sollen elektrische Kleinbusse mit neun Sitzen, ergänzt um Busse mit 20 Sitzen zum Einsatz kommen. Der Vorteil von 9-Sitzern ist, dass sie mit dem normalen Führerschein (der Klasse B) geführt werden dürfen, sodass der potenziell verfügbare Fahrpersonalpool größer und die Personalgewinnung einfacher ist. Das Fahrzeug muss über Land fahren und daher eine Fahrgeschwindigkeit von mindestens 50 km/ h leisten können. Langfristig ist der Einsatz hochautomatisierter Fahrzeuge zu durchdenken, wodurch kein Fahrpersonal erforderlich wäre und die Möglichkeit eines Betriebs rund um die Uhr realistisch werden könnte. Obwohl der ursprüngliche Fokus auf autonomen On-Demand-Shuttles lag, lässt sich aus Diskussionen im Rahmen der Expertenrunden ableiten, dass Automatisierung zwar Potenziale für die Optimierung des Betriebs von On-Demand-Flotten besitzt (insbesondere im Hinblick auf die Einsparung von Fahrpersonal, dessen Gewinnung zunehmend eine Herausforderung darstellt, sowie von entsprechen Personalkosten), aber aufgrund der für den Einsatz im ländlichen Raum noch nicht ausgereiften Technik nur eine in der sehr langen Frist verfügbare Option sein wird. Einsatzszenarien Wie oben bereits erwähnt, wurden drei Einsatzszenarien definiert. Das Mindestszenario stellt eine Angebotsverbesserung des ÖPNV für die Allgemeinbevölkerung und Gelegenheitsnutzende dar. Das Maximalszenario einer Attraktivierung des ÖPNV für Berufspendelnde für den Umstieg vom Pkw auf den ÖPNV ist hingegen voraussetzungsreicher und erfordert höhere Investitionen. Denn für den täglichen Arbeitsweg beispielsweise reicht es nicht, nur am Wohnort besser angebunden zu werden, sondern es muss die komplette Reisekette verbessert werden. Mindest- und Maximal-Einsatzszenario unterscheiden sich im Wesentlichen in Bezug auf folgende Merkmale: ƒ variierende Anforderungen an die benötigte Flottengröße, ƒ Auswahl und Verteilung der Hubs, ƒ garantierte Betriebszeiten, ƒ Anzahl und Zeitdauer akzeptierter Pooling-Umwege und daraus resultierende Verbindungsqualität. Das Mindest-Einsatzszenario entspricht einer Gelegenheitsnutzung, während das Maximal-Einsatzszenario eine Alternative zum privaten Auto darstellen könnte. Das satzszenario für die Region hat sich in den Interviews zudem Tourismus herausgestellt. Basis-Betriebskonzept Der Bedarfsverkehr soll in erster Linie als Zu- und Abbringer des regionalen und überregionalen Öffentlichen Verkehrs sowie zur besseren Erreichbarkeit von „Points of Interest“ (POI) - Orte für die Versorgung, Kultur- und soziale Einrichtungen sowie Arbeitsstandorte - dienen. Insbesondere sollen bisher durch den ÖPNV nicht oder sehr schlecht erschlossene Gebiete angebunden, ein zusätzliches Angebot zwischen den regulären Linienbusabfahrten und ein Betrieb in den klassischen Schwachlastzeiten früh morgens, spät abends sowie am Wochenende eingerichtet werden. Aus Nutzerperspektive soll es ein landkreisweites Angebot geben, das heißt, einzelne Angebote der Kommunen im Landkreis sollen in ein übergeordnetes System integriert sein, ähnlich aussehen und in gleicher Weise funktionieren. Der Bedarfsverkehr soll dabei in das regionale Verkehrssystem eingebunden sein. Dazu soll ein Netz aus geeigneten Verkehrsknotenpunkten (= Hubs) mit engmaschigen virtuellen Haltepunkten (z. B. alle 200 Meter) aufgebaut werden, die als Start- und Zielpunkte für die Bedarfsbusse dienen. An den Hubs besteht der Anschluss an weitere Mobilitätsangebote wie regionale Buslinien und Regionalzüge, und es stehen je nach Größe des Hubs idealerweise auch Versorgungseinrichtungen der Bereiche Handel, Gesundheit, Kultur, Soziales, Freizeit und Bildung zur Verfügung. Bei der Hubnetzgestaltung sollten daher geeignete Standorte identifiziert werden, an denen eine Ansiedlung entsprechender Dienstleistungen wirtschaftlich darstellbar ist oder bereits vorhandene Infrastrukturen aufgewertet werden können. Die garantierten Mindest-Betriebszeiten sowie maximalen Reisezeiten sollen auf den am Hub abgehenden Linien- und Zugverkehr ausgerichtet und gegebenenfalls an den Öffnungszeiten der genannten Versorgungseinrichtungen oder den Arbeits-/ Werkszeiten von größeren Arbeitgebern in der Region orientiert sein. Die Buchung soll im Regelfall online bzw. über eine digitale Anwendung erfolgen. Für die Buchung ist eine Registrierung erforderlich, damit Nutzungsdaten erhoben werden können. Das Bedarfsverkehrssystem soll so datenbasiert lernen und weiterentwickelt werden, zum Beispiel hinsichtlich der Frage, welche Verbindungen zu welchen Zeiten wie stark nachgefragt werden. Als Kompromiss zwischen Flexibilität und garantierter Verfügbarkeit ist eine Maximal-Einsatzszenario weist im Vergleich zum anderen Szenario folgende Charakteristiken auf: ƒ hohe Anforderungen an die Anzahl gleichzeitig verfügbarer Fahrzeuge mit ausreichenden Kapazitäten, ƒ garantierte Betriebszeiten unter der Woche auch in Randzeiten, ƒ Auswahl der Zielorte (=Haltestellen) und Verteilung der Hubs unter Berücksichtigung lokaler und regionaler Arbeitsstandorte, ƒ Vorhandenes regionales öffentliches Verkehrsangebot, das die Fahrgäste aufnehmen und weiterbefördern kann. Aufgrund der hohen Anforderungen des Maximal-Einsatzszenarios wurde dieses als Anfangsszenario zunächst verworfen, es stellt eine eher mittelbis langfristige Perspektive dar. Als zusätzliches (drittes) Einsatzszenario für die Erzgebirgsregion wurde die Schaffung touristischer On-Demand-Angebote (Einsatzszenario „Tourismus“) identifiziert, das aber noch in Ausarbeitung ist. Erfolgsbedingungen Während bei den wesentlichen Kernparametern eines „idealen“ Betriebskonzepts eine weitgehende Übereinstimmung der Expertenmeinungen vorherrschte, wurden zugleich auch unterschiedliche Herausforderungen bzw. wichtige Umsetzungshürden und Erfolgsbedingungen des Betriebskonzepts identifiziert und hervorgehoben. Hierzu zählen u. a.: 1. Finanzierung: Für die über einen Pilotbetrieb hinausgehende dauerhafte Umsetzung von On-Demand-Mobilitätsangeboten braucht es Finanzierungskonzepte, die über den Status quo der klassischen ÖPNV-Finanzierung hinausgehen und neue Finanzierungsquellen erschließen. Denkbar ist beispielsweise eine Ko-Finanzierung durch davon profitierende größere Arbeitgebende, durch Wohngebietsentwickler und Wohnungsgesellschaften oder durch Kurtaxen im Tourismus-Einsatzszenario. 2. Bedarfsgerechtigkeit und Verbindungsqualität des übergeordneten ÖV-Netzes: Im Gesamtkreis besteht ein Verbesserungsbedarf bspw. aufgrund noch bestehender Angebotslücken. 3. Wahrung der Interessen und Sicherstellung des Commitments aller benötigten Stakeholder (hinsichtlich Bereitstellung finanzieller, materieller und immaterieller Ressourcen, Engagement und Unterstützung) 4. Frühzeitige Einbindung der lokalen Bevölkerung: Erfahrungen aus früheren Testbetrieben neuartiger Mobilitätsangebote zeigen, dass die Einbindung MOBILITÄT  ÖPNV Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 34 DOI: 10.24053/ IV-2024-0042 der lokalen Bevölkerung vor der Planung eines Pilotbetriebs (z. B. auch bei der Wahl des Einsatzgebiets) erfolgversprechender für die Akzeptanz des Angebots ist als eine Öffentlichkeitskommunikation erst zu Beginn des Pilotbetriebs (siehe Kolarova et al., 2020). 5. Technik und Infrastruktur: Wie bereits oben erwähnt, ist der Einsatz autonomer Fahrzeuge stark von der Reife der Technik insbesondere für die herausfordernden Einsatzbedingungen im ländlichen Raum abhängig. Diese Themenkomplexe wurden bei der Erarbeitung des Umsetzungskonzepts wieder aufgegriffen, mit Experten diskutiert und bei der Entwicklung eines Umsetzungsplans berücksichtigt. Betreibermodelle Vorgehen Die Erarbeitung von Betreibermodellvarianten erfolgte in einem Workshopformat mit demselben Teilnehmerkreis regionaler Akteure wie bei der Entwicklung des Betriebskonzepts. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, welche Verantwortungsträger für die Planung und Ausführung der einzelnen Aufgaben bei einer Bereitstellung von On-Demand-Angeboten zuständig sein sollten. Die Workshopteilnehmer wurden gebeten, Varianten zu erarbeiten, deren Plausibilität zu prüfen und Präferenzen im Sinne von erwarteter Vorteilhaftigkeit und Umsetzungswahrscheinlichkeit anzugeben. Hierfür wurde eine zweigeteilte Workshopmethodik konzipiert und in parallelen Kleingruppendiskussionen umgesetzt, um zunächst (1) zu klären, welche Marktrollen existieren, um damit den Grad der Wertschöpfungsintegration zu bestimmen, und dann (2) den identifizierten Marktrollen Trägermodelle zuzuordnen. Für den Schritt (1) wurde literaturbasiert 2 eine generische Wertschöpfungskette, bestehend aus den vier Hauptfunktionen Fahrzeugbereitstellung, Fahrzeugbetrieb/ Personenbeförderung, Pooling und Routing sowie Betrieb der Kundenschnittstelle erarbeitet, mit jeweils zugehörigen Aufgaben unterlegt und zur Diskussion gestellt. Die Experten erarbeiteten Vorzugsvarianten für durch verschiedene Marktrollen abzudeckende Marktfunktionen und eruierten das Für und Wider der Konfigurationen. Für Schritt (2) wurde den Teilnehmern als Grundlage für eine Zuordnung von Trägermodellen die in Bild 3 dargestellte Übersicht mit den drei Trägermodell-Grundformen „staatlich“, „kommerziell“ und „zivilgesellschaftlich“ und jeweiligen prinzipiellen Vor- und Nachteilen als Handreichung gegeben. Die Zuordnung (regionaler) Praxisakteure, also Unternehmen oder öffentliche Institutionen, die als entsprechende Betreiber zum jeweiligen Trägermodell passen, konnte im Expertenworkshop nur andiskutiert werden. Dieser Aspekt wurde daher in den sich anschließenden Einzelinterviews mit Experten vertieft, welche auch zur Validierung und finalen Anpassung der erarbeiteten Betreibermodellvarianten dienten. Betreibermodelle In Bild 4 sind die vier erarbeiteten Konfigurationen von Marktrollen und zugehörigen Trägermodellen dargestellt. Die Konfiguration K1, in der alle Funktionen der Wertschöpfungskette in einer Hand liegen, stellt ein in der Erzgebirgsgemeinde Zwönitz mit dem Linienbedarfsverkehr des ERZmobil bereits in der Praxis existierendes Betreibermodell dar. Es wurde von den einbezogenen Experten jedoch nicht als ideal angesehen, da es aufgrund hoher Investitionsbedarfe in Fahrzeuge und die IT-Plattformen mit Einstiegshürden für weitere lokale Angebote verbunden ist. Gelingt es, Kosteneinsparungen durch die Mitnutzung existierender Ressourcen (Zugriff auf große Flotten bzw. Plattformen entsprechender Betreiber in den Konfigurationen K2 oder K3) zu realisieren, so sinken diese Hürden und es können Skaleneffekte realisiert werden. In Konfiguration K4 wurde zudem die Rolle eines übergeordneten Orchestrators postuliert, der zum einen örtliche Fahrdienstbetreiber auch bei Fahrzeugbereitstellung und -betrieb unterstützt, etwa durch das Bereitstellen von Ersatzfahrzeugen und Ersatzpersonal oder die Übernahme von Flottenmanagementaufgaben, und zum anderen auf der Ebene des gesamten Verkehrsraums für eine Angebotskoordinierung, -optimierung und Qualitätssicherung sorgt. Als ausschlaggebend für die sich tatsächlich durchsetzende Konfiguration werden die Vorstellungen der konkreten Akteure gesehen, die in einem gemeinsamen Finanzierungsmodell zueinanderfinden. Für zivilgesellschaftliche Organisationsformen wie Sport-, Kultur- und Freizeitvereine werden die Ansprüche an die identifizierten Marktrollen als zu herausfordernd angesehen. Zur Erfüllung der Marktrollen konnten folgende potenzielle Praxisakteure identifiziert werden: ƒ als Flottenbetreiber: Shuttlehersteller, Betreiber regulärer ÖPNV-Flotten, überregionale Shuttleflottenbetreiber, Public- Private-Partnerships (PPP) aus öffentlicher Hand und dem Wohnungs-, Tourismus-, Gesundheitswesen oder regionaler Großarbeitgeber, ƒ als Software-/ Plattformbetreiber: Betreiber existierender ÖPNV-Kundenschnitt- Bild 3: Mögliche Trägermodelle im Spektrum zwischen Daseinsvorsorge, Gemeinwohl und Gewinnerzielung ÖPNV  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 35 DOI: 10.24053/ IV-2024-0042 Kick-off-Phase: In dieser Phase werden alle für die erfolgreiche Umsetzung nötigen Stakeholder zusammengebracht, ein gemeinsames Verständnis von Problemen (u. a. Identifizierung abgehängter Gebiete sowie von Mobilität abgehängten Personenkreisen), Zielen (u. a. Ziel-Mobilitätsangebot bzw. Mindesterreichbarkeit), Mitteln und Prozessen entwickelt sowie die erwartbaren Ressourcen und Bereitstellungskonditionen geklärt. Wie in der vorgeschalteten „Willensbildungs- und Ideenfindungsphase“ soll auch an dieser Stelle eine aktive Suche nach Promotoren für das Vorhaben erfolgen, insbesondere auf Landkreisebene und unter den politischen Verantwortlichen. Potenzielle Querfinanzierungsmöglichkeiten für das Vorhaben sind auszuloten - je nach Einsatzszenario durch Beteiligung von Wirtschaft, Tourismus, Kommunen sowie sonstigen Fördermöglichkeiten für Pilotprojekte. Zu betonen sind an dieser Stelle betriebswirtschaftliche Betrachtungen und die langfristige Finanzierungsplanung, um Pilotprojekte ohne klares Konzept zur Anschluss- und Langfristfinanzierung zu vermeiden. Die Übertragbarkeit von Bestzeugzulassungs- und weitere Genehmigungsprozesse lagen dabei nicht im Fokus der Betrachtung. Insgesamt wurden fünf formelle Umsetzungsphasen identifiziert: 1) Kick-off- Phase, 2) Strategieentwicklungsphase, 3) Vorbereitung des Pilotbetriebs, 4) Pilotbetrieb, 5) Realbetrieb (siehe Bild 4). Die Phasen bzw. Schritte orientieren sich an Luchmann (2024). Als ein vorgeschalteter Schritt wurde von den Stakeholdern eine weniger formelle Phase, nämlich eine „Willensbildungs- und Ideenfindungsphase“ vorgeschlagen, in der eine kleinere Gruppe von Enthusiasten und Promotoren das Vorhaben zur Einführung des neuen Mobilitätsangebots initiiert. Die Phasen sind als iterativ anzusehen, in jeder Phase sollten Abbruchserwägungen sowie „Schritt-zurück“bzw. „Zurück-an-den- Anfang“-Kriterien (wie etwa Anschlussfinanzierungsfragen) definiert werden, da davon auszugehen ist, dass während jeder Phase aufgrund des Neuheitsgrads des Mobilitätsangebots neue, zuvor nicht eingeplante Herausforderungen bei der Umsetzung auftreten könnten. stellen oder öffentlicher Plattformbetreiber für den ganzen Verkehrsraum, multimodale Mobilitätsplattformen, Software-as-a-Service-Anbieter, ƒ als Fahrzeugbetreiber im engeren Sinne: regionale Verkehrs-, Reisebus- und Taxiunternehmen, Kommunen selbst oder kommunale Unternehmen wie Stadtwerke. Umsetzungskonzept und -herausforderungen Vorgehen Unter Stakeholderbeteiligung wurde ein Umsetzungskonzept für die Realisierung entsprechender Betriebs- und Betreiberkonzepte erarbeitet. Dabei wurden zunächst einzelne Phasen für die Umsetzung und Arbeitsschwerpunkte durch das Projektteam definiert. In einem Workshop wurden diese Phasen mit Vertretern der bereits im vorherigen Workshop eingebundenen Stakeholdergruppen sowie mit Akteuren regionaler Verkehrsunternehmen, der Landkreisverwaltung, von Sozial- und Fahrgastvertretungen sowie aus dem Bereich Tourismus und Regionalentwicklung diskutiert, ergänzt und angepasst. Die Diskussionsergebnisse zeigen die wesentlichen Herausforderungen in den einzelnen Umsetzungsphasen auf. Umsetzungskonzept Der nachfolgend dargestellte Umsetzungsprozess ist als ein prototypischer Ablauf anzusehen, entlang dessen sich inhaltliche und strategische Ziele definieren und schrittweise umsetzen lassen. Detaillierte Prozesse innerhalb der Phasen wie Fahr- Bild 4: Mögliche Konfigurationen (K) von Marktrollen und Trägermodellen Bild 5: Phasen eines iterativen Umsetzungsprozesses MOBILITÄT  ÖPNV Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 36 DOI: 10.24053/ IV-2024-0042 [5] Simoudis, E. (2017). A New Value Chain For On- Demand Shared Mobility. 25.04.2017. URL: https: / / corporate-innovation.co/ 2017/ 04/ 25/ a-new-value-chain-for-next-generation-mobility/ (abgerufen am 27.03.2024). [6] Van Audenhove, F.-J., Ali, S., Salem, J. et al. (2020). Rethinking on-demand mobility. Turning roadblocks into opportunities. Luxembourg: Arthur D. Little. [7] Luchmann, I. (2024). Handbuch für Kommunen. Autonomes Fahren im ÖV. 8. VDV-Zukunfskongress mobility move 2024. ENDNOTEN 1 https: / / www.smart-rail-campus.de/ 2 Vgl. u. a. Agora Verkehrswende (2023), S. 17 f.; Van Audenhove, F.-J., Ali, S., Salem, J. et al. (2020), S.10; Chagan, M. (2017); Simoudis, E. (2017). Eingangsabbildung: © iStock.com/ Andrey Suslov Sicherstellung der Akzeptanz des Mobilitätsangebots. Realbetrieb: Die Überführung in den Realbetrieb sowie der Realbetrieb selbst sind ebenfalls als agile Prozesse zur weiteren Betriebsoptimierung konzipiert, die durch regelmäßiges Monitoring, Evaluieren und Anpassen gekennzeichnet sind. Bisheriges Fazit und Ausblick Dieser Beitrag diskutierte mögliche Betriebskonzepte, Betreibermodelle und Umsetzungsschritte für On-Demand-Verkehre im Erzgebirgskreis. Bedarfsverkehre für die erste/ letzte Meile und zum Lückenschluss haben das Potenzial, den öffentlichen Verkehr bzw. die Mobilität im ländlichen Raum zu verbessern. Für eine erfolgreiche Umsetzung neuartiger Mobilitätskonzepte in der Region lässt sich festhalten, dass ein frühzeitiges und den Gesamtprozess begleitendes Stakeholder-Engagement und der Auf bau von strategischen Partnerschaften entscheidend sind. Ein regionales Austauschformat, bei dem Erfahrungen, Herausforderungen und Bedenken zur Sprache gebracht werden können, kann ein wesentliches Element hierfür darstellen. Als zentrale Herausforderung zeigt sich die Sicherstellung einer langfristigen Finanzierung. Eine Finanzierung allein über Fördermittel ist einerseits nicht nachhaltig und erlaubt kaum einen Regelbetrieb, andererseits setzt auch der erforderliche Eigenanteil von Förderprogrammen bei angespannten Haushaltslagen viele Gemeinden und Landkreise - so auch den Landkreis Erzgebirge - unter Druck. Daher muss das Ziel darin bestehen, den ÖPNV in ländlichen Räumen wie dem Erzgebirge neu zu denken und tragfähige Finanzierungskonzepte jenseits klassischer Instrumente zu finden, bei denen etwa auch Nutznießende wie z. B. große Arbeitgeber in die Verantwortung genommen werden. ■ LITERATUR [1] Stark, K., Gade, K., & Heinrichs, D. (2019). What Does the Future of Automated Driving Mean for Public Transportation? Transportation Research Record, 2673(2), 85-93. https: / / doi. org/ 10.1177/ 0361198119827578 [2] Kolarova, V., Stark, K., & Lenz, B. (2020). Projekt „DIVA-Gesellschaftlicher Dialog zum vernetzten und automatisierten Fahren“. [3] Agora Verkehrswende (2023). Leitfaden Mobilitätsoffensive für das Land. Wie Kommunen mit flexiblen Kleinbussen den ÖPNV von morgen gestalten können. Berlin. [4] Chagan, M. (2017). Analysis of the next-generation mobility value chain. Synapse Partners. 25.03.2017. URL: https: / / synapsepartners.co/ analysis-of-the-next-generation-mobility-valuechain/ (abgerufen am 27.03.2024). Practice-Beispielen, wie dem ERZmobil in der Region, sollte in dieser ersten Phase nach der Initiierung geprüft werden. Strategieentwicklung: Nachdem die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung in der Kick-off-Phase gesetzt wurden, erfolgen in dieser Phase eine detailliertere Bedarfsanalyse, die Entwicklung einer konkreten Zielvision, die Definition der Umsetzungsstrategien, die Klärung der einzusetzenden Technik, die Planung und Umsetzung von Beteiligungsformaten von Stakeholdern, Bürgerinnen und Bürgern sowie die Kalkulation der konkret erforderlichen Ressourcen für Personal und Betrieb. An dieser Stelle wird zum einen der Bedarf an Fahrzeug- und Infrastrukturbeschaffungen, Genehmigungen, Zulassungen sowie sonstigen vertraglichen Vereinbarungen zwischen Stakeholdern geklärt. Zum anderen sind unterschiedliche Datenquellen (z. B. Mobilitätsverhaltens-, ÖPNV-Nutzungs- und Angebotsdaten, qualitative Erhebungen) zur Analyse des Mobilitätsbedarfs bei diversen Nutzersegmenten sowie zur Identifizierung von „weißen Flecken“ im öffentlichen Mobilitätsangebot einzubeziehen. Auch hier sind Fragen der anschließenden Finanzierungsoptionen und verschiedene Trägermodelle detaillierter zu prüfen, vor allem im Hinblick auf eine dauerhafte Etablierung über die Pilotphase hinaus. Nicht zuletzt ist ein Prozess für das Monitoring, die Evaluation und Optimierung des Pilotbetriebs zu erarbeiten. Vorbereitung des Pilotbetriebs: In dieser Phase erfolgen die Bereitstellung des erforderlichen Personals und der Finanzmittel, die konkrete Definition von Zuständigkeiten und Aufgaben der Stakeholder, die Fahrzeug-, Infrastruktur- und Technikbeschaffung sowie die Zulassung und die Klärung aller rechtlichen Angelegenheiten. Insbesondere der letztgenannte Punkt kann mit langwierigen Prozessen verbunden sein. Hier könnten mit entsprechendem Vorlauf evtl. Verantwortliche vorab als Stakeholder miteinbezogen werden. Pilotbetrieb: In dieser Phase wird das erarbeitete Betriebskonzept zunächst in einem Testbetrieb umgesetzt. Im Rahmen des Testbetriebs erfolgt ein kontinuierliches Monitoring, eine Evaluation und Optimierung des Betriebs, insbesondere mit Blick auf die Eignung für und die Überführung in einen Regelbetrieb. Noch im Laufe des Pilotbetriebs soll die finale Umsetzung der Anschlussfinanzierung erfolgen. Während dieser Phase ist die Fortführung des Dialogs mit der lokalen Bevölkerung bzw. mit den (potenziellen) Nutzenden von hoher Bedeutung für die Vertrauensbindung und Viktoriya Kolarova, Dr.rer.nat. Gruppenleiterin „Automatisiertes und vernetztes Fahren“ Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung viktoriya.kolarova@dlr.de Kerstin Stark, Dr.rer.pol. Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung kerstin.stark@dlr.de Marco Rehme, Dipl.-Kfm. Dipl.-Vw. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Technische Universität Chemnitz, Zentrum für Wissens- und Technologietransfer marco.rehme@zwt.tu-chemnitz.de Vivien Langer, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Chemnitz, Zentrum für Wissens- und Technologietransfer vivien.langer@zwt.tu-chemnitz.de Steve Rother, Dr.rer.pol. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Technische Universität Chemnitz, Professur Unternehmensrechnung und Controlling steve.rother@wiwi.tu-chemnitz.de ÖPNV  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 37 DOI: 10.24053/ IV-2024-0042