eJournals Internationales Verkehrswesen 76/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0047
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2024
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Die Transformation zur Mobilitätsverwaltung

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2024
Alexander Rammert
Sven Hausigke
Aktuell befinden wir uns in einer Transformation von der klassischen Verkehrsplanung hin zu einer Mobilitätsplanung. Öffentliche Verwaltungen spielen für die Planung in Deutschland eine zentrale Rolle und sind damit maßgebend für den Wandel. Bis heute sind die öffentlichen Planungsstrukturen jedoch noch maßgeblich auf den Verkehr und nicht auf die Mobilität ausgerichtet. Wir diskutieren in diesem Text wichtige Transformationsbedarfe auf dem Weg zu einer Mobilitätsplanung und stellen fünf zentrale Anforderungen für Mobilitätsverwaltungen aus unseren Forschungen vor.
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muss, sondern die Folge individueller Mobilitätsentscheidungen von Menschen. Diese Entscheidungen wiederum, die wir alle tagtäglich treffen, bestimmen am Ende wie, wann und wo Verkehr entsteht. Sie nicht nur nachzuvollziehen, sondern langfristig auch zielorientiert planen zu können, ist das große Potential einer Mobilitätsplanung. Für ein Funktionieren der Mobilitätsplanung braucht es leistungsstarke Strukturen und Prozesse, die nicht nur den Verkehr oder die Infrastruktur in den Blick nehmen, sondern fachübergreifend den Menschen und seine Mobilitätsbedarfe analysieren, Ziele und Interessen moderieren und das Mobilitätsumfeld gestalten können. Hierfür braucht es erstens die Expertise, die qualitativen Aspekte der Mobilität verstehen und mithilfe von Untersuchungsmethoden analysieren zu können. Zweitens werden Prozesse benötigt, welche es Politik und Gesellschaft ermöglichen, an der Entwicklung von Mobilitätszielen mitzuwirken. Und drittens braucht es konkrete Konzepte und Maßnahmen, wie die Mobilität der Menschen entsprechend den entwickelten Zielen Hintergrund Allen Menschen eine gleichwertige Mobilität zu gewährleisten und dabei gleichzeitig den entstehenden Verkehr umwelt- und klimaverträglich zu organisieren, ist die große Herausforderung unserer Generation. Umfassende Transformationen finden aktuell bei den persönlichen Mobilitätsstilen, den technologischen Möglichkeiten sowie den gesellschaftlichen Normen statt. Dieser Mobilitätswandel führt dazu, dass von Gesellschaft und Politik immer stärker die Planung in die Verantwortung genommen wird, die neu entstehenden Mobilitätsbedarfe mit den weiterwachsenden Verkehrsmengen in Einklang zu bringen und eine sozial-ökologische Transformation des Mobilitätssektors voranzubringen. Hierfür hat sich mittlerweile das Konzept der Mobilitätsplanung hervorgetan, das die Abhängigkeit der klassischen Verkehrsplanung vom technischen Artefakt auflöst und die Menschen mit ihren Bedürfnissen in den Blick nimmt. Aus Perspektive der Mobilitätsplanung ist Verkehr kein naturwüchsiger Prozess, der lediglich gemanagt werden verändert werden kann. Erst in diesem Dreiklang (vgl. Bild 1) funktioniert eine mobilitätsorientierte Planung und ermöglicht es den Planerinnen und Planern nicht nur den Verkehr, sondern seine Ursachen effektiv zu verändern. Dis bisherigen Strukturen und Prozesse in den öffentlichen Verwaltungen sind für diese Aufgabenfelder nicht ausgelegt [2]. Eindrücklich zeigt beispielsweise das Bundesverkehrsministerium durch die funktionale Trennung seiner Verwaltungsbereiche in Straße, Schiene, Wasser und Luft, wie segregiert die Planung von Verkehr bis heute gelebt wird. So verwundert es nicht, weshalb Deutschland bis heute noch keine bundesweite Mobilitätsstrategie oder Mobilitätsziele hat, wenn die Bundesverwaltung zum Großteil damit beschäftigt ist, die einzelnen Verkehrsträger im Verteilungskampf durch Parallelfinanzierungen möglichst üppig auszustatten. Auch die Verwaltungen in den Bundesländern und Kommunen sind noch nicht für diese neuen Anforderungen vorbereitet. Jedoch können wir seit einigen Jahren in deutschen Städten vermehrt Transforma- Die Transformation zur Mobilitätsverwaltung Mobilität, Planung, Verkehr, Verwaltung, Transformation, Deutschland Aktuell befinden wir uns in einer Transformation von der klassischen Verkehrsplanung hin zu einer Mobilitätsplanung. Öffentliche Verwaltungen spielen für die Planung in Deutschland eine zentrale Rolle und sind damit maßgebend für den Wandel. Bis heute sind die öffentlichen Planungsstrukturen jedoch noch maßgeblich auf den Verkehr und nicht auf die Mobilität ausgerichtet. Wir diskutieren in diesem Text wichtige Transformationsbedarfe auf dem Weg zu einer Mobilitätsplanung und stellen fünf zentrale Anforderungen für Mobilitätsverwaltungen aus unseren Forschungen vor. Alexander Rammert, Sven Hausigke MOBILITÄT  Verwaltung Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 54 DOI: 10.24053/ IV-2024-0047 tionsbemühungen beobachten. Hier werden die klassischen Stadtentwicklungs- und Verkehrsbehörden immer häufiger integriert und mit individual- und mobilitätsbezogenen Fachbereichen aufgewertet. Transformationsbedarfe in den Verwaltungen In der historischen Entwicklung hat sich die Planung in deutschen Verwaltungen von einer Infrastrukturzu einer Verkehrsplanung gewandelt und ist nun im Begriff, sich zu einer Mobilitätsplanung weiterzuentwickeln (vgl. Abb. 2). Deutlich wird diese Transformation am Begriff der kommunalen Daseinsvorsorge, der anfänglich mit der Bereitstellung von öffentlichen Infrastrukturen, später mit der Sicherstellung verkehrlicher Erreichbarkeit und heutzutage mit der individuellen Befähigung zu einem guten Leben assoziiert wird. Begleitet wurde dieser Wandel des Planungsverständnisses durch die ungewollten Nebeneffekte, welche die angebotsorientierte Bereitstellung von Infrastrukturen oder die effizienzorientierte Beschleunigung der Verkehrsströme erzeugten. Die daraus resultierenden, dispersen Siedlungsstrukturen und weiterwachsenden Verkehrsmengen führten letztendlich dazu, dass mittlerweile international von der Politik und ihrer Planung eine nachhaltigere Verkehrsentwicklung angestrebt wird. Die Verkehrspolitik fokussiert sich auf die individuelle Mobilität und versucht, Erreichbarkeit zu gewährleisten, ohne Verkehr zu benötigen. Da jedoch die Bundesebene in Deutschland bis heute Gesetze und Strategien kaum an das Ziel angepasst hat, nachhaltige Mobilität umzusetzen, obliegt es den Bundesländern und Kommunen, eigene Spielräume zu nutzen und neue Strukturen und Prozesse für eine Mobilitätsplanung zu etablieren. Die Bundesländer beschließen daher sukzessive Mobilitätsgesetze, um die nationalen und internationalen Zielkriterien einer nachhaltigen Mobilität eine rechtliche Grundlage zu geben. Auf Ebene der EU wurde mit den Sustainable Urban Mobility Plans auch auf strategischer Ebene ein Wandel hin zur Mobilitätsplanung eingeleitet, die mitunter auch in Deutschland seit 2013 anstelle von Verkehrsentwicklungsplänen zur Anwendung kommen [3]. Mit den Forderungen nach mehr Mobilität und weniger Emissionen bei besserer Sicherheit, sozialer Gerechtigkeit und vom Verkehrswachstum entkoppelten Wirtschaftswachstum sind bei dem ausgebauten Verkehrssystem nun Maßnahmen erforderlich, die über die klassischen Pull-Maßnahmen von Infrastruktur- und Verkehrsmanagement hinausgehen. Um die Zielkriterien zu erreichen, muss das Repertoire durch Push-Maßnahmen sowie Maßnahmen im Bereich von Stadtentwicklung, Wirtschaft, Soziales, Gesundheit, Umwelt, Tourismus, Sport und Ordnung ergänzt werden. In unseren Forschungen haben wir uns der dafür notwendigen Transformation der Verwaltungen in ganz Deutschland gewidmet. Ziel war es herauszufinden, welche Anforderungen eine zukunftsfähige Mobilitätsplanung erfüllen muss und welche Barrieren und Hemmnisse dabei zutage treten. Dazu gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass zwar flächendeckende Bemühungen für eine Transformation zur Mobilitätsverwaltung in deutschen Kommunen festzustellen sind, aber gleichzeitig Fortschritte nur beschwerlich und punktuell erzielt werden. Die langfristige Verbreitung von Mobilitätsplanung ist Voraussetzung, um auch in Deutschland die Mobilität und nicht nur den Verkehr planen zu können. Dabei wird oftmals auf folgende Faktoren eingegangen, die zum Erfolg führen können oder als Hindernis wirken, je nachdem wie sie auf kommunaler Ebene ausgeprägt sind: Einbindung relevanter Akteure, Politische Unterstützung, fachübergreifende Organisationsstrukturen, Partizipation und Kommunikation, Akzeptanzschaffung, zeitliche Koordination, räumliche übergreifende Planung, Finanzierung und Evaluation [4; 5]. Diese Faktoren sind für eine erfolgreiche Mobilitätsplanung Grundvoraussetzung und können zum Ziel der nachhaltigen Mobilität in der Kommune entscheidend beitragen. Offen bleibt, weshalb bis heute viele dieser Erfolgsfaktoren nur schleppend in den Planungsinstitutionen - sprich den Verwaltungen - ankommen. Die Wissenschaft zeigt hierfür zwei notwendige Katalysatoren, die über die Transformationsgeschwindigkeit entscheiden: die Zielorientierung sowie das Change-Management. Die Zielorientierung ist ein extrinsischer Faktor zur Legitimation der Mobilitätsplanung. Umso stärker sich alle Entscheidungstragenden sowie die Lokalbevölkerung darüber einig sind, welche Ziele mit welchen Mitteln verfolgt werden sollen, desto schneller ist die Mobilitätsplanung handlungsfähig, die legitimierten Mittel anzuwenden. Die Art und Weise der Konsensbildung oder Kompromisserzielung ist ein wichtiges und vieldiskutiertes Kriterium, welches die Akzeptanz in der Bevölkerung entscheidend beeinflusst. Die Festlegung innerhalb von Mobilitätsgesetzen oder strategischen Planwerken auf Landesebene ist beispielsweise ein stark unterstützendes Mittel, einzelne Fallbeispiele in allgemeinen Festlegungen aufzulösen, anstatt jeden Fall aufs Neue auszudiskutieren. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Verwaltung in der Zielorientierung liegen vor allem im Interessen- und Erwartungsmanagement der Stakeholder sowie in der Politikberatung. Dabei ist in der Öffentlichkeitsarbeit sowie bei den Beteiligungen eine transparente, umfassende und zielgruppenangemessene Kommunikation vonnöten, die am Konsens und nicht am Problem orientiert ist. Eine flächendeckend strategische Vorgehensweise kann dabei helfen, individuelle Streitpunkte schneller aufzulösen und das Gesamtbild im Auge zu behalten. Das Change-Management ist hingegen ein intrinsischer Faktor zur Steigerung von Effizienz und Effektivität der Planung. Die Mobilität ist ein querschnittsorientiertes Handlungsfeld und erfordert dementsprechend ämter- und fächerübergreifende Zusammenarbeit. Das bedeutet nicht nur, sich miteinander abzustimmen, sondern auch Handlungen gemeinsam zu koordinieren, damit Effekte in ihrer Gesamtwirkung auftreten können. Ein gutes Beispiel sind die Adaptionen des ‚Superblock-Konzepts‘ in deutschen Städten, bei denen über die Verhinderung des Kfz-Durchgangsverkehrs aus einem Wohnquartier hinaus auch der öffentliche Raum gestaltet werden soll, um die Aufenthaltsqualität zu steigern. So ist der mobilitätsfördernde Effekt immer dann Bild 1: Die drei Aufgabenfelder der Mobilitätsplanung [1] Bild 2: Schwerpunkte der Planung im zeitlichen Verlauf Verwaltung  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 55 DOI: 10.24053/ IV-2024-0047 tinuität des Change-Managements ist die Reproduktion durch weitere Personen im Umfeld notwendig - insbesondere in der administrativen Führung. Aber nicht nur die Vorgesetzten können top-down dazu beitragen, auch die Sachbearbeitenden haben bottom-up das Recht und die Möglichkeit, bei der Reproduktion der institutionalisierten Vorgehensweise Gestaltungsräume für eine Mobilitätsplanung zu nutzen. Sie ergeben sich aus den gesellschaftlichen Diskussionen über soziale Normen und deren Anwendungen in Einzelfällen, die in Summe das Gesamtbild der Mobilität verändern können. In einigen Kommunen werden für die Aufgabe der Mobilitätswende bereits Mobilitätsmanager*innen, Abteilungen oder Stabsstellen eingesetzt, um den Wandel zu überblicken und querschnittsorientiert zu gestalten. Damit wird der normative Anspruch einer Verwaltungstransformation in Form zuständiger Personen und Teams strukturell verkörpert. Alle Handlungsfelder der Mobilitätsplanung müssen auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet werden: Analyse, Entscheidungsfindung, Strategie, Kommunikation, Finanzen und Monitoring [6]. Da die Mobilitätsplanung über die gesetzlich verpflichtenden Aufgaben aus Verkehrssicherungspflicht oder Bauträgerschaft hinausgeht, ist sie eine unverbindliche Tätigkeit der Ämter. Diese Situation bewirkt, dass in einigen Kommunen sich Personen dieser Aufgaben proaktiv annehmen und in anderen Kommunen sich wiederum niemand für die Gestaltung als verantwortlich betrachtet. Die ambitionierten Mobilitätsgesetze der Länder sind eine wichtige Unterstützung der Legislative zur Mobilitätsplanung, allerdings müssen auch die Verwaltungsvorschriften entsprechend angepasst und die Ämter ausbesonders groß, wenn ergänzend auch Maßnahmen zur Förderung des lokalen Gewerbes sowie der gesellschaftlichen Integration gemeinsam mit Bildungs- und Sozialeinrichtungen umgesetzt werden. Die Aufgabe benötigt aber erhöhten Koordinations- und Abstimmungsaufwand, der ein zentrales Problem für die fachspezialisierte und oftmals geringfügig ausgestattete Verwaltung darstellt. Planerinnen und Planer benötigen die Kompetenzen, Methodenkenntnisse und Ressourcen, um fachbereichs- und ämterübergreifend planen zu können. Die ohnehin stattfindende demographische Transformation der Verwaltungsmitarbeitenden ist hierfür zu nutzen und sollte von einem öffentlichen Personal- und Arbeitsrecht flankiert werden, das es erlaubt, Umstrukturierungen zielorientiert gestalten zu können [6]. Die Universitäten haben bereits begonnen, den Verwaltungsnachwuchs in diesen neuen Arbeitsfeldern zu diversifizieren. Die Rolle der Politik Doch wieso schaffen es trotz dieser vorherrschenden Rahmenbedingungen in Deutschland einige Kommunen bereits jetzt, Mobilitätsplanung erfolgreich umzusetzen? Ein Faktor, der sowohl für die Zielorientierung als auch für das Change-Management entscheidend ist, ist die starke politische Führung. Transformativer Strukturwandel ist nur möglich, wenn er von einzelnen Personen verstanden, verkörpert und vorgelebt wird. Nur durch die Maßgabe des Führungspersonals, inwieweit Veränderungen in den Verwaltungen stattfinden sollen und dürfen, halten sich die Mitarbeitenden in ihren Interpretationen der Arbeit in der oftmals noch hierarchischen und starren Verwaltung auch daran und setzen diesen Maßstab an die Erfüllung ihrer Aufgabe. Für die Konreichend mit Personal und finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Ebenso muss die Bundesregierung bei der Novellierung der Bundesgesetze zukünftig mehr Mobilität wagen. Viele der Gesetze sind reformbedürftig, wie das vom VCD 2021 vorgeschlagene Bundesmobilitätsgesetz aufzeigt [7]. Nach langen Verhandlungen unterstützt jetzt zumindest eine StVO-Novelle, die den Kommunen mehr Freiheiten einräumt, Mobilität mit einfachen Begründungsaufwand proaktiv zu planen, anstatt qualifizierte Gefahrenlagen oder umfassende Verkehrskonzepte zur Veränderung des Straßenraums nachzuweisen. Dadurch liegt es jetzt an der Kommunalpolitik, auf Grundlage der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen durch Agenda-Setting, personelle und finanzielle Mittel sowie der Nutzung des rechtlichen Ermessensspielraums die Mobilität zu planen. Proaktive politische Führungsfiguren haben einen großen Einfluss auf die institutionelle Wahrnehmung, Bewertung und Handlung durch die Definition von Werten und Normen, an denen sich auch die Verwaltung orientiert. Anforderungen an moderne Mobilitätsverwaltungen Am Ende steht die Herausforderung, diese disparaten Planungsstrukturen in Deutschland zu funktionierenden Mobilitätsverwaltungen zu transformieren. Dies reduziert auf der einen Seite den personellen und finanziellen Ressourceneinsatz innerhalb der Verwaltung, da weniger widersprüchliche Konzepte und mehr fachübergreifende Strategien entwickelt werden (Effizienzkriterium). Auf der anderen Seite erhöht es die Wirksamkeit der Planung auf die Mobilität, da die Konzepte und Maßnahmen miteinander abgestimmt sind und dadurch Synergieeffekte entstehen (Effektivitätskriterium). Eine Mobilitätsverwaltung ermöglicht es, letztendlich die verschiedenen Handlungsfelder integriert unter gemeinsamen Zielkriterien und Strategien zu gestalten und gleichzeitig effizienter die öffentlichen Ressourcen für die sozial-ökologischen Transformation der Mobilität einzusetzen (vgl. Bild 3). Damit diese administrative Transformation, die bereits in vielen deutschen Städten und Kommunen vorangetrieben wird, gelingen kann, muss der politische Wille für eine dementsprechende Veränderungen vorhanden sein. Nur gemeinsam mit der Politik kann diese grundlegende Umstrukturierung planerischer Verantwortlichkeiten gelingen, dass zeigen die wenigen Erfolgsbeispiele aus München, Hannover, Bremen oder Hamburg [8]. Am Ende muss der Mehrwert einer Mobilitätsverwaltung sowohl für die Politik als auch für die Gesellschaft klar erkennbar sein. Nur dann kann eine flächendeckende Transformation gelingen. Bild 3: Beispielhafter organisatorischer Aufbau einer Mobilitätsverwaltung [1] MOBILITÄT  Verwaltung Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 56 DOI: 10.24053/ IV-2024-0047 Damit die Mobilitätsverwaltung auch tatsächlich einen Mehrwert für die Gesellschaft entfalten kann und nicht nur dem Namen nach Mobilität plant, muss sie einige grundlegende Anforderungen erfüllen. Aus unseren langjährigen Forschungen mit deutschen Planungsinstitutionen haben wir fünf Anforderungen identifizieren können, die für das Funktionieren einer modernen Mobilitätsverwaltung entscheiden sind. Erst wenn diese auf institutioneller Ebene gewährleistet sind, können die vollen Gestaltungspotenziale der Mobilitätsplanung in Deutschland ausgeschöpft werden. 1. Die Politik muss für das gesamte Mobilitätssystem einen normativen Rahmen schaffen. Dieser ermöglicht es nicht nur den Mobilitätsverwaltungen, sondern auch privaten Akteuren und Unternehmen an der Erreichung der Mobilitätsziele mitzuwirken oder sich bei Entgegenwirken rechtfertigen zu müssen. Insbesondere die vielzähligen privaten Mobilitätsdienstleister ebenso wie die zivilgesellschaftlichen Initiativen im Mobilitätsbereich können so in den Lösungsprozess integriert werden. Im besten Fall wird die Einhaltung des normativen Rahmens durch gesetzliche oder ordnungsrechtliche Verankerungen abgesichert. 2. Die Mobilitätsverwaltung muss in der Lage sein, fachübergreifende Mobilitätsstrategien gemeinsam mit der Politik und der Gesellschaft entwickeln zu können. Hierfür braucht sie die Ermächtigung innerhalb der Institution, die relevanten Fachbereiche, wie Raumentwicklung, Verkehrsplanung und Mobilitätsmanagement, zur Kooperation und Zielabstimmung zu verpflichten. Weiterhin ist es von großer Bedeutung, dass die Mobilitätsstrategie neben einer Vision auch konkrete Zielkriterien für die Planung enthält. Diese müssen für alle Akteure transparent zugänglich sein. 3. Die Mobilitätsverwaltung muss aktiv das Mitwirken lokaler Akteure und Unternehmen an der Planung forcieren. Die Vielzahl der Stakeholder im Bereich der Mobilität hat zur Folge, dass eine Institution realistischerweise nicht allein die Bearbeitung eines solchen Planungsfelds bewerkstelligen kann. Vielmehr werden Formen der ‚kollaborativen Governance‘ unter Einbeziehung vielfältiger Akteure und Initiativen für den Umgang mit Mobilitätsfragen immer wichtiger [9]. Die Mobilitätsverwaltung muss deshalb die Expertise besitzen, relevante Akteure und Zielgruppen identifizieren, ansprechen und im Planungsprozess involvieren zu können. 4. Die Mobilitätsverwaltung muss als Moderatorin und Mediatorin zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sowie den politischen Vertretenden auftreten. Insbesondere da mobilitätsbezogene Maßnahmen in die individuellen Freiheiten und Gewohnheiten der Menschen eingreifen, ist eine umfängliche Aufklärung und Beteiligung der Betroffenen unumgänglich. Die Mobilitätsverwaltung hat dafür Sorge zu tragen, dass Mobilitätsziele nicht gegeneinander ausgespielt werden und eine gerechte Balance zwischen den individuellen Interessen der Betroffenen und den gesamtgesellschaftlichen Zielen erreicht wird. Hierfür ist es notwendig, die Akteure aus Politik und Gesellschaft bedarfsgerecht anzusprechen und mögliche Konfliktlinien frühzeitig zu identifizieren. 5. Die Mobilitätsverwaltung muss in der Lage sein, die relevanten Kenngrößen zur Mobilität feststellen und bewerten zu können. Hierfür brauchen die Mobilitätsplanenden Kenntnisse über Methoden und Verfahren, wie die Erreichbarkeit, der Verkehr sowie die individuellen Fähigkeiten und Wahrnehmungen untersucht und interpretiert werden können. Dieses Wissen muss im Anschluss so aufbereitet werden, dass die externen an der Planung beteiligten Akteure aus anderen Fachbereichen, der Politik und der Gesellschaft ausreichend Kenntnis besitzen, um planungsrelevante Entscheidungen zu treffen. Erst mit der Erfüllung aller fünf Anforderungen kann von einer vollwertigen und integrierten Mobilitätsverwaltung gesprochen werden. Der Weg dorthin ist mitunter lang und viele Städte greifen mit einer Umbenennung ihrer Fachbereiche und Ämter dieser Transformation voraus. Dies ist insofern legitim, als dass Politik und Planung in diesen neuen Mobilitätsämtern, -referaten, -abteilungen oder Stabstellen aktiv an der Transformation hin zu einer tatsächlichen Mobilitätsverwaltung arbeiten. Ist dies nicht der Fall, bleibt der Mobilitätsbegriff lediglich ein Feigenblatt, um das angestaubte Image der Verkehrsbehörde mit mobilitätsbezogenen Vokabeln aufzufrischen. Nur wenn alle Handlungsfelder, Ämter, Abteilungen und Entscheidungstragenden ihren Beitrag zur Transformation der Verwaltung leisten, kann sie voranschreiten. Veto-Playern aus Politik, Verwaltung oder Gesellschaft muss zugehört und ihre Bedenken ernst genommen werden. Gleichzeitig müssen sie bei der Problemlösung in die Verantwortung genommen und aktiv an der Lösungsfindung beteiligt werden, um Blockaden zu überwinden. Verschiedene Sichtweisen müssen besprochen, Verlustängste gegenüber den neuen Wirklichkeiten abgewogen sowie Überlastungen koordiniert und entgegengewirkt werden. Dafür muss ein einheitliches Bild von Mobilität und Mobilitätsplanung entstehen, an dem alle teilhaben und mitwirken wollen. Die Verwaltung spielt für die Mobilitätsplanung eine zentrale Rolle und hat die Möglichkeit, zukünftig als Treiber des Mobilitätswandels die Verantwortung zu übernehmen. Voraussetzung ist, dass ihre eigenen Prozesse und Strukturen an die Herausforderungen angepasst werden. ■ LITERATUR [1] Rammert, A (2024): Mobilitätsplanung. Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden. https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-658-43265-2 [2] Hausigke, S (2024): Die Grenzen der Verwaltung für nachhaltige Mobilität. Journal für Mobilität und Verkehr, (20): 28-36. https: / / doi.org/ 10.34647/ jmv.nr20.id137 [3] German Partnership for Sustainable Mobility (GPSM) (2015): Recommendations for Mobility Master Planning. https: / / transformative-mobility. org/ multimedia/ recommendations-for-mobilitymaster-planning/ [4] Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein- Westfalen (ILS NRW) (2005): Umsetzung und Akzeptanz einer nachhaltigen Verkehrspolitik - NAPOLI. https: / / d-nb.info/ 1015098835/ 34 [5] Stein, T, Klein, T, Lindner, S (2022): Was hemmt die Umsetzung der kommunalen Radverkehrsplanung? Erste Ergebnisse aus dem laufenden BMBF-Forschungsprojekt „KoRa - Beseitigung von Umsetzungshemmnissen in der kommunalen Radverkehrsplanung - soziotechnische Innovationen und kommunale Steuerungsmöglichkeiten“. https: / / difu.de/ publikationen/ 2022/ was-hemmtdie-umsetzung-der-kommunalen-radverkehrsplanung [6] Raffer, C, Buchmann, F, Schneider, S (2023): Erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation in der Kommunalverwaltung. Deutsches Institut für Urbanistik. https: / / difu.de/ publikationen/ 2023/ erfolgreiche-nachhaltigkeitstransformation-inder-kommunalverwaltung [7] VCD (2021): Entwurf für die Regelungsinhalte eines Bundesmobilitätsgesetzes. https: / / www.vcd. org/ bundesmobilitaetsgesetz [8] UBA (2023): Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Umgestaltung des Straßenraums. Ein Blick in die deutsche und europäische Praxis. https: / / www.umweltbundesamt.de/ publikationen/ schluesselfaktoren-fuer-eine-erfolgreiche [9] Pucci, P, Vecchio, G (2019): Enabling mobilities. Planning tools for people and their mobilities. Springer; Politecnico Milano, Cham, Milano. https: / / doi. org/ 10.1007/ 978-3-030-19581-6 Eingangsabbildung: © Sven Hausigke Alexander Rammert, Dr.-Ing., Geschäftsführer, STRATMO, Hubertusstraße 13, 12163 Berlin rammert@stratmo.de Sven Hausigke, M.Sc., Promovend, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin, Sekr. SG 4, Salzufer 17 - 19, 10587 Berlin sven.hausigke@ivp.tu-berlin.de Verwaltung  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (76) 3 ǀ 2024 57 DOI: 10.24053/ IV-2024-0047