Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0056
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Radverkehrsförderung 3.0 – eine Zwischenbilanz
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Peter Pez
Antje Seidel
Das Projekt Radverkehrsförderung 3.0 (RVF3.0) startete 2021 mit dem Anspruch, die Durchlässigkeit und Sichtbarkeit des für alltägliches Radfahren nutzbaren Wegenetzes im Landkreis Lüneburg flächendeckend zu verbessern. Mit Stand Frühsommer 2024 wird hier eine Zwischenbilanz gezogen.
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les und Verkehr (Förderlinie „Modellvorhaben Rad“), sollten die Projektpartner - die Leuphana Universität sowie der Landkreis Lüneburg - sowohl die notwendigen Datenerhebungen und -analysen durchführen als auch die Beseitigung der vorgefundenen Radverkehrshindernisse bzw. physischen und ordnungsrechtlichen Barrierestrukturen angehen. Die Arbeit im Projekt soll 2025 abgeschlossen sein. Mit Stand Frühsommer 2024 ziehen Autor und Autorin (Zwischen-) Bilanz. Wo steht das Projekt aktuell? Welche Barrieren verschiedenster Art konnten 2 021 startete das Projekt Radverkehrsförderung 3.0 (RVF3.0) mit dem Anspruch, die Durchlässigkeit und Sichtbarkeit des für alltägliches Radfahren nutzbaren Wegenetzes im Landkreis Lüneburg flächendeckend zu verbessern. Zu den Hintergründen und Zielen sowie den drei Projektschwerpunkten „Barrierefreiheit“, „analoge“ und „digitale Netztransparenz“ erschien bereits 2020 ein zweiteiliger Aufsatz im Internationalen Verkehrswesen (Jg. 72, H. 3 & 4). Ausgestattet mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Digitadurch das Projekt sichtbar gemacht werden, und auf welchen Wegen kommt man vielleicht heute schon hindernisarm oder gar „barrierefrei“ an sein Ziel? Anhand dieser Fragen unterfüttert der vorliegende Beitrag die 2020 formulierten Aussagen mit aktuellen Forschungsergebnissen aus dem Projekt RVF3.0. RVF3.0 an der Leuphana - kein Weg zu weit, keine Hürde zu hoch Die bis zum aktuellen Zeitpunkt abgeschlossenen Erhebungen fanden zwischen Radverkehrsförderung 3.0 - eine Zwischenbilanz Radverkehr, Verkehrsplanung, Verkehrsmittelwahl Das Projekt Radverkehrsförderung 3.0 (RVF3.0) startete 2021 mit dem Anspruch, die Durchlässigkeit und Sichtbarkeit des für alltägliches Radfahren nutzbaren Wegenetzes im Landkreis Lüneburg flächendeckend zu verbessern. Mit Stand Frühsommer 2024 wird hier eine Zwischenbilanz gezogen. Peter Pez, Antje Seidel DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 14 2021 und 2023 in den in Bild 1 orange, grün und hellblau unterlegten Gebieten sowie im Jahr 2018 im Gebiet der Hansestadt Lüneburg statt. Damit wurden inzwischen gut 85 % der Fläche des knapp 1.330 km² großen Landkreises Lüneburg durch das Projekt RVF3.0 und seinen Vorläufer auf Barrierestrukturen und den Zustand seiner radverkehrsrelevanten Infrastruktur untersucht; das noch offene, violette Teilgebiet folgt im Jahr 2024. Der Großteil der Erhebungsarbeiten wird durch Studierende der Leuphana im Rahmen von Projektseminaren geleistet, unterstützt durch studentische Hilfskräfte und die im Projekt tätige wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die Datenerhebung erfolgt nach einer jeweils 10-14-wöchigen inhaltlichen und methodischen Grundausbildung, und zwar in zwei Seminarclustern: Die Seminarausrichtung („Barrierefreiheit - RVF3.0“, Pez) befasst sich v. a. mit den physischen und ordnungsrechtlichen Radverkehrshemmnissen und Mängelstrukturen, auch als Mikrohindernisse bzw. Barrieren bezeichnet. Die im Rahmen der Felderhebung ermittelten Mikrohindernisse werden mit ihrer geographischen Position, einer Beschreibung der Gesamtsituation am jeweiligen Ort, mehreren Fotos und abgeleiteten Lösungsvorschlägen in einem webbasierten Melde-Tool dokumentiert, um die Daten anschließend an den Landkreis Lüneburg übermitteln zu können. Die zweite Projektgruppe („Lüneburg Maps“, Seidel) verfolgt die Erfassung des Ist-Zustands sowie der Attraktivität der radverkehrsrelevanten Infrastruktur wie Straßen, benutzungspflichtige und weitere Radwege sowie sonstige Wege mit verbindender Funktion. Die für die Erhebung und Dokumentation dieses Zustands geeignete Methodik wird seit 2019 gemeinsam mit Studierenden entwickelt, angewandt und kontinuierlich um neue Aspekte erweitert. Ziel ist es - ohne die im Barrieren-Seminar herausgeforderte normative Herangehensweise zur Verbesserung von Zuständen - für den aktuellen Zustand Rohdaten in größtmöglicher Detailtiefe zu erheben. Die Daten werden als Open Data in der OpenStreetMap-Datenbank (OSM) abgelegt und können bei Zustandsänderungen jederzeit auch von nicht am Projekt beteiligten Personen aktualisiert werden. Dies ermöglicht eine manuelle oder algorithmusbasierte Ableitung von Erkenntnissen (z. B. zu Zwecken der Radnetzplanung oder für die Verwendung in Navigationssystemen) auf Basis des jeweils aktuellen Zustands der Infrastruktur. Insgesamt wurden bis zum Ende der dritten (2023) und damit vorletzten der vier Erhebungsphasen 1.775 Mikrohindernis- Meldungen an den Landkreis übermittelt und 2.900 km Wege in der OSM mit radverkehrsrelevanten Informationen hinterlegt. Während sich das Netz der für die Zustandserhebung befahrenen Wege mit Verbindungsfunktion (Bild 1, pinkfarbene Linien) recht gleichmäßig über die bisher untersuchten Gebiete erstreckt und lediglich in den Siedlungsräumen dichter wird, deutet die Verteilung der Mikrohindernisse (gelbe Punkte in Bild 1) an, dass es zwar durchaus Hindernishäufungen innerhalb und im direkten Umfeld von Siedlungen gibt, dass zugleich aber auch in der Fläche und (wenig überraschend) vor allem entlang von Wegen mit verbindender Funktion zahlreiche Barrieren das Radfahren im Landkreis erschweren. Die Zahl der Mikrohindernisse ist deutlich höher und räumlich breiter gestreut als erwartet, bestätigt jedoch die bereits bei der Antragstellung zum Projekt formulierte Notwendigkeit, sich der Beseitigung von Radverkehrshindernissen im Sinne von Barrierefreiheit in der Fläche, also auch außerhalb von Siedlungsgebieten und klassifizierten Straßen, zu widmen. Das wesentliche Ziel der Datenerhebungen und -analysen ist es, auf Basis des dokumentierten Ist-Zustandes einen Soll- Zustand zu formulieren, der dem Projektpartner Landkreis Lüneburg und seinen Kommunen als Orientierung bzw. konkrete Handlungsempfehlung zum Zweck der Radverkehrsförderung dient. Diese Form der Public-Science-Partnership war ein wesentlicher Grund für die Bewilligung von Fördermitteln des Bundes für das Projekt Bild 1: Übersicht über die Erhebungsphasen im Projekt RVF3.0 und aktueller Stand der Erhebungen Radverkehrsförderung INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 15 für die Fördermittel des Bundes mit einer neuen strategischen Ausrichtung der Radverkehrspolitik innovativ positioniert hatten: Während die beträchtliche Zahl von Studierenden in ihren jeweiligen Untersuchungsarealen mit Eifer dabei waren und jedes Meldeblatt als Identifizierungs- und Lernerfolg betrachtet wurde, wirkte die auf diese Weise eruierte große Masse an Meldungen für die sehr kleine Zahl von Verwaltungsmitarbeitern auf kommunaler Ebene regelrecht erschlagend und damit frustrierend. Der Anreiz, sich anderen, kurzfristigeren und sichtbareren Erfolg versprechenden Aufgaben zu widmen oder mit solchen „eilbedingt“ von vorgesetzter Ebene beauftragt zu werden, war und ist groß. Schnell stellte sich ferner heraus, dass die Meldungsflut auf diese Weise auch inhaltlich nicht von der Verwaltung bzw. innerhalb der Projektzeit zu bewältigen ist und es musste ein Ingenieurbüro hinzugezogen werden, das viele der Maßnahmen baulich zu bewerten und auszuarbeiten hatte. Auch der Administrationsweg erwies sich als beträchtliche Hürde. Der Landkreis verwaltet die Gelder (80 % Förderquote für Maßnahmen), ist aber nicht nur auf kommunale Mitfinanzierung, sondern insbesondere auf das Maßnahmeneinvernehmen angewiesen. I. d. R. müssen dazu Bau-/ RVF3.0, in welchem die Leuphana die für die öffentliche Hand zumindest in der Fläche kaum leistbare Recherche- und Dokumentationstätigkeit sowie deren wissenschaftliche Auswertung übernimmt. Dass diese Art der „Arbeitsteilung“ den Projektpartner jedoch vor beinahe größere Herausforderungen stellen würde, als es die eigene Befassung mit den Radverkehrshindernissen vermocht hätte, wurde erst im Verlauf der engeren Zusammenarbeit zwischen Universität und Landkreis deutlich. Barrieren in der Administration - lästig, aber zu bewältigen Als lästig für das Projekt, aber letztlich noch das geringste Problem, stellte sich die Mittelbewirtschaftung dar, denn es fiel Universität wie Landkreis nicht leicht, die Arbeiten mit Erfassungsunterlagen zu dokumentieren, die auf große Bauprojekte geeicht waren und für die Verwendungsdokumentation einer sehr großen Zahl von Klein- und Kleinstmaßnahmen und erst recht deren wissenschaftliche Erhebung weitestgehend ungeeignet sind. Nicht erwartet, aber letztlich sehr bedeutsam waren psychologische Hemmnisse, obwohl sich die Universität (für die wissenschaftliche Recherche) und der Landkreis (für die infrastrukturelle Umsetzung) gemeinsam als Antragsteller Verkehrsamt, Verkehrsausschuss, Polizei, Straßenverkehrsbehörde u. a. beteiligt werden. Ein Landkreismitarbeiter meinte dazu etwas überspitzt, aber im Kern berechtigt, dass es eigentlich egal sei, ob man 10 km Radweg bzw. ein Fahrradparkhaus baue oder bloß an ein Gehwegschild (Z. 239) ein zusätzliches „Radverkehr frei“ (Z. 1022-10) schraube, der Beteiligungsmarathon sei der gleiche. Das sichtlich nachteilige mentale Aufwand-Leistung-Verhältnis schränkt die Wirkung der eigentlich verlockenden Fördergelder für einen Maßnahmenbereich, der zudem Pflichtaufgabe der Kommunen ist, spürbar ein. Im Projekt wurde versucht darauf zu reagieren, indem die Meldeblätter vor Weiterreichung nach fünf Ebenen sortiert wurden, um Übersichtlichkeit und Zugriff zu erleichtern (vgl. Bild 2): Maßgeblich für die Einordnung eines Falles in die jeweilige Ebene war die Wahrscheinlichkeit der Umsetzbarkeit der formulierten Maßnahmenvorschläge innerhalb des Projektrahmens von „leicht umsetzbar“ in Ebene 1 bis hin zu „nicht im Projektrahmen umsetzbar“ in Ebene 5. Maßnahmenvorschläge der Ebene 1 lassen sich mithilfe einfacher verkehrsrechtlicher Anordnungen oder kleinerer baulicher Maßnahmen umsetzen; sie ändern i. d. R. nichts Wesentliches an der Bild 2: Umsetzungsebenen im Projekt Radverkehrsförderung 3.0 (eigene Darstellung) INFRASTRUKTUR Radverkehrsförderung DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 16 bestehenden verkehrsrechtlichen Situation (z. B. Austausch des StVO-Z 250 gegen StVO-Z 260 zur Legalisierung der implizit geduldeten, aber explizit verbotenen Nutzung eines Weges durch Radfahrende). Maßnahmenvorschläge der Ebene 2 kombinieren verkehrsrechtliche Anordnungen mit baulichen Maßnahmen oder ändern die verkehrsrechtliche Situation; sie sind insgesamt komplexer und bedingen eine umfangreichere Argumentation und ggf. Vor-Ort-Termine mit Mitspracheberechtigten (z. B. Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung). In die Ebene 3 können Fälle eingeordnet werden, die zunächst als Verkehrsversuch umgesetzt und beforscht werden sollen. Ebene 4 umfasst Vorschläge, die voraussichtlich zu teuer oder aufgrund notwendiger Planungsverfahren zu langwierig sind, um sie innerhalb des Projektrahmens umzusetzen. Ebene 5 dient schließlich als eine Art Container für alle Maßnahmen, die z. B. bisher rechtlich nicht klar geregelt (z. B. die Anordnung von Piktogrammketten ohne Schutz-/ Radfahrstreifen) oder nicht Teil des Projektauftrags sind (insbes. Einrichtung straßenbegleitender Radinfrastruktur). Die Studierenden sollten bereits bei Erfassung der vorgefundenen Mikrohindernisse darauf achten, dass für die Lösung des jeweiligen Problems v. a. Vorschläge aus dem Bereich der Ebenen 1 und 2 angegeben werden, Ebene 1 macht knapp zwei Drittel, Ebene 2 ein Viertel aller Meldungen aus. Die Ebenen 3-5 sollten nur ergänzend genutzt werden oder in Fällen, bei denen sich die vorgefundenen Mängel nicht mit einfachen Maßnahmenvorschlägen der Ebenen 1/ 2 beheben lassen. Ebene 3 wurde bisher nicht genutzt; Meldungen aus den Ebenen 4 (8 %) und 5 (2 %) machen einen geringen Anteil aus. Alle Meldungen einer Ebene (inhaltliche Dimension) können für eine gesamte Gemeinde, für eine definierte Route oder für bestimmte Streckenabschnitte (räumliche Dimension) zusammengefasst betrachtet werden. Über die Beseitigung der Mikrohindernisse gelangt man zur Netzdurchlässigkeit, über die Etablierung von Wegweisungen zur Netztransparenz. Auf diese Weise kommt man zu „Radschönrouten“, d. h. sowohl städtisch (intralokal) als auch im ländlichen Raum (interlokal) zu einem Wegenetz abseits der Hauptverkehrsstraßen mit hoher Nutzungsattraktivität gleichermaßen für Alltags- und Freizeitverkehr. Die Herstellung von Barrierefreiheit entlang solcher Routen empfiehlt sich für eine Priorisierung. Die auf diese Weise deutlich reduzierbare Komplexität der an den Projektpartner gelieferten Datenflut kann helfen, die weitere Bearbeitung der gemeldeten Fälle auf Landkreisbzw. kommunaler Ebene zu erleichtern. Die größte Barriere für die Umsetzung wurde aber überhaupt nicht vorausgesehen und kristallisierte sich erst während der vielfältigen, projektbedingten Interaktionen zwischen Wissenschaftspersonal und kommunalen Akteuren heraus: Barrieren in den Köpfen - unüberwindbar? Die hohe Dichte der Kommunikationsprozesse rund um die studentische Ausbildung und die Verwertung der Ergebnisse erlaubte besonders intensive Einblicke, wie sie normalerweise zwischen den strukturell eher getrennt agierenden Institutionen nicht auftreten und sich auch kaum in qualitativen Interviews abbilden. Ein städtischer Mitarbeiter berichtete plastisch, wie er aus dem großen, schon in der Vorstudie 2018 erhobenen Mängelpool (347 Meldungen für Lüneburg) zehn Maßnahmenforderungen ausgesucht hatte, die aus seiner Sicht keine ernsthafte Umsetzungsproblematik erkennen ließen. Trotzdem ließ dies geradezu reflexhaft interne Widerstände im Sinne einer Bedenkensucherei (und -finderei) aufkeimen, sodass selbst die Absenkung von Bordsteinkanten zum Politikum geriet. Zwei Beispiele: Die Schaffung einer 3 km langen Nord- Süd-Radschönroute zwischen Stadtzentrum via Universität und einem südlichen Stadtteil scheitert an 10 cm zu wenig Breite einer 33 m langen Brücke über eine Bahnstrecke. Als Argument dient die von der ERA auf S. 27/ 28 [1] für gemeinsamen Fuß- und Radverkehr geforderte Wegbreite von 2,50 m, es seien nur 2,40 m im Brückenbereich. Die juristisch, planerisch und empirisch unterfütterte Entgegnung, die u. a. aufzeigt, dass die ERA-Vorgabe nur für die Wegneuanlage, nicht für Altbestand gilt und ferner nur für straßenbegleitende Wege Aussagen macht, nicht für den untersuchten Fall eines selbstständig geführten Weges (und hier auch noch einer Engstelle) blieb bislang ohne Reaktion. Während einer Ausbildungseinheit berichtete eine Mitarbeiterin der Straßenverkehrsbehörde von einer geplanten doppelten Umlaufsperre bei einem unbeschrankten Übergang einer für wenig Güter- und Sonderverkehr genutzten Bahnstrecke im letzten Untersuchungsgebiet. Auf den Hinweis, dass bei der entsprechenden Variante die für Lasten- und Kindertransporte genutzten An der Hochschule München ist an der Fakultät für Tourismus ab dem Wintersemester 2025/ 26 oder später folgende Stelle zu besetzen: Professur für Planung und Management von Infrastrukturen im Tourismus (W2) Kennziffer: BV 1450 Sie haben Ihre einschlägigen berufsspezifischen Kenntnisse und Erfahrungen in verantwortlicher Position oder Leitungsfunktion in öffentlichen und/ oder privaten Unternehmen, Betrieben, Organisationen oder Institutionen außerhalb des Hochschulbereichs erworben. Sie haben zudem durch Ihre bisherigen beruflichen Tätigkeiten idealerweise Erfahrung in möglichst vielen der folgenden Bereiche erworben: Planungsrecht, Projektleitung, internationale Kooperationen, innovative Beteiligungsformate und Mobilitätsdaten. Erfahren Sie mehr in der detaillierten Stellenausschreibung unter: https: / / stellen.hm.edu/ ywxge Bewerben Sie sich über unser Online-Portal bis zum 09.12.2024. Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen! Anzeige Radverkehrsförderung INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 17 [5], wobei sich die Behebungen weitgehend auf die einfachste Stufe der o. g. Ebene 1 beschränken: der Umbeschilderung von Sackgassen in durchlässige Sackgassen (Z. 357-50). Es gibt aber einen Lichtblick - die (Samt-)Gemeinden rund um Lüneburg verhalten sich deutlich innovativer. Das stellt nicht nur die üblichen Vorstellungen der Innovations- und Diffusionstheorie auf den Kopf, auch die gängigen parteipolitischen Zuschreibungen bzgl. Radverkehrsfreundlichkeit und -reserviertheit verlieren auf der kommunalen Ebene ihre Gültigkeit. Barrieren im Raum und Wege drumherum Falsch bzw. nicht ausgewiesene (durchlässige oder auch echte) Sackgassen scheinen auf den ersten Blick unspektakulär für den Radverkehr zu sein. Jedoch machen diese Sackgassen zusammen mit absoluten Durchfahrtsverboten (StVO-Z. 250) im Landkreis Lüneburg fast ein Viertel aller Barrieremeldungen aus (Bild 3) - und dies ist gerade im ländlichen Raum ein gewichtiges Problem: Während eine nicht gekennzeichnete oder rechtlich nicht erlaubte Wegeabkürzung in der Stadt durch eine alternative Streckenführung noch relativ leicht kompensierbar ist, kann dies beim Navigieren im ländlichen Raum einen Umweg im Kilometerbereich nach sich ziehen. Die bisher 425 gemeldeten Fälle dieser Kategorie zu beheben, würde die Transparenz des nutzbaren Wegenetzes im Landkreis erheblich verbessern. Da bei einer falschen Sackgassenausweisung lediglich eine bestehende Beschilderung korrigiert werden muss und sich an der verkehrsviel. Das gilt ebenso für den allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass staatliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger erstens einer Rechtsgrundlage, zweitens eines Sachgrundes bedürfen und drittens der Eingriff verhältnismäßig sein muss. Spätestens an Letzterem lassen viele gefundene Barrieren für den Radverkehr (ver)zweifeln. Diese Erfahrung offenbart Grundprinzipien, die der politisch geäußerten Bereitschaft zur Stärkung des Radverkehrs diametral widersprechen. In der Planungspraxis genügt häufig schon der kleinste, unwahrscheinlichste Gefahreneinwand, um insbesondere aus Gründen der Verkehrssicherheit Veränderungsvorschläge abzulehnen - ohne eine Alternative zur Problemlösung anzubieten. Es entstehen sogar mit eben jenem Argument der Verkehrssicherheit stetig neue Hindernisse. Ausgerechnet für die Stadt Lüneburg, das dominierende Oberzentrum des Landkreises, ist nach drei Jahren Förderzeit zu konstatieren, dass das Projekt weder entscheidend zum Barriereabbau beizutragen vermochte noch Präventionswirkung zur Hindernisvermeidung entfaltete. Zwar unterzeichnete die 2021 gewählte Oberbürgermeisterin die Beteiligung am Projekt des Landkreises, Maßnahmen zur Implementierung der Grundgedanken von RVF3.0 innerhalb der eigenen Verwaltung blieben jedoch aus und in der Folge auch eine Veränderung der unter ihrem Vorgänger vor 30 Jahren eingeleiteten fahrradrestriktiven Grundeinstellung. So verwundert es nicht, wenn in einer ersten Evaluation der Vorstudie von 2018 nach vier Jahren in Lüneburg erst 20,5 % der festgestellten Mikromängel eine Behebung erfahren hatten Kastenräder kaum hindurch gelangen könnten und einen weiten Umweg fahren müssten, wurde die Maßnahme mit der potenziellen Lebensgefahr gerechtfertigt und dem Umstand, dass dort nach Auskunft lokaler Vertreter keine Radfahrer unterwegs seien - ohne dass hierfür jemals eine Zählung stattgefunden hätte. Diese beiden Ereignisse stehen stellvertretend für viele ihrer Art. Die ERA und auch die StVO bzw. VwV-StVO wird nicht als Förder-, sondern Verhinderungsinstrument für eine Protegierung des Radverkehrs gelesen und nur eine Stimme aus dem Kanon der bei einer Verkehrsschau beteiligten Akteure reicht meist schon aus, um restriktive Maßnahmen bis zum Ausschluss des Radverkehrs zu ergreifen bzw. beizubehalten. Genau besehen ist das nicht ERA- oder StVO-konform. Die ERA schreibt auf S. 80 vor, bauliche Restriktionen (u. a. im Falle von Bahnkreuzungen) „sind nur gerechtfertigt, wenn der angestrebte Zweck mit anderen Mitteln nicht erreichbar ist und die Folgen eines Verzichtes die Nachteile für die Radverkehrssicherheit übertreffen.“ [2] Und die StVO fordert im § 45 Abs. 9, Satz 1 und 3, eine Beschränkung des Einsatzes von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen auf zwingende Erforderlichkeit und Gefahrenlagen; auch § 39 Abs. 1 fordert eine Minimierung der Verkehrsreglementierungen [3] und konkretisiert damit im Verkehrsbereich Art. 2 Abs. 1 GG [4] - aber für den Radverkehr gilt die grundgesetzlich verbriefte Handlungsfreiheit augenscheinlich in der Praxis nicht Bild 3: Im Landkreis Lüneburg vorgefundene Arten von Mikrohindernissen (Stand Ende 2023), eigene Darstellung INFRASTRUKTUR Radverkehrsförderung DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 18 schlüsselten Hindernisarten an, so fällt auf, dass, wenig überraschend, die zahlenmäßig bedeutsame Kategorie der falsch ausgewiesenen Sackgassen auf Ortslagen beschränkt ist. Überwiegend betrifft dies als echte Sackgassen beschilderte Wege, die für den Radverkehr jedoch durchlässig sind und häufig aus den Ortslagen hinaus auf attraktive Verbindungswege zu den Nachbarorten führen. Per StVO-Zeichen 250 mit einem Durchfahrtsverbot für alle Fahrzeuge (also auch Fahrräder) belegte Wege finden sich ebenfalls innerhalb von Ortslagen, z. B. an den Zufahrten zu Wohngebieten, die per Zusatzschild für Anlieger, aber nicht für den Radverkehr freigegeben sind. Sehr häufig sind aber auch Wald- und Feldwege außerorts de jure für die Durchfahrt gesperrt, womit (innerwie außerorts) potenziell hochrelevante Abkürzungen mit dem Rad nicht legal nutzbar sind. Diese Illegalität stellt ein typisches und nicht zu unterschätzendes Problem für Radfahrende im Straßenverkehr dar - real gilt die Beschilderung auch für den Radverkehr, obwohl dieser implizit nicht „mitgemeint“ ist. Da Radfahrende mangels konsistenter, den Radverkehr sensibel bedenkender Beschilderung diese implizite Absicht in die vorhandene Beschilderung hineininterpretieren (müssen), ist es nachvollziehbar, wenn sie sich auch von anderen ordnungsrechtlichen Anweisungen oft nicht angesprochen fühlen. Im Gegensatz zu den eben benannten ordnungsrechtlichen Barrieren und Wegweisungsmängeln, die das Radfahren eher „im Kopf “ betreffen, stellen Umlaufsperren flussen und jenseits davon „terra incognita“ vorherrscht, zeigen anschaulich die aus User-Daten verschiedener Apps generierten Heat Maps (z. B. von STADTRADELN oder Bike Citizens): So fährt laut diesen Daten ein Großteil Radelnder in Lüneburg innerhalb der Stadt entlang von stark befahrenen Hauptverkehrsstraßen mit unzureichender oder überlasteter Radverkehrsinfrastruktur, obwohl die Stadt zahlreiche ruhige, deutlich konfliktärmere und schnellere Alternativstrecken bietet. Diese Strecken sind jedoch nicht Teil des städtischen Wegweisungskonzepts und daher allenfalls Alteingesessenen oder Menschen bekannt, die sich bewusst auf die Suche nach Alternativstrecken machen. Eine Wegweisung, die neben den bisherigen Hauptrouten auf Radwegen entlang von Hauptstraßen auch die im Beitrag von 2020 vorgestellten „Radschönrouten“ berücksichtigt, könnte helfen, diese Strecken für Radelnde sichtbarer zu machen und durch eine stärkere Verteilung in der Fläche die Radwegeinfrastruktur an den Hauptstraßen zu entlasten. Im ländlichen Raum wird das Thema Wegweisung v. a. durch das Potenzial relevant, einen Teil des derzeit noch deutlich Pkw-dominierten Pendelverkehrs auf das Rad zu verlagern. Je sichtbarer das nutzbare Wegenetz und je informativer die (Kommunengrenzen übergreifende) Wegweisung ist, desto höher die Chance hierfür. Eine wesentliche Voraussetzung bleibt jedoch die Hindernisfreiheit dieser Wege. Schaut man sich in Bild 4 an einem beispielhaften Ausschnitt der Lüneburger Vororte Barendorf und Wendisch Evern die räumliche Verteilung der in Bild 3 aufgerechtlichen Situation vor Ort nichts ändert, gehören alle Fälle dieser Kategorie in die Umsetzungsebene 1 (Bild 2). Entsprechend einfach (und im Idealfall in einer einzigen verkehrsrechtlichen Anordnung bündelbar) ist die Beseitigung dieser Mängelkategorie. Gleiches gilt für die Durchfahrtverbote, bei denen i. d. R. schnell klar ist, dass die aktuelle Beschilderung ursprünglich allein für den motorisierten Verkehr gedacht war und einfach durch ein Verbot für Motorfahrzeuge (StVO-Z. 260) ersetzt werden kann. Ebenfalls in das Themenfeld Netztransparenz fällt das mit Abstand am häufigsten von den für das Projekt tätigen Studierenden dokumentierte Problem der Wegweisungsmängel, die etwas über ein Viertel aller gemeldeten Fälle ausmachen. Dies betrifft gänzlich fehlende Wegweisung (z. B. an Kreuzungen fahrradrelevanter Verbindungswege) oder auch fehlerhafte bzw. nicht vorhandene Kilometrierungen auf den Wegweisern. Die Bedeutung der analogen Wegweisung per Pfeil-, Tabellen- oder Zwischenwegweiser wird im Zeitalter der Navigations-Apps häufig unterschätzt, jedoch nutzen auch aktuell noch 67 % der Radreisenden unterwegs die vorhandene Wegweisung, wenn auch die Nutzung von Apps zunimmt.[6] Für die Zielgruppe des Projekts RVF3.0, also die Alltagsradelnden, erscheint das Thema analoge Wegweisung wie schon die Sackgassenproblematik auf den ersten Blick weniger relevant, geht es für diese Menschen doch v. a. um ihre täglichen, also - vermeintlich - bekannten Wege. Wie sehr jedoch die „eingefahrenen Wege im Kopf “, die Mental Maps, die Wahl des Weges beein- Bild 4: Räumliche Verteilung der Mikrohindernisse, Ausschnitt aus dem Erhebungsgebiet Radverkehrsförderung INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 19 ellen Mikrohindernisse auf diesen Wegen beseitigt werden. Hier soll seit März 2024 nun das eigens programmierte Web-Tool „rvf.online“ helfen, die entsprechenden Umsetzungsprozesse auf Landkreis- und kommunaler Ebene zu digitalisieren und zu beschleunigen. Über das Tool kann der gesamte Verwaltungsablauf von der ersten Sichtung einer Mikrohindernismeldung über den Einbezug zu beteiligender Instanzen bis zur Finanzierung der Maßnahme und der Archivierung der erstellten Dokumente abgewickelt werden. Die Visualisierung der Meldungen auf einer interaktiven Karte und in Listenform, die Kenntlichmachung der bereits abgearbeiteten Schritte im Prozess und letztlich das Erfolgserlebnis, ein Problem nach dem anderen sichtbar abhaken und ablegen zu können, sollen dazu beitragen, die Barrieren in den Köpfen der beteiligten Personen der administrativen Ebenen abzubauen. Bei nicht wenigen Personen rennt man mit dem neuen Werkzeug durchaus offene Türen ein, denn oft ist der Wille da, es fehlte bisher nur an geeigneten Wegen, den umfangreichen „Kleinkram“ an Problemen zu bewältigen. Quo vadis - und wo entlang? Während die bisherige Zwischenbilanz für den Bereich der Hansestadt Lüneburg alarmiert (wo die Defizite lange bekannt und deren Behebung längst hätte angegangen werden können und müssen), machen die Entwicklungen bei den Gemeinden des Landkreises Hoffnung, dass die Projektanforderungen des Fördermittelgebers bis zum Ende der Projektlaufzeit hinreichend erfüllt werden können. Jenseits dessen verhilft die OSM-basierte Erfassung der Wegestrukturen schon jetzt, quasi in Echtzeit der Eingabe, den Navigationssystemen zu einer Optimierung ihrer Wegweisung. Das gerade „scharf geschaltete“ Web-Tool „rvf.online“ verspricht ein stark beschleunigtes Abarbeiten der langen Liste von Mikrohindernissen. Und die Kombination aus beidem - das Wissen über das schon jetzt nutzbare Wegenetz sowie seine aktuell noch vorhandenen Problemstellen - ermöglicht eine zielgenaue Radverkehrsförderung in der Fläche, wie es der Projektantrag vorsah. Dennoch machen die Erfahrungen im Projekt deutlich, woran es in der Radverkehrsförderung nicht nur im Untersuchungsgebiet, sondern weithin in Deutschland, mangelt. Es sind anders, als die Akteure selbst angeben, nicht so sehr die rechtlichen Vorgaben, die sie zwängen, gegen Radfahrinteressen zu entscheiden, denn die Ermessensspielräume sind realiter erheblich. Verantwortlich ist vielmehr eine seitenverkehrte Imbalance in der Planungskultur: Trotz aller Bekundungen im politischen Bereich bis hin zu einzelnen Akteu- Nur mit hohem Kosten- und Planungsaufwand zu beheben und mit 6 % der gemeldeten Fälle selten bemängelt wurde bisher der Gesamtzustand von Wegen (Ebene 4). Gemeint sind hier i. d. R. ortsverbindende Wirtschaftswege, die durch eine attraktive, konfliktarme Umgebung führen, häufig Abkürzungen gegenüber den vorhandenen Radwegen von klassifizierten Straßen bieten und damit „Radschönrouten“-Potenzial hätten - wenn sie denn fahrradtauglich befestigt wären. V. a. im Erhebungsgebiet 2, südlich der B216, sowie im südlich und westlich von Lüneburg (Gebiet 3) sind unbefestigte Wirtschaftswege durch Wald und Feld die Regel, anders sieht dies in der stärker grundwasserbeeinflussten nördlichen Elbmarsch aus. Bereits eine stabil angelegte wassergebundene Decke könnte solche Wege bei durchschnittlichen bis guten Witterungsbedingungen und Tageslicht radverkehrsaffin machen. Allerdings würde der Umfang der notwendigen Maßnahmen den Projektrahmen deutlich sprengen oder eine Umsetzung nur erlauben, wenn am Ende der Maßnahmen für die Ebenen 1 und 2 noch genügend Geld „im Topf “ ist. Abzuwägen ist dabei auch die Umweltwirkung einer Wegebefestigung: Wie viel Fläche will oder sollte man versiegeln, um den Radverkehr zu fördern? Potenzielle Konflikte in diesem Abwägungsprozess sind nicht zu unterschätzen. Deutlich weniger aufwändig wiederum sind kleinere bauliche Maßnahmen wie die Absenkung von Bordsteinen oder die Nivellierung kleiner Stufen im Wegenetz; 3 % der Meldungen betreffen diese meist in Ortslagen vorkommenden Hindernisse, die sich i. d. R. als Maßnahme der Ebene 1 gut beseitigen lassen. Gleiches gilt für Probleme wie Wurzelaufwürfe, Risse, Schlaglöcher und andere Unebenheiten, die am ehesten straßenbegleitende Radwege entlang von Hauptverkehrsachsen betreffen. Insgesamt ist, trotz der oben beschriebenen Mängel im Wege- oder Erhaltungszustand, die Gesamtlänge des Netzes der mit dem Rad nutzbaren Wege höher als angenommen. Im Landkreis Lüneburg ist fast das komplette bisher befahrene Netz von Wegen mit Verbindungsfunktion grundsätzlich physisch befahrbar, d. h. ohne abzusteigen und mit einem durchschnittlichen Fahrrad nutzbar. Wertet man alle im Rahmen der Zustandserhebung in der OSM erfassten Daten unter Einbezug von Attributen wie Oberflächenbelag und -zustand, Beleuchtung, Wegbreite, Attraktivität der Strecke und weitere Eigenschaften gebündelt und gewichtet mittels einer sogenannten Multi-Criteria-Analyse aus, zeigen rund 1.300 km der Wege im Landkreis eine überdurchschnittlich hohe Eignung für das Radfahren. Damit diese bereits jetzt gut nutzbaren Wege wirklich durchgängig befahren werden können, müssen jedoch die punktu- und zu eng gesetzte Steckpfosten sowie auch Schranken, Tore und weitere Barrieren mit oder ohne Umfahrungsmöglichkeit, zusammen 16 % der dokumentierten Fälle, ein echtes physisches Problem dar, mit dem der Radverkehr deutlich ausgebremst, wenn nicht gar auf bestimmten Wegen komplett unmöglich gemacht wird. Umlaufsperren sind ein typisches Ortslagenproblem: sie finden sich häufig an Schulen, an Auffahrten zu stark verkehrsbelasteten Straßen, aber auch - und hier meist wirklich unnötig - in verkehrsberuhigten Wohnstraßen (wie z. B. im südöstlichen und nordwestlichen Barendorf), wo hinterfragt werden muss, warum der Radverkehr und nicht der Kfz-Verkehr hier ausgebremst wird (selbst letzteres ist oft unnötig, wenn dieser in Verkehrsberuhigten Bereichen ohnehin nur Schrittgeschwindigkeit fahren darf). Ein wesentliches Merkmal der im Projektrahmen dokumentierten Umlaufsperren ist zudem ihre oft fehlende ERA-Konformität: z. B. zu schmale Durchfahrtsbreiten (deutlich unter den geforderten 1,5 m), fehlende Rot-Weiß-Sicherheitsmarkierungen oder überlappende Flügel. Hier wie auch bei zu eng gesetzten Steckpfosten und anderen Barrieren zumindest die Durchfahrtsbzw. Umfahrungsbreiten so zu vergrößern, dass der Radverkehr in seiner gesamten „Breite“ auch von Lastenrädern und Anhängern das Hindernis, ohne abzusteigen, passieren kann, würde die Netzdurchlässigkeit spürbar verbessern und die realisierbaren Reisegeschwindigkeiten deutlich erhöhen. Ein im Vergleich zu diesen physischen Hindernissen zahlenmäßig eher nicht so häufiges Problem sind die im Landkreis Lüneburg nicht für den Radverkehr in Gegenrichtung freigegebenen Einbahnstraßen. Einbahnregelungen finden sich am ehesten in dicht bebauten Stadtteilen. Die nicht freigegebenen Einbahnstraßen machen nur 3 % der gemeldeten Fälle aus, der Großteil davon im Stadtgebiet von Lüneburg sowie einige wenige Fälle in Dahlenburg und Bleckede; eng damit verbunden sind auch Abbiegegebote bzw. -verbote. Mit einer absoluten Zahl von 90 Meldungen dieser Art sind auch diese Mängel dennoch nicht zu vernachlässigen, wenn eine flächendeckende Netzdurchlässigkeit erreicht werden soll. Einbahnstraßen und Abbiegeverbote sowie Umlaufsperren, Schranken und zu eng gesetzte Steckpfosten sind komplexere Hindernisse, für deren Beseitigung es häufig eine nochmalige Verkehrsschau oder Vor-Ort-Begutachtung mit behördlichen Verantwortlichen und der örtlichen Polizei braucht. Entsprechend werden diese Fälle in die Umsetzungsebene 2 eingeordnet. Sie sind damit wie die Fälle aus Ebene 1 ebenfalls im Projektrahmen umsetzbar, wenn auch mit etwas höherem Organisationsaufwand. INFRASTRUKTUR Radverkehrsförderung DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 20 kehrswesen war in dieser Hinsicht wegweisend, bedarf aber des Ausbaus, denn die klassische Verkehrsplanungslehre wird den Bedarfen einer neuen Radverkehrsförderebene 3.0 nicht gerecht. Eine revidierte Ausbildung im Verkehrswesen erreicht nicht jene Akteure, die sich bereits im Beruf oder in politischer Verantwortung befinden. Die angesprochenen Kenntnisdefizite müssen auch in diesem Metier abgebaut werden, um deutlich schneller und in absehbarer Zeit im nichtmotorisierten Bereich eine Mobilitätswende wirksam einleiten zu können. Aktuelle Überlegungen der Leuphana-Arbeitsgruppe RVF3.0 gehen deshalb in die Richtung, ein Weiterbildungsangebot zu kreieren, das sich nicht nur an Verkehrsplaner/ innen wendet, sondern an alle Beteiligte, die im Rahmen von Verkehrsausschüssen und Verkehrsschauen mit der Materie zu tun haben, z. B. also auch Kommunalpolitik, Polizei und Verbände. Das Wirken fahrradaffiner (Ober-)Bürgermeister/ innen zugunsten der Entwicklung von Fahrradfreundlichkeit ihrer Kommunen zeigt, dass top down vieles geht. Besser wäre es aber, wenn sich im Prozess der Generierung einer effektiven und flächendeckenden Förderung des nichtmotorisierten Verkehrs im Zuge der drei eben genannten Handlungsfelder eine neue Planungskultur bottom-up entwickelt und damit auch Permanenz/ Nachhaltigkeit verspricht. ■ LITERATUR [1] und [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Arbeitsgruppe Straßenentwurf 2010: Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ERA. Köln. [3] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Straßenverkehrs-Ordnung, Stand 20.9.2022. [4] Deutscher Bundestag: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Stand 19.12.2022. [5] Nissen, Luisa 2022: Neue Wege in der Radverkehrsförderung? Eine Evaluation der universitären Mängelstudie von 2018, untersucht an vier Lüneburger Stadtteilen. Buxtehude. (unveröff. Bachelorarbeit) [6] ADFC 2021: Radreiseanalyse, Präsentation, Folie 18, Download über https: / / www.adfc.de/ artikel/ adfc-radreiseanalyse-2021 (abgerufen am 28.4.2024). [7] Dies bestätigen auch Stein, Thomas / Klein, Tobias / Lindner, Sandra (Dt. Institut f. Urbanistik) 2022: Was hemmt die Umsetzung der kommunalen Radverkehrsplanung? Erste Ergebnisse aus dem laufenden BMBF-Forschungsprojekt „KoRa - Beseitigung von Umsetzungshemmnissen in der kommunalen Radverkehrsplanung - soziotechnische Innovationen und kommunale Steuerungsmöglichkeiten“. Berlin. Hier: S. 21-22. Eingangsabbildung: © Peter Pez ren, die Mobilitätswende zu befürworten und mitgestalten zu wollen, werden restriktive Maßnahmen für den Autoverkehr weitgehend blockiert, aber im Radverkehr beibehalten und sogar ausgebaut. Beides ist zu erklären mit einer tief verwurzelten, Initiativen und Innovationen lähmenden Lethargie sowie auch Angst auf allen Ebenen, d. h. von der Verwaltungsspitze bis zu den Sachbearbeitern - Angst vor etwaigen Fehlern und dem Risiko, dafür verwaltungsintern oder in der Lokalpresse zur Verantwortung gezogen zu werden. Auf diese Weise gelingt nicht einmal bei Mikromängeln, deren Beseitigung wenig Aufwand (häufig nur Tausch, Ergänzung oder Abbau von Schildern) erfordert, die den Autoverkehr nicht beeinträchtigen und für deren geringe Kosten auch noch 80 % Fördermittel locken, ein Durchbruch, was notwendige Basis einer Mobilitätswende pro Fahrrad wäre. Dies zeigt im Umkehrschluss aber auch, weshalb es in der Vergangenheit immer wieder (bzw. nur) einzelnen Kommunen gelang, sich fahrradfreundlich zu positionieren - wenn nämlich die Verwaltungsspitze und Politik eine dezidierte Radverkehrsförderung einforderten und dafür die Verantwortung übernahmen. Das verbleibende Riesendefizit zeigt, dass das vom vormaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer im April 2021 ausgerufene Ziel, Deutschland solle und bzw. könne Fahrradland werden, tatsächlich in sehr weiter Ferne liegt. „Fahrradautobahnen“ (Radschnellwege) werden uns angesichts der frappierenden Mängel in der Fläche diesem Ziel leider nicht schnell näherbringen. Was also tun? Auch wenn die bisherigen Erfahrungen teilweise unbefriedigend sind, hat das Projekt RVF3.0 wesentlich dazu beigetragen, überhaupt erst Aufmerksamkeit für die Vielzahl der Mikromängel, den Bedarf flächenwirksamer Radverkehrsförderung und das Potenzial von Radschönrouten abseits der Hauptverkehrswege zu wecken. Da Fördermittel ansonsten nur für große Bauprojekte zur Verfügung stehen, ergibt sich hieraus der dringende Bedarf zur Weiterführung und Verstetigung eines solchen Förderinstrumentes zur Eruierung und zum Abbau von Barrieren sowie dem Auf bau von umfassender analoger und digitaler Netztransparenz. Auch wenn zugunsten von Fuß- und Radverkehr durchaus noch gesetzlicher Nachholbedarf besteht, zeigen die Erfahrungen, dass eklatante Wissens- und Interpretationsdefizite bzgl. der längst vorhandenen Möglichkeiten und Ermessensspielräume zur Radverkehrsförderung bedeutsamer sind. [7] Der Schritt zur Etablierung von Fahrradprofessuren zur Reform der Hochschullehre im Ver- Peter Pez, apl. Prof. Dr., Institut für Stadt- und Kulturraumforschung, Leuphana Universität Lüneburg peter.pez@leuphana.de Antje Seidel, Dr., Institut für Stadt- und Kulturraumforschung, Leuphana Universität Lüneburg antje.seidel@leuphana.de Radverkehrsförderung INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0056 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 21
