eJournals Internationales Verkehrswesen 76/4

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Mobilitätsstationen in der Schlei-Region

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Jens Gertsen
Cyrill Groddeck
Ferdinand Hülsbusch
Sarah Göbels
Mit Bundes- und Landesförderung werden bis Ende 2025 im Norden Schleswig-Holsteins neue Qualitäten für Mobilität im ländlichen Raum demonstriert: Rund um die Uhr mobil, mit Linien- und Bedarfsverkehren und mit Bike- und Car-Sharing. Die einzelnen Angebote wurden ab dem Frühjahr 2024 gestartet. Seitdem wird intensiv an einer Vernetzung gearbeitet. Neben einer intermodalen Fahrplanauskunft und Betriebsorganisation spielt die Infrastruktur dabei eine entscheidende Rolle: Übergänge zwischen den Systemen erfordern Anlagen, die verkehrstechnisch funktionieren und für Fahrgäste attraktiv sind. Herausforderungen bei der Entwicklung dieser „Mobilitätsstationen“ umfassen die Entwicklung angepasster Lösungen für eine ländliche Raumstruktur sowie Vorgaben aus der Förderung, die Umsetzung in einer vorgegebenen Laufzeit parallel zur Entwicklung der verkehrlichen Angebote abzuschließen. Dargestellt wird der bisherige Planungsprozess von der Anforderungsdefinition über die Koordination kommunaler Akteure bis zu konkreten Planungen und dem aktuellen Stand der Umsetzungsvorbereitungen.
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steins ist angetreten, das zu ändern: Mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und des Landes wird bis Ende 2025 ein Mobilitätsangebot demonstriert, mit dem jeder Ort des Projektgebiets rund um die Uhr ohne eigenes Auto erreicht werden kann. Zugleich soll das Verkehrsangebot im Wettbewerb zum Pkw attraktiv sein und auf nachfragestarken Achsen beschleunigt werden. Daher kann das Ziel eines flächendeckenden Angebots nicht mit Umwegen von Buslinien abseits ihrer Hauptrouten K notenpunkte sind sensible Elemente für eine funktionierende Infrastruktur, bei einzelnen Verkehrsträgern und auch bei Übergängen zwischen verschiedenen Systemen. Herausforderungen und Lösungen aus Metropolregionen unterscheiden sich dabei deutlich von Anforderungen im ländlichen Raum. Dies gilt umso mehr für den öffentlichen Verkehr, der dort außerhalb der Schülerbeförderung oft nur wenige Nutzer hat. Das Modellprojekt SMILE24 1 in der Schlei-Region im Nordosten Schleswig-Holerreicht werden. Ziel ist vielmehr ein integriertes System aus Linienverkehren und Bedarfsverkehren und Sharing-Verkehrsmitteln. Für die Effizienz eines solchen Systems ist es wichtig, dass der Linienverkehr die Hauptlast trägt. Die Auskunftssysteme der Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein GmbH (NAH.SH) 2 verweisen daher bei Verbindungsanfragen zunächst auf das vorhandene Linienverkehrsangebot. Der Bedarfsverkehr NAHSHUTTLE wird für die Abschnitte angeboten, die nicht mit dem Linienverkehr erreichbar Mobilitätsstationen in der Schlei-Region Infrastruktur als Teil eines Mobilitätswende-Experiments Verkehrsverknüpfung, Modellprojekt, ländlicher Raum, Busverkehr, On-Demand-Shuttles, Mobilitätsstationen, Aufenthaltsqualität Mit Bundes- und Landesförderung werden bis Ende 2025 im Norden Schleswig-Holsteins neue Qualitäten für Mobilität im ländlichen Raum demonstriert: Rund um die Uhr mobil, mit Linien- und Bedarfsverkehren und mit Bike- und Car-Sharing. Die einzelnen Angebote wurden ab dem Frühjahr 2024 gestartet. Seitdem wird intensiv an einer Vernetzung gearbeitet. Neben einer intermodalen Fahrplanauskunft und Betriebsorganisation spielt die Infrastruktur dabei eine entscheidende Rolle: Übergänge zwischen den Systemen erfordern Anlagen, die verkehrstechnisch funktionieren und für Fahrgäste attraktiv sind. Herausforderungen bei der Entwicklung dieser „Mobilitätsstationen“ umfassen die Entwicklung angepasster Lösungen für eine ländliche Raumstruktur sowie Vorgaben aus der Förderung, die Umsetzung in einer vorgegebenen Laufzeit parallel zur Entwicklung der verkehrlichen Angebote abzuschließen. Dargestellt wird der bisherige Planungsprozess von der Anforderungsdefinition über die Koordination kommunaler Akteure bis zu konkreten Planungen und dem aktuellen Stand der Umsetzungsvorbereitungen. Jens Gertsen, Cyrill Groddeck, Ferdinand Hülsbusch, Sarah Göbels INFRASTRUKTUR  Mobilitätsstationen DOI: 10.24053/ IV-2024-0058 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 28 sind. Alternativ können diese auch mit Bike- oder Carsharing-Angeboten zurückgelegt werden. Die Umstiege von und zu den Linienbussen liegen in diesem System nahe an Start- und Zielorten in der Fläche. Dadurch entsteht eine neue Anforderung an die Infrastruktur: Über die bislang typischerweise in größeren Orten oder an Bahnhöfen errichteten Umsteigestationen hinaus werden in explizit ländlichen Umfeldern bedarfsgerechte und an die örtlichen Strukturen angepasste Umsteigeanlagen erforderlich. Diese Herausforderung wird im Teilprojekt „Mobilitätsstationen“ von SMILE24 adressiert. Anforderungen Am Anfang des Projektes stand eine intensive Beschäftigung mit Anforderungen an solche Mobilitätsstationen. Eine erste Analyse möglicher Standorte basierte auf dem durch überörtliche Anschlüsse an den Integralen Taktfahrplan (ITF) in Schleswig-Holstein in seinen Grundzügen determinierten Busfahrplan. Danach sind insbesondere Haltestellen geeignet, an denen sich Linienbusse in Richtung und Gegenrichtung begegnen, da die Zu- und Abbringerverkehrsmittel dort mit einer Fahrt Anschlüsse in beide Richtungen aufnehmen können. Dort sollen Orte entstehen, die nicht nur der intelligenten Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel dienen, sondern auch eine hohe Aufenthaltsqualität bieten. Als Begegnungsraum ermöglichen sie Partizipation und Teilhabe und tragen so dazu bei, den ländlichen Raum besser zu vernetzen und lebenswert zu gestalten. In Verbindung mit einer nachhaltigen Materialwahl und Gestaltung tragen die Mobilitätsstationen dazu bei, die umweltfreundliche Nutzung öffentlicher bzw. gemeinsam genutzter Verkehrsmittel attraktiv zu gestalten und zu fördern. Diese Ziele wurden durch verschiedene innovative Ansätze umgesetzt, die beispielhaft in Bild 3 visualisiert sind:  Fahrgastinformationen mit dynamischen und statischen Elementen  Bodenmarkierungen, um wiedererkennbare Elemente von Mobilitätsstationen spielerisch zu verbinden.  Ruhezonen, um Aufenthaltsmöglichkeiten bei eventuellen Wartezeiten zu bieten  Grünelemente mit lokal angepasster Bepflanzung, um den regionalen Bezug zu stärken Optional sind zusätzliche Elemente, wie beispielsweise Hofautomaten mit lokalen Produkten, denkbar. Rahmenbedingungen Aus der Anforderungsanalyse ergaben sich Anfang 2024, nach dem ersten Drittel des auf drei Jahre angelegten Förderprojekts SMILE24, zwei Konsequenzen:  Für die Entwicklung und Umsetzung einer eigenen, an die Bedürfnisse des Raumes angelegten Gestaltungslinie ist der Zeitrahmen der Förderung nicht ausreichend. Um bis zum Ablauf der Förderung Ende 2025 Projekte baulich umsetzen zu können, muss auf vorhandenen Elementen aufgebaut werden.  Das für die Auslegung der Mobilitätsstationen relevante Verkehrsangebot ist volatil. Der Umfang sowie zeitliche und räumliche Verteilungen nachgefragter Bedarfsverkehre sind viel weniger planbar als beim Linienverkehr, da sich Veränderungen der Nachfrage oder der verfügbaren Angebotsressourcen, z. B. nach Ende der Förderung, unmittelbar aus- Bild 1: Karte Projektgebiet Bild 2: Wegekettenauskunft NAHSHUTTLE/ Linienverkehr in der NAH.SH-App (Wegekette und Fahrplanauskunft) Mobilitätsstationen  INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0058 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 29 dienung steigender Fahrgastzahlen durch einen Betrieb mit Gelenkbussen berücksichtigen. Diese Anforderung ist auch bei Busbuchten zu berücksichtigen, die an den hier relevanten Standorten entlang überörtlicher Straßen in Abstimmung mit den örtlichen Beteiligten und der Straßenverkehrsbehörde in der Regel weiterhin als erforderlich angesehen werden. Eine Verlängerung bestehender Busbuchen ist oft limitiert durch beengte räumliche Situationen, bedingt durch angrenzende Bebauung oder Grundstücksgrenzen. Um dieser Problematik zu begegnen, werden am Beginn des Einfahrbereichs Einbuchtungen (sogenannte „Nasen“) platziert, damit Gelenkbusse in einem steileren Winkel in die Busbucht einfahren und die Räder zügiger einschlagen können. Die daraus resultierende optimierte Fahrkurve führt zu einer Reduktion der erforderlichen Buchtenlänge um nahezu 15m, wodurch der Einsatz von Gelenkbussen auch bei limitierter Flächenverfügbarkeit realisierbar wird. Im Zuge der Planungsoptimierung wurde die Positionierung der Shuttlebusse neu überdacht. Ursprünglich sollte die Busbucht verlängert werden, damit die Shuttlebusse wirken. Die Planung von Mobilitätsstationen muss dies antizipieren und robuste Lösungen entwickeln, die während ihrer baulichen Lebensdauer in verschiedenen Entwicklungsszenarien „funktionieren“. Vor diesem Hintergrund begann das Planungsbüro stadtraum im Juni 2024 mit standortspezifischen Planungen für Mobilitätsstationen. Planungsbeispiele Eine Herausforderung bei der Planung der Mobilitätsstationen liegt darin, die vom Gestaltungskonzept vorgegebenen Ausstattungen und Elemente in die bestehende ländliche Infrastruktur einzupflegen. Dabei wird insbesondere der Fokus auf die Barrierefreiheit gelegt, da diese ein Kernmerkmal für die Nutzung darstellen soll. Eine barrierefreie Mobilitätsstation verliert ihre Wirkung, wenn der Zugangsweg nicht ebenso hindernisfrei konzipiert ist. Dementsprechend wurde auch die umliegende Infrastruktur betrachtet und teilweise umgeplant. Eine nachhaltige Planung der Infrastruktur soll auch die Optionen zur Beim vorderen Bereich halten können, während dahinter ein Expressbus Ein- und Ausfahren kann (vgl. Bild 4). Die im SMILE24-Projekt als NAHSHUT- TLE eingesetzten Mercedes-Transporter sind mit einem barrierefreien Zugang am Heck ausgestattet. Ein Übergang zum Gehwegbereich der Mobilitätsstation wäre in diesem Szenario nur über die Fahrbahn der Busbucht möglich. Um die Sicherheit und Barrierefreiheit zu gewährleisten, werden - soweit möglich - separate Stellplätze für den Bedarfsverkehr außerhalb der Busbucht angestrebt, soweit die bestehende Infrastruktur eine solche Anpassung zulässt (Bild 5). Eine weitere Herausforderung stellen die engen zeitlichen Vorgaben dar. Um diesen gerecht zu werden, erweist sich die frühzeitige Einbindung der Bürgermeister der zuständigen Gemeinden als essenziell. Ihre lokalen Netzwerke, insbesondere zu Eigentümern relevanter Privatflächen, sowie ihre Unterstützung bei behördlichen Abstimmungsprozessen, tragen maßgeblich zur Effizienz der Planungsverfahren bei. Ausblick Baulastträger für die Mobilitätsstationen sind die jeweiligen Kommunen. Auch wenn die Investition über das SMILE24-Projekt finanziert wird, sind für den Bau und die spätere Unterhaltung vertragliche Regelungen erforderlich. Daher ist die Umsetzung planerisch präferierter Standorte von kommunalen Entscheidungsprozessen abhängig. Ein wichtiges Kriterium dafür ist neben den jeweiligen Planungsentscheidungen die Komplexität und der Zeitbedarf der Umsetzung: Kosten, die z. B. aufgrund von Verzögerungen des Planungs- oder Bauablaufs (unabhängig von Ursache und Verschulden) erst nach dem Ende des Förderprojektes anfallen, könnten daraus nicht mehr finanziert werden. Dieses Risiko muss von den kommunalen Vorhabensträgern im Einzelfall abgewogen werden. Bild 3: Visualisierung einer möglichen Mobilitätsstation Bild 4: Beispiel für die Planung mit Shuttlebus in der Busbucht mit „Nase“ INFRASTRUKTUR  Mobilitätsstationen DOI: 10.24053/ IV-2024-0058 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 30 Derzeit laufen entsprechende Beratungen und Entscheidungsprozesse in acht Kommunen im Projektgebiet. Informationen zum Fortschritt in diesem Teilprojekt und im Gesamtprojekt SMILE24 werden auf der Projektwebsite https: / / smile24.nah.sh/ veröffentlicht. ■ Eingangsabbildung: © iStock.com/ SurfUpVector ENDNOTEN 1 Schlei-Mobilität: innovativ, ländlich, emissionsfrei und 24/ 7 2 z.B. NAH.SH-App oder https: / / www.nah.sh/ de/ fahrplan/ planer/ Jens Gertsen, inno-mobil, Gesamtprojektsteuerung SMILE24 gertsen@inno-mobil.de Cyrill Groddeck, NAH.SH, Teilprojektleitung Cyrill.Groddeck@nah.sh Ferdinand Hülsbusch, stadtraum - Gesellschaft für Raumplanung, Städtebau & Verkehrstechnik mbH, Planung Ferdinand.Huelsbusch@ stadtraum.com Sarah Göbels, UXMA GmbH & Co. KG sarah.goebels@uxma.com Bild 5: Beispiel für Shuttlebus auf separaten Stellplatz neben der Busbucht mit „Nase“ INFOS SMILE24-Projektträger und -partner sind neben NAH.SH die Kreise Rendsburg- Eckernförde und Schleswig-Flensburg. Das Gesamtprojekt wird durch den Bund mit 29,3 Millionen Euro gefördert, das Land Schleswig-Holstein gibt weitere 7,3 Millionen Euro dazu. Die beiden Landkreise und NAH.SH wenden Eigenmittel in Höhe von 1,9 Millionen Euro auf. Die Kommunen sind Baulastträger der Mobilitätsstationen. Mobilitätsstationen  INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0058 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 31