Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0060
1125
2024
764
Weiße Bahninfrastruktur zur Reduktion des Urban-Heat-Island-Effekts
1125
2024
Lasse Hansen
Rascho Aiso
Birgit Milius
Die Urbanisierung führt dazu, dass Verkehrsinfrastrukturen das Phänomen der städtischen Wärmeinsel (Urban Heat Island, UHI) verstärken können. An der Technischen Universität Berlin wurde aus diesem Grund in einem Gleisabschnitt der gesamte Schienenoberbau des Eisenbahn-Betriebs- und Experimentierfelds weiß gefärbt und die Temperaturentwicklung über zwei Testperioden gemessen. Erste Ergebnisse zeigen eine Reduktion der Umgebungstemperatur von über 2,5 °C, besonders in Hochtemperaturphasen. Die Studie grenzt sich von bisherigen Ansätzen ab, welche meist ausschließlich die Schiene betreffen.
iv7640037
das Stadtklima zu entlasten (Santamouris, 2013). Die Stadt Wien untersuchte Weißfärbungen von Straßenbahnschienen und die Schweizerische Bundesbahn (SBB) führte Tests mit weiß beschichteten Schienenabschnitten durch (SBB, 2021; Stadt Wien, 2020). Die nun am Fachgebiet für Bahnbetrieb und Infastruktur (bbi) der TU Berlin durchgeführte Versuchsreihe untersucht erstmals die Effekte einer Weißfärbung des gesamten Schienenoberbaus, nicht nur der Schienen, und gibt einen Ausblick auf die 1. Einleitung Das Phänomen der städtischen Wärmeinsel (Urban Heat Island, UHI) stellt ein zunehmend relevantes Problem dar. Bahninfrastruktur mit dunklen Schienen und dunklem Gleisbett speichert Wärme besonders stark und trägt somit zum städtischen Wärmeauf bau bei. Der Einsatz von reflektierenden Beschichtungen auf Fahrbahnen und Infrastrukturkomponenten wird seit Jahren erforscht, um die Wärmespeicherung zu minimieren und mögliche UHI-Reduktion. Dieser Ansatz ist dahingehend interessant, da bei einer Lackierung ausschließlich der Schienen relativ schnell von einer Abnutzung der Farbe auf dem Schienenkopf (und damit der Notwendigkeit einer erneuten Lackierung) ausgegangen werden muss. Die Fläche des Schienenkopfes ist jedoch minimal im Verhältnis zur Fläche des gesamten Schienenoberbaus. Es kann daher postuliert werden, dass langfristig gezeigt werden kann, dass die Lackierung des gesam- Weiße Bahninfrastruktur zur Reduktion des Urban-Heat-Island-Effekts Temperaturabsenkungen durch weiß gefärbte Oberflächen im Eisenbahn-Betriebs- und Experimentierfeld: Erkenntnisse und Potenziale zur Kühlung urbaner Räume Urban Heat Island, Weißfärbung, Bahninfrastruktur, Temperaturreduktion, Schienenoberbau, Stadtklima Die Urbanisierung führt dazu, dass Verkehrsinfrastrukturen das Phänomen der städtischen Wärmeinsel (Urban Heat Island, UHI) verstärken können. An der Technischen Universität Berlin wurde aus diesem Grund in einem Gleisabschnitt der gesamte Schienenoberbau des Eisenbahn-Betriebs- und Experimentierfelds weiß gefärbt und die Temperaturentwicklung über zwei Testperioden gemessen. Erste Ergebnisse zeigen eine Reduktion der Umgebungstemperatur von über 2,5 °C, besonders in Hochtemperaturphasen. Die Studie grenzt sich von bisherigen Ansätzen ab, welche meist ausschließlich die Schiene betreffen. Lasse Hansen, Rascho Aiso, Birgit Milius Weiße Bahninfrastruktur INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0060 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 37 Die Temperaturdaten beider Segmente wurden in einer Referenzmessung im Juli 2024 ermittelt. Anschließend wurde die weiße Lackierung eines Segments vorgenommen (Bild 2), gefolgt von einer zweiten Messphase im August. Ziel war es, die Temperaturdaten der beiden Segmente untereinander vergleichen zu können, um so Aussagen zu dem Einfluss einer weißen Färbung der Schieneninfrastruktur treffen zu können. Als Farbe zur Lackierung wurde ein weißer Primer des Herstellers „Mankiewicz“ genutzt. Es wurden insgesamt 6 Einheiten á 400 ml Sprühfarbe auf einer Fläche von ca. 2,80 x 9,00 Metern verteilt. 3. Ergebnisse und Erkenntnisse 3.1 Temperaturverläufe im Vergleich Bei der Auswertung der Datensätze wird unter Berücksichtigung der oben genannten Prämisse ein Fokus auf den Vergleich der Umgebungstemperatur gelegt, da das ten Oberbaus zu hervorragenden Effekten ohne häufige Neulackierung führt. 2. Versuchsanordnung und Methodik am Eisenbahn-Betriebs- und Experimentierfeld Zur Untersuchung der Temperaturreduktion durch eine Weißfärbung des Eisenbahnoberbaus wurde im Eisenbahn- Betriebs- und Experimentierfeld der Technischen Universität Berlin ein Gleisabschnitt ausgewählt, der in zwei benachbarte Segmente unterteilt wurde (Bild 1). Beide Segmente liegen in einem Bereich, der im Lauf des Tages sowohl schattige als auch besonnte Zeitfenster hat. Diese Zeitfenster sind für beide Segmente vergleichbar. In beiden Segmenten wurden an vergleichbaren Stellen Temperatursensoren entlang des Oberbaus und an Umgebungspunkten im Abstand von 2,00 m an der Wand rechts in Bild 2 installiert. Wohlergehen der Stadtbewohner im Mittelpunkt der Betrachtung zu den Urban Heat Cells steht. Dies ist ein Unterschied zu den bisherigen Analysen, bei denen vor allem der Zustand (und die mit dem Temperaturwechsel im Zusammenhang stehenden Schienenspannungen) betrachtet wurden. In der Referenzmessung im Juli heizten sich beide Abschnitte bei Sonneneinstrahlung auf bis zu 45 °C auf, wobei der Abschnitt, welcher später weiß lackiert wurde, etwas höhere Temperaturen aufwies (Bild 3). In der zweiten Messphase, nach der Lackierung des hälftigen Segmentes, kehrte sich das Ergebnis deutlich um. Es zeigte sich, dass der weiß lackierte Abschnitt in Hochtemperaturphasen deutlich kühler blieb. Die Umgebungstemperaturen dieses Bereichs lagen in Hochtemperaturphasen mit über 45 °C gemessener Temperatur um bis zu 3,5 °C unter den Temperaturen des unbehandelten Referenzabschnittes. Vor der Lackierung mit weißer Farbe betrug die Temperaturdifferenz der beiden Abschnitte im Mittel +1,61 °C, wobei die höhere Temperatur im Bereich des später weiß lackierten Abschnitts auftrat. Nach der Lackierung kehrte sich diese Differenz um und ergab im Mittel -0,96 °C. Durch die weiße Lackierung des gesamten Oberbaus konnte somit eine Reduktion der Umgebungstemperatur um im Mittel über 2,5 °C erreicht werden. 4. Diskussion und Einordnung der Ergebnisse Die Weißfärbung von städtischer Infrastruktur wird seit Jahren als Strategie zur Bild 1: Positionierung der Sensoren, links unlackierter Abschnitt (Schwellen 8-14), rechts ab August weiß lackiert (Schwellen 1-7), Quelle: Rascho Aiso Bild 3: Weiße Lackierung der gesamten Infrastruktur (halber Testabschnitt), Quelle: Lasse Hansen Bild 2: Versuchsgleisabschnitt mit direkter Sonneneinstrahlung (13: 30 Uhr), Quelle: Lasse Hansen INFRASTRUKTUR Weiße Bahninfrastruktur DOI: 10.24053/ IV-2024-0060 Internationales Verkehrswesen (76) 4ǀ 2024 38 Kühlung urbaner Gebiete betrachtet (Peron et al., 2015). Frühere Studien in Europa konzentrierten sich auf Straßenbahnschienen, wie etwa in Wien, oder Schienenbeschichtungen, wie die Tests der SBB in der Schweiz. Die dokumentierten Temperaturreduktionen bei der Beschichtung einzelner Schienen lagen dabei meist unter 2 °C (SBB, 2021; Stadt Wien, 2020). Der hier durchgeführte Versuch erweitert die bisherige Forschung durch die Beschichtung des gesamten Oberbaus. Dies zeigt neue Potenziale, wie städtische Bahninfrastrukturen zur Reduktion des Urban-Heat-Island-Effekts beitragen können. Der Versuch zeigt auch, dass selbst mit einfachen Mitteln bereits nachweisbare Effekte gezeigt werden können. 5. Fazit und Ausblick Die Ergebnisse der weißen Lackierung des gesamten Schienenoberbaus im Versuchsgleis des Eisenbahn-Betriebs- und Experimentierfelds belegen, dass reflektierende Beschichtungen eine effiziente und klimafreundliche Möglichkeit zur Minderung des Urban-Heat-Island-Effekts darstellen. Eine signifikante Kühlung der Umgebungstemperatur im Gleisbereich kann dazu beitragen, den städtischen Wärmeaufbau zu verlangsamen und das Mikroklima zu verbessern. Die vorliegenden Erkenntnisse werden weitergehend ausgewertet und analysiert. Weitere Analysen sollen auch die Temperaturentwicklungen der Infrastruktur selbst betrachten. Darauf aufbauend sind weitere Forschungen, die in Zusammenarbeit mit Verkehrsunternehmen an neuen Versuchsstrecken durchgeführt werden können, geplant. Diese sollen die Langzeiteffekte und Wirtschaftlichkeit der Methode untersuchen. Langfristig könnte die Weißfärbung des Oberbaus als klimafreundliche, temperaturreduzierende Maßnahme für städtische Verkehrsinfrastrukturen eingesetzt werden. ■ LITERATUR 1. Santamouris, M. (2013). Energy and Climate in the Urban Built Environment. Routledge. 2. Chen, X., Li, Q., und Liu, J. (2020). „Thermal performance evaluation of reflective coatings on asphalt pavements in urban environments.“ Construction and Building Materials, 261, 120489. 3. Peron, F., Costanzo, V., und La Gennusa, M. (2015). „Urban heat island mitigation strategies based on the analysis of urban canyon geometry and street paving properties.“ Energy and Buildings, 86, 174- 183. 4. Hartz-van Dijk, T. (2019). „Mitigation of Urban Heat through Reflective Coatings on Pavements.“ Urban Climate, 29, 100504. 5. Schweizerische Bundesbahnen (SBB). (2021). „Pilotversuche zur Reduktion von Gleistemperaturen mit reflektierenden Beschichtungen.“ SBB Technischer Bericht. 6. Stadt Wien. (2020). „Kühle Straßenbahnschienen: Weißfärbung als Maßnahme gegen das Aufheizen in der Stadt.“ Wien.gv.at. Eingangsabbildung © iStock.com/ Studia72 Bild 4: Temperaturverläufe der Umgebungssensoren vor und nach der weißen Lackierung, Quelle: Lasse Hansen Lasse Hansen, Ing., MBE, Technische Universität Berlin, Fachgebiet Bahnbetrieb und Infrastruktur, Wissenschaftlicher Mitarbeiter l.hansen@tu-berlin.de Rascho Aiso, cand. B.Sc., Technische Universität Berlin, Fachgebiet Bahnbetrieb und Infrastruktur, Studentischer Mitarbeiter aiso@campus.tu-berlin.de Birgit Milius, Prof., Dr.-Ing., Technische Universität Berlin, Fachgebiet Bahnbetrieb und Infrastruktur, Fachgebietsleitung birgit.milius@tu-berlin.de Weiße Bahninfrastruktur INFRASTRUKTUR DOI: 10.24053/ IV-2024-0060 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 39
