Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0065
1125
2024
764
Get2Work – Ein Pilotprojekt innovativer betrieblicher Mobilität
1125
2024
Stefan Beller
Marcus Bentele
Jakob Hebart
Alexander Eisenkopf
Sebastian Scheler
Von 04/2023 bis 03/2027 wird das Sustainable Mobility Lab durch das Programm Interreg IV «Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein» (ABH) gefördert, dessen Mittel vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und vom Schweizer Bund zur Verfügung gestellt werden. Diese Publikation ist im Rahmen des Labs entstanden
iv7640054
den Ausstoß an indirekt zurechenbaren CO2-Emissionen zu verringern und das Image des Unternehmens zu verbessern [2]. Weiterhin hat eine reduzierte Pkw-Nutzung auf dem Arbeitsweg auch gesundheitliche Vorteile für die Mitarbeitenden [3]. Traditionelle Konzepte des Mobilitätsmanagements forcieren die Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrs, die Nutzung des Fahrrads oder die Bildung privater Fahrgemeinschaften als Pendelalternative zum eigenen Pkw. Empirische Studien zur Struktur der Pendelaktivitäten zeigen jedoch, dass sich spürbare Verhaltensänderungen nur sehr langsam einstellen [4, 5] und bis- 1. Betriebliches Mobilitätsmanagement und On-Demand-Verkehrsangebote 1.1 Problemaufriss Betriebliches Mobilitätsmanagement ist ein in Deutschland seit vielen Jahren diskutiertes Konzept, das vielversprechende Chancen, aber auch stetige Herausforderungen mit sich bringt [1]. Gegenstand ist die Beeinflussung der individuellen Mobilitätsentscheidungen von Mitarbeitenden über ihre Pendel- und Berufswege sowie die Gestaltung entsprechender Maßnahmen und Angebote. Ziel ist es, die Pkw-Nutzung und folglich den Parkplatzbedarf zu reduzieren, her verfolgte Maßnahmen dafür nicht ausreichen [6]. Hinzu kommt, dass sich die Mobilitätsbedürfnisse der Arbeitnehmenden im Zeitablauf geändert haben. Mit einer wachsenden Dynamik des Wirtschafts- und Arbeitslebens und höheren Koordinationsbzw. Abstimmungsanforderungen wächst der Bedarf an flexiblen Pendel- und Mobilitätslösungen. Diese Entwicklung wird massiv verstärkt durch die im Zuge der Covid- 19-Pandemie angestoßenen Veränderungen der Arbeitsorganisation, insbesondere der Verbreitung flexibler Telesowie mobiler Arbeit (umgangssprachlich „Home-Office“). Zudem ermöglichen es technologische Ent- Get2Work - Ein Pilotprojekt innovativer betrieblicher Mobilität Betriebliches Mobilitätsmanagement, On-Demand-Verkehr, Pendelkonzept, Mobilitätswünsche, ÖPNV Von 04/ 2023 bis 03/ 2027 wird das Sustainable Mobility Lab durch das Programm Interreg IV «Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein» (ABH) gefördert, dessen Mittel vom Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und vom Schweizer Bund zur Verfügung gestellt werden. Diese Publikation ist im Rahmen des Labs entstanden Stefan Beller, Marcus Bentele, Alexander Eisenkopf, Jakob Hebart, Sebastian Scheler DOI: 10.24053/ IV-2024-0065 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 54 wicklungen, die Chancen und Potenziale bedarfsabhängiger Mobilitätsangebote besser auszuschöpfen. Diese On-Demand-Verkehre können zeitliche und räumliche Differenzen in der Nachfrage flexibel abdecken [7]. Im Idealfall ermöglichen On-Demand- Verkehre durch die Bündelung individueller, zeitlich und örtlich korrespondierender Mobilitätswünsche dynamische Routen und flexible Fahrzeiten [8]. Diese Flexibilität ist wichtig, um das, zwischen mobiler Arbeit und Arbeiten vor Ort, tagesabhängig schwankende Mobilitätsprofil der Mitarbeitenden abzubilden. Starre Fahrpläne des Öffentlichen Verkehrs sind vielfach nicht in der Lage, solche wechselnden und individuell abweichenden Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen. Die Unternehmen verfügen jedoch in der Regel über eine entsprechende Datengrundlage, die ein auf den Arbeitnehmer zugeschnittenes On-Demand-Mobilitätsangebot ermöglicht. Betriebliche bedarfsorientierte Mobilitätsangebote könnten eine Alternative zur individuellen Pkw-Nutzung darstellen und Synergieeffekte generieren, ohne die öffentlichen Mobilitätsangebote zu kannibalisieren. 1.2 Das Projekt Get2Work Unsicherheit herrscht in der Forschungslandschaft zum Mobilitätsmanagement bezüglich potenzieller Wirkungen derartiger betrieblicher Mobilitätsangebote. Dieser Forschungslücke widmet sich das diesem Beitrag zugrunde liegende Projekt. Gegenstand ist ein von der ZF Friedrichshafen AG (nachfolgend „ZF“) am Standort Friedrichshafen durchgeführtes Pilotprojekt, mit dem ein On-Demand-Pendelkonzept im Herbst 2023 („Get2Work“) für drei Wochen getestet wurde. Im Rahmen dieses Projektes wurden sowohl Fahrgemeinschaften als auch zwei On-Demand-Shuttlebusse als Pendeloption montags bis freitags von 05: 30 - 18: 30 Uhr angeboten. Das Einzugsgebiet umfasste 450 km² für die Fahrgemeinschaften und 90 km² für die On-Demand-Shuttlebusse jeweils zentriert um Friedrichshafen. Friedrichshafen ist eine Mittelstadt mit ca. 60.000 Einwohnern ohne Autobahnanschluss oder Verkehrsmittel wie Straßenbahn oder U- Bahn. Das Umland wird im öffentlichen Verkehr hauptsächlich über Busse erschlossen, auf den Verkehrsachsen Friedrichshafen-Ravensburg, Friedrichshafen-Lindau und Friedrichshafen-Überlingen auch mit dem SPNV. Aus nachvollziehbaren Gründen ist daher der eigene Pkw bei den 9.000 Mitarbeitenden der ZF in Friedrichshafen mit einem durchschnittlichen Anteil von 65 % das Hauptverkehrsmittel der Arbeitspendler. Im Rahmen von Get2Work konnten die Mitarbeitenden nach ihrer Anmeldung ihren Pendelwunsch in einer mobilen App mit zeitlichem Vorlauf oder auch spontan eintragen. Spezifiziert wurde dieser durch die örtlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen sowie die gewünschte Pendellösung. Basierend auf allen Pendelwünschen berechnete eine zentrale Vermittlungsplattform optimale Routen und verteilte die Pendelnden auf verschiedene Fahrzeuge. Diese Berechnungen passten sich dynamisch an Änderungen wie neue Buchungen oder Stornierungen an, wobei die Parameter zur Anpassung klar definiert waren. Die Pendelnden erhielten die von der Plattform bestätigte Zeit und den Einstiegsort zugewiesen. Sowohl vor als auch während der Fahrt war der aktuelle Standort des Fahrzeugs und dessen Route in der App sichtbar. Auch Zwischenstopps, die wegen des Abholens oder Absetzens weiterer Pendelnder auftreten, wurden in der Anwendung angezeigt. Insgesamt kam es zu 204 Fahrten im Zeitraum des Pilotprojektes. 1.3 Methodik der Datenerhebung Die Ergebnisse des Projektes wurden durch eine Umfrage unter den App-Nutzenden dokumentiert und anschließend ausgewertet. Ziel war es, Rückschlüsse auf die Motivation der Teilnehmenden zu gewinnen und die Attraktivität des neuen Mobilitätsangebotes zu evaluieren. Die Zielgruppe der Umfrage bestand aus den zuvor registrierten Interessenten an einem solchen Pendelkonzept, die entweder aktiv teilgenommen oder nur generell interessiert waren, aber am Ende keine Fahrten gebucht oder angeboten haben. Konkret erhob die Umfrage, in welchem Umfang und warum die Pendelnden das On-Demand-Pendelkonzept als Alternative für ihren individuellen, privaten Pendelverkehr genutzt haben. So wurde versucht, Erfolgsfaktoren und Rahmenparameter für die Akzeptanz eines On-Demand-Pendelkonzeptes zu identifizieren. Fragen nach der Zahlungsbereitschaft für ein solches Angebot sollten Hinweise liefern, wie ein Preismodell für ein On-Demand-Pendelkonzept aussehen könnte, um in Zukunft eine hohe Nutzerakzeptanz zu gewährleisten. Die aus 42 Fragen bestehende Umfrage gliederte sich in vier Abschnitte. Zunächst wurde der aktuelle Pendelstatus abgefragt, anschließend die Erfahrungen mit dem Pendelservice bzw. dem Angebot von Fahrgemeinschaften und abschließend Einschätzungen zur zukünftigen Entwicklung/ Nutzung eines solchen Angebots. Im ersten Teil der Umfrage wurden allgemeine Fragen zu den Teilnehmenden und deren aktuellem Pendelverhalten gestellt. Abgefragt wurden unter anderem Alter, Geschlecht, durchschnittliche Präsenztage bei der Arbeit sowie die konkrete Anzahl an Präsenz- und Nutzungstagen des Pendelservices während der Pilotphase. Falls der Pendelservice nicht für jeden Präsenztag in Anspruch genommen wurde, wurde nach Gründen für die Nutzung anderer Pendellösungen sowie nach der Art der alternativ genutzten Pendellösung gefragt. Der zweite Abschnitt untersuchte generell die Erfahrungen und Einschätzungen der Interessenten zu den angebotenen Fahrten. Hier konnten Aussagen über die Zufriedenheit der Nutzer, deren Beweggründe zur Inanspruchnahme des Services, Gründe für das Nichtzustandekommen von Fahrten, Stornierungsgründe und bevorzugte Zahlungsmethoden gemacht werden. Zusätzlich wurde nach den Gründen gefragt, warum Interessenten des On-Demand-Pendelkonzeptes das Angebot während der Pilotphase nicht genutzt haben. Der dritte Teil der Umfrage fokussierte sich auf das Anbieten von Fahrten zum Gründen von Fahrgemeinschaften. Es wur- Bild 1: Pendeltage betriebliche Mobilität MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2024-0065 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 55 7 % sogar nur einen Tag. Dieses Ergebnis reflektiert klar die vermehrte Nutzung mobilen Arbeitens und die damit verbundenen Arbeitszeitmodelle bei der ZF. Die Verteilung der tatsächlichen Pendeltage während der Get2Work Pilotphase mit insgesamt 14 Arbeitstagen bestätigt weitgehend die Antworten zur generellen Zahl der Pendeltage je Arbeitswoche. Bild 2 zeigt, dass der überwiegende Teil der Befragten Get2Work während der Pilotphase nicht genutzt hat (69,5 %). Die tatsächliche Nutzung erfolgte zumeist in einem Intervall zwischen einem und fünf Arbeitstagen, 2 Personen wählten an 12 Arbeitstagen Get2Work für das Pendeln. Ein Erklärungsansatz für die schwache Nutzung des neuen Angebots findet sich in den offenen Antworten. Ein wichtiger Grund ist wohl, dass das Matching der Fahrgemeinschaften nicht ausreichend funktionierte. So boten viele Fahrer eine Mitfahrt an, nur wenige wollte aber umgekehrt eine Mitfahrt buchen. Teilweise wurde auch über Probleme mit der App oder die Begrenzung des Zielgebietes geklagt. In einer weiteren Frage sollten die Teilnehmenden auf einer Skala von 1-10 bewerten, wie schmerzhaft das Ende der Get2Work Pilotphase und damit die Einstellung des Mobilitätsangebotes für sie ist. Dabei zeigte sich eine deutliche Dichotomie zwischen Nutzern und Nicht-Nutzern. Erstere vermissen den Service sehr stark (10,2 % gegenüber 4 % bei den Nicht-Nutzern), während aus der Gruppe der Nicht-Nutzer 13,5 % das Angebot überhaupt nicht vermissten (2,1 % der Nutzer). Auf die Frage nach den dominanten Verkehrsmitteln für das Pendeln gaben die meisten den Pkw an, gefolgt vom Fahrrad und dem ÖPNV. Vereinzelt werden auch Fahrgemeinschaften, Mitfahrde nach den Motiven und Erfahrungen der Fahrer gefragt, eine Fahrgemeinschaft anzubieten oder auch nicht. Zudem thematisierte eine Frage die Höhe eines monetären Ausgleichs für die Fahrer einer Fahrgemeinschaft. Im letzten Abschnitt der Umfrage wurden Fragen zur Nutzungs- und Zahlungsbereitschaft der Interessenten für ein mögliches zukünftiges On-Demand-Pendelkonzept gestellt. Mit diesen Informationen können die Realisierungschancen eines solchen Pendelkonzepts abgeschätzt und ggfls. die Preisgestaltung dafür vorbereitet werden. 2. Ergebnisse der Teilnehmendenbefragung Die Auswertung der Teilnehmendenbefragung liefert umfangreiche Ergebnisse, die im Folgenden dargestellt werden. Sie umfasst neben quantitativen auch qualitative Ergebnisse, die sich aus der Vielzahl an Freitextfeldern ergeben. 2.1 Ergebnisse der quantitativen Auswertung Von den insgesamt 96 ausgefüllten Fragebogen (Rücklaufquote 29 %) entfielen 70 % auf Männer. Der überwiegende Teil der Teilnehmenden (über 80 %) war in der Gruppe der 25-55-Jährigen zu verorten. Angesichts der Tatsache, dass die Befragten einer Erwerbstätigkeit nachgehen, verwundert dies nicht. Bemerkenswert ist, dass gut 33 % der Antwortenden wochentäglich zur Arbeit pendeln, wie Bild 1 zeigt. Dies deutet darauf hin, dass sowohl Angestellte in der Verwaltung als auch Mitarbeiter aus der Produktion an der Befragung teilgenommen haben. Die meisten befragten Mitarbeitenden hatten allerdings 2 oder 3 Pendeltage in der Woche (zusammen 48 %), gelegenheiten außerhalb von Get2Work und sogar der ZF-Werksbus erwähnt. Dies spricht grundsätzlich dafür, alternative Pendellösungen auf Basis des Einsatzes vorhandener privater Pkw zu suchen. Damit diese praxistauglich realisiert werden können, bedarf es allerdings auch eines entsprechenden Vergütungssystems für diejenigen, die ihre Fahrzeuge zur Verfügung stellen. Ausweislich der Antworten auf die diesbezüglichen Fragen schätzen die Teilnehmenden den Preis für ein Pendelangebot auf 10 bis 30 Cent pro km. Im Median liegt die Schätzung bei 20 Cent. Die individuelle Zahlungsbereitschaft für eine Fahrt steigt bis ca. 15 km Fahrtstrecke an und flacht dann ab (Degression des Kilometerpreises), um ab 23 km wieder in einen (leichten) Anstieg überzugehen. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei der Zahlungsbereitschaft für den Shuttlebus. Da die Zahlungsbereitschaft hier im Niveau jedoch geringfügig höher liegt, ist es naheliegend, dass der Shuttlebus als hochwertigere Mobilitätslösung wahrgenommen wird. Es ist zudem festzuhalten, dass die Daten ein Delta zwischen der Zahlungsbereitschaft der Fahrgäste und dem gewünschten Preis der Fahrer bzw. den Kosten des Shuttlebusses zeigen. 2.2 Ergebnisse der qualitativen Auswertung In der Erhebung wurden zahlreiche offene Fragen gestellt, um Gründe für Teilnahme oder Nichtteilnahme, Aspekte der Zufriedenheit und Ansatzpunkte für mögliche Verbesserungen in Erfahrung zu bringen. Zunächst ist festzuhalten, dass die tatsächlichen Nutzer (n = 29) ein hohes Maß an Zufriedenheit mit Get2Work artikulierten und das Angebot sehr positiv beurteilten. Hauptsächliche Gründe für die Nutzung waren stressfreies Pendeln, Neugierde, Parkplatzprobleme aber auch „schlechtes Wetter“, vermutlich bei Pendelnden, die sonst das Fahrrad nutzten. Die zahlreichen Nicht-Nutzer (n = 67) begründeten ihre Abstinenz vor allem mit der Begrenzung des Einzugsgebiets, dem „unpassenden Zeitraum“ für den Pilotversuch, aber auch, wie bereits erwähnt, mit mangelndem Matching der Fahrgemeinschaften. Als Begründung für das Angebot einer Fahrgemeinschaft im Rahmen von Get2- Work, wurde am häufigsten Nachhaltigkeit (Reduktion der Verkehrslast) und Hilfsbereitschaft für Kollegen genannt. Finanzielle Aspekte spielten demgegenüber nur eine geringe Rolle. Umgekehrt gaben Teilnehmende, die keine Fahrgemeinschaft angeboten haben, als Grund an, dass die Planbarkeit des Tagesablaufs und die notwendige Flexibilität über Gebühr eingeschränkt würde. Teilweise stand auch kein Bild 2: Pendeltage mit Nutzung von Get2Work MOBILITÄT betriebliche Mobilität DOI: 10.24053/ IV-2024-0065 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 56 Fahrzeug zur Verfügung oder der Prozess wurde als zu kompliziert empfunden. Ein weiterer Grund hängt mit der Struktur des Projektes zusammen. Da einige Teilnehmende den Shuttlebus nutzten, kam das Angebot einer Fahrgemeinschaft für sie nicht in Frage. Eine weitere Differenzierung der Analyse nach Nutzern und Nicht-Nutzern, zeigte, dass bei Nutzern die Resonanz zu den Angeboten größtenteils positiv ist. Als Probleme werden vor allem die fehlende Flexibilität sowie asynchrone Arbeits- und private Servicezeiten genannt. Auch gesundheitliche Aspekte des Radfahrens bzw. Zufußgehens spielen eine Rolle bei den Entscheidungen. Es wird auch konkrete Kritik an der App formuliert (Aufteilung in zwei Anwendungen, Stromverbrauch, fehlende Erinnerungen etc.). Außerdem machen die Nutzer konkrete Verbesserungsvorschläge in denen sie z. B. für eine Erweiterung des Bediengebiets des Shuttlebusse und die Einführung definierter Fahrtkorridore plädieren, um Fahrtwege nicht zu sehr zu verlängern. Hinsichtlich der Mitfahrgelegenheiten werden zahlreiche detaillierte Verbesserungsvorschläge zu Buchung, Bedienung und Transparenz gemacht. Auch die Nichtnutzer formulieren Optimierungsvorschläge. Sie wünschen sich ebenfalls eine Ausweitung des Bediengebiets des Shuttlebusses und eine höhere Bedienfrequenz. Eine Ausweitung des Bedienungsraums wird auch für Fahrtgemeinschaften vorgeschlagen ebenso wie die Möglichkeit, Hin- und Rückfahrten zusammen zu buchen. Präferiert werden von den Befragten stabile Fahrgemeinschaften mit festen Abfahrtszeiten und Treffpunkten. Ihre Nicht-Nutzung begründen sie im Wesentlichen mit dem zu kleinen Bediengebiet des Shuttlebusses oder fehlender passender Angebote für eine Mitfahrgelegenheit. Auch die App wird hinsichtlich Bedienfreundlichkeit und Datenhunger kritisiert und eine zweite Testphase angeregt. Insgesamt artikulieren sowohl Nutzer als auch Nicht-Nutzer, dass sie die Angebote von Get2Work nutzen würden, wenn diese in Zukunft wieder verfügbar wären. Auch viele Nicht-Nutzer haben, wie Bild 3 zeigt, nach wie vor Interesse an diesem Projekt und an einer Teilnahme. 3. Hypothesen und Handlungsempfehlungen Aus den Ergebnissen der Befragung lassen sich im Kontext der einschlägigen Literatur Hypothesen zu den Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren des Get2Work- Projektes sowie Handlungsempfehlungen für das betriebliche Mobilitätsmanagement ableiten, die nachfolgend vorgestellt werden. 3.1 Ausbau und zweiter Pilot der Mitfahrgelegenheit Zwar war die Zahl der tatsächlich durchgeführten Fahrgemeinschaften im Projekt gering, insbesondere weil das Matching der Angebote aus verschiedenen Gründen schlecht funktionierte. Die Resonanz sowohl der Nutzer als auch der Nicht-Nutzer war aber dennoch sehr positiv. Daher sollte der Versuch unternommen werden, durch eine Ausweitung des Einzugsgebiets im Rahmen einer zweiten Pilotphase mit einem überarbeiteten Angebot weitere Nutzer zu gewinnen. Gelingt es, die Bedingungen für das Matching zu verbessern, dürfte sich über positive Netzwerkeffekte die Zahl der Teilnehmenden erhöhen lassen und eine stärkere Bündelung der Pendelfahrten erreicht werden. Dies ist insbesondere erfolgsträchtig, da der Pkw in Zukunft nach wie vor das dominante Verkehrsmittel für die Pendelnden sein dürfte. Generell kann aus diesen Beobachtungen schlussgefolgert werden, dass der Matching-Problematik besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, wenn im Rahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements Fahrgemeinschaften organisiert werden. 3.2 Marktungleichgewichte bei der Mitfahrgelegenheit Die Option Mitfahrgelegenheit wurde von vielen Pkw-Fahrern im Pilotversuch positiv angenommen, aber es kam häufig zu einem Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage. Dies liegt vermutlich daran, dass infolge des Status-quo-bias und der Habitualisierung der Verkehrsmittelwahl vor allem Fahrer bestehende Fahrten für Mitfahrer öffneten, nur wenige allerdings als Fahrgast nach freien Plätzen suchen. Folglich blieben viele Fahrer ohne Mitfahrer und die Anzahl der Nutzer gering. Diese Hypothese wurde in anderen Studien bereits bestätigt [9]. Eine Möglichkeit, dieser Herausforderung zu begegnen, stellt ein Zusammenführen der Fahrer-App und der Buchungs- App dar. Dadurch könnten in Zukunft auch mehrere Fahrer zu einer Fahrgemeinschaft gebündelt werden. Während einem Fahrer die Rolle als Fahrer vom System automatisch zugewiesen wird, würden die anderen als Fahrgast pendeln. Auch wenn den Fahrgästen eine Option eingeräumt werden müsste, die Bündelung abzulehnen, könnten so dennoch zusätzliche Fahrgemeinschaften zustande kommen. 3.3 Positionierung und Design der Mitfahrgelegenheit Die grundsätzlich positive Einschätzung der Option „Mitfahrgelegenheit“ durch die Teilnehmenden ist auch ein Ausdruck der sozialen Kontexte dieses Konstrukts. So wird dem gemeinsamen Pendeln von einigen Teilnehmern durchaus ein kollegialer Charakter zugewiesen. Einschlägige Studien bestätigen, dass die Aspekte (gegenseitiger) Freundlichkeit und weniger Stress für die Teilnahme an Fahrgemeinschaften entscheidend sind [10]. Darüber hinaus zeigen wissenschaftliche Studien, dass Nichtwissen über Mitfahrer der wichtigste limitierende Faktor ist, insbesondere bei Frauen. Der Abbau dieser psychologischen Barriere durch Kollegialität kann die Bereitschaft, an einer Mitfahrgelegenheit teilzunehmen, deutlich steigern [11]. Insofern ist nachvollziehbar, dass die Buchungsmaske der Mitfahrgelegenheit im „Uber-Stil“ von einzelnen Fahrgästen als unpassend und zu „geschäftsmäßig“ wahrgenommen wird und verschiedene Bild 3: Interesse an potenzieller Get2Work Nutzung betriebliche Mobilität MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2024-0065 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 57 weg. URL https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Arbeit/ Arbeitsmarkt/ Erwerbstaetigkeit/ im-Fokus-Pendler.html - Zugriffsdatum: 18.07.2024. [5] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023). Verkehr in Zahlen 2023/ 2024. Kraftfahrt-Bundesamt, Flensburg. [6] Schwedes, O., Sternkopf, B., Rammert, A. (2017). Mobilitätsmanagement - Möglichkeiten und Grenzen verkehrspolitischer Gestaltung am Beispiel Mobilitätsmanagement. Technische Universität, Berlin. [7] Scheier, B., Frieske, B. & Viergutz, K. (2021): Chancen und Potenziale von Mobility-as-a-Service nach der Corona-Pandemie, Wirtschaftsdienst 101, 394-399. [8] Ronald, N., R. Thompson und S. Winter (2015). Simulating Demand-responsive Transportation: A Review of Agent-based Approaches, Transport Reviews, 35(4), 404-421. [9] Le Goff, A., Monchambert, G., & Raux, C. (2022). Are solo driving commuters ready to switch to carpool? Heterogeneity of preferences in Lyon‘s urban area. Transport Policy, 115, 27-39. [10] Ademe-inddigo, S. A. S. (2015) : Leviers d’actions pour favoriser le covoiturage de courte distance, évaluation de l’impact sur les polluants atmosphériques et le CO2. Leviers d’actions, benchmark et exploitation de l’enquête nationale Transports et déplacements (ENTD). [11] Bulteau, J., Feuillet, T., Dantan, S., & Abbes, S. (2021). Encouraging carpooling for commuting in the Paris area (France): which incentives and for whom? . Transportation, 1-20. [12] Li, J., Embry, P., Mattingly, S. P., Sadabadi, K. F., Rasmidatta, I., & Burris, M. W. (2021). Who chooses to carpool and why? Examination of Texas carpoolers. Transportation Research Record,1, 110-117. Eingangsabbildung: © iStock.com/ simonkr 4. Fazit Im Rahmen des Projektes Get2Work wurden bei der ZF Friedrichshafen AG App-basierte Mitfahrgelegenheiten und Shuttlebusse als Teil des betrieblichen Mobilitätsmanagements erprobt. Die Auswertung dieses Pilotprojektes zeigt, dass einer umfassenden Nutzung der Angebote derzeit noch zahlreiche Hindernisse gegenüberstehen. Gleichzeitig artikulierten die betroffenen Pendelnden grundsätzlich eine positive Wahrnehmung dieser Mobilitätsoptionen. Die Ergebnisdiskussion der durchgeführten Befragung legt nahe, dass unter den spezifischen betrieblichen und raumstrukturellen Rahmenbedingungen der ZF insbesondere Fahrgemeinschaften einen sinnvollen Weg zu einer nachhaltigen Organisation der Pendelaktivitäten der Mitarbeitenden darstellen können. Neben organisatorischen Anpassungen und einer Optimierung der Apps sollten gezielte Anreize gesetzt werden, um das Matching von Fahrern und Mitfahrern zu verbessern und die Anzahl gebündelter Pendelwege insgesamt zu erhöhen. Die gewonnenen Erkenntnisse dürften nicht nur für die ZF Friedrichshafen AG, sondern auch für andere Unternehmen mit stark Pkw-lastigen Pendlerströmen und begrenzten Alternativen im öffentlichen Verkehrssystem relevant sein. Der Ausbau entsprechender Angebote stellt zudem einen Baustein im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung berichtspflichtiger Unternehmen dar. So kann die Fahrtenbündelung zur besseren Dokumentation und Reduktion der unter Scope 3.7 „Employee Commuting“ erfassten Treibhausgasemissionen beitragen. Zuletzt bieten die Ergebnisse auch Anknüpfungspunkte für verkehrspolitische Handlungsempfehlungen, etwa die Weiterentwicklung bestehender steuerrechtlicher Privilegien für Pendelnde zu einem betrieblichen Mobilitätsbudget. Außerdem ergeben sich daraus Anregungen zur Diskussion hinsichtlich der Ausbaunotwendigkeit von Verkehrsknotenpunkten in der Nähe sehr großer Unternehmen. ■ LITERATUR [1] FGSV (1995). Öffentlicher Personennahverkehr. Mobilitätsmanagement - ein neuer Ansatz zur umweltschonenden Bewältigung der Verkehrsprobleme. In: Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Arbeitspapier). [2] Schuppan, J (2020). Mobilität und berufliche Lebensereignisse. Springer VS, Wiesbaden. [3] Garrido-Cumbrera, M., Braçe, O., Gálvez-Ruiz, D., López-Lara, E., & Correa-Fernández, J. (2023). Can the mode, time, and expense of commuting to work affect our mental health? . Transportation Research Interdisciplinary Perspectives, 21, 100850. [4] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2016). Pendeln in Deutschland: 68% nutzen Auto für Arbeits- Veränderungen der Apps angeregt werden (vereinfachte Bedienung, Vorschläge für Abfahrtsorte und feste Abfahrtszeiten). Es erscheint daher sinnvoll, die App für die Mitfahrgelegenheit zu überarbeiten und stärker als kollegiale Pendellösung zu positionieren. Dies kann auch eine generelle Empfehlung für die Gestaltung solcher Systeme sein, um die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden im Rahmen des betrieblichen Mobilitätsmanagements zu steigern. 3.4 Unterschiedliche Zahlungsbereitschaft für die beiden Dienste Wie bereits erwähnt, zeigen die Daten eine Differenz zwischen der Zahlungsbereitschaft der Fahrgäste und den Preisvorstellungen der Fahrer bzw. den Kosten des Busses. Auf der anderen Seite sind einige Fahrer sogar bereit, Fahrgäste kostenlos mitzunehmen. Daher sollte man darüber nachdenken, Anreize für beide Zielgruppen in Form nicht-monetärer Incentives zu setzen. Diese könnten als nicht-geldwerte Vorteile in physischer (reservierte Parkplätze) oder digitaler Form (Ranglisten, Level-System, Badges) umgesetzt werden. Studien legen zudem nahe, dass eingesparte Fahrtkosten für Nutzer beruflicher Mitfahrgelegenheiten besonders wichtig sind [12]. Eine Weiterentwicklung solcher Anreizsysteme im Kontext eines Mobilitätsbudget wäre daher auch generell zu diskutieren. 3.5 Kerngebiet und Servicezeiten der Shuttlebusse Die Ergebnisse der Befragung legen nahe, dass auch das Angebot der Shuttlebusse von den Mitarbeitenden grundsätzlich sehr positiv aufgenommen wurde. Neben den tatsächlich aktiven Nutzern sehen Fahrradfahrer/ innen und ÖPNV-Nutzende in diesen eine wetter- und jahreszeitabhängige Ergänzung ihrer Mobilitätoptionen. Hauptkritikpunkte der Befragten betreffen allerdings das begrenzte Bediengebiet und den fehlenden Abgleich mit Schichtzeiten. Im Rahmen einer zweiten Pilotphase könnte das Kerngebiet unter Beachtung attraktiver ÖV-Verkehrspunkte erweitert werden. Die Angebotszeiten sollten an die Arbeits- und Schichtzeiten der Nutzenden angepasst, die Wartezeit vor der Buchung angezeigt und die Fahrer/ innen besser geschult werden. Grundsätzlich sind die Hürden eines Ausbaus des Shuttlebussystems aufgrund der hohen Kosten und der nur geringfügig größeren Zahlungsbereitschaft der Fahrgäste allerdings deutlich höher als bei der Mitfahrgelegenheit. Es erscheint fraglich, ob ein Betrieb ohne umfangreiche Quersubventionierung mittelfristig umsetzbar ist. Stefan Beller, ZF Friedrichshafen AG stefan.beller@zf.com Marcus Bentele, ZF Friedrichshafen AG marcus.bentele@zf.com Jakob Hebart, Zeppelin Universität Friedrichshafen jakob.hebart@zu.de Alexander Eisenkopf, Zeppelin Universität Friedrichshafen Sebastian Scheler, Ostschweizer Fachhochschule, St. Gallen sebastian.scheler@ost.ch MOBILITÄT betriebliche Mobilität DOI: 10.24053/ IV-2024-0065 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 58
